OGH 26Ds10/20z

OGH26Ds10/20z17.6.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda und die Rechtsanwälte Mag. Vas und Dr. Hausmann als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pauritsch als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. Februar 2020, AZ D 53/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, des Kammeranwaltstellvertreters Dr. Jakauby und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0260DS00010.20Z.0617.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 (erster Fall) DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 22. Dezember 2016 in Wien durch direkte Übermittlung des Schreibens vom 22. Dezember 2016 an ***** das anwaltliche Umgehungsverbot (§ 19 RL‑BA 2015) verletzt, weil Rechtsanwalt ***** von ***** mit der Wahrung all ihrer Interessen im Zusammenhang mit der Liegenschaft ***** und den bei deren Erwerb zwischen ihnen und ihrem Sohn zur Begründung und Sicherung ihres Alterswohnsitzes getroffenen Vereinbarungen betraut wurde.

[3] Über den Beschuldigten wurde gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises ausgesprochen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 [lit] a und b StPO) sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe.

[5] Die Berufung verfehlt ihr Ziel.

[6] Soweit die Mängelrüge (Z 5 [nominell] erster, zweiter und vierter Fall) erkennbar (arg.: „stellt [...] keinen Anhaltspunkt fest“) eine fehlende Begründung (Z 5 vierter Fall) in Ansehung der konstatierten, vom Beschuldigten (eventual-)vorsätzlich in Kauf genommenen Vertretung der gegnerischen Parteien ***** durch Rechtsanwalt ***** betreffend all deren Interessen im Zusammenhang mit dem Erwerb der gegenständlichen Liegenschaft in ***** und der diesbezüglichen Sicherung deren Alterswohnsitzes releviert, ignoriert sie prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0119370; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 394) die diesbezüglich keineswegs undeutlichen (Z 5 erster Fall) Erwägungen des Disziplinarrats zur subjektiven Tatseite (ES 5 f).

[7] Welche erheblichen Beweisergebnisse unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall) geblieben seien, ist dem diesbezüglichen Rechtsmittelvorbringen nicht zu entnehmen.

[8] Die geltend gemachte Tatsachenrüge (Z 5a) ist dem anwaltlichen Disziplinarverfahren, in dem ja eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorgesehen ist, fremd (RIS‑Justiz RS0132515).

[9] Die – vor der Rechtsrüge zu behandelnde (Ratz, WK‑StPO § 476 Rz 9) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag mit der Behauptung, wonach dem Beschuldigten zusammengefasst keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein derart weitreichendes, über die Vertretung im Verfahren ***** hinausgehendes Vollmachtsverhältnis zu Rechtsanwalt ***** bekannt sein konnten, keine Umstände aufzuzeigen, die geeignet wären, Zweifel an der Beweiswürdigung des Disziplinarsenats zu begründen. Dies gilt auch für das Vorbringen, wonach dieses Vollmachtsverhältnis bereits (relativ bald nach der angelasteten Tathandlung am 22. Dezember 2016) Ende Februar 2017 aufgelöst worden sei, darüber hinaus ***** im (späteren) Teilungsverfahren von Rechtsanwalt ***** (und somit nicht von *****) vertreten worden seien, sowie die weiteren mit derselben Zielrichtung vorgetragenen Sichtweisen in der Berufung wegen Schuld.

[10] Der Disziplinarrat hat die wesentlichen Verfahrensergebnisse vielmehr einer lebensnahen Würdigung unterzogen und überzeugend dargetan, wie er zu den relevanten Feststellungen gelangte.

[11] Insbesondere die Erwägungen des Disziplinarrats, wonach der Beschuldigte sich noch in seiner verantwortlichen Äußerung vom 6. April 2017 dahingehend äußerte, ***** durch die (auch) an ihn erfolgte Zusendung des inkriminierten Schreibens nicht umgangen zu haben (V‑ON C), und solcherart (anders, als erst später und kurz vor der mündlichen Disziplinarverhandlung in der Gegenäußerung zum Einleitungsbeschluss [V‑ON E] und sodann in der Disziplinarverhandlung [vgl Anlage zu ON 18] vorgebracht) ein diesbezüglich fehlendes Vollmachtsverhältnis (noch) gar nicht behauptet (ES 5 zweiter Absatz iVm V‑ON E S 4), weiters das inkriminierte am 22. Dezember 2016 an ***** versandte E‑Mail im Betreff die (ersichtlich ein Vertretungsverhältnis indizierende) Wortfolge „[...] Ihre MD: *****, Liegenschaft *****“ enthält (ES 5 dritter Absatz iVm Beilage F./ in der grünen Mappe „Verhandlungsakt“) und diesbezüglich der Beschuldigte auf Vorhalt angab, damit „die allgemeine Vertretungssituation“ gemeint zu haben (ES 5 dritter Absatz iVm unjournalisierte S 3 der Beilage zu ON 18) sowie gerade durch die Übermittlung an ***** (erkennbar neuerlich von einem Vertretungsverhältnis ausgehend) „keinesfalls ein standeswidriges Vergehen“ setzen zu wollen (ES 5 f), lassen die Annahme des festgestellten vorsätzlichen Handelns des Beschuldigten unbedenklich erscheinen.

