OGH 4Ob206/20b

OGH4Ob206/20b27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers DI H***** P*****, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Mag. Antonius Falkner, Rechtsanwalt in Mieming, gegen den Beklagten S***** S*****, vertreten durch Mag. Manfred Kantner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Wiederherstellung (Streitwert 7.690 EUR) und Unterlassung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. August 2020, GZ 2 R 40/20a‑29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 8. Oktober 2019, GZ 2 C 256/18w‑20, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00206.20B.0527.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts samt Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten dessen mit 3.480,36 EUR (darin 341,56 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte ist (aufgrund des im Verlassenschaftsverfahren nach der Anfang 2016 verstorbenen Gattin des Klägers erlassenen Einantwortungsbeschlusses) Alleineigentümer eines Grundstücks samt Mehrfamilienhaus.

[2] Dem Kläger wurde mit letztwilliger Verfügung der Verstorbenen das Wohnungsgebrauchsrecht an der im Erdgeschoß des Hauses gelegenen ehemaligen Ehewohnung sowie das wohnungsgebrauchsrechtliche Mitbenützungsrecht der unverbauten Flächen um das Haus, insbesondere des Gartens, im bisherigen Umfang eingeräumt.

[3] Der Kläger leidet an schweren psychischen Problemen; er beschäftigte sich nicht mit Gartenarbeit. Seine Gattin hingegen war eine Gartenliebhaberin, war aber in den letzten 20 Jahren vor ihrem Tod krankheitsbedingt zunehmend nicht mehr zur Gartenarbeit in der Lage. Als sie starb, war der Garten stark zugewachsen und von Unkraut überwuchert. Rasenflächen waren nur noch wenige vorhanden. Die an der östlichen Grundstücksgrenze und von der Südostecke etwa zwei Drittel der Südgrenze nach Westen reichende Thujenhecke wuchs über viele Jahre ungehindert und erreichte letztlich eine Höhe von drei bis vier Metern. Sie reichte etwa einen Meter in die Straße hinein, was die Gemeinde gegenüber dem Beklagten beanstandete. Auch innerhalb des Gartens verstellte diese Hecke einen Grundstreifen im Ausmaß von einem Meter Breite und wuchs aufgrund der Höhe in die Telefonleitung hinein. Der Efeu wuchs ungehindert die Hausmauer empor und überwucherte das Küchenfenster des Klägers sowie auch die Bäume, dessen Rinden er schädigte. Durch den Efeu war der Garten teilweise nicht mehr begehbar.

[4] Nach Übernahme der Liegenschaft renovierte der Beklagte seine Wohnung im ersten Stock des Hauses und führte ab dem Frühsommer 2016 seiner Ansicht nach notwendige Arbeiten im Garten durch. Zunächst befreite er Schuppen und Hausmauer vom Efeu, worüber sich der Kläger bei ihm schriftlich beschwerte. In der Folge sprach der Beklagte mit dem Kläger über seine weiteren Pläne zur Gartenumgestaltung. Er informierte ihn, dass er beabsichtige, jedenfalls teilweise die Bäume im Südwesten fällen zu lassen, zumal sie von Efeu sehr stark bewachsen seien und keinen gesunden Eindruck machten, auch wolle er später den Garten neu herrichten und alles entfernen. Der Kläger nickte dazu; ob er den Gesprächsinhalt zur Gänze erfasst hatte und dem Vorhaben zustimmte, steht nicht fest. Der Beklagte wollte zunächst nur die infolge Efeubewuchses kranken Kiefern in der Südwestecke fällen lassen, die von ihm beauftragten Holzfäller rieten ihm aber davon ab, einzelne Bäume stehen zu lassen, weil die Gefahr bestehe, dass die restlichen Bäume bei starkem Wind entwurzelt werden könnten. Der Beklagte ließ schließlich alle sieben Kiefern fällen, und es stellte sich heraus, dass einer der Bäume innen hohl war. Der während der Schlägerung anwesende Kläger beanstandete erst nach Beendigung der Arbeiten in einem Brief an den Beklagten die Baumfällung ohne seine Zustimmung.

