OGH 5Ob54/21h

OGH5Ob54/21h14.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Gartner, Mag. Daniel Karandi, Rechtsanwälte in Wien, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei 1. C***** GmbH, *****, 2. J*****, 3. R*****, 4. M*****, 5. G*****, 6. I***** GmbH, *****, alle vertreten durch Mag. Helmut Rieger, Rechtsanwalt in Wien, 7. E*****‑GmbH, *****, vertreten durch DDr. Gebhard Klötzl, Rechtsanwalt in Wien, 8. E*****, 9. F*****, ebenda, beide vertreten durch Hule Bachmayr‑Heyda Nordberg, Rechtsanwälte GmbH in Wien, 10. M*****, 11. P*****, vertreten durch Mag. Helmut Rieger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederherstellung, Unterlassung und Beseitigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2021, GZ 13 R 131/20k‑57, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00054.21H.0614.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Projektentwicklerin, Wohnungseigentumsorganisatorin und schlichte Miteigentümerin einer Liegenschaft mit einem ehemaligen Fabriksgelände.

[2] Die Erst‑ bis Neuntnebenintervenienten und der Elftnebenintervenient sind ebenfalls Miteigentümer dieser Liegenschaft. Der Zehntnebenintervenient hat die Verträge über den Verkauf von Liegenschaftsanteilen der Klägerin errichtet.

[3] Auch der Beklagte ist schlichter Miteigentümer der Liegenschaft, ihm kommt das alleinige Nutzungsrecht an einem Loft samt Balkon und Kellerabteil und zwei Parkplätzen zu. Er hat sein Loft vermietet.

[4] Die Klägerin begehrte – getrennt bewertet – vom Beklagten

1. den Balkon in seinem Loft in den ursprünglich baubewilligten Zustand zu versetzen, insbesondere die Einhausung des Balkons durch Glasschiebeelemente komplett zu entfernen,

2. künftig derartige Änderungen und Arbeiten, die in die allgemeinen Teile der Liegenschaft eingreifen, ohne Genehmigung der Miteigentümergemeinschaft und der Baubehörde zu unterlassen (1 und 2 insgesamt bewertet mit 75.000 EUR),

3. die Unterlassung der widmungswidrigen Verwendung des Lofts zu Wohnzwecken (45.000 EUR),

4. die Beseitigung der an der Außenseite des Balkons des Lofts angebrachten Blumentröge sowie die künftige Unterlassung derartiger Änderungen ohne Genehmigung der Miteigentümer (insgesamt 10.000 EUR).

[5] Das Erstgericht gab dem Wiederherstellungs‑ und Unterlassungsbegehren zu Punkt 1 und 2 und dem Unterlassungsbegehren zu Punkt 3 statt, wies hingegen das Beseitigungs‑ und Unterlassungsbegehren zu Punkt 4 ab.

[6] Das Berufungsgericht gab der gegen den klagestattgebenden Teil gerichteten Berufung des Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung nicht zu, Fragen der Vertragsauslegung komme keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen das Berufungsurteil in seinem klagestattgebenden Teil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, in der er keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt.

[8] 1. Die Revision bekämpft formal auch die Klagestattgebung betreffend den Balkon seines Lofts (Wiederherstellungsbegehren Punkt 1. und Unterlassungsbegehren Punkt 2.) und strebt eine die Klage gänzlich abweisende Entscheidung an. Inhaltliche Ausführungen dazu enthält aber weder der Zulassungsantrag noch die Revision selbst. Insoweit mangelt es daher an der gesetzmäßigen Ausführung (RIS‑Justiz RS0042779).

