OGH 6Ob85/21z

OGH6Ob85/21z23.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Stephan Briem, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 9.820 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2020, GZ 1 R 87/20w‑25, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 5. Februar 2020, GZ 19 C 176/19z‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00085.21Z.0623.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit 784,32 EUR (darin enthalten 130,72 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die G***** AG (kurz: G*****), schloss mit der B***** GesmbH & Co KG (kurz: B*****) mit Wirkung 1. 11. 1986 einen atypisch stillen Gesellschaftsvertrag, in dem vorgesehen war, Anteile dieser Beteiligung an Dritte zu übertragen. Der zwischen der B***** und der G***** abgeschlossene Gesellschaftsvertrag lautet – soweit wesentlich – wie folgt:

„[…] VIII. Geschäftsjahr

Das Geschäftsjahr der Kommanditgesellschaft beginnt jeweils am 1. 11. und endet am darauffolgenden 31. 10. […]

XIII. Dauer der Gesellschaft, Kündigung

1. Die stille Gesellschaft wird auf unbestimmte Zeit errichtet. Eine Kündigung (ganz oder teilweise) der stillen Gesellschaft durch die Kommanditgesellschaft ist erstmals mit Wirkung zum 31. 10. 1994 möglich. Ab diesem Zeitpunkt kann die stille Gesellschaft durch die Kommanditgesellschaft jährlich mit Wirkung zum Ende eines Geschäftsjahres durch Kündigung aufgelöst werden.

2. Die G***** verzichtet auf die Dauer von 11 Jahren auf die Kündigung der stillen Gesellschaft. Eine Kündigung der stillen Gesellschaft, die vor dem 31. 10. 1998 wirksam wird, ist nicht möglich. Ab diesem Zeitpunkt kann die stille Gesellschaft durch die G***** jährlich mit Wirkung zum Ende eines Geschäftsjahres durch Kündigung (ganz oder teilweise) aufgelöst werden. […]

 

XVI. Beteiligung Dritter

Die G***** ist ausdrücklich berechtigt, Anteile ihrer Beteiligung an dritte Personen zu übertragen. Dies in der Weise, dass die G***** die Beteiligung weiter im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung Dritter hält. […]“

[2] Der Kläger zeichnete die Beteiligung am 13. 5. 1987 in Höhe von 300.000 ATS (21.802 EUR). Er schloss als Treugeber mit der Beklagten eine Treuhandvereinbarung mit folgendem (auszugsweisem) Inhalt:

„[…] 3.2. Die Treuhänderin ist verpflichtet, die Mittel im Sinne des Treuhandvertrages zu verwenden, die zu übernehmende Beteiligung zu verwalten und dem Treugeber allen Nutzen aus dieser Beteiligung herauszugeben. Die Treuhänderin wird weiters unwiderruflich vom Treugeber ermächtigt, nach eigenem Ermessen unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes die Rechte aus der atypisch stillen Beteiligung auszuüben. In diesem Sinne hat die Treuhänderin auf die Durchführung sämtlicher Maßnahmen zu drängen, welche geeignet erscheinen, den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und damit den Erfolg der einzelnen Treugeber zu sichern.

3.3. Das Treuhandverhältnis besteht auf unbestimmte Zeit. Der Treugeber und die Treuhänderin verzichten auf eine Kündigung, die vor dem 31. 10. 1998 wirksam wird. Die Treuhänderin kann das Treuhandverhältnis außerdem aus wichtigen Gründen auflösen. Die Kündigung hat mittels eingeschriebenem Briefes mit einer Kündigungsfrist von sieben Monaten zu erfolgen. Sie kann jeweils nur zum Ende eines jeden Geschäftsjahres des Geschäftsherrn wirksam werden.

3.4. Die Auflösung des Treuhandverhältnisses, aus welchem Grunde immer, bewirkt ein Ausscheiden des Treugebers aus seiner Beteiligung gemäß Gesellschaftsvertrag.

Die Treuhänderin ist verpflichtet, bei dem Unternehmen hinsichtlich der auf den Treugeber entfallenden Beteiligung die Auseinandersetzung herbeizuführen und den nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages zustehenden Auseinandersetzungsbetrag an den Treugeber herauszugeben. Die Pflichten der Treuhänderin enden daher erst mit Auszahlung dieser Beträge der Beteiligten.

Die Treuhänderin ist jedoch berechtigt, die auf den Treugeber entfallende Beteiligung gegen Bezahlung eines Entgeltes in Höhe des Auseinandersetzungsanspruches selbst oder durch einen von ihr namhaft gemachten Dritten durch einseitige Erklärung zu erwerben, wodurch die Auseinandersetzung unterbleibt.“

[3] Mit Schreiben vom 27. 4. 2016 wurde der Kläger namens der Beklagten darüber informiert, dass die atypisch stille Gesellschaft mit Wirkung zum 31. 10. 2016 unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten gemäß Punkt XIII. 2. des Gesellschaftsvertrags gekündigt worden sei; damit ende das Treuhandverhältnis entsprechend dem atypisch stillen Gesellschaftsvertrag ebenfalls mit Wirkung 31. 10. 2016.

