European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00078.21S.0805.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 208,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Beklagte ist ein Neffe des am 5. 1. 2018 verstorbenen Erblassers.
[2] Der Erblasser errichtete im Jahr 2012 ein Testament, das lautete:
„Ich […] errichte hiermit für den Fall meines Todes, frei von Zwang oder Irrtum und vollkommen unbeeinflusst meinen Willen wie folgt:
1. Ich setze hiermit meinen Bruder […] und meine Nichte […] zu je 1/3, meine [beiden] Neffen (darunter der Beklagte, Anm.) […] zu je 1/6 je nach Stämmen zu Erben meines gesamten, bei meinem Tode vorhandenen Vermögens ein, jedoch mit der Verpflichtung, nachstehendes Legat zu leisten:
Die Erben verpflichten sich einmalig den Betrag von € 150.000,00 an [die Mutter des Klägers] zu leisten.“
[3] Am 15. 12. 2017 verfasste er ein fremdhändiges Testament, bei dem als Testamentszeugen die Tochter der Nichte, der Lebensgefährte der Nichte und eine weitere Person fungierten. Dieses lautete:
„Ich […] treffe hiermit im Zustand voller Besonnenheit, frei von Zwang, Betrug und Irrtum und unbeeinflusst durch Dritte, für den Fall meines Ablebens nachstehende letztwillige Anordnungen:
1. Widerruf:
Ich widerrufe ausdrücklich alle von mir bisher, wann und wo immer errichteten letztwilligen Anordnungen und erkläre diese für rechtsunwirksam.
2. Erbseinsetzung:
Zur Universalerbin meines gesamten wie immer Namen habenden und wo immer befindlichen beweglichen und unbeweglichen Nachlassvermögens setze ich meine Nichte [...] ein. Meine gesetzlich erbberechtigten Nachkommen nach mir haben nur den gesetzlichen Pflichtteil zu erhalten, in den ihnen allenfalls vorhandene Vorempfänge voll einzurechnen sind.
3. Mein Neffe […] (der Bruder des Beklagten, Anm.) soll als Legat einen Geldbetrag von Euro 10.000,00 erhalten.“
[4] Im Verlassenschaftsverfahren erklärten die dort Beteiligten, davon auszugehen, dass die Erbseinsetzung der Nichte mit dem Testament vom 15. 12. 2017 aufgrund der Teilnahme untauglicher Zeugen unwirksam, der dort erfolgte Widerruf jedoch wirksam sei, sodass die gesetzliche Erbfolge einzutreten habe. Das Vermächtnis zugunsten des Bruders des Beklagten wurde anerkannt, nicht jedoch jenes zugunsten der Mutter des Klägers aus dem älteren Testament.
[5] Der sich im Verlassenschaftsverfahren ergebende reine Nachlass von 2.707.797,95 EUR wurde aufgrund des Gesetzes einem Bruder und den Kindern weiterer vorverstorbener Geschwister des Erblassers, darunter dem Beklagten zu einem Achtel, eingeantwortet.
[6] Die Forderung aus dem im Testament des Jahres 2012 verfügten Legat wurde dem Kläger zum Inkasso abgetreten.
[7] Der Kläger begehrt die Zahlung von 18.750 EUR sA aufgrund des in der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus dem Jahr 2012 seiner Mutter zugedachten Legats. Der Beklagte hafte nach § 821 ABGB jedenfalls persönlich für den seiner Erbquote entsprechenden Teil; er hafte nach § 649 Abs 2 Satz 1 ABGB sogar solidarisch für das gesamte Vermächtnis. Die Tochter und der Lebensgefährte der mit dem Testament vom 15. 12. 2017 begünstigten Nichte seien relativ unfähige Zeugen. Der in diesem Testament ausgesprochene Widerruf aller bis dahin errichteten letztwilligen Verfügungen und damit auch der Widerruf des Vermächtnisses in der letztwilligen Verfügung aus dem Jahr 2012 sei ungültig, weil er sich wirtschaftlich zugunsten aller Erben, also auch des Beklagten, ausgewirkt habe. Die Begünstigung liege darin, dass sich die Erbfallschulden um insgesamt 150.000 EUR verringert hätten. Sei der Widerruf ungültig, sei er es gegenüber jedermann.
