OGH 8ObA22/21z

OGH8ObA22/21z25.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter (Senat gemäß § 11a ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde L*****, vertreten durch die Dax Wutzlhofer und Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei R***** A*****, vertreten durch die Rechtsanwaltssozietät Gerngross & Köck in Premstätten bei Graz, wegen 2.760,96 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. März 2021, GZ 7 Ra 72/20t‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00022.21Z.0625.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte war vormals Bürgermeister der klagenden Gemeinde. Nach einer Steuerprüfung durch das Finanzamt wurde die Klägerin zur Entrichtung offener Lohnsteuer für den Beklagten in Höhe von 2.760,96 EUR in Anspruch genommen. Die Klagevertreterin brachte namens der Klägerin gegen den Beklagten am 14. 2. 2020 eine auf Zahlung dieses Betrags gerichtete Mahnklage ein.

[2] Nach den von der Klägerin vorgelegten Gemeinderatsprotokollen stimmte der Gemeinderat am 26. 3. 2019 zum einen einstimmig dafür, die von der (nunmehrigen) Klägerin zu leistende Lohnsteuernachforderung in der Höhe von 2.760,96 EUR im Regresswege beim (nunmehrigen) Beklagten einzufordern, zum anderen am 14. 7. 2020 einstimmig dafür, einem Vergleich mit dem Beklagten nicht zuzustimmen. Bei Fassung dieses Beschusses war der Gemeinderat darüber informiert, dass für den 17. 7. 2020 beim Erstgericht eine Tagsatzung anberaumt war und die Klagevertreterin die Klägerin um Abklärung ersuchte, ob Vergleichsbereitschaft bestehe. Der Beschluss vom 14. 7. 2020 erging „[n]ach einer kurzen Diskussion, aus der hervorgeht, dass der Gemeinderat an der vollen Regresssumme festhält“.

[3] Gegenstand des Zwischenstreits ist die Frage, ob die Klagevertreterin bei Einbringung der Klage wirksam die Klägerin vertrat oder ihr gerichtliches Einschreiten vom Gemeinderat zumindest nachträglich wirksam genehmigt wurde. Die Vorinstanzen verneinten übereinstimmend erstere Frage, das Erstgericht darüber hinaus das Vorliegen einer nachträglichen Genehmigung, weshalb es das Verfahren für nichtig erklärte und die Klage zurückwies. Das Rekursgericht bejahte demgegenüber, dass im Beschluss des Gemeinderats vom 14. 7. 2020 eine nachträgliche Genehmigung liege, behob aus diesem Grund den erstgerichtlichen Beschluss ersatzlos und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund vor.

[4] In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs vertritt der Beklagte im Wesentlichen die Ansicht, die zweitinstanzliche Entscheidung sei unrichtig, weil der Gemeinderat eine Prozessführung ausdrücklich und nicht bloß implizit nachträglich genehmigen müsse, um das Prozesshindernis des Mangels der gehörigen gesetzlichen Vertretung zu sanieren.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Eine Gemeinde ist nicht gehörig gesetzlich vertreten, wenn nach den für sie geltenden Organisationsvorschriften für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ein Gemeinderatsbeschluss vorgesehen ist, dieser aber nicht vorliegt (6 Ob 59/06d [Pkt 1]; 6 Ob 7/13t [Pkt 3.2.]; 7 Ob 108/17h [Pkt 2.2.]; 1 Ob 158/18v). Die Beschlussfassung des Gemeinderats muss sich auf einen bestimmten Rechtsstreit beziehen (RS0059247 [T8]).

[6] 2. Nach § 43 Abs 1 der für die Klägerin geltenden Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 (Stmk GemO) ist der Gemeinderat das oberste Organ in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs und obliegt ihm die Beschlussfassung über alle zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörigen Angelegenheiten, soweit diese nicht gesetzlich ausdrücklich anderen Organen der Gemeinde vorbehalten sind. Nach § 43 Abs 2 Z 4 Stmk GemO kann der Gemeinderat, sofern dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist, das ihm zustehende Beschlussrecht betreffend „das Einschreiten bei Gerichten und Verwaltungsbehörden, sofern dies nicht zur laufenden Verwaltung (§ 45 Abs 2 lit c) gehört, die Bestellung von Rechtsvertretern sowie die Abgabe von Stellungnahmen im Anhörungsverfahren in bestimmten Angelegenheiten“ durch Verordnung dem Gemeindevorstand übertragen.

