OGH 4Ob131/21z

OGH4Ob131/21z22.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* GmbH, *, vertreten durch Dr. Stefan Glaser, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei M* K*, vertreten durch Mag. Gerald Hamminger, Rechtsanwalt in Braunau am Inn, wegen zuletzt 5.271,33 EUR sA, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 12. Februar 2021, GZ 18 R 1/21h‑65, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Braunau am Inn vom 27. November 2020, GZ 2 C 128/18t-57, teilweise abgeändert und teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132795

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Artikel 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (im Folgenden: Klausel-RL) so auszulegen, dass bei der Prüfung eines vertraglichen Schadenersatzanspruchs des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher, den jener auf einen unberechtigten Vertragsrücktritt des Verbrauchers stützt, die Anwendung von dispositivem nationalen Recht bereits dann ausgeschlossen ist, wenn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB) des Unternehmers eine missbräuchliche Klausel enthalten ist, die dem Unternehmer neben den Vorschriften des dispositiven nationalen Rechts gegen einen vertragsbrüchigen Verbraucher wahlweise einen pauschalierten Schadenersatzanspruch zubilligt?

Für den Fall der Bejahung der Frage 1:

2. Ist eine solche Anwendung von dispositivem nationalen Recht auch dann ausgeschlossen, wenn der Unternehmer seine Schadenersatzforderung gegenüber dem Verbraucher nicht auf die Klausel stützt?

Für den Fall der Bejahung der Fragen 1 und 2:

3. Widerspricht es den genannten unionsrechtlichen Bestimmungen, dass bei einer Klausel, die mehrere Regelungen (etwa alternative Sanktionen bei einem unberechtigten Vertragsrücktritt) enthält, jene Teile der Klausel im Vertragsverhältnis aufrecht bleiben, die ohnedies dem dispositivem nationalen Recht entsprechen und nicht als missbräuchlich zu qualifizieren sind?

B. Das Verfahren über die Revision der beklagten Partei wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH gemäß § 90a Abs 1 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) ausgesetzt.

 

Begründung:

[1] I. Sachverhalt

[2] Die klagende Gesellschaft betreibt in Schärding (Österreich) ein Einrichtungsstudio und bietet unter anderem auch Einbauküchen zum Verkauf an.

[3] Der Beklagte ist Pensionist und erwarb am 12. November 2017 im Zuge einer Baumesse in Ried im Innkreis (Österreich) auf dem Messestand der Klägerin von dieser eine Einbauküche um den Preis von 10.924,70 EUR. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin zugrunde, dessen Punkt V wie folgt lautet (Hervorhebung im Original):

 

V. Vertragsrücktritt

 

Bei Annahmeverzug (Pkt. VII.) oder anderen wichtigen Gründen, wie insbesonders Konkurs des Kunden oder Konkursabweisung mangels Vermögens, sowie bei Zahlungsverzug des Kunden sind wir zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, sofern er von beiden Seiten noch nicht zur Gänze erfüllt ist. Für den Fall des Rücktrittes haben wir bei Verschulden des Kunden die Wahl, einen pauschalierten Schadenersatz von 25 % des Bruttorechnungsbetrages oder den Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens zu begehren.

 

Bei Zahlungsverzug des Kunden sind wir von allen weiteren Leistungs- und Lieferungsverpflichtungen entbunden und berechtigt, noch ausstehende Lieferungen oder Leistungen zurückzuhalten und Vorauszahlungen bzw. Sicherstellungen zu fordern oder nach Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurückzutreten.

 

Tritt der Kunde – ohne dazu berechtigt zu sein – vom Vertrag zurück oder begehrt er seine Aufhebung, so haben wir die Wahl, auf die Erfüllung des Vertrages zu bestehen oder der Aufhebung des Vertrages zuzustimmen; im letzteren Fall ist der Kunde verpflichtet, nach unserer Wahl einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrages oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu bezahlen. Soweit Planungsarbeiten nicht gesondert abgegolten werden, machen wir im Falle des Rücktrittes des Verkäufers vom Vertrag unsere Urheberrechte an allen entsprechenden Planunterlagen geltend.

 

[4] Am 28. November 2017 trat der Beklagte vom Kaufvertrag zurück, weil er jenes Haus nicht erwerben konnte, für das die Küche bestimmt war.

[5] Bei Erfüllung des Kaufvertrags wäre der Klägerin ein Gewinn von insgesamt 5.270,60 EUR verblieben.

 

[6] II. Bisheriges Verfahren

[7] Mit ihrer am 14. Mai 2018 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten als vertraglichen Schadenersatz den Kaufpreis abzüglich dessen, was sie sich infolge des Unterbleibens der Arbeit erspart habe. Wegen des Rücktritts vom Kaufvertrag sei die Forderung fällig, deren Höhe die Klägerin zuletzt mit 5.270,60 EUR bezifferte. Die klagende Gesellschaft stützte im Prozess ihren Anspruch nicht auf ihre AGB, sondern auf dispositive Bestimmungen des (österreichischen) Zivilrechts.

[8] Der Beklagte vertrat zu Beginn des Verfahrens noch den Standpunkt, dass er wegen eines berechtigten Rücktritts nicht schadenersatzpflichtig sei. Im drittinstanzlichen Verfahren ist aber nicht mehr strittig, dass der Beklagte vom Kaufvertrag zu Unrecht zurückgetreten ist.

[9] Der Beklagte wandte zuletzt ein, dass die AGB Vertragsinhalt des Kaufvertrags gewesen seien. Die Klausel V (dritter Absatz) räume dem Unternehmer im Fall eines unberechtigten Rücktritts des Verbrauchers ein Wahlrecht ein, von diesem entweder einen pauschalierten Schadenersatz in der Höhe von 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder den tatsächlich entstandenen Schaden zu verlangen. Da diese Klausel missbräuchlich sei und zu Lasten des Beklagten als Konsumenten ginge, stünden der Klägerin höchstens 20 % der tatsächlichen Kaufpreissumme zu.

[10] Das Erstgericht sprach der Klägerin 20 % des Bruttoverkaufspreises zu (2.184,94 EUR) und wies das Mehrbegehren ab. Unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 237/16y des Obersten Gerichtshofs qualifizierte das Erstgericht den dritten Absatz der Klausel V wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr als für den Verbraucher gröblich benachteiligend. Bei einem gänzlichen Wegfall dieser Bestimmung aus dem Kaufvertrag wäre der Klägerin (wegen des dispositiven Rechts) aber ein Betrag von 5.270,60 EUR als Nichterfüllungsschaden zu ersetzen. Der Wegfall der missbräuchlichen Klausel hätte in diesem Fall eine „bestrafende“ Wirkung auf den Verbraucher. Immerhin suggerierte ihm die Klausel, dass bei Vertragsrücktritt maximal 20 % des Bruttoverkaufspreises als Schaden zu ersetzen seien. Keinesfalls erwartete ein Konsument, dass „der tatsächlich entstandene Schaden“ bei einem Rücktritt vom Vertrag ohne jegliche Gegenleistung des Verkäufers nahezu die Hälfte des vereinbarten Preises betrage. Aus diesen Gründen sei der der Klägerin zu ersetzende Nichterfüllungsschaden mit einer Höhe von 20 % des Bruttoverkaufspreises zu begrenzen.