[9] 2.1. Der Revisionswerber behauptet eine unvertretbare Auslegung der Widmungsvereinbarung durch das Berufungsgericht, das die gebotene objektive Betrachtungsweise außer Acht gelassen habe. Ein Vorbehalt, dass die öffentlich‑rechtlichen Vorschriften eine Wohnraumnutzung erlauben, sei aus dem Wortlaut der Vereinbarung nicht ableitbar. Ein Verbot des Wohnens lasse sich im Übrigen auch aus der öffentlich‑rechtlichen Widmung laut der BO für Wien und dem Flächenwidmungs‑ und Bebauungsplan nicht ableiten. Damit zeigt er keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[10] 2.2. Für die Frage der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts ist nach ständiger Rechtsprechung (RS0120725) auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen, baurechtliche oder raumordnungsrechtliche „Widmungen“ definieren die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse der Wohnungseigentümer untereinander nicht. Für den Rechtsakt der Widmung selbst bestehen – im Gegensatz zum Wohnungseigentumsvertrag – keine Formvorschriften (RS0082712). Er kann im Stadium der Vorbereitung einer Wohnungseigentumsbegründung auch vom Wohnungseigentumsorganisator gesetzt werden (RS0120725 [T2]; 5 Ob 18/19m), was bei der Errichtung einer größeren Anlage, wenn Objekte sukzessive abverkauft werden sollen, sogar dem Regelfall entspricht (5 Ob 157/03d; 8 Ob 93/19p [zu derselben Liegenschaft]). Wenn auch bei der Ermittlung der konkreten privatrechtlichen Einigung der Mit‑ und Wohnungseigentümer über die Widmung eines bestimmten Objekts im Wohnungseigentumsvertrag wegen der Schwierigkeiten einer nachträglichen Feststellung des Parteiwillens beim erstmaligen (historischen) Widmungsakt eine weitgehend objektive Betrachtung angezeigt ist (5 Ob 277/04b; 5 Ob 224/15z; 5 Ob 105/16a), ist der Inhalt einer solchen Einigung dessen ungeachtet durch Auslegung nach den Bestimmungen der §§ 914 f ABGB zu ermitteln (5 Ob 224/15z; 5 Ob 105/16a). Das rechtswirksame Zustandekommen und der Inhalt einer Widmung von Teilen einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft hängen damit von den konkreten Umständen des zu beurteilenden Falls ab (RS0114928 [T7]; 8 Ob 93/19p; 5 Ob 76/20t). Eine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor.

[11] 2.3. Dass die den Kaufverträgen angeschlossene – nicht unterfertigte – Fassung des Wohnungseigentumsvertragsentwurfs (wie schon die Bezeichnung deutlich macht) keinen Rechtstitel für eine rechtswirksame Widmung schafft, hat der Oberste Gerichtshof (zu dieser Liegenschaft und Fragen der Widmung unter Berücksichtigung des Wohnungseigentumsvertragsentwurfs betreffend) zu 5 Ob 18/19m und 8 Ob 93/19p bereits ausgesprochen. Die Auffassung der Vorinstanzen, aus diesem Entwurf sei eine dem Beklagten eingeräumte „gemischte Nutzung“ nicht abzuleiten, ist daher nicht zu beanstanden. Davon abgesehen zeigt die hier konkret gewählte Vorgangsweise, wonach die Klägerin als Wohnungseigentumsorganisatorin mit einzelnen Käufern von Objekten Kaufverträge abschloss und diesen den Entwurf eines geplanten Wohnungseigentumsvertrags beilegte, deutlich, dass es hier keine Mehrparteieinigung der Miteigentümer (wie etwa im Wohnungseigentumsvertrag) gab, sondern die Widmung im Sinn der zitierten Rechtsprechung von der Wohnungseigentumsorganisatorin vorgegeben wurde. Wenn die Vorinstanzen angesichts dessen nicht auf den Wortlaut des – zwischen den Miteigentümern noch nicht verbindlich vereinbarten und damit zur „Satzung“ erhobenen – Wohnungseigentumsvertragsentwurf, sondern auf den Wortlaut der einzelnen Kaufverträge abstellten, ist dies nicht korrekturbedürftig. Diese Kaufverträge sahen aber vor, dass die Liegenschaft und die kaufgegenständlichen Einheiten und Anteile als Industriegrundstücke gewidmet und genutzt waren und von den Käufern dieser Widmung entsprechend genutzt werden könnten. Dass ein redlicher Vertragspartner der Wohnungseigentumsorganisatorin nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont (vgl RS0113932) davon ausgehen hätte dürfen, er erwerbe ein Objekt, das – unabhängig von der öffentlich‑rechtlichen Widmung – auch zu Wohnzwecken benutzt werden dürfe, liegtdamit selbst unter Berücksichtigung des im Widerspruch zum Kaufvertrag selbst stehenden Textes des Wohnungseigentumsvertragsentwurfs nicht nahe. Die Auslegung der Vorinstanzen, die Nutzung des Objekts des Beklagten sei nur im Rahmen der öffentlich‑rechtlichen Vorschriften als zulässig vereinbart worden, ist vielmehr im Einzelfall nicht zu beanstanden.