[12] Diese erwogenen Umstände bieten aber auch keinen Raum für die These, es habe sich (trotz des Einschreitens des Beschuldigten und ***** im Verfahren vor dem ***** betreffend die stets idente Liegenschaft) um eine gänzlich neue bzw andere Sache gehandelt. Denn selbst in einer mit einer Vertretungsangelegenheit nicht augenscheinlich konnexen Sache darf der unmittelbare Verkehr mit der Partei nur dann aufgenommen werden, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese von einem Rechtsanwalt vertreten wird; im – wie durch die aufgezeigten Umstände indizierten – Fall eines Zweifels ist hingegen eine Rückfrage geboten (RIS‑Justiz RS0106284 [T6]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015 Rz 9).

[13] Weil für schuldhaftes Verhalten iSd § 1 Abs 1 erster Fall DSt grundsätzlich Fahrlässigkeit genügt und bereits die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens dessen subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 7/1 ff mwN; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 90 f), geht die Kritik an den Erwägungen des Disziplinarrats zur subjektiven Tatseite ins Leere (vgl auch 24 Ds 1/18h) und ist die erst anlässlich der Schuldberufung zum Beweis einer nicht über den Gegenstand des Verfahrens ***** hinausgehenden Bevollmächtigung ***** begehrte Vernehmung des Genannten mangels bei diesem nicht rechtzeitig vor der direkten Kontaktaufnahme mit den gegnerischen Parteien erfolgter Rückfrage nicht geboten.

[14] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet – im Übrigen mit gleicher Argumentation wie bereits zur Mängelrüge prozessordnungswidrig die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite bekämpfend – eine zwischen dem Verfahren ***** einerseits und der mittels des inkriminierten, direkt an die Mandanten des Rechtsanwalts ***** gerichteten Schreibens des Beschuldigten verfolgten Zivilteilungsklage andererseits bestehende Konnexität iSd § 19 RL‑BA 2015 – insbesondere, weil eine solche Zivilteilungsklage noch gar nicht anhängig gewesen sei. Sie ignoriert allerdings die Konstatierungen, wonach ***** von ***** mit der Wahrung all ihrer Interessen im Zusammenhang mit der genannten Liegenschaft in ***** und den bei deren Erwerb zwischen den Genannten und deren Sohn zur Begründung und Sicherung ihres Alterswohnsitzes getroffenen Vereinbarungen betraut wurde (ES 1 iVm ES 3 vorletzter Absatz), und orientiert sich solcherart nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584).

[15] Überdies leitet sie mit der Behauptung, dass „schon ganz grundlegend und prinzipiell kein rechtlicher Zusammenhang zu erkennen ist“, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588), inwieweit einerseits zwischen der Bekanntgabe der in diesem Zivilverfahren beklagten und durch den Beschuldigten vertretenen Parteien an die klagenden, durch ***** vertretenen Parteien *****, „nunmehr eine Zivilteilung (Teilungsklage)“ anzustreben und anzufragen, ob die klagenden Parteien einer freiwilligen gerichtlichen Feilbietung zustimmen würden, und andererseits dem Gegenstand des genannten Verfahrens, nämlich Rückforderungsansprüchen für Leistungen und Aufwendungen, die im Vertrauen auf die Vereinbarung mit ihrem verstorbenen Sohn zum Ankauf und Erhalt der Liegenschaft erbracht wurden, wobei auch Fruchtgenussrechte bzw ein (schon grundsätzlich durch eine Zivilteilung tangiertes) Veräußerungsverbot Gegenstand des Verfahrens war(en) (ES 3 f), kein hinreichend konnexitätsbegründender Zusammenhang bestehen soll (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL-BA 2015 Rz 9). Inwieweit mangels solcherart nicht bereits a priori auszuschließender Konnexität nicht weitere Erkundigungen bzw Nachfragen durch den Disziplinarbeschuldigten geboten gewesen wären (RIS‑Justiz RS0106284 [T6], RS0056068 [T2]), wird gleichfalls nicht aufgezeigt.

