OGH 11Os105/21g

OGH11Os105/21g14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen Michael D***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten D***** gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 28. Mai 2021, GZ 38 Hv 5/21g‑158, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00105.21G.0914.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten D***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael D***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vom 24. Juni bis zum 18. Juli 2019 in K***** Peter Gl***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz dazu bestimmt,

am 18. Juli 2019 in G***** Ursula G***** mit Gewalt gegen deren Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich Schmuck im Gesamtwert von zumindest 300.000 Euro und Bargeld von rund 21.000 Euro, wegzunehmen oder abzunötigen,

indem er ihn in zahlreichen Gesprächen detailliert über die Person des Opfers und die Gegebenheiten in dessen Wohnhaus, insbesondere die Orte, an denen es dort Wertgegenstände aufbewahrte, informierte und ihm als Belohnung versprach, ihn an seiner eigenen Beute von rund 700.000 Euro zu beteiligen, die er bei einem früheren Raubüberfall auf dasselbe Opfer erlangt hatte.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des genannten Angeklagten.

 

[4] Unvollständig (im Sinn der Z 5) ist ein Urteil genau dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421).

[5] Mit dem Vorwurf, ein Schriftstück, das in der Hauptverhandlung nicht verlesen oder nach § 252 Abs 2a StPO vorgetragen wurde, sei „offensichtlich bei der Beweiswürdigung übersehen“ worden, wird kein solcher Begründungsmangel behauptet.

[6] Soweit es ihr nicht (als Aufklärungsrüge) um den Verfahrensaspekt unterlassener Beweisaufnahme – maW (gerade) unterbliebenen Vorkommens eines bestimmten Beweismittels in der Hauptverhandlung – geht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 481; vgl RIS‑Justiz RS0117749 [insbesondere T1], RS0117516 [insbesondere T1, T5]), ist eine Tatsachenrüge (Z 5a) nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreten Verweises auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS‑Justiz RS0117446 [insbesondere T1, T10], RS0117749, RS0118780, 11 Os 29/16y, jüngst 13 Os 84/19f).

[7] Unter dem Aspekt der (gegenüber Z 4 subsidiären) Z 5a als Aufklärungsrüge beanstandet die Beschwerde das Unterbleiben der Verlesung (oder des Vortrags) eines bestimmten Schriftstücks („Brief des Peter Gl***** an dessen Freund [= ON 41]“) in der Hauptverhandlung. Insoweit fehlt es ihr (bereits) an einem Vorbringen, wodurch der Beschwerdeführer an darauf gerichteter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823).

[8] Die weitere Tatsachenrüge, die Fehler in der Sachverhaltsermittlung nicht behauptet, entfernt sich zur Gänze von den oben dargestellten Anfechtungskriterien. Sie erschöpft sich vielmehr in einem Angriff auf die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, indem sie

- Urteilsaussagen zu einem Tatmotiv des Angeklagten anhand eigenständig entwickelter Überlegungen als „absurd“,

- beweiswürdigende Schlussfolgerungen des Erstgerichts als „falsch“,

- vom Erstgericht gewürdigte Zeugenaussagen als „unglaubwürdig“, „widersprüchlich“ oder „lebensfremd“ und

- die Person des Zeugen Gl***** als „keineswegs glaubwürdig“ bezeichnet sowie

- aus dem – ebenso berücksichtigten (US 16) – geänderten Aussageverhalten des Genannten von jenen des Erstgerichts abweichende Schlüsse gezogen wissen will.

[9] Bei der Strafbemessung ging das Erstgericht von einer – durch § 39 StGB erweiterten (US 4, 22, 23) – Strafbefugnis von einem bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe aus, die es durch Verhängung einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren ausschöpfte (US 4).

[10] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) wendet ein, es sei zu Unrecht § 39 StGB idgF anstelle des (zur Tatzeit in Geltung stehenden) § 39 StGB idF vor BGBl I 2019/105 angewendet worden.

[11] Durch die angesprochene Novellierung (siehe dazu 13 Os 39/21s) wurden aber weder die Rückfallsvoraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB noch der Umfang der Erweiterung des Strafrahmens verändert. Dass deren Annahme auf Basis des Urteilssachverhalts (US 5 ff) rechtlich verfehlt wäre, wird von der Rüge – zu Recht – nicht behauptet. Vielmehr ging das Schöffengericht rechtsrichtig von dieser Strafrahmenerweiterung aus (vgl 15 Os 8/21x).

[12] Für das materielle Recht folgte aus dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Strafschärfung nach § 39 StGB (nach alter Rechtslage) zwar keineswegs, dass die Sanktion mit Blick auf den solcherart erweiterten Strafrahmen bemessen werden musste (13 Os 64/75, SSt 46/40 [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0091333: „fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift“). Zog das Schöffengericht trotzdem einen solchen Schluss und hielt man dies mit der Entscheidung des verstärkten Senats für unangebracht, überschritt es allerdings nicht seine Strafbefugnis, verstieß vielmehr bloß gegen Vorschriften über die Strafbemessung (also die zweite Rechtsnatur des § 39 StGB aF) – allerdings nicht „in unvertretbarer Weise“, sodass auch Nichtigkeit aus Z 11 dritter Fall ausschied (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 668/1; zu mangelnder Nichtigkeitsrelevanz des Fehlens rechtlicher Erwägungen zur Strafbemessung siehe RIS‑Justiz RS0100877 [insbesondere T9]).

[13] Die Kritik am Fehlen einer „eingehenden Befassung“ mit der „erforderlichen Notwendigkeit“ für das tatsächliche Überschreiten des gesetzlichen Strafsatzes (hier § 142 Abs 1 StGB) in den Urteilsgründen bedeutet – hiervon ausgehend – bloß ein Berufungsvorbringen.

 

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[15] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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