[11] Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, dass es der Klage (abgesehen von einem Teil des Zinsenbegehrens) stattgab. Die Nichtigkeit einer Klausel in den AGB, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungspflichten betrifft, könne nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führen. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei aus Art 6 Abs 1 Klausel-RL abzuleiten, dass die nationalen Gerichte eine missbräuchliche Vertragsklausel nur für unanwendbar zu erklären hätten, damit sie den Verbraucher nicht binde, ohne dass sie befugt wären, deren Inhalt abzuändern. Der betreffende Vertrag müsse nämlich– abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergebe – grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich sei. Art 6 Abs 1 Klausel-RL hindere ein nationales Gericht nicht daran, eine missbräuchliche Klausel wegfallen zu lassen und sie in Anwendung vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen. Vielmehr sei die Ersetzung einer missbräuchlichen Klausel durch eine solche Vorschrift in Anbetracht des Zieles der Klausel-RL voll und ganz gerechtfertigt, weil sie dazu führe, dass der Vertrag trotz des Wegfalls der unwirksamen Klausel Bestand haben könne und für die Parteien bindend bleibe. Nach der Judikatur des EuGH ziele Art 6 Abs 1 der Klausel‑RL nicht darauf ab, die Nichtigkeit sämtlicher Verträge herbeizuführen, die missbräuchliche Klauseln enthalten. Eine Rücktrittsklausel, die den Ersatz des dadurch entstandenen tatsächlichen Schadens vorsieht und damit die dispositive Gesetzeslage wiedergibt, sei nicht sittenwidrig. Eine „Begrenzung des Nichterfüllungsschadens“ mit einer Höhe von 20 % des Bruttoverkaufspreises sei mit der Rechtsprechung des EuGH nicht in Einklang zu bringen, wonach sich aus dem Wortlaut des Art 6 Abs 1 der Klausel‑RL ergebe, dass die nationalen Gericht eine missbräuchliche Vertragsbestimmung nur für unanwendbar zu erklären haben, ohne dass sie befugt wären, deren Inhalt abzuändern. Der Rückgriff auf dispositives Recht sei hier nicht versperrt. Der Klägerin stehe aufgrund des unberechtigten Vertragsrücktritts des Beklagten das positive Vertragsinteresse zu.

[12] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage zu, ob ein Unternehmer die Verdrängung des dispositiven Rechts im Sinne der neueren Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27. Jänner 2021, C‑229/19 und C-289/19 ) dadurch vermeiden könne, dass er es unterlässt, sich gegenüber dem Verbraucher auf die unwirksame Klausel zu berufen.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Oberste Gerichtshof hat über die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision des Beklagten zu entscheiden.

[14] Dabei ist im Sinne der Vorinstanzen (und zwischen den Parteien auch unstrittig) an die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anzuknüpfen (3 Ob 237/16y; RIS‑Justiz RS0016914 [T63]), wonach die pauschale Festlegung einer Stornogebühr von 20 % wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB (und damit missbräuchlich iSd Art 6 Abs 1 Klausel-RL) zu qualifizieren ist.

[15] In der gegen das Berufungsurteil erhobenen Revision argumentiert der Beklagte damit, dass nach der Rechtsprechung des EuGH bei Wegfall einer missbräuchlichen Klausel nicht eine dispositive Regelung zum Nachteil des Verbrauchers angewendet werden könne. Die Nichtigkeit einer Klausel sei amtswegig wahrzunehmen. Das dispositive Recht sei auch dann nicht anwendbar, wenn sich der Unternehmer nicht ausdrücklich auf die AGB-Klausel stützt.

[16] In ihrer Rechtsmittelbeantwortung verweist die Klägerin auf den gesetzlich geregelten Schadenersatzanspruch nach § 921 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). Eine Klausel, die dem Unternehmer die Möglichkeit einräumt, diesen gesetzlich geregelten Schadenersatzanspruch geltend zu machen, sei in diesem Umfang keineswegs rechtsmissbräuchlich. Zudem wäre es bemerkenswert, das dispositive Recht unter dem Deckmantel des Konsumentenschutzes auszuhebeln.

 

[17] Die zitierte Bestimmung lautet:

§ 921. ABGB

Der Rücktritt vom Vertrage lässt den Anspruch auf Ersatz des durch verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt. Das bereits empfangene Entgelt ist auf solche Art zurückzustellen oder zu vergüten, dass kein Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn zieht.