[16] Weshalb für die Verwirklichung eines Verstoßes gegen § 19 RL-BA 2015 der Eintritt oder die Gefahr eines konkreten Nachteils für den Gegner durch die Umgehungshandlung erforderlich (RIS‑Justiz RS0072496 [T10 und T12], RS0055238 [T6]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015 Rz 7; vgl auch 24 Ds 1/18h) bzw durch die Übermittlung des Schreibens auch an den gegnerischen Rechtsvertreter die Tatbestandsverwirklichung grundsätzlich ausgeschlossen sein soll (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL-BA 2015 Rz 8 mwN; vgl hiezu auch RIS-Justiz RS0072496 sowie RIS‑Justiz RS0106284 und Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek,RAO10 § 19 RL-BA 2015 Rz 4, wonach selbst das Einverständnis der Partei, in Abwesenheit mit dem gegenerischen Vertreter zu verhandeln, für die standesrechtliche Beurteilung des Verhaltens des anwesenden Vertreters unerheblich ist [ebenso Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 {noch zu § 18 RL-BA 1977} S 678]), ist nicht ersichtlich.

[17] Das Argument, die gegnerischen Parteien hätten fallbezogen (über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel) ohnehin 18 Tage Zeit gehabt, um sich mit Rechtsanwalt ***** „oder anderen Kollegen“ ausreichend zu beraten, betrifft keine entscheidende Tatsache und wendet sich bloß inhaltlich gegen die Bestimmung des § 19 RL-BA 2015.

[18] Eine Subsumtion des angelasteten Verhaltens auch unter das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) ist im Übrigen nicht erfolgt (ES 1 unten).

[19] Weshalb es mit Blick auf die (allein) verpönte unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem anwaltlich vertretenen Gegner und die damit bei diesem verbundene Gefahr, vorschnell, ohne entsprechende rechtliche Konsultation Entschlüsse zu fassen (RIS‑Justiz RS0072496, RS0055238; vgl auch Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 [bereits zu] § 18 RL‑BA 1977 S 677), auf die zeitliche Reihenfolge der allfälligen Mitbefassung des gegnerischen Rechtsvertreters ankommen soll, ist nicht zu erkennen (vgl insb Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 19 RL‑BA 2015 Rz 5 zur – ungeachtet allfälliger Zustimmungserklärungen des Mandanten – jedenfalls gebotenen ausdrücklichen Zustimmung des Rechtsvertreters zur direkten Kontaktaufnahme mit seinem Mandanten; vgl auch dies aaO Rz 8; vgl zur zeitlichen Reihenfolge der Verständigung der Gegenpartei und des Gegenanwalts aber noch differenzierend: 10 Bkd 3/93, AnwBl 1994/4719, 442).

[20] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) mit Blick auf die ohnehin auch an den gegnerischen (das angelastete Verhalten selbst nicht anzeigenden) Rechtsvertreter erfolgte Übermittlung des inkriminierten Schreibens und die fehlende Reaktion dessen Mandanten, womit letztlich doch eine Teilungsklage erforderlich gewesen sei, ein Vorgehen gemäß § 3 DSt fordert, orientiert sie sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584) nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit.

[21] Sie legt mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, nämlich die ohne vorangegangene, fallbezogen jedoch indizierte Rücksprache mit dem Rechtsvertreter der gegnerischen Parteien vorsätzlich und nicht bloß fahrlässig erfolgte direkte Übermittlung des inkriminierten Schreibens an diese (ES 4, 7), nicht dar, inwieweit aktuell bloß von einem geringfügigen Verschulden, das erheblich hinter typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0089974, RS0101393; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 3 DSt Rz 5), auszugehen sein soll.

[22] Auch inwieweit mit Blick auf das am 22. Dezember 2016 verfasste und den gegnerischen Parteien am 23. Dezember 2016, somit unmittelbar vor dem Weihnachtsfest, zugegangene Schreiben, in dem seitens des Beschuldigten eine Frist zur allfälligen Rückäußerung lediglich bis zum 10. Jänner 2017 gesetzt wurde (ES 4 dritter Absatz), unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine eingehende rechtliche Beratung zur Frage der begehrten, auch den Alterswohnsitz der gegnerischen Parteien tangierenden Zivilteilung um die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel bei lebensnaher Betrachtungsweise nicht bzw bloß erschwert möglich ist, von keinen bzw bloß unbedeutenden Folgen auszugehen sein soll, ist nicht zu erkennen (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 3 DSt Rz 13).

[23] Die Disziplinarstrafe des bloßen schriftlichen Verweises (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) trägt dem Umstand Rechnung, dass durch das Übermitteln des Schreibens auch an ***** die Wahrscheinlichkeit eines Schadens für dessen Mandanten nicht allzu hoch war.

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