OGH 7Ob88/21y

OGH7Ob88/21y26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 35.000 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. März 2021, GZ 33 R 6/21a‑16, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. Dezember 2020, GZ 47 Cg 42/20h‑10, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00088.21Y.0526.000

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Rechtssache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.679,92 EUR (darin enthalten 874,82 EUR an USt und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin betreibt in Niederösterreich einen Beherbergungsbetrieb. Sie schloss bei der Beklagten einen Betriebsbündelversicherungsvertrag mit dem Versicherungsbeginn 1. 10. 2018 ab; dabei wurde das Risiko der „Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes“ mitversichert.

[2] Die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr (Betrieb & Planen – Fassung 10/2011) ‑ F 472 lauten auszugsweise:

Deckungsumfang

Was ist versichert ? – Art 1

1. Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass aufgrund des Epidemiegesetzes (BGBl 186/1950) in der letztgültigen Fassung,

1.1 der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird,

1.2 [...]

1.3 in diesem Betrieb beschäftigte Personen ihre Tätigkeit wegen Erkrankung an Seuchen, entsprechenden Krankheits‑ oder Ansteckungsverdachts oder als Ausscheider/Ausscheidungsverdächtiger von Erregern von Enteritis infectiosa, Paratyphus A und B, übertragbarer Ruhr und Typhus abdominalis untersagt wird.

[...]

Im Schadenfall

Die Leistung des Versicherers – Art 4

1. Der Versicherer ersetzt Schäden, die entstehen

1. 1 Zu Art 1 Pkt. 1.1. infolge Betriebsschließung

[...]

Übergang des Entschädigungsanspruchs – Art 5

Der Anspruch auf Entschädigung, der dem Versicherungsnehmer aus Anlass der behördlichen Betriebsschließung gegen den Bund zusteht, geht auf den Versicherer nach Maßgabe seiner Versicherungsleistung über. Auf Verlangen des Versicherers ist diesem eine entsprechende Abtretungsurkunde auszustellen.“

[3] „Kraft diverser Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, die aufgrund des COVID‑19‑Maßnahmengesetz erlassen worden waren“, war der Betrieb der Klägerin vom 16. 3. 2020 bis 29. 5. 2020 geschlossen.

[4] „Am 8. 4. 2020 erließ die BH Bruck an der Leitha gegenüber drei MitarbeiterInnen der Klägerin Absonderungsbescheide auf der Grundlage der §§ 1, 6, 7 und 43 Abs 4 EpiG, und zwar wegen des Auftretens von COVID‑19 (eine Person) und wegen des hohen Infektionsrisikos (zwei Personen). Der letzte dieser Bescheide trat mit 9. 5. 2020 außer Kraft.“