[8] Der Beklagte erwiderte, das Legat sei ungültig, weil das Testament aus dem Jahr 2012 im späteren Testament des Erblassers vom 15. 12. 2017 wirksam widerrufen worden sei. Die dem späteren Testament beigezogenen Zeugen seien dem Beklagten gegenüber nicht „zeugenunfähig“ gewesen. Daher sei nur die Erbeinsetzung der Nichte im Testament des Jahres 2017 ungültig gewesen. Der Beklagte sei durch den im späteren Testament angeordneten Widerruf früherer letztwilliger Verfügungen auch nicht (rechnerisch) begünstigt gewesen, weil er bei Gültigkeit des früheren Testaments (auch unter Bedachtnahme auf das dort ausgesetzte Vermächtnis) insgesamt mehr erhalten hätte als „durch die Erbserklärung zum neuen Testament“.
[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die im Testament aus 2017 enthaltene Einsetzung der Nichte zur Universalerbin sei zweifellos unwirksam, weil eine Tochter und der Lebensgefährte der Nichte als Testamentszeugen fungiert hätten. Das Setzen gesetzlicher Erben auf den „gesetzlichen Pflichtteil“ sei als „negatives Testament“ anzusehen. Da bei dessen Gültigkeit die Nichte wiederum Alleinerbin – diesmal als einzige verbliebene gesetzliche Erbin – wäre, müsse auch das „negative Testament“ unwirksam sein. Daraus folge, dass das spätere Testament jedenfalls nur noch aus Anordnungen bestehe, die keine Erbseinsetzung darstellten. Es bedürfe daher eines ausdrücklichen (und gültigen) Widerrufs früherer letztwilliger Verfügungen, um diese zu beseitigen. Eine Teilwirksamkeit des Widerrufs scheide schon deswegen aus, weil dies nicht dem hypothetischen Willen des Erblassers entsprechen würde. Dieser habe seiner Nichte durch das spätere Testament mehr zukommen lassen wollen als durch jenes aus 2012; falle das frühere Testament weg, erhielte die Nichte aber als gesetzliche Erbin weniger als nach dem Testament aus 2012. Das im Testament aus 2012 ausgesetzte Vermächtnis sei daher aufrecht.
[10] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Testamentszeugen seien im Verhältnis zum Beklagten nicht zeugnisunfähig gewesen. Die Ungültigkeit einer letztwilligen Verfügung wegen relativer Zeugnisunfähigkeit erfasse immer nur die Zuwendung, auf die sich die Unfähigkeit des Zeugen beziehe. Ein formal gültiger Teil eines Testaments könne aber allenfalls bei Ungültigkeit einer anderen Verfügung nicht mehr dem Willen des Erblassers entsprechen. Der im Testament aus 2017 enthaltene Widerruf früherer letztwilliger Anordnungen sei im Verhältnis zum Beklagten rechtsgültig, weil insoweit keiner der drei Testamentszeugen zeugnisunfähig gewesen sei. Maßgeblich sei damit nicht, ob und inwiefern die Nichte durch die Gültigkeit des Widerrufs begünstigt werde. Zwischen der Ungültigkeit der Erbeinsetzung der Nichte und dem Widerruf früherer letztwilliger Anordnungen bestehe kein unlösbarer Zusammenhang; dem Testament aus 2017 könne entnommen werden, dass der Erblasser die Mutter des Beklagten nicht mehr mit einem Legat bedenken habe wollen.
[11] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil den vom Berufungsgericht zu lösenden Rechtsfragen „insbesondere im Hinblick auf das ErbRÄG 2015“ für die Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.
[12] Dagegen wendet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[13] Der Beklagte beantragt, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, ihr hilfsweise nicht Folge zu geben.
[14] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[15] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Die vom Berufungsgericht vermisste Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zur hier anzuwendenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB) Bestimmung des § 588 ABGB idF ErbRÄG 2015 liegt zwischenzeitlich vor:
[16] Zu 2 Ob 84/20x hatte der Senat bei identem Sachverhalt über die gegen die Nichte als Beklagte erhobene Klage auf Zahlung von 37.500 EUR (= ¼ von 150.000 EUR) zu entscheiden. Er führte aus, dass die Bestimmung des § 588 ABGB weitgehend dem § 594 ABGB aF entspreche und nach der daher weiter anwendbaren Rechtsprechung die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung jeweils nur die Zuwendung erfasse, auf die sich die Unfähigkeit der Zeugen beziehe. Enthalte die letztwillige Anordnung weitere Verfügungen, auf die sich die von Gesetzes wegen angenommene und daher unwiderlegbare Befangenheit der Testamentszeugen nicht erstrecke, seien diese Verfügungen formgültig. In Anbetracht des Grundes der relativen Unfähigkeit zur Zeugenschaft mache es keinen Unterschied, ob jemand durch letztwillige Zuwendung bedacht oder durch den Widerruf einer letztwilligen Verfügung in gleicher Weise begünstigt werde. Die relative Zeugnisunfähigkeit sei auch im Fall des Widerrufs einer letztwilligen Verfügung für den dadurch begünstigten gesetzlichen Erben gegeben (Rz 14 bis 16 mwN).