[5] Im Frühjahr 2018 ließ der Beklagte infolge der Beanstandung der Thujenhecke durch die Gemeinde auch diese roden. Der Kläger war während der Rodungsarbeiten im Haus anwesend, kam aber nicht heraus, um dem Beklagten etwa Vorhaltungen zu machen oder ihn zur Beendigung der Rodungsarbeiten aufzufordern. Die Gartenarbeiten des Beklagten führten zu einem höheren Licht- und Sonneneinfall auf das Grundstück, gleichzeitig aber auch zu dessen Einsehbarkeit für die Nachbarn aus Richtung Osten und Süden. Nach schriftlicher Aufforderung des Beklagten durch den Anwalt des Klägers, er möge den vorherigen Zustand im Garten wieder herstellen, schlug der Beklagte dem Kläger zur gütlichen Einigung vor, einen Zaun um das Grundstück und einen Sichtschutz vor dem Wohnzimmerfenster des Klägers (bestehend aus drei oder vier Thujen) zu errichten oder ein Gestell als Sichtschutz vor der Terrasse anzubringen. Der Beklagte war der Ansicht, dass man sich in diesem Sinne geeinigt habe, ob der Kläger insoweit zugestimmt hatte, steht nicht fest. Der Beklagte pflanzte sodann in dem der Terrasse auf Höhe des Wohnzimmerfensters des Klägers vorgelagerten Bereich im Garten vier über einen Meter hohe Thujen sowie unweit davon einen Trompetenbaum mit schmalem, astlosem Stamm und kugelförmiger Baumkrone. Im Zuge des Verfahrens errichtete der Beklagte auch den zugesagten Holzzaun auf der Grenzmauer, womit nunmehr ein Sichtschutz in der (von der Gemeinde als maximal zulässig angesehenen) Höhe von zwei Metern erreicht wird.

[6] Der Kläger begehrte, den Beklagten zu verpflichten, im Garten gemäß abgebildetem Lageplan sieben Kiefern à vier Meter, 40 Thujen à zwei Meter, zwei Eiben à drei Meter und zwei Buchssträucher zu setzen sowie vier Eisengitter von einer Fläche von insgesamt sechs m 2 fest mit dem Boden verankert anzubringen und diese mit 30 Rosensträuchern und drei Efeu zu bepflanzen sowie es künftig zu unterlassen, ohne Zustimmung des Klägers Pflanzen oder Bäume im Garten zu entfernen. Der Beklagte habe ohne Zustimmung des Klägers sämtliche genannten Büsche und Bäume gefällt. Dadurch sei der Garten und auch die Wohnung des Klägers einsehbar, wodurch er sich massiv beeinträchtigt fühle.

[7] Der Beklagte wendete ein, der Garten sei gänzlich verwildert und ungepflegt gewesen. Da der Efeu die Kiefern geschädigt habe, seien auch diese zu entfernen gewesen. Der Beklagte habe das Gespräch mit dem Kläger gesucht, und dieser sei mit den vorgenommenen Gartenarbeiten ausdrücklich einverstanden gewesen; er habe sich auch anlässlich aller Arbeiten nicht ablehnend geäußert. In der Folge hätten sich die Parteien darauf geeinigt, dass bei der Terrasse des Wohnzimmers des Beklagten ein Baum und zwei Thujen gepflanzt würden und ein Schutzzaun um den Garten aufgestellt werde. Diese Einigung sei auch umgesetzt worden. Das Mitbenützungsrecht des Klägers sei nicht geschmälert, sondern erweitert worden; er könne nun einen ordnungsgemäß gepflegten Garten mitbenutzen. Das Mitbenützungsrecht beeinträchtige nicht das Recht des beklagten Grundeigentümers, Erhaltungs-, Säuberungs-, Schutz- und Verbesserungsmaßnahmen durchzuführen.