[5] Die Klägerin begehrte als Teilbetrag die Zahlung von 35.000 EUR sA für die Betriebsschließung vom 16. 3. 2020 bis 29. 5. 2020. Die Bedingungen F 472 seien nicht Teil des Versicherungsvertrags geworden, weil diese weder öffentlich zugänglich noch der Klägerin je zur Kenntnis gebracht worden seien. Das in der Polizze versicherte Risiko der „Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes“ habe sich verwirklicht. COVID‑19 sei eine Seuche; ein Beherbergungsbetrieb, der nicht betreten werden dürfe, sei geschlossen. Die „Schließung“ aufgrund der vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz erlassenen Verordnungen (BGBl II Nr 2020/96, BGBl II Nr 2020/98 und BGBl II Nr 2020/130) sei jener nach dem EpiG gleichzuhalten. Am 8. 4. 2020 seien darüber hinaus gegen drei wichtige Mitarbeiter der Klägerin Absonderungsbescheide ergangen. Die Mitarbeiter würden in dem – dem versicherten Hotelbetrieb gegenüberliegenden und mit diesem eine organisatorische Einheit bildenden – Mitarbeiterwohnhaus wohnen. Daher sei eine der abgesonderten Mitarbeiterinnen vom zuständigen Sachbearbeiter der BH Bruck an der Leitha auch telefonisch angewiesen worden, dass die übrigen nicht von den Absonderungsbescheiden umfassten Mitarbeiter das Hotel und das Mitarbeiterwohnhaus nicht betreten dürften. Ein (schriftlicher) Betriebsschließungsbescheid sei nicht ergangen, weil der Betrieb bereits über Verordnung geschlossen gewesen sei. Diese Anordnung stelle einen mündlichen Betriebsschließungsbescheid dar.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es habe sich kein versichertes Risiko verwirklicht. Die Betretungsverbote aufgrund des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes seien keine Betriebsschließungen im Sinne des EpiG und mit solchen qualitativ nicht vergleichbar. Mit den Absonderungsbescheiden habe sich das versicherte Risiko ebenfalls nicht verwirklichen können, weil der Betrieb schon zuvor geschlossen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Gesetzgeber habe es trotz des Weiterbestehens des EpiG für notwendig erachtet, zahlreiche COVID‑19‑Gesetze zu beschließen. Dies spreche dafür, dass die COVID‑19‑Situation weit über jene hinausgehe, die der Gesetzgeber des EpiG vor Augen gehabt habe. Im Versicherungsvertrag werde aber ausschließlich auf das EpiG abgestellt. Die Absonderungsbescheide seien rechtlich irrelevant gewesen, weil der Hotelbetrieb im Zeitpunkt der ersten Absonderung (8. 4. 2020) bereits geschlossen gewesen sei. Die Absonderungsbescheide hätten sich daher nicht auf die Betriebsschließung ausgewirkt.

[8] Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an dieses zurück. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass Betretungsverbote aufgrund des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes weder qualitativ noch quantitativ einer Schließung des Betriebs nach dem EpiG entsprechen. Die Absonderungsbescheide seien demgegenüber aufgrund des EpiG ergangen, die für sich alleine noch keine Betriebsschließung verfügen würden. Das Erstgericht habe aber keine Feststellungen zu dem Vorbringen der Klägerin erstattet, wonach der Hotelbetrieb und das Mitarbeiterwohnhaus eine organisatorische Einheit bilden würden, die betroffenen Mitarbeiter dort abgesondert worden seien und die BH Bruck an der Leitha telefonisch bekräftigt habe, dass die übrigen, nicht von der Absonderung betroffenen Mitarbeiter, den Hotelbetrieb und das Mitarbeiterwohnhaus nicht betreten dürften. Träfen diese Behauptungen zu, hätten die Absonderungsbescheide zu einer Betriebsschließung geführt, die ihre Rechtsgrundlage im EpiG hätte. Es läge dann eine Konkurrenz einer ungedeckten (Betretungsverbot nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz) mit einer gedeckten (Absonderungsbescheide verbunden mit der genannten mündlichen Anordnung) Schadensursache vor, in welchem Fall die Versicherungsdeckung für einen allfälligen Schaden der Klägerin aufgrund der Betriebsunterbrechung vom 8. 4. 2020 bis 9. 5. 2020 bestünde.

[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zu den Fragen Rechtsprechung fehle, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen Betretungsverbote aufgrund des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes und aufgrund von Absonderungsbescheiden nach dem EpiG den Versicherungsfall in der Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung herbeiführten sowie welche versicherungsrechtliche Konsequenz die Konkurrenz von gedeckten und nicht gedeckten Schadensursachen hätte.

[10] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Klägerin begehrt, den Rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[12] Der Rekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

[13] 1. Rechtslage:

[14] 1.1 Gemäß § 20 Abs 1 EpidemieG (EpiG) 1950 (BGBl 1950/186 idgF) kann beim Auftreten gewisser Krankheiten, die in dieser Bestimmung taxativ aufgezählt werden, die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betrieb bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde. § 20 Abs 2 leg cit ermöglicht unter denselben Voraussetzungen die Schließung oder Beschränkung einzelner Betriebsstätten sowie die Untersagung des Betretens der Betriebsstätten durch einzelne Personen, die mit Kranken in Berührung kommen. Gemäß § 20 Abs 3 leg cit ist die Schließung einer Betriebsstätte jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.

