OGH 5Ob68/21t

OGH5Ob68/21t14.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Mag. H*, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Dr. D*, 2. Dr. F*, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH, Wien, 3. DI E*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, und die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, wegen § 52 Abs 1 Z 2 iVm § 16 Abs 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Februar 2021, GZ 40 R 301/20s‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132359

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

[1] Das im Wohnungseigentum der Parteien stehende Objekt befindet sich in einer Schutzzone gemäß § 7 Wiener Bauordnung und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet. Der Antragsteller begehrte, die Zustimmung der Antragsgegner zur Errichtung einer etwa 1 m über dem Bodenniveau geplanten Terrasse zu seiner im Hochparterre des Hauses gelegenen Wohnung und den Umbau der Wohnung, bei dem unter anderem vorhandene Fenster zu Türen als Ausgang auf die Terrasse erweitert werden sollen, zu ersetzen.

[2] Das Rekursgericht bestätigte die den Antrag abweisende Entscheidung des Erstgerichts und verneinte wie diese das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1 Nach § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt. Die Änderung darf nach Z 1 weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Gemäß Z 2 muss die Änderung – werden hiefür auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen – überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen.

[4] 1.2 Sowohl zur „Übung des Verkehrs“ als auch zum „wichtigen Interesse“ des Wohnungseigentümers iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es danach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (RIS‑Justiz RS0126244 [T3]). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts ist insbesondere darauf abzustellen, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen oder eine Steigerung des Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (RS0083341 [T2; T4]; RS0083345 [T1]).

[5] 1.3 Maßgeblich für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (dazu RS0083309 [T9; T13; T16] ua). Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Ein im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit korrekturbedürftiges Überschreiten des ihm zustehenden Ermessens durch das Rekursgericht vermagder Revisisonsrekurswerber nicht aufzuzeigen.

[6] 2.1 Das Rekursgericht berücksichtigte den Charakter des in einer Schutzzone iSd § 7 der Wiener Bauordnung befindlichen und als Mehrparteienhaus errichteten Gründerzeitgebäudes und gelangte dabei zum Ergebnis, dass der geplante Umbau der nordseitigen Fenster der im Hochparterre gelegenen Wohnung zu einer Doppel- und zwei weiteren Türen und der daran in einer Höhe von etwa einem Meter anschließende Holzlattenrost im Ausmaß von 3 m x 5,73 m (Terrasse) nicht als verkehrsüblich anzusehen ist. Dagegen wendet der Antragsteller in Ausführung seiner Rechtsrüge lediglich ein, dass die Herstellung einer Tür als Ausgang auf die über dem Bodenniveau geplanten Terrasse notwendig sei und ihm nicht entgegengehalten werden könne und übergeht dabei, dass erst die von ihm geplante Errichtung der Terrasse die Inanspruchnahme allgemeiner Teile bedingt. Die beabsichtigte Maßnahme ist in ihrer konkreten Ausgestaltung zu beurteilen. Bei dem von ihm geplanten Umbau der Fenster in drei Türen kann aber nicht mehr davon gesprochen werden, dass allgemeine Teile nur marginal in Anspruch genommen würden, wie er meint, sodass auch mit dem Hinweis auf die Entscheidung zu 5 Ob 261/99i und dem darin (zum wichtigen Interesse) bekräftigten Grundsatz, dass es (auch) auf die Relation zur Inanspruchnahme allgemeiner Teile ankomme, für seinen Standpunkt nichts gewonnen ist. Die Berufung auf Ausführungen im Rekurs ist auch im Revisionsverfahren in einem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren unbeachtlich (RS0043616 [T14]), sodass er mit seinem pauschalen Hinweis, das Rekursgericht habe seine zahlreichen Argumente zur Verkehrsüblichkeit nicht beachtet, ohne diese darzulegen, ebenfalls keine Fehlbeurteilung des Gerichts zweiter Instanz aufzeigen kann.