[8] Das Erstgericht zweifelte an der Prozessfähigkeit des Klägers und veranlasste die Bestellung eines Erwachsenenvertreters. Dieser genehmigte sodann die Prozessführung.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Änderung der Bepflanzung des Gartens beeinträchtige das Mitbenützungsrecht des Klägers in seinen wesentlichen Teilen nicht. Eine bloße Umgestaltung des Gartens durch Entfernung von Bäumen, Hecken und Büschen, durch die Errichtung eines Holzzaunes und das Anlegen einer Rasenfläche beeinträchtige objektiv gesehen das Gebrauchsrecht des Klägers nicht wesentlich und hindere ihn nicht an einer Nutzung des Gartens im bisherigen Umfang. Es handle sich lediglich um eine unwesentliche Gartenumgestaltung, die dem Eigentümer durch den Mitbenützungsberechtigten nicht verwehrt werden dürfe.

[10] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Kläger stehe die Mitbenützung des Gartens „im bisherigen Umfang“ zu. Dies schließe auch den aufgrund des dichten Pflanzenbewuchses gegebenen bisherigen Sichtschutz ein. Zwar bestehe nach wie vor ein Garten, den der Kläger nutzen könne, durch die tiefgreifenden Änderungen sei jedoch auch objektiv in sein Nutzungsrecht eingegriffen worden. Nachdem der Kläger den Garten nicht mehr im bisherigen Umfang im Rahmen seiner Bedürfnisse nutzen könne, falle der Interessensausgleich zugunsten des servitutsberechtigten Klägers aus. Im Übrigen wäre es am Beklagten gelegen, im Sinne des § 825 ABGB einen Beschluss des Außerstreitgerichts über die Gartengestaltung zu erwirken.

[11] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil insbesondere zur Frage, wie weit der Eigentümer in vergleichbaren Fallkonstellationen einseitig in das Nutzungsrecht des Servitutsberechtigten eingreifen dürfe, ob ein anderer Maßstab gelte, wenn es sich nur um ein Mitnutzungsrecht neben dem Eigentümer handle, und ob die Gartengestaltung überhaupt Inhalt des Nutzungsrechts sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[12] Der Beklagte beantragt mit seiner Revision, die Klage abzuweisen; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Er macht geltend, das Berufungsgericht hätte bei seiner Interessenabwägung zum gegenteiligen Ergebnis kommen müssen.

[13] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise sie abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht vorgenommene Rechtezuordnung korrekturbedürftig ist; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

[15] 1.1. Gemäß § 504 ABGB besteht die Servitut des Gebrauchs darin, dass jemand befugt ist, eine fremde Sache, ohne Verletzung der Substanz, bloß zu seinem Bedürfnis zu benützen. Allgemein ist eine Servitut nach dem Grundsatz der schonenden Ausübung, soweit möglich, einschränkend auszuüben. Eine gemessene Servitut (wie hier) ist stark von ihrem Titel definiert, dessen Zeitpunkt maßgeblich für die Bedarfsabgrenzung ist (Koch in KBB, ABGB6 § 484 Rz 5 mwN). Die Art der Ausübung findet ihre Grenzen in einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentümers des dienenden Gutes (RIS‑Justiz RS0016368 [T8]).

[16] 1.2. Bei der einschränkenden Ausübung der Servitut (§ 484 ABGB) ist der Widerstreit zwischen den Interessen der Parteien in ein billiges Verhältnis zu setzen (RS0011733; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 484 Rz 1). Die Beschränkung der Rechtsausübung durch den Belasteten ist ohne zumindest schlüssige Zustimmung des Berechtigten nur dann zulässig, wenn die Ausübung des Rechts dadurch nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird (RS0011733 [T7]).