[15] In der Liste der vom EpiG ausdrücklich erfassten Krankheiten ist COVID‑19 zwar nicht angeführt; das Gesetz enthält aber eine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister für Gesundheit, wonach weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterworfen werden (§ 1 Abs 2 EpiG) und zur Grundlage von Betriebsschließungen gemacht werden könne (§ 20 Abs 4 EpiG).

[16] Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat von dieser Verordnungsermächtigung gemäß § 20 Abs 4 EpiG Gebrauch gemacht und mit Verordnung vom 28. 2. 2020 (Art 1 BGBl II 2020/74) angeordnet, dass die in § 20 Abs 1 bis 3 des EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) getroffen werden können.

[17] 1.2.1 Am 16. 3. 2020 trat das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (BGBl I 2020/12; folgend: COVID‑19‑Maßnahmengesetz) in Kraft. Gemäß § 1 dieses Gesetzes konnte der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung konnte geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. § 4 leg cit enthält Regelungen über das Verhältnis zwischen EpiG und COVID‑19‑Maßnahmengesetz. Gemäß § 4 Abs 2 leg cit gelangten die Bestimmungen des EpiG betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung, wenn der Bundesminister gemäß § 1 leg cit eine Verordnung erlassen hatte. Die Bestimmungen des EpiG blieben unberührt (§ 4 Abs 3 leg cit).

[18] 1.2.2 Am 21. 3. 2020 erfolgte durch Artikel 26 des 2. COVID‑19‑Gesetzes (BGBl I Nr 2020/16) eine Änderung des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes. In § 1 wurde nach der Wortfolge „Waren und Dienstleitungen“ die Wortfolge „oder Arbeitsorte im Sinn des § 2 Abs 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz“ eingefügt. Nach § 4 Abs 1 des COVID‑19‑Maßnahmengesetz wurde ein Absatz 1a hinzugefügt, wonach Abs 2 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr I 2020/16 rückwirkend mit 16. 3. 2020 in Kraft tritt. In § 4 Abs 2 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes wurde der Satz angefügt „im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung“. Dadurch wurde nach dem Ausschussbericht klargestellt, dass weiterhin Betretungsverbote gemäß § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz einerseits und Betriebsschließungen gemäß § 20 EpiG andererseits möglich sind (ErläutRV 112 BlgNR 27. GP  14). Der Gesetzgeber schloss die Geltung der Regelungen des EpiG über die Schließung von Betriebsstätten betreffend Maßnahmen nach § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz aus. Mit der Schaffung des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes verfolgte er offenkundig (auch) das Anliegen, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpiG, konkret nach dessen § 20 iVm § 32, auszuschließen (VfGH G 202/2020 ua [Pkt 2.4.2.2]).

[19] 1.3.1 Am 15. 3. 2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Verordnung nach § 2 Z 1 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes (BGBl II Nr 2020/98) mit nachstehendem Inhalt:

„Auf Grund von § 2 Z 1 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, wird angeordnet:

§ 1 Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.

[...]

§ 5 Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft.“

[20] 1.3.2 Ebenfalls  am 15. 3. 2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine weitere Verordnung (BGBl II Nr 2020/96) mit nachstehendem Inhalt:

„Aufgrund § 1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19‑Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, wird verordnet:

§ 1 Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit‑ und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit‑ und Sportbetrieben ist untersagt.

[...]

§ 3 (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

[...]

(3) Abs 1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.

[...]

(5) Abs 1 gilt nicht für Lieferservice.

§ 4 (1) § 1 und 2 dieser Verordnung treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft.

(2) § 3 tritt mit 17. März 2020 in Kraft.

(3) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft.“

[21] 1.3.3 Am 2. 4. 2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Verordnung (BGBl II Nr 2020/130, mit der die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 geändert wird.

„§ 4 lautet:

§ 4 (1) Das Betreten von Beherbergungsbetrieben zum Zweck der Erholung und Freizeitgestaltung ist untersagt.

