OGH 6Ob19/21v

OGH6Ob19/21v23.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E*****, 2. M*****, beide vertreten durch die Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, und deren Nebenintervenienten L*****, vertreten durch Mag. Bernhard Weber, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2020, GZ 39 R 138/20p‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00019.21V.0623.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen gaben dem auf Feststellung gerichteten Begehren, dass die Kläger aufgrund des zwischen ihnen und dem Nebenintervenienten abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrags gemäß § 12a MRG in das verfahrensgegenständliche Hauptmietverhältnis eingetreten seien, statt.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Eintritt in das zuvor mit dem Nebenintervenienten und dessen Schwester (künftig: Mitmieterin) bestandene Hauptmietverhältnis, und nicht, wie vom Erstgericht ausgesprochen, in das zuvor (nur) mit dem Nebenintervenienten bestanden habende Hauptmietverhältnis erfolgt sei. Es sah darin eine Anpassung des Urteilsspruchs an das von den Klägern tatsächlich angestrebte Rechtsschutzziel, nämlich die Feststellung des Übergangs des Hauptmietverhältnisses auf sie, die vom Klagebegehren gedeckt sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

[4] 1. Die behaupteten Verfahrensmängel wurden geprüft, sie liegen aber nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[5] 1.1. Die rechtliche Würdigung von Willenserklärungen, Verträgen und Vergleichen gehört zur rechtlichen Beurteilung (RS0043369 [T8]), weshalb das Berufungsgericht in der vom Erstgericht abweichenden Beurteilung, dass die Mitmieterin nicht bereits vor der Unternehmensveräußerung auf ihre Mietrechte verzichtet gehabt habe, nicht von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen abging.

[6] 1.2. Das Gericht kann dem Urteilsspruch auch noch in höherer Instanz eine vom Begehren der Partei abweichende Fassung geben, wenn er sachlich nicht mehr oder etwas anderes enthält als das Begehren (RS0038852 [insb T16]; RS0041254; RS0039357). Es hat sich dabei im Rahmen des vom Kläger gewollten und damit innerhalb der von § 405 ZPO gezogenen Grenzen zu halten, wobei das Klagebegehren so zu verstehen ist, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (RS0041078; RS0038852 [T19, T21]; RS0041254 [T36]). Ein aliud liegt nur dann vor, wenn die zugesprochene Rechtsfolge eine andere ist als die begehrte (RS0041027).

[7] Ob durch eine Neuformulierung des Spruchs das Begehren unter Berücksichtigung des dazu erstatteten Vorbringens in unzulässiger Weise überschritten wurde, hängt von der Auslegung des Klagevorbringens ab und begründet daher regelmäßig keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0041192; vgl RS0042828 [T3]).

[8] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Kläger erkennbar das Rechtsschutzziel verfolgten, den durch den Unternehmenskaufvertrag erfolgten Übergang der Hauptmietrechte am eindeutig bezeichneten Bestandobjekt auf sie festzustellen, sodass die Aufnahme der Mitmieterin in den Urteilsspruch vom Klagebegehren gedeckt ist, bewegt sich innerhalb des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung wird von der Revision insoweit nicht aufgezeigt.

[9] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die von den Beklagten vertretene Rechtsansicht, wonach § 12a Abs 1 MRG den Betrieb des Unternehmens durch den Hauptmieter höchstpersönlich und nicht durch einen Pächter verlange, sodass ein Eintritt des Erwerbers eines zuvor verpachteten Unternehmens in das Hauptmietverhältnis nach § 12a Abs 1 MRG ausgeschlossen sei, jüngst mit ausführlicher Begründung abgelehnt (5 Ob 113/20h [ErwGr 6]).

[10] Demnach kann die in § 12a Abs 1 MRG verwendete Formulierung „von ihm im Mietgegenstand betrieben“ nach Sinn und Zweck der Regelung nur bedeuten, dass der verfügende Mieter der Träger des Unternehmens gewesen sein muss. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob der Hauptmieter der Geschäftsräumlichkeit dort das Unternehmen zwischen mehreren Verpachtungsvorgängen selbst geführt hat; eine bestimmte Dauer des Betriebs durch den Hauptmieter selbst verlangt das Gesetz nicht (5 Ob 113/20h [ErwGr 6.2.]).

[11] Aus der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 1 Ob 64/07d ergibt sich nichts anderes. Vielmehr wird auch dort ausgeführt, dass der Wechsel des Eigentums an einem verpachteten Unternehmen als Unternehmensveräußerung (im Sinn des § 12a MRG) anzusehen ist.

[12] 3. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Übergang der Mietrechte gemäß § 12a Abs 1 MRG auch dann anzunehmen, wenn alle Mitmieter der Veräußerung des Unternehmens durch dessen Inhaber und dem Übergang ihrer Hauptmietrechte auf den Erwerber zustimmen (RS0069998; 3 Ob 120/92; 5 Ob 101/11f). Anhaltspunkte dafür, dass die Anforderungen des § 863 ABGB – entgegen den allgemeinen Regeln – für die Zustimmung der Mitmieter nicht ausreichen sollten, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Soweit sie eine Analogie zum Verzicht auf das Mietrecht ziehen will, ist darauf zu verweisen, dass ein Verzicht auch stillschweigend erklärt werden kann (RS0014190). Das Berufungsgericht hat die Mithilfe der Mitmieterin beim Verkauf des Unternehmens vertretbar als schlüssige Zustimmung zur Unternehmensveräußerung gedeutet. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird von der Revisionswerberin auch in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt.

[13] 4. Der Eintritt in das Hauptmietverhältnis nach § 12a Abs 1 MRG vollzieht sich unabhängig von der ordnungsgemäßen Anzeige nach Satz 2 dieser Bestimmung (RS0079159), sodass es auf die Anforderungen, die an die Anzeige zu stellen sind, nicht ankommt.

[14] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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