 

[18] Diese Regel gewährt dem Gläubiger nach Rücktritt einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Schadenersatzanspruch gegen seinen schuldhaft handelnden Vertragspartner. Der Schuldner hat alle Nachteile zu ersetzen, die dem Gläubiger durch die verschuldete Nichterfüllung entstanden sind.

[19] Blendet man die Existenz der missbräuchlichen Klausel aus, wäre die angefochtene Entscheidung, mit der der Klägerin der Nichterfüllungsschaden zugesprochen wurde, in Anwendung dieser Bestimmung (und in Verbindung mit weiteren Regeln des österreichischen Schadenersatzrechts) jedenfalls zu bestätigen.

 

[20] III. Vorlagefragen

[21] Zur ersten Frage:

[22] Vom EuGH wurde die Befugnis zum Ersetzen einer Klausel durch dispositives Recht dann als unproblematisch betrachtet, wenn ein Vertrag nach Wegfall einer missbräuchlichen Klausel nicht mehr durchführbar ist (C‑26/13 , Kásler, Rn 85).

[23] Des weiteren wurde zB in der Entscheidung zu C‑482/13 , C-484/13 , C-485/13 und C-487/13 , Unicaja Banco SA und Caixabank SA, klargestellt, dass eine Schließung der durch den Wegfall einer missbräuchlichen Klausel entstandenen Vertragslücke durch Rückgriff auf das dispositive Recht im Verbraucherrecht dann zulässig ist, wenn sich die ersatzlose Streichung der missbräuchlichen Klausel nachteilig auf die Rechtssituation des Verbrauchers auswirken würde.

[24] Der EuGH legte in seinem Urteil vom 27. Jänner 2021, C-229/19 und C-289/19 , Dexia,die Bestimmungen der Klausel-RL zuletzt dahin aus, dass ein Gewerbetreibender, der als Verkäufer einem Verbraucher eine Klausel auferlegt hat, die vom nationalen Gericht für missbräuchlich und folglich nichtig erklärt worden ist, wenn der Vertrag ohne diese Klausel fortbestehen kann, keinen Anspruch auf die Entschädigung hat, die in einer dispositiven Vorschrift des nationalen Rechts vorgesehen ist, die ohne diese Klausel anwendbar gewesen wäre (Rn 67). Der EuGH begründete seine Rechtsansicht damit, dass eine Befugnis der nationalen Gerichte, den Inhalt einer missbräuchlichen Klausel in einem solchen Vertrag abzuändern, die Verwirklichung des langfristigen Ziels gefährden, das mit Art 7 der Klausel-RL verfolgt wird. Diese Befugnis trüge dazu bei, den „Abschreckungseffekt“ (siehe bereits EuGH C‑26/13 , Kásler, Rn 79) zu beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass diese missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher „schlicht unangewendet“ bleiben, weil diese Unternehmer nämlich versucht blieben, die betreffenden Klauseln zu verwenden, wenn sie wüssten, dass, selbst wenn die Klauseln für unwirksam erklärt werden sollten, der Vertrag gleichwohl im erforderlichen Umfang vom nationalen Gericht angepasst werden könnte, so dass das Interesse der Gewerbetreibenden auf diese Art und Weise gewahrt würde (Dexia, Rn 64).

[25] Aus der referierten Rechtsprechung könnte auch für den Anlassfall abgeleitet werden, dass auf die Regelungen des dispositiven Rechts bereits wegen der schlichten Existenz einer missbräuchlichen und daher nicht anwendbaren Klausel nicht zurückgegriffen werden darf. Ein solches Ergebnis, das einen vertragsbrüchigen Verbraucher vom Ersatz des durch ihn schuldhaft verursachten Schadens befreit, widerspricht aber diametral der Systematik und den Wertungen des Zivilrechts, das davon geprägt ist, die unterschiedlichen Interessen von Vertragsparteien billig auszugleichen. Auch der EuGH anerkennt, dass der nationale Gesetzgeber mit den Bestimmungen des dispositiven Rechts ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Vertragsparteien herstellen will (EuGH, C-260/18 , Dziubak, Rn 60). Daher wird der EuGH hier um Klarstellung ersucht.