...

(3) Abs 1 gilt nicht für Beherbergungen

...

3. aus beruflichen Gründen oder

....“

[22] Weiters wird das Inkrafttreten dieser Verordnung mit Ablauf des 3. 4. 2020 angeordnet.

[23] 2.1 Nach ständiger Rechtsprechung werden Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) als Allgemeine Geschäftsbedingungen Vertragsbestandteil, wenn sie vertraglich vereinbart wurden (7 Ob 119/19d mwN); andernfalls kommt – wenn Art der Versicherung, versichertes Risiko und Prämie feststehen – der Versicherungsvertrag ohne AVB zustande (RS0117649; vgl RS0062323 [T5]). Dem Versicherungsnehmer muss deutlich erkennbar sein, dass der Versicherer nur zu seinen AVB kontrahieren will (RS0014506 [T1]); diesem Willen muss sich der Versicherungsnehmer unterworfen haben. Dafür wird gefordert, dass in der Vertragsunterlage zumindest ein deutlicher Hinweis auf die Einbeziehung der AVB enthalten ist und der Versicherungsnehmer die Möglichkeit hat, sich die AVB zu beschaffen und deren Inhalt zu erfahren. Insofern reicht für deren Einbeziehung in das Vertragsverhältnis etwa die Anführung der maßgebenden AVB auf dem vom Kunden unterfertigten Antragsformular aus, ohne dass es auf die Aushändigung der AVB an den Versicherungsnehmer ankäme (RS0117648 [T1, T3], 7 Ob 119/19d).

[24] 2.2 Die von der Klägerin vorgelegte Urkunde Beil ./C (Anbot und Antrag), deren Inhalt unstrittig ist, enthält an zwei Stellen folgenden Hinweis:

Klauseln

... F 472 ...

[25] 2.3 Durch diesen Hinweis in Anbot und Antrag ist der Klägerin ausreichend deutlich gemacht worden, dass die Beklagte zum Abschluss der Bündelversicherung nur zu ihren Allgemeinen Vertragsbedingungen (hinsichtlich der hier interessierenden Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr nur zu den Bedingungen F 472) bereit ist. Dass die Klägerin nicht die Möglichkeit hatte, die AVB vor Vertragsabschluss von der Beklagten anzufordern, wird von ihr selbst nicht behauptet.

[26] 2.4 Die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr F 472 wurden damit Vertragsinhalt.

[27] 3.1 Generell ist die Betriebsunterbrechungsversicherung eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RS0080975). Die zu beurteilende Betriebsausfallversicherung wird auch als Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung oder in Deutschland als „Betriebsschließungsversicherung“ bezeichnet (7 Ob 214/20a).

[28] 3.2 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RS0050063; RS0112256). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (RS0008901 [T5, T7, T87]). Versicherungsbedingungen sind aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (RS0008901 [T10]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[29] 3.3 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung, mit der festgelegt wird, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind (vgl RS0080166 [T10]).

[30] 3.4 Nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 muss der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde nach dem EpiG (in der letztgültigen Fassung) zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen worden sein. Die Klägerin begründet die Leistungspflicht der Beklagten ausschließlich damit, dass ihr Hotelbetrieb aufgrund der oben zitierten – auf der Grundlage des COVID‑19‑Maßnahmengesetz erlassenen – Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nicht betreten werden durfte, was sie als Betriebsschließung nach der Bedingungslage qualifiziert. Auf eine konkret nach dem EpiG angeordnete behördliche Schließung ihres Betriebs beruft sie sich hingegen nicht.

[31] 3.5 Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur identen Bedingung in seiner Entscheidung vom 24. 2. 2021, 7 Ob 214/20a, wie folgt Stellung genommen:

[32] 3.5.1 Unter einer Seuche versteht man eine Infektionskrankheit, die infolge ihrer großen Verbreitung und der Schwere des Verlaufs eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Diese Definition trifft unzweifelhaft auf COVID‑19 zu.