[12] 2.4. Die behaupteten sekundären Feststellungsmängel zur Zulässigkeit des Wohnens nach der BO für Wien liegen nicht vor. Nach § 6 Abs 10 BO für Wien dürfen in als Geschäftsvierteln ausgewiesenen Teilen des Wohngebiets oder gemischten Baugebiets die im jeweiligen Widmungsgebiet zulässigen Bauwerke oder Anlagen errichtet werden; Wohnungen dürften jedoch unbeschadet des Abs 13 nur errichtet werden, wenn der Fußboden an jeder Stelle mindestens 3,5 Meter über dem anschließenden Gelände oder der anschließenden Verkehrsfläche liegt. Nach § 6 Abs 13 BO für Wien ist in Betriebsbaugebieten und Geschäftsvierteln, in Industriegebieten und auf Lagerplätzen und Ländeflächen die Errichtung von Wohnungen für den Bedarf der Betriebsleitung und der Betriebsaufsicht zulässig. Darauf beruft sich der Revisionswerber. Allerdings ermöglicht § 4 Abs 2 lit C c) der BO für Wien in den Flächenwidmungsplänen (unter anderem) für Baulanddie Widmung der Grundflächen als „gemischte Baugebiete, in denen örtlich begrenzte Teile zusätzlich als Geschäftsviertel, Gebiete für geförderten Wohnbau oder Betriebsbaugebiete oder in der Nähe von Friedhöfen aus Gründen des örtlichen Stadtbildes als Gebiete für friedhofsbezogene Nutzungen ausgewiesen werden können“. Nach § 5 Abs 4 lit x der BO für Wien kann der Bebauungsplan „Bestimmungen der Mindestraumhöhen in Erdgeschossen; in Geschäftsvierteln, einen gegenüber der Bestimmung des § 6 Abs 10 größeren Abstand der Fußbodenoberkante vom anschließenden Gebäude oder der anschließenden Verkehrsfläche oder das Verbot der Errichtung von Wohnungen überhaupt“ enthalten. Sieht der Bebauungsplan im Sinn dieser Bestimmung Einschränkungen der Zulässigkeit von Wohnungen in Geschäftsvierteln vor oder verbietet er die Errichtung von Wohnungen überhaupt, geht dies der allgemeinen Regel des § 6 Abs 10 BO für Wien vor.

[13] 2.5. Hier stellte das Erstgericht fest, dass der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 7. 4. 2017 (./B) den Flächenwidmungsplan zum Bebauungsplan neu festlegte, damit die gegenständliche Fläche in gemischtes Baugebiet‑Geschäftsviertel (GBGV) widmete und eine Errichtung von Wohnungen in diesem Gebiet für unzulässig erklärte. An diese Feststellung ist der Oberste Gerichtshof – der nicht Tatsacheninstanz ist – gebunden. Der rechtliche Schluss, eine Einschränkung der Zulässigkeit von Wohnungen laut Bebauungsplan schränke auch die Zulässigkeit der Errichtung von Wohnungen entsprechend der allgemeinen Regel des § 6 Abs 10 der BO für Wien ein, ist durch § 5 Abs 4 lit x BO für Wien gedeckt. Weiterer Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 6 Abs 10 und/oder § 6 Abs 13 der BO für Wien bedurfte es nach der nicht zu beanstandenden Auffassung der Vorinstanzen nicht.

[14] 3. Damit war die Revision zurückzuweisen.

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