[26] Zur zweiten Frage:

[27] Der hier zu beurteilende Fall ist im Gegensatz zur Konstellation, die der Entscheidung Dexia zugrundelag (vgl Rn 64: „Gewerbetreibenden … versucht blieben, die betreffenden Klauseln zu verwenden“) davon geprägt, dass die Klausel für die Beurteilung des klagsgegenständlichen Anspruchs keine Relevanz hat, weil der geltend gemachte Schadenersatzanspruch ausschließlich auf Bestimmungen des dispositiven Rechts gestützt werden kann. Auch die Klägerin stützte ihren Anspruch auf das dispositive Recht und nicht auf die missbräuchliche Klausel. Von der klagenden Partei wurde die Klausel im Verfahren gegen den Beklagten damit nicht iSd Rn 64 der Entscheidung Dexia „verwendet“, um ihren Anspruch darauf zu stützen. Damit erachtet der Senat im Anlassfall die Anwendung des nationalen dispositiven Rechts nicht für ausgeschlossen, dies ungeachtet des Umstands, dass die Festlegung eines pauschalierten Schadenersatzes von 20 % als missbräuchlich zu qualifizieren ist.

[28] Das steht auch nicht im Widerspruch zum Gebot der amtswegigen Wahrnehmung der Nichtigkeit von Klauseln sobald das Gericht über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (EuGH C-154/15 , Gutiérrez Naranjo, Rn 58 f). Dieses Gebot bezieht sich nach Ansicht des Senats nur auf jene Klauseln, die für die Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Anspruchs relevant sind. Eine amtswegige Wahrnehmung der Nichtigkeit sollte demnach nur in Betracht kommen, wenn der Klausel für die Beurteilung des klagsgegenständlichen Anspruchs unmittelbare Relevanz zukommt (idS Graf, EuGH: Keine Ersetzung nichtiger AGB-Klauseln durch dispositives Recht! ecolex 2021/147, 200). Eine Klarstellung durch den EuGH erscheint auch hier geboten.

[29] Zur dritten Frage:

[30] Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das nationale Gericht den Vertrag nicht durch Abänderung des Inhalts einer Klausel anpassen, deren Nichtigkeit es in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt (EuGH C-618/10 , Banco Español, Rn 69 ff; C‑125/18 , Gómez del Moral Guasch, Rn 59 mwN; C‑229/19 und C-289/19 , Dexia, Rn 63). Auch vom Obersten Gerichtshof wird (auch im Individualprozess) dieses sogenannte „Verbot der geltungserhaltenden Reduktion“ vertreten (RS0128735; RS0122168; RS0038205 [T20]).

[31] Dabei ist allerdings zu klären, ob das Gesagte auch für teilbare Klauseln gilt. Die im Anlassfall im dritten Absatz der Klausel V normierten Sanktionen stehen dem Unternehmer wahlweise zur Verfügung. Neben dem als missbräuchlich zu qualifizierenden Anspruch auf einen hohen pauschalen Schadenersatz ist der alternativ mögliche Rückgriff auf den tatsächlich entstandenen Schaden nach Ansicht des Senats unbedenklich, zumal dies dem dispositivem Recht entspricht. Es bedarf der Klärung durch den EuGH, ob es der Klausel-RL widerspricht, wenn in einem solchen Fall nicht die Gesamtunwirksamkeit der Klausel angenommen wird.

[32] IV. Verfahrensrechtliches

[33] Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier vor. Bis zur Entscheidung des EuGH ist das Verfahren über das Rechtsmittel des Beklagten zu unterbrechen.

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