[33] 3.5.2 Nach der genannten Bedingung gewährt die Beklagte Versicherungsschutz für den Fall, dass aufgrund des EpiG der Betrieb des Versicherungsnehmers von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird. Diese Risikodeckung verlangt die „Schließung“ des versicherten Betriebs. Ob die Schließung des Betriebs durch die Behörde mit Bescheid, mittels Verordnung oder möglicherweise durch unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls‑ und Zwangsgewalt erfolgt, ist nach dem Wortlaut des Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht maßgeblich. Ob die hoheitlich angeordnete Schließung auf individuelle oder generelle Weise erfolgt, macht für die Deckungspflicht des Versicherers keinen Unterschied.

[34] 3.5.3 Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass einerseits Betretungsverbote nach § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz und andererseits Betriebsschließungen nach § 20 EpiG möglich sein sollen. Sowohl das EpiG als auch das COVID‑19‑Maßnahmengesetz stehen in Kraft. Es bestehen daher zwei verschiedene behördliche Maßnahmen nebeneinander.

[35] 3.5.4 Ein nach §§ 1 und 2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz angeordnetes Betretungsverbot ist aber schon begrifflich etwas anderes als eine (nach den Versicherungsbedingungen erforderliche) Betriebsschließung nach dem EpiG. Eine Schließung des Betriebs nach den Bedingungen F 472 muss zu einem gänzlichen Betriebsstillstand führen, während bei einem Betretungsverbot dem Wortlaut nach grundsätzlich kein solcher Betriebsstillstand eintritt, weil weiterhin die teilweise Aufrechterhaltung des Betriebs möglich ist (zB durch Online‑Bestellungen; Abholungen; Zustellungen, Beherbergung von Geschäftsreisenden). Schon ausgehend vom Wortlaut besteht daher ein erheblicher Unterschied zwischen einem Betretungsverbot und einer Betriebsschließung. Darauf, ob sich ein Betretungsverbot für einzelne Betriebe von Versicherungsnehmern faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es bei der Auslegung der vereinbarten Bedingungslage (vereinbartes Risiko) hingegen nicht an.

[36] Eine Betriebsschließung ist qualitativ ein anderes Risiko als ein Betretungsverbot, sodass es unerheblich ist, in welchen Gesetzen es angeordnet wird, weil nach den Bedingungen F 472 nur Betriebsschließungen gedeckt sind. Das Risiko einer bloß faktisch als Nebenwirkung eingetretenen Betriebsschließung aufgrund des hier angeordneten Betretungsverbots nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz ist daher von Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht gedeckt.

[37] Darüber hinaus soll der Versicherer nach den Bedingungen F 472 (Art 5) hinsichtlich der Entschädigung auch bloß in Vorlage treten, sodass er nach dieser Vereinbarung nach Eingang der Entschädigungsleistung des Bundes (vgl § 32 Abs 4 EpiG) nur die Differenz zum (allfällig) höheren Schaden zu tragen hat. Das COVID‑19‑Maßnahmengesetz sieht anders als das EpiG (§ 20 iVm § 32) keine Ersatzleistungen des Bundes vor, auch wenn der Gesetzgeber das Betretungsverbot in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket eingebettet hat, das funktional darauf abzielt, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots auf die davon betroffenen Unternehmen bzw allgemein die Folgen der COVID‑19‑Pandemie abzufedern. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer kann nicht erwarten, dass er bei einem derart auch (quantitativ) erhöhten Risiko des Versicherers durch eine mit dem EpiG wirtschaftlich nicht vergleichbare Rechtslage dennoch auch für Maßnahmen nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz bei selber Prämie gleiche Versicherungsdeckung erhält.

[38] 3.6 Im vorliegenden Fall bestand nach den Behauptungen der Klägerin für ihren Hotelbetrieb nach den auf Grundlage von § 2 Abs 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz erlassenen – oben dargestellten – Verordnungen ein Betretungsverbot. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen steht der Klägerin während dieses angeordneten Betretungsverbots keine Versicherungsleistung zu.