[7] Eine solche Übertragung wurde von den Parteien weder behauptet noch ist sie ersichtlich. Demnach lag es am Gemeinderat der Klägerin zu beschließen, dass hinsichtlich der klagegegenständlichen Regressforderung zum einen ein „Einschreiten bei Gerichten“ und zum anderen „die Bestellung von Rechtsvertretern“ erfolgen soll (vgl 8 Ob 65/84; VwGH Z 852/76 = VwSlg 9.134 [A]; VfGH B 111/05 = VfSlg 17.486).

[8] 3. Der vom Gemeinderat der Klägerin am 26. 3. 2019 gefasste Beschluss bezog sich nicht auf einen bestimmten Rechtsstreit, sondern sah bloß allgemein vor, die Lohnsteuernachforderung beim (nunmehrigen) Beklagten einzufordern. Er ließ auch keinen Bezug auf die Klagevertreterin erkennen. Es fehlte damit – wie von den Vorinstanzen bereits erkannt – bei Einbringung der Klage an der Prozessvoraussetzung der gehörigen gesetzlichen Vertretung der Klägerin.

[9] 4.1. Der Mangel dieser Prozessvoraussetzung ist durch nachträgliche Genehmigung der Prozessführung durch den Gemeinderat im Sinne des § 6 Abs 2 ZPO sanierbar (6 Ob 59/06d [Pkt 1]; RS0059247 [T1]).

[10] 4.2. Beim Nachweis der nachträglichen Genehmigung handelt es sich um einen dem öffentlichen Recht zuzuordnenden Akt, für den die Gemeindeordnungen regelmäßig keine besondere Formvorschrift vorschreiben. Folglich reicht jede Urkunde aus, aus der für das Gericht mit ausreichender Sicherheit das Zustandekommen und der Inhalt des betreffenden Gemeinderatsbeschlusses ersichtlich sind (1 Ob 9/13z; 6 Ob 7/13t [Pkt 3.2.]; 7 Ob 108/17h [Pkt 2.2.]; 1 Ob 158/18v). Der Gemeinderatsbeschluss selbst ist objektiv nach dem Aussagewert des Textes, dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und im Zusammenhalt mit dem zugrunde gelegenen Geschäftszweck auszulegen (7 Ob 108/17h [Pkt 2.3.]).

[11] 4.3. Ob ein Gemeinderatsbeschluss vorliegt, mit dem eine Prozessführung einer Anwaltskanzlei namens der Gemeinde nachträglich genehmigt wurde, ist eine Frage des Einzelfalls und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO. Anderes würde nur bei einer unvertretbaren Fehlbeurteilung der zweiten Instanz gelten.

[12] Eine solche liegt hier nicht vor.

[13] Die Klägerin legte dem Erstgericht (auch) den Beschluss ihres Gemeinderats vom 14. 7. 2020 vor. Dieser erging in Kenntnis des Gemeinderats davon, dass die Klagevertreterin für die Klägerin bereits eine Klage eingebracht hatte und eine Tagsatzung bevorstand. Der Beschluss verfolgte eindeutig den Zweck, die Regressforderung gegen den Beklagten ohne jegliche Einschränkung gerichtlich durch die Klagevertreterin zu verfolgen. Mag sich der Wortlaut des Beschlusses allein darauf gezogen haben, keinen Vergleich einzugehen, hat der Gemeinderat der Klägerin mit ihm doch auch kundgetan, mit dem gerichtlichen Einschreiten der Klagevertreterin im Namen der Klägerin einverstanden zu sein.

[14] Gründe für die Zulassung des außerordentlichen Revisionsrekurses nach § 528 Abs 1 ZPO liegen nicht vor.

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