OGH 1Ob106/21a

OGH1Ob106/21a22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Abstammungssache des Antragstellers mj B*****, geboren am ***** 2017, *****, vertreten durch Mag. Paulus Papst, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Antragsgegner C*****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch und Mag. Michael Damitner, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung der Vaterschaft, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 30. April 2021, GZ 2 R 117/21x‑49, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 11. Februar 2021, GZ 247 Fam 30/19h‑41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00106.21A.0622.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach Eintritt der Rechtskraft eines Beschlusses, mit dem in der Sache entschieden wurde, kann dessen Abänderung beantragt werden, wenn die Partei Kenntnis von neuen Tatsachen erlangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen imstande ist, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte (§ 

73 Abs 1 Z 6 AußStrG). Dies entspricht dem Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, sodass die dazu in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien auch im außerstreitigen Abänderungsverfahren herangezogen werden können (RIS‑Justiz RS0124752 [insb T1]).

[2] 2. Die „neuen“ Tatsachen müssen im vorangegangenen Verfahren bereits entstanden oder vorhanden gewesen sein (RS0124752). Sie müssen keinen unmittelbaren Einfluss auf die rechtliche Beurteilung haben, sondern es genügt, dass sie geeignet gewesen wären, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (vgl RS0044411; RS0044676 [T2]; RS0044510 [T21]). Sinn und Zweck des Abänderungsverfahrens ist es, eine unrichtige Tatsachengrundlage des angefochtenen Beschlusses zu beseitigen (RS0124753). Beruht ein im vorangegangenen Verfahren erstattetes – oder (wie hier) von den Parteien vorgelegtes – Gutachten auf einer unzulänglichen (Tatsachen‑)Grundlage, kann dies eine Abänderung der Entscheidung bzw eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen (vgl RS0044834 [T10, T12]).

[3] 3. Der Antragsteller begründete seinen Abänderungsantrag damit, dass die für eine im vorangegangenen Abstammungsverfahren als Privatgutachten vorgelegte (negative) DNA-Analyse verwendete Gewebeprobe nicht vom Antragsgegner stamme. Dass die Vorinstanzen davon ausgingen, er stütze sich damit – da er behauptete, die DNA-Analyse beruhe auf einer insoweit unrichtigen Tatsachengrundlage – auf § 

73 Abs 1 Z 6 AußStrG, bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Dass der im Abänderungsverfahren auch tatsächlich festgestellte Umstand, dass die DNA‑Probe nicht vom Antragsgegner stammte, geeignet war, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen, liegt auf der Hand. Da sich aus dem im Abänderungsverfahren – nunmehr auf Basis einer Gewebeprobe des Antragsgegners – eingeholten Gutachten zweifelsfrei dessen Vaterschaft ergab, begegnet es auch keinen Bedenken, dass die bekämpfte Entscheidung im Sinn des Begehrens des Antragstellers abgeändert wurde.

[4] 4. Die Argumentation des Revisionsrekurswerbers, der Antragsteller hätte seinen Abänderungsantrag nicht auf ein erst einzuholendes gerichtliches Sachverständigengutachten stützen dürfen, geht ins Leere, weil der Antrag nicht auf das Auffinden eines neuen Beweismittels, sondern auf das Bekanntwerden einer neuen – jedoch bereits während des vorangegangenen Verfahrens entstandenen – Tatsache gegründet wurde, der für die Würdigung des dort vorgelegten (Privat‑)Gutachtens maßgebliche Bedeutung zukam, nämlich der Auswertung einer fremden Gewebeprobe.

[5] 5.1. Voraussetzung für das Vorliegen des Abänderungsgrundes des § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG ist nach Abs 3 leg cit auch, dass die Partei ohne Verschulden außerstande war, die neue Tatsache im vorangegangenen Verfahren geltend zu machen. Das Unterlassen einer entsprechenden Behauptung im Vorprozess wäre nur vorwerfbar, wenn die Bedeutung der nicht vorgebrachten Tatsache – sowie deren Bestehen – ohne weiteres erkennbar gewesen wäre (vgl RS0106894).

[6] 5.2. Im vorangegangenen Abstammungsverfahren bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass der dort vorgelegte Vaterschaftstest nicht auf einer Gewebeprobe des Antragsgegners beruhen könnte. Das Rekursgericht ging davon aus, dass sich für den Antragsteller erstmals Zweifel am „rechtmäßigen“ Zustandekommen der DNA‑Analyse ergeben mussten (und auch tatsächlich ergaben), als auch das in einem anderen vom Antragsteller geführten Abstammungsverfahren eingeholte DNA‑Gutachten negativ ausfiel, obwohl die Mutter angegeben hatte, im „zeugungskritischen“ Zeitraum nur mit den Antragsgegnern dieses sowie des vorliegenden Verfahrens ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Die Zweifel mussten dadurch verstärkt werden, dass die die Gewebeprobe entnehmende Ärztin gegenüber dem Antragstellervertreter angab, die Identität des Probanden nicht überprüft zu haben. Es würde die Diligenzpflicht überspannen, würde man vom Antragsteller verlangen, dass er – ohne konkreten Verdacht, dass die Gewebeprobe nicht vom Antragsgegner stammen könnte – eine Überprüfung der im vorangegangenen Verfahren vorgelegten DNA-Analyse durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen beantragt.

[7] 5.3. Dem hält der Revisionsrekurswerber im Wesentlichen nur entgegen, dass der Antragsteller die Beiziehung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen im Vorverfahren deshalb beantragen hätte müssen, weil das Abänderungsverfahren nicht dazu diene, Fehler der Parteien bei ihrer Verfahrensführung zu beheben. Damit übergeht er aber die zentrale (und überzeugende) Begründung des Rekursgerichts, wonach keine Hinweise auf die Unrichtigkeit des im vorhergehenden Verfahren vorgelegten (Privat‑)Gutachtens bestanden und dem – entgegen der Darstellung im Revisionsrekurs – nicht anwaltlich vertretenen Antragsteller daher gerade keine fehlerhafte Verfahrensführung vorzuwerfen war. Dass „die Antragstellerin“ (wohl gemeint: die Mutter des Antragstellers) bereits im vorangegangenen Verfahren Zweifel an der „Richtigkeit“ des Vaterschaftstests hatte, findet keine Deckung in dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt.

[8] 6. Einer

weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3

AußStrG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte