OGH 7Ob214/20a

OGH7Ob214/20a24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch dieSenatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* K*, vertreten durch die Mähr Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei U* Versicherungen AG, *, vertreten durch die ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 59.999,94 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Oktober 2020, GZ 4 R 135/20i‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2020, GZ 57 Cg 51/20t‑14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E130821

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 3.333,33 EUR sA und eines Zinsenmehrbegehrens – insgesamt lautet:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 59.999,94 EUR samt 9,2 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 13. 4. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.053,20 EUR (darin enthalten 1.342,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.273,32 EUR (darin enthalten 2.146 EUR Barauslagen und 521,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 5.113,70 EUR (darin enthalten 2.861 EUR Barauslagen und 375,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger betreibt in einer (vom Tourismus geprägten ländlichen) Gemeinde in Vorarlberg ein Hotel. Er schloss mit der Beklagten einen Betriebsausfall-versicherungsvertrag. Der Kläger nahm nach Erweiterungen und Adaptierungen seines Hotels im Jahr 2014 eine Konvertierung der bei der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsverträge vor. Dabei wurde über Vorschlag des Versicherungsagenten der Beklagten auch der Deckungsbaustein „Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes“ in den Versicherungsvertrag mit aufgenommen. Davor erkundigte sich der Kläger beim Versicherungsagenten über die von diesem vorgeschlagene Versicherung. Dieser erklärte ihm, dass ein Schaden resultierend aus einer behördlichen Betriebsschließung aufgrund einer vom Betrieb ausgehenden Seuchengefahr oder beispielsweise bei einer Salmonellenvergiftung im Betrieb versichert ist. Dass Voraussetzung für die Versicherungsleistung ist, dass die behördliche Betriebsschließung aufgrund des Epidemiegesetzes 1950 erfolgt, wurde im Gespräch nicht thematisiert.

„Ob der Kläger den Deckungsbaustein ‚Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes‘ auch dann mitversichert hätte, wenn ihn [der Versicherungsagent] anlässlich des mündlichen Gesprächs vor der Konvertierung ausdrücklich darauf hingewiesen hätte, dass eine Betriebsschließung nur dann erfasst ist, wenn diese auf Basis des Epidemiegesetzes erfolgt, ist nicht feststellbar.“

[2] Vereinbart sind die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr, Betrieb & Planen – Fassung 10/2011 (F 472; folgend: Bedingungen F 472). Diese lauten auszugsweise:

Deckungsumfang

Was ist versichert? ‑ Artikel 1

1. Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass auf Grund des Epidemiegesetzes (BGBl 186/1950) in der letztgültigen Fassung,

1.1 der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird,

1.2 die Entseuchung, Vernichtung oder Beseitigung von Waren in diesem Betrieb angeordnet wird, weil anzunehmen ist, dass sie mit Seuchenerregern behaftet sind; soweit dieser Einschluss in der Polizze getroffen wurde,

1.3 in diesem Betrieb beschäftigte Personen ihre Tätigkeit wegen Erkrankung an Seuchen, entsprechenden Krankheits- oder Ansteckungsverdachts oder als Ausscheider/Ausscheidungsverdächtiger von Erregern von Enteritis infectiosa, Paratyphus A und B, übertragbarer Ruhr und Typhus abdominalis untersagt wird.

[…]

Im Schadenfall

Die Leistung der Versicherung – Artikel 4

1. Der Versicherer ersetzt Schäden, die entstehen

1.1 zu Art. 1 Pkt. 1.1 infolge Betriebsschließung

‑ durch entgehenden Gewinn,

‑ durch Aufwendung der trotz der Betriebsschließung weiterlaufenden Geschäftskosten vor Wiedereröffnung,

‑ durch Mehraufwand der zum Ausgleich von Kundenverlusten anfallenden Geschäftskosten nach Wiedereröffnung.

Pro Schließungstag wird maximal die Tageshöchstentschädigung geleistet.

Die Tageshöchstentschädigung errechnet sich folgendermaßen: Erstrisikosumme/Haftzeit

Für Saisonbetriebe, das sind Betriebe, die nur während eines bestimmten Zeitraums des Jahres betrieben werden, oder Betriebe, die während eines bestimmten Zeitraums des Jahres Vollbetrieb haben und außerhalb der Saison den Betrieb stark einschränken, wird zur Feststellung der Entschädigung der Vorjahreswert des gleichen Zeitraumes herangezogen. Außerhalb der Saison wird maximal 75 % der Tageshöchstentschädigung geleistet, es sei denn, dass der Anteil der Tageshöchstentschädigung den Schließungsschaden erheblich übersteigt.