[39] 4. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass am 8. 4. 2020 an drei Mitarbeiter der Klägerin Absonderungsbescheide ergingen, wobei der letzte mit 9. 5. 2020 außer Kraft trat.

[40] 4.1 Soweit die Klägerin erstmals in der Rekursbeantwortung meint, durch die Absonderung der Mitarbeiter bestünde jedenfalls Deckung nach Art 1.1.3 der Bedingungen F 472 verstößt sie gegen das Neuerungsverbot, zumal sie – selbst in der Rekursbeantwortung – keinerlei Tatsachenvorbringen zu den in den genannten Bedingungen konkret angeführten Voraussetzungen erstattete.

[41] 4.2 Die Klägerin brachte im erstgerichtlichen Verfahren vor, dass die drei abgesonderten Dienstnehmer im versicherten Hotelbetrieb bzw im gegenüberliegenden Wohnhaus wohnten, der Hotelbetrieb und das Mitarbeiterwohnhaus eine organisatorische Einheit bilden würden und eine Mitarbeiterin anlässlich der Absonderung vom zuständigen Sachbearbeiter der BH Bruck an der Leitha telefonisch angewiesen worden sei, dass die übrigen, nicht von den Absonderungsbescheiden umfassten Mitarbeiter, zu Hause zu bleiben hätten und niemand außer den abgesonderten Personen das Hotel und das Mitarbeiterwohnhaus betreten dürften. Ein schriftlicher Betriebsschließungsbescheid sei nicht ergangen, da der Betrieb bereits aufgrund der Verordnung des Bundesministers geschlossen worden sei. Kontrollen durch die Exekutive auf Einhaltung der Anordnungen, insbesondere ob sich auch andere Personen als die abgesonderten in den Häusern aufhalten würden, seien angekündigt und auch durchgeführt worden. Damit sei eine Betriebsschließung nach dem EpiG erfolgt.

[42] 4.2.1 Die Absonderung einzelner Mitarbeiter, auch wenn sie auf dem EpiG gründet, stellt ebenfalls schon begrifflich keine für die Deckungspflicht vorausgesetzte behördlich angeordnete Schließung des Betriebs – im oben dargestellten Sinn – dar.

[43] Überdies steht die Absonderung – wie auch eine Erkrankung – einzelner Mitarbeiter der Fortführung des Betriebs im Allgemeinen nicht entgegen, ist doch auch beispielsweise ein Rückgriff auf Leiharbeitskräfte denkbar. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer wird daher einen absonderungs‑ oder krankheitsbedingten Ausfall von einzelnen Mitarbeitern keinem behördlich angeordneten Betriebsstillstand gleichsetzen. Darauf, ob sich ein Absonderungsbescheid betreffend einzelner Mitarbeiter faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es gleichfalls nicht an (vgl 7 Ob 214/20a).

[44] Selbst bei Berücksichtigung der weiters behaupteten besonderen örtlichen Verhältnisse und Anweisungen im konkreten Fall steht der von der Klägerin daraus abgeleiteten Annahme der Anordnung einer Betriebsschließung schon Folgendes entgegen:

[45] 4.3 Die von der Klägerin behauptete Anweisung erfolgte an eine einzelne abgesonderte Mitarbeiterin, die noch nicht einmal Organ der Klägerin ist. Es liegt weder eine durch Ausübung der unmittelbaren Befehls‑ und Zwangsgewalt noch eine durch Erlassung eines wirksamen telefonischen Bescheids an die Klägerin adressierte Anordnung einer Betriebsschließung vor.

[46] 4.3.1.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt dann vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar – das heißt ohne vorangegangenem Bescheid – in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als „Zwangsgewalt“ zumindest aber als – spezifisch verstandene – Ausübung von „Befehlsgewalt“ gedeutet werden kann. Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt ein ausdrücklicher Befolgungsanspruch nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen müsste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (VwGH Ro 2020/01/0010 mwzN).

[47] 4.3.1.2 Abgesehen davon, dass – wie bereits erwähnt – die behauptete Anordnung schon nicht gegenüber der Klägerin erging, wies sie auch sonst keine der eben dargestellten Voraussetzungen der Ausübung von unmittelbarer Befehls‑ und Zwangsgewalt auf.