[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz von zuletzt 9.820 EUR. Er habe die atypisch stille Beteiligung an der B***** als Verbraucher im Jahr 1987 als langfristige Investition erworben. Die Kündigung des Beteiligungsverhältnisses durch die Beklagte zum 31. 10. 2016 sei treuwidrig, aus Eigennutz, ohne wirtschaftlich nachvollziehbaren Grund und ohne vorhergehende Rücksprache erfolgt. Die Beklagte sei in ihrer Entscheidung, die Beteiligung zu kündigen, allerdings nicht frei gewesen. Nach Punkt 3.2 der Treuhandvereinbarung hätte sie diese Kündigung nur nach pflichtgemäßem Ermessen unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erklären dürfen. Angesichts des nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolgs der Beteiligung für den Treugeber (= Kläger) hätte die Beklagte folglich von der Kündigung absehen und die Beteiligung noch zumindest elf Jahre lang weiterführen müssen, in denen die B***** weiterhin Bilanzgewinne erzielt hätte. Der Kläger hätte dann auch noch im Zeitraum 2017 bis 2027 jährlich Gewinnanteile zugewiesen bekommen und so die Versteuerung des Abschichtungswerts hinausschieben können. Der solcherart entgangene Vermögenszuwachs in Höhe des Klagebetrags werde als „Vorverlegungsschaden“ begehrt.

[5] Die Beklagte hält dem entgegen, das noch von ihrer Rechtsvorgängerin für ihre Bankkunden emittierte Beteiligungsmodell sei in Form einer Treuhand ausgestaltet und durch einen beidseitig vereinbarten Kündigungsverzicht bis 31. 10. 1998 auf eine Mindestlaufzeit von zehn Jahren ausgelegt gewesen. In den letzten knapp 30 Jahren sei die Anzahl der Treugeber und damit das Emissionsvolumen beträchtlich gesunken. Ihrem gleichbleibenden Verwaltungsaufwand seien keine Einkünfte mehr gegenüber gestanden, weshalb sie sich entschlossen habe, das Modell zu beenden. Dazu sei sie aufgrund der bestehenden Verträge auch ohne vorherige Abstimmung mit den Treugebern berechtigt gewesen. Im Übrigen sei die vom Kläger behauptete Entwicklung der Bilanzgewinne spekulativ. Der vom Kläger erst im Laufe des Verfahrens im November 2019 konkretisierte Anspruch auf Ersatz des „Vorverlegungsschadens“ sei außerdem verjährt.

[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Mit dem Kündigungsschreiben vom 27. 4. 2016 sei zumindest konkludent auch die Kündigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Treuhandvertrags erfolgt, zwar unter Missachtung der sich aus der Vereinbarung ergebenden Kündigungsfrist, dazu sei aber im Verfahren trotz rechtlicher Erörterung seitens des Gerichts nichts vorgebracht worden. Da nach Punkt 3.4 der Treuhandvereinbarung die Auflösung des Treuhandverhältnisses ein Ausscheiden des Treugebers aus seiner Gesellschaftsbeteiligung gemäß Gesellschaftsvertrag bewirke, ergebe sich aus der Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses zum 31. 10. 2016 kein Schaden, der nicht auch durch die zulässige Beendigung des Treuhandverhältnisses herbeigeführt worden wäre. Die ordentliche Kündigung der Treuhandvereinbarung müsse weder mit dem Treugeber abgestimmt werden noch bedürfe es dazu eines wirtschaftlich nachvollziehbaren Grundes.

[7] Das Berufungsgericht teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und führte – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ergänzend aus, die im Kündigungsschreiben ausgesprochene Kündigung zum 31. 10. 2016 betreffe (nicht nur schlüssig) auch das Treuhandverhältnis. Dass die Kündigung mangels Einhaltung einer siebenmonatigen Kündigungsfrist fristwidrig und damit unwirksam sei, habe der Kläger bisher nicht vorgebracht und diesen Umstand auch nicht seinen Ersatzansprüchen zugrunde gelegt. Sein entsprechendes Berufungsvorbringen verstoße daher gegen das Neuerungsverbot (§ 482 ZPO). Es sei folglich von einer rechtswirksam erfolgten Kündigung des Treuhandverhältnisses auszugehen. Da schon dieses rechtmäßige Alternativverhalten der Beklagten nach der Vertragslage zum Ausscheiden des Klägers aus seiner Gesellschaftsbeteiligung zum 31. 10. 2016 verbunden mit denselben monetären Folgen geführt habe, komme es nicht darauf an, ob die Kündigung des Beteiligungsverhältnisses an der Gesellschaft durch die Beklagte rechtswidrig erfolgt sei.