[17] 2. Im Parallelverfahren betonte der Senat, dass § 588 ABGB auf die dem Erben zugedachten Zuwendungen abstelle und nicht auf eine Gesamtbetrachtung sämtlicher aus einer letztwilligen Verfügung erwachsender Vor- und Nachteile. Für die von der (dort) Beklagten angestrebte „wirtschaftliche Betrachtung“ bestehe damit kein Raum (Rz 16 ff). Weiters führte der Senat aus (Rz 19):
„Im vorliegenden Fall wurde die Beklagte durch den Widerruf des Vermächtnisses unabhängig davon, ob sich das rechnerische Gesamtergebnis der jeweils auf sie entfallenden Erbteile positiv oder negativ darstellt, dadurch begünstigt, dass der verbleibende Nachlass nicht um den Wert des Vermächtnisses geschmälert wurde. Auch für diese Form der Zuwendung besteht somit relative Zeugnisunfähigkeit der beigezogenen Angehörigen in Bezug auf die Revisionswerberin iSd § 588 ABGB und ist deshalb der Widerruf des Vermächtnisses aus dem Jahr 2012 durch das Testament aus dem Jahr 2017 insoweit nicht formgültig erfolgt.“
[18] 3. Der vom Kläger aus diesen Ausführungen gezogene Schluss, dass der Widerruf auch gegenüber dem nunmehrigen Beklagten nicht formgültig sein könne, findet in der erörterten Entscheidung keine Stütze und wirft daher auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[19] 3.1. In der Entscheidung des Parallelfalls hat der Senat bereits klargestellt, dass sich die relative Zeugnisunfähigkeit des § 588 ABGB aus dem Verhältnis der Zeugen zum (jeweiligen) Bedachten (dort zur Nichte des Erblassers) ergibt („in Bezug auf die Revisionswerberin“). Die Beiziehung eines relativ unfähigen Zeugen hat demnach keine absolute Wirkung, weil die Ungültigkeit nur die zugunsten jenes Bedachten ergangenen Verfügungen erfasst, in dessen Person die Befangenheit des Zeugen begründet war (so bereits Weiß in Klang III2 341).
[20] 3.2. Daraus folgt, dass aus der relativen Zeugnisunfähigkeit der Tochter und des Lebensgefährten der Nichte im Hinblick auf die die Nichte begünstigenden Anordnungen für den Kläger nichts gewonnen ist. Zutreffend betont vielmehr das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung, dass keiner der dem fremdhändigen Testament vom 15. 12. 2017 beigezogenen Zeugen ein Naheverhältnis zum Beklagten iSd § 588 ABGB aufgewiesen hat.
[21] 3.3. Die vom Kläger ins Treffen geführte, im Außenverhältnis im Zweifel anzunehmende Solidarhaftung der Miterben für ein Vermächtnis (vgl Apathy/Neumayr in KBB6 § 649 Rz 2) vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Sie kann nämlich nicht dazu führen, die relative, nur im Hinblick auf die Nichte des Erblassers bestehende Zeugnisunfähigkeit zweier Testamentszeugen auf die übrigen Erben qua ihrer Stellung als (solidarische) Vermächtnisschuldner zu erstrecken. Der Kläger nennt im Übrigen weder eine gesetzliche Grundlage noch eine in der Rechtswissenschaft anerkannte Methode, die die von ihm im Ergebnis angestrebte erhebliche Ausweitung des § 588 ABGB unterfallenden Personenkreises rechtfertigen könnte (vgl RS0008023 zur Qualifikation der Aufzählung in § 594 ABGB aF als taxativ).
[22] 4. Gegen die vom Berufungsgericht bei Auslegung des Testaments vom 15. 12. 2017 erzielten, grundsätzlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängigen (vgl 2 Ob 190/19h mwN) Ergebnisse wendet sich der Kläger in der Revision nicht. Er zieht damit nicht in Zweifel, dass zwischen der Ungültigkeit der Erbeinsetzung der Nichte und dem Widerruf früherer letztwilliger Anordnungen kein unlösbarer Zusammenhang bestand. Ebensowenig wendet er sich dagegen, dass dem Testament aus 2017 entnommen werden könne, dass der Erblasser die Mutter des Beklagten nicht mehr mit einem Legat bedenken habe wollen.
[23] 5. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
[24] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.
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