[48] 4.3.2.1 Eine Bescheiderlassung gemäß § 62 Abs 1 AVG setzt die Bescheidverkündung in Gegenwart (physischer Anwesenheit) der Partei voraus (VwGH Ro 2020/01/0007 mwzN).

[49] 4.3.2.2 Nach § 3 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs (COVID‑19‑VwBG idF BGBl I Nr 2020/16) wurde angeordnet:

„Wenn aufgrund von Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 getroffen werden, die Bewegungsfreiheit oder der zwischenmenschliche Kontakt eingeschränkt ist, sind mündliche Verhandlungen (§§ 4044 AVG; §§ 43 und 44 VStG), Vernehmungen (§§ 4851 AVG; § 24 VStG iVm §§ 4851 AVG, § 33 VStG) mit Ausnahme von audivisuellen Vernehmungen (§ 51a AVG; § 24 VStG iVm § 51a AVG) und dergleichen nur durchzuführen, soweit dies zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich ist. Gleiches gilt für den mündlichen Verkehr zwischen den Behörden und den Beteiligten einschließlich der Entgegennahme mündlicher Anbringen sowie mit sonstigen Personen im Rahmen der Durchführung des Verfahrens. Ist die Durchführung einer Vernehmung oder einer mündlichen Verhandlung unbedingt erforderlich, so kann sie auch in Abwesenheit aller anderen Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel durchgeführt werden.“

[50] Nach den Materialien JA BlgNr 397/A 27 GP , S 37 soll die Regelung insbesondere für mündliche Verhandlungen und Vernehmungen gelten, aber auch für vergleichbare Verfahrenshandlungen der Behörde (arg „und dergleichen“). In Betracht kommen etwa die öffentliche Erörterung im Großverfahren (§ 44c AVG) oder formlose mündliche Befragungen von „Auskunftspersonen“ und anderes mehr.

[51] Weder im Gesetzestext noch in den Materialien wird die (mündliche) Bescheiderlassung an sich und schon gar nicht die Möglichkeit einer telefonischen Verkündung angesprochen. § 3 COVID‑19‑VwBG idF BGBl I Nr 2020/16 führte insoweit nicht zu einer Erweiterung des § 62 AVG.

[52] 4.3.2.3  Am 15. 5. 2020 (BGBl I Nr 2020/43) trat § 46 EpiG in Kraft, der lautet:

„§ 46 (1) Bescheide gemäß §§ 7 oder 17 dieses Bundesgesetzes können für die Dauer der Pandemie mit COVID‑19 abweichend von § 62 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991 in der geltenden Fassung, aufgrund eines Verdachts mit der Infektion von SARS‑CoV‑2 auch telefonisch erlassen werden.

[...]

(3) der Inhalt und die Verkündung eines telefonischen Bescheides ist zu beurkunden und der Partei zuzustellen.“

[53] Im EpiG wurde damit erst mit Inkrafttreten dieser Bestimmung die Möglichkeit, die dort genannten Bescheide unter den konkret angeführten Voraussetzungen auch telefonisch erlassen zu können, eingeführt. Abgesehen davon, dass diese Möglichkeit nicht für die Anordnung der Betriebsschließung eingeräumt wird, erfolgte die hier von der Klägerin behauptete telefonische Bescheidverkündung auch vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung.

[54] Die vorgebrachte telefonische Bescheidverkündung, die auch nicht gegenüber der Klägerin erfolgte, war bereits formal unzulässig und konnte keine Rechtswirkungen erzeugen (vgl VwGH 88/03/0150).

[55] 4.4 Bereits aus den Behauptungen der Klägerin lässt sich keine wirksame verwaltungsbehördliche Anordnung einer Betriebsschließung ihr gegenüber ableiten. Eine Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage ist daher – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht erforderlich.  Vielmehr ist aufgrund der möglichen abschließenden Beurteilung das abweisende erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

[56] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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