[8] Über Zulassungsantrag nach § 508 ZPO ließ das Berufungsgericht die Revision unter Verweis darauf nachträglich zu, dass der Kläger insoweit eine grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts geltend gemacht habe, als die von ihm relevierte Frage der Wirksamkeit der Kündigung des Treuhandverhältnisses eine reine Rechtsfrage und als solche nicht vom Neuerungsverbot umfasst sei. Zudem stelle sich die Rechtsfrage, ob die Aufkündigung der Beteiligung an einer atypisch stillen Gesellschaft durch den Treuhänder nach 29 Jahren der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns widerspricht, dies obwohl dem Treuhänder aus der Treuhandvereinbarung das jederzeitige ordentliche Kündigungsrecht zusteht, welches ebenfalls das Ausscheiden des Treugebers aus seiner Beteiligung gemäß Gesellschaftsvertrag bewirkt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Der Kläger steht auch noch im Revisionsverfahren auf dem Standpunkt, der Beklagten sei deshalb ein Verstoß gegen ihre aus dem Treuhandverhältnis erfließende, in Punkt 3.2 der Treuhandabrede näher konkretisierte, Interessenwahrungspflicht (allgemein dazu RS0107334 [T1]) zum Vorwurf zu machen, weil sie die Beteiligung an der atypischen stillen Gesellschaft nicht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Interessen des Treugebers zumindest bis ins Jahr 2027 weitergeführt, sondern bereits im Jahr 2016 aus eigennützigen Motiven trotz anhaltender Bilanzgewinne der Gesellschaft aufgekündigt habe, ohne zuvor die Zustimmung des Klägers einzuholen.

[11] 1.1. Schon die Vorinstanzen haben dem zutreffend entgegengehalten, dass nach der insoweit eindeutigen Regelung in Punkt 3.3 des Treuhandvertrags die Beklagte nach dem 31. 10. 1998 zur Kündigung der im Innenverhältnis zwischen den Streitteilen bestehenden Treuhandbeziehung berechtigt war, ohne dass sie dazu verhalten gewesen wäre, allenfalls gegenläufige wirtschaftliche Interessen des Treugebers zu berücksichtigen oder gar dessen Zustimmung einzuholen. Dieses an keine inhaltlichen Voraussetzungen geknüpfte ordentliche Kündigungsrecht sowie die rechtliche Konsequenz einer solcherart erfolgten Auflösung des Treuhandverhältnisses, nämlich das gleichzeitige Ende der Beteiligung des Treugebers an der atypischen stillen Gesellschaft (vgl Punkt 3.4 des Treuhandvertrags), werden vom Kläger im Rechtsmittelverfahren auch nicht mehr in Zweifel gezogen.

[12] 1.2. Wenn nun aber die Beklagte als Treuhänderin ohnedies das Recht hat, die (mittelbare) Gesellschaftsbeteiligung des Klägers ohne Rücksicht auf dessen geschäftliche Interessen durch bloße Kündigung der Treuhandbeziehung zu beenden, dann spricht – ausgehend von einer am Zweck des Treuhandgeschäfts (RS0107334 [T2, T4]) orientierten Vertragsauslegung unter Bedachtnahme auf den objektiven Empfängerhorizont (s RS0113932 [T8, T11]; RS0014160 [T37]) – nichts dafür, dass sie in Ansehung ihres Rechts zur Kündigung der (in ihrem eigenen Namen gehaltenen) Beteiligung an der atypischen stillen Gesellschaft einer weitergehenden Innenbindung unterliegen sollte. Warum sich aus Punkt 3.2 der Treuhandvereinbarung eine solche Differenzierung ergeben sollte, legt der Kläger nicht dar; ebenso wenig hat er im Verfahren eine entsprechende, vom Urkundeninhalt abweichende übereinstimmende Parteiabsicht behauptet.

[13] 1.3. Der vom Kläger im Kern erhobene Fehlverhaltensvorwurf, die Beklagte habe die treuhändig gehaltene Gesellschaftsbeteiligung unter Missachtung der wirtschaftlichen Interessen des Treugebers und damit pflichtwidrig gekündigt, erweist sich vor diesem Hintergrund als nicht stichhaltig. Da somit schon der behauptete objektive Sorgfaltsverstoß der Beklagten zu verneinen ist, gehen die in der Revision angestellten Erwägungen zur Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens von vornherein ins Leere. Damit kommt es aber auf die vom Kläger als maßgeblich erachtete Frage, ob die Kündigung des Treuhandverhältnisses fristgerecht und folglich rechtswirksam erfolgte, gar nicht an.

[14] 2. Nur der Vollständigkeit halber ist zudem darauf hinzuweisen, dass der Kläger seinen Ersatzanspruch im erstinstanzlichen Verfahren – wie vom Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben – gerade nicht auf eine fristwidrige und damit rechtsunwirksame Kündigung des Treuhandverhältnisses gestützt hat. Soweit also das bezughabende Rechtsmittelvorbringen des Klägers im Berufungs- sowie im Revisionsverfahren dahin zu verstehen sein sollte, dass sich der begehrte Ersatzbetrag zumindest teilweise aus einer fristwidrig erfolgten Kündigung ableiten ließe, so läge darin – wegen des neuen Rechtswidrigkeitsvorwurfs – eine Klageänderung, der das im Rechtsmittelverfahren geltende Neuerungsverbot entgegenstünde (§ 483 Abs 4 iVm § 513 ZPO; RS0039377; Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 504 ZPO Rz 16 mwN).

[15] 3. Zusammenfassend bringt die Revision somit keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie zurückzuweisen war.

[16] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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