European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132528
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der 1961 geborene Kläger war zuletzt als Polier tätig. Die Vorinstanzen wiesen seinen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. 4. 2018 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Kläger auf den Beruf eines Bauproduktefachberaters im Außendienst (hauptsächlich für Firmenkunden) verweisbar sei. Nach den Feststellungen erfolgt die Einweisung in diese Tätigkeit „on the job“, dh durch Mitarbeit mit einem erfahrenen Außendienstmitarbeiter und im Selbststudium am Arbeitsplatz, unterstützt durch externe Ausbildungsmodule hinsichtlich der spezifischen EDV und in der Verkaufstechnik. Die Einweisungszeit ist mit fünf bis sechs Monaten anzusetzen. In diesen Zeitraum ist eingeschlossen, dass sich der Kläger noch Basis-EDV-Kenntnisse aneignen muss, wie sie etwa vom AMS in Form eines einwöchigen Kurses angeboten werden.
[2] In seiner außerordentlichen Revision stellt der Kläger folgende Argumente in den Vordergrund: Aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebe sich, dass es sich nicht um eine innerbetriebliche Einweisung im Rahmen des Dienstverhältnisses handeln könne. Dem Kläger fehle jegliche kaufmännische Ausbildung. Er müsste sich die erforderlichen Kenntnisse, um überhaupt als Außendienstmitarbeiter einsetzbar zu sein, vor Aufnahme der Verweisungstätigkeit aneignen. Dabei handle es sich eindeutig um eine Umschulung, also eine Ausbildung für einen neuen Beruf; eine solche sei jedoch unzulässig.
[3] Dazu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[4] 1.1 Ist für die Verweisung eines Facharbeiters erforderlich, dass eine Schulungsmaßnahme absolviert wird, so muss dem Versicherten diese Schulung aufgrund seines Leistungskalküls möglich sein (10 ObS 35/89 SSV-NF 3/29) und darf gewisse zeitliche Grenzen – jene zwischen Nachschulung und Umschulung – nicht überschreiten (10 ObS 172/89 SSV-NF 3/79).
[5] 1.2 Nach ständiger Rechtsprechung darf einem Facharbeiter im Rahmen seiner Verweisung nicht zugemutet werden, durch Umschulung Kenntnisse und Fähigkeiten eines fremden Berufs zu erwerben, da mit der Umschulung das Verweisungsfeld verlassen und die Maßnahme als berufliche Rehabilitation (mit den dafür nötigen Voraussetzungen) zu qualifizieren wäre. Zulässig ist aber eine etwa sechsmonatige innerbetriebliche Nachschulung zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten im eigenen Beruf zur Anpassung an sich ändernde Anforderungen wie sie auf dem Arbeitsmarkt erwartet werden (10 ObS 271/92 SSV‑NF 7/6) oder auch eine Nachschulung zum Erwerb innerbetrieblicher Spezialkenntnisse im Ausmaß von sechs Monaten (10 ObS 184/94 SSV‑NF 8/84; 10 ObS 76/98v; 10 ObS 140/98f).
[6] 2. Von einem bisher als Facharbeiter tätig gewesenen Versicherten kann etwa verlangt werden, dass er sich einfache kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, um in dem von ihm erlernten Beruf als Verkaufsberater tätig zu sein, sofern bei dieser Tätigkeit eine ausreichende Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf besteht (Födermayr in SV‑Komm § 255 ASVG [252. Lfg] Rz 128; Sonntag in Sonntag, ASVG11 § 255 Rz 95 mwN). In diesem Sinn wurde etwa die Verweisbarkeit eines gelernten Maurers auf die Tätigkeit eines Bauproduktefachberaters in Kombi‑Märkten bejaht (10 ObS 101/10s SSV‑NF 25/51 = DRdA 2011/52, 555 [M. Weißensteiner] mwN ua).
[7] 3. Eine notwendige Nachschulung wird in der Rechtsprechung in der Regel auch dann noch als zumutbar angesehen, wenn sie längere Zeit in Anspruch nimmt (10 ObS 146/14i SSV‑NF 29/19 mwN). Nachschulungszeiten, die das Ausmaß von sechs Monaten übersteigen, sind im Allgemeinen aber nicht mehr als zumutbar anzusehen (10 ObS 69/07f SSV‑NF 21/45; RIS‑Justiz RS0050900 [T22]; RS0050891 [T22]). Vom Versicherten kann auch nicht verlangt werden, sich auf eigene Kosten die benötigten Kenntnisse in externen Ausbildungsmaßnahmen anzueignen.
[8] 4. Die Rechtsfrage der Zumutbarkeit einer notwendigen Nachschulung ist im jeweiligen Einzelfall unter Zugrundelegung der konkreten Situation des betroffenen Versicherten (persönliche, geistige, und psychische Eignung sowie bisherige Berufslaufbahn) individuell zu beurteilen (10 ObS 146/14i SSV‑NF 29/19; RS0130076).
[9] 5. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach der der Kläger, der zuletzt als Polier tätig war, auf den Beruf eines Bauproduktefachberaters im Außendienst (hauptsächlich für Firmenkunden) nach insgesamt fünf- bis sechsmonatiger (innerbetrieblicher) Nachschulung verweisbar ist, weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab und stellt keine Überschreitung des dem Berufungsgericht offen stehenden Beurteilungsspielraums dar.
[10] 6. Der in der Revision zitierten Entscheidung 10 ObS 53/02w (SSV‑NF 16/24) lag zugrunde, dass eine Zusatzausbildung erforderlich war, die sich der Versicherte durch die Absolvierung von Seminaren an einer Fachhochschule auf eigene Kosten (an einem auswärtigen Ausbildungsort) verschaffen musste. Demgegenüber erfolgt im vorliegenden Fall die insgesamt fünf- bis sechsmonatige Einweisung des Klägers in seine Tätigkeit als Fachverkäufer für Baustoffe „on the job“; dies einerseits im Außendienst durch Mitarbeit mit einem erfahrenen Außendienstmitarbeiter und andererseits durch Selbststudium am Arbeitsplatz, unterstützt durch berufsbegleitende Ausbildungsmodule (hinsichtlich Verkaufstechnik und der spezifischen EDV). Die vom Kläger noch zu erwerbenden Basis‑EDV‑Kenntnisse können durch Besuch eines vom AMS gratis angebotenen, etwa einwöchigen Kurses erfolgen (vgl 10 ObS 168/11w SSV‑NF 26/15).
[11] 7. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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