[17] 2. Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger die „wohnungsgebrauchsrechtliche Mitbenützung der unverbauten Flächen um das Haus …, insbesondere des Gartens, im bisherigen Umfang“ eingeräumt. Damit ist aber kein Vetorecht in Bezug auf die Gartengestaltung verbunden. Der Eigentümer wird durch ein bloßes Mitbenützungsrecht eines Servitutsberechtigten nicht in seinem Recht eingeschränkt, den Garten nach eigenem Gutdünken zu bepflanzen und Pflanzen zu entfernen. Die Grenze der Freiheit des Eigentümers liegt in der titelgemäßen Benützbarkeit des Gartens für den Servitutsberechtigten. So wäre es dem Eigentümer etwa – im Fall einer Rechteeinräumung wie im hier gegebenen Fall – nicht gestattet, in einem Garten, den ein gehbehinderter Servitutsberechtigter bislang barrierefrei begehen konnte, Stufen einzubauen oder sonstige Veränderungen im Gelände vorzunehmen, die den Garten für den konkreten Mitbenützungsberechtigten unbenützbar machte. Nicht erlaubt wäre etwa auch ein Zubetonieren des bisherigen Gartens.

[18] 3. Hier geht es dem Kläger im Kern gar nicht um die Gartenbenützung. Diese wird ja durch die Maßnahmen des Beklagten nicht eingeschränkt, sondern vielmehr erweitert. Ihm geht es um die Aufrechterhaltung eines blickdichten Sichtschutzes. Ein solcher wurde ihm aber mit der letztwilligen Verfügung seiner Ehegattin nicht eingeräumt. Bei der gebotenen einschränkenden Auslegung des Umfangs der Servitut (vgl RS0011733) ist dieses Interesse von der „Mitbenützung des Gartens im bisherigen Umfang“ nicht umfasst. Abgesehen davon ist der Beklagte dem Kläger in diesem Punkt letztlich ohnehin entgegengekommen, indem er ihm vor seiner Terrasse wieder Thujen und einen Baum gepflanzt und einen Zaun als Sichtschutz in höchstzulässigem Ausmaß errichtet hat.

[19] 4. Zu berücksichtigen ist auch, dass dem Kläger keine Alleinbenützung, sondern nur eine Mitbenützung eingeräumt wurde. Das bedeutet, dass seinem Interesse an der Benützung im bisherigen Umfang jenes des beklagten Eigentümers an der schadenfreien Erhaltung seines Eigentums und dem pfleglichen Umgang damit, sowie auch dessen eigenes Benützungsinteresse entgegenzuhalten ist. Dieses wurde aber durch die fortschreitende Verwilderung des Gartens massiv eingeschränkt, sodass seine Maßnahmen auch unter diesem Gesichtspunkt als gerechtfertigt zu beurteilen sind.

[20] 5. Weiters ist bei der Beurteilung des Ausmaßes der Dienstbarkeit das Recht und die Pflicht des Eigentümers zu berücksichtigen, Sach- und Personenschäden durch den Gartenbewuchs nach Tunlichkeit abzuwenden. Dies betrifft im vorliegenden Fall etwa Sanierungsmaßnahmen zur Erhaltung der Gebäudefassaden und der Begehbarkeit von Wegen rund um das Gebäude durch die Entfernung des wuchernden Efeus und die Entfernung der in das öffentliche Gut hineinragenden Thujenhecke, die bereits in eine Telefonleitung hineinwuchs und einen Grundstreifen des Gartens von einem Meter verstellte. Die Entfernung von kranken oder umsturzbedrohten Bäumen, die eine Gefahr für Personen und Sachen bewirken können, darf dem Grundeigentümer schon im Hinblick auf seine mit der Gefahrenlage verbundene Haftung nicht untersagt werden.

[21] 6. Soweit das Berufungsgericht bei den Streitteilen von einer Rechtsgemeinschaft ausgeht, auf die §§ 825 ff ABGB analog anzuwenden sei, übersieht es die Rechtsprechung, wonach §§ 825 ff ABGB subsidiär nur in allen Gemeinschaftsfällen heranzuziehen sind, soweit diese weder durch Gesetz noch durch Vertrag besonders geregelt sind (RS0013155; 9 Ob 517/95); für das Rechtsverhältnis zwischen Eigentümer und Dienstbarkeitsberechtigtem bestehen jedoch gesetzliche Vorschriften (vgl § 521 ABGB).

[22] Der Revision des Beklagten ist daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

[23] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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