[7] 2.2 Der Untersuchungsgrundsatz gilt im besonderen wohnrechtlichen Außerstreitverfahren nicht uneingeschränkt, sondern nur so weit, wie die Parteien in erster Instanz den Sachverhalt genügend konkretisiert dargelegt haben (RS0070415). Die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts endet dort, wo ein Vorbringen der Parteien nicht vorliegt und Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit fehlen (RS0069653). Die Parteien trifft in diesem Verfahren zwar keine förmliche Beweislast, aber doch eine qualifizierte Behauptungspflicht (RS0070480 [T2]). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es entgegen der vom Antragsteller unter Verweis auf den Untersuchungsgrundsatz vertretenen Meinung auch keine unrichtige und damit korrekturbedürftige rechtliche Beurteilung im Sinn eines sekundären Verfahrensmangels, wenn das Rekursgericht seine Behauptungen zum Vorhandensein von Terrassen in der näheren Wohnumgebung des Hauses als Verstoß gegen das Neuerungsverbot qualifizierte und eine Überraschungsentscheidung des Erstgerichts verneinte, weil dieses mangels eines konkreten Vorbringens keine Feststellungen zur Wohnumgebung traf und den beantragten Ortsaugenschein und Sachverständigenbeweis nicht aufnahm.

[8] 3.1 Sein wichtiges Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG leitet der Antragsteller in erster Linie daraus ab, dass ihm die Errichtung einer Terrasse sowie des damit verbundenen Abgangs einen direkten Zugang zum Garten, der sich in seinem Zubehöreigentum befindet, ermögliche, womit eine Steigerung des Wohnwerts verbunden sei. Nach den Feststellungen verfügt der Antragsteller aber ohnedies über einen Zugang zu seinem Gartenanteil. Dass er sich bei Durchführung der geplanten Umbaumaßnahmen den Umweg über seinen straßenseitig gelegenen Gartenteil ersparen und direkt von der neu geschaffenen Wohnküche über die Terrasse in den auf der Rückseite des Hauses gelegenen Gartenanteil gelangen könnte, mag zweckmäßig und praktisch sein. Die Berufung auf bloße Zweckmäßigkeitserwägungen begründet aber eben so wenig ein wichtiges Interesse, wie der Wunsch des Wohnungseigentümers nach einer luxuriöseren Ausstattung (RS0083341 [T4; T7]). Da auch Anhaltspunkte dafür fehlen, dass eine dem heutigen Standard entsprechende Nutzung des Objekts ohne die beabsichtige Errichtung der Terrasse dem Antragsteller, der nach dem Akteninhalt auch nicht beabsichtigt, dort zu wohnen, nicht möglich wäre, hat das Rekursgericht ein wichtiges Interesse des Antragstellers vertretbar verneint. Die Entscheidung zu 5 Ob 30/94 hat der Fachsenat bereits als vereinzelt geblieben beurteilt (dazu 5 Ob 73/10m). Darauf kann sich der Antragsteller daher nicht mit Erfolg für seinen Standpunkt berufen.

[9] 3.2 Vertragliche Ansprüche sind in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG unbeachtlich und wären im Streitverfahren geltend zu machen (RS0083148 [T4; T5]; Kulhanek in H. Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner,GeKo Wohnrecht II § 52 WEG 2002 Rz 2https://rdb.manz.at/document/1209_2_geko-wohnrecht_weg-2002_p0052 ). Der Revisionsrekurswerber stellt aber ohnedies nicht darauf ab, dass die Mit‑ und Wohnungseigentümer mit Punkt 5.5 und Punkt 6.1 des Wohnungseigentumsvertrags der nunmehr von ihm konkret geplanten Anlage zugestimmt hätten. Inwieweit diese Bestimmungen im Wohnungseigentumsvertrag den Ausschlag zugunsten seines wichtigen Interesses geben sollen, wie er meint, ist nicht ersichtlich.

[10] 4. Unter dem Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit wendet sich der Antragsteller gegen eine vom Erstgericht als Schlussfolgerung getroffene Feststellung, der das Rekursgericht nicht entgegengetreten ist. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit dient aber nicht als Ersatz für eine im Revisionsverfahren generell unzulässige Beweisrüge (RS0117019).

[11] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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