Wertverluste, die der Versicherungsnehmer an Waren erleidet, sind nur mit besonderer Vereinbarung und nur im Rahmen der dafür polizzierten Versicherungssumme versichert.

[…]

Übergang des Entschädigungsanspruches – Artikel 5

Der Anspruch auf Entschädigung, der dem Versicherungsnehmer aus Anlass der behördlichen Betriebsschließung gegen den Bund zusteht, geht auf den Versicherer nach Maßgabe seiner Versicherungsleistung über. Auf Verlangen des Versicherers ist diesem eine entsprechende Abtretungsurkunde auszustellen. …“

[3] Eine noch weiterreichende und umfassendere Seuchenversicherung als die im Versicherungsvertrag des Klägers ohnehin enthaltene wurde und wird von der Beklagten nicht angeboten.

[4] Da die monatliche Prämie für diesen zusätzlichen Deckungsbaustein nur 6,72 EUR (80,84 EUR pro Jahr) betrug, entschied sich der Kläger für die Deckung.

[5] Im Jahr 2019 nahm er in seinem Hotel Umbaumaßnahmen vor und stockte dieses auf 132 Betten auf. Am 2. 1. 2020 wurde die Polizze „erneuert“. Die Vertragsdauer der Betriebsausfallversicherung umfasst laut letztgültiger Vereinbarung den Zeitraum vom 1. 8. 2017 bis 1. 1. 2028.

[6] Die Anzahl der positiv auf COVID‑19 getesteten Personen war im Zeitraum 14. 3. 2020 bis 13. 4. 2020 am 26. und 27. 3. 2020 am (vorläufigen) Höchststand. Am 27. 3. 2020 waren österreichweit deutlich mehr Personen positiv auf COVID‑19 getestet als noch am 14. 3. 2020.

[7] Nachdem die Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 14. 3. 2020 eine Verordnung betreffend die Schließung von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS‑CoV‑2 im gesamten Bezirk erlassen hatte, schloss der Kläger bereits am 15. 3. 2020 seinen Hotelbetrieb. Aufgrund der nachfolgenden Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg vom 27. 3. 2020, Vlbg LGBl 2020/16, mit der ein Betretungsverbot von Beherbergungsbetrieben als Touristin oder Tourist im Landesgebiet angeordnet worden war, hielt der Kläger über den Ablauf des 27. 3. 2020 hinaus sein Hotel bis einschließlich 13. 4. 2020 geschlossen.

[8] Dem Kläger ist im Zeitraum der Betriebsschließung täglich ein Schaden von rund 6.898,78 EUR entstanden. Er machte gegenüber der Beklagten aufgrund der Betriebsschließung für 30 Tage 100.000 EUR geltend.

[9] Aufgrund der Schließung des Hotels des Klägers im Zeitraum vom 16. 3. 2020 bis einschließlich 27. 3. 2020 erbrachte die Beklagte eine Versicherungsleistung von 40.000 EUR.

[10] Mit am 2. 4. 2020 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz eingebrachten Antrag machte der Kläger Ansprüche auf Vergütung seines Verdienstentgangs gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 geltend. Ob er vom Bund in Zukunft eine Entschädigung erhalten wird und wenn ja, in welcher Höhe, ist nicht feststellbar. Ohne COVID‑19 hätte der Kläger seinen Betrieb ab 14. 4. 2020 saisonbedingt ohnehin geschlossen; aus diesem Grund sperrte er sein Hotel auch nicht wieder auf.

[11] Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 59.999,94 EUR sA mit der Begründung, sein Betrieb habe aufgrund von COVID‑19‑Maßnahmen mit 15. 3. 2020 geschlossen werden müssen. Zwar sei die Verordnung über die Betriebsschließung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz mit Kundmachung vom 27. 3. 2020 aufgehoben worden, jedoch sei zugleich mit Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg vom selben Tag ein Betretungsverbot für Beherbergungsbetriebe ausgesprochen worden, was einer Betriebsschließung im Sinn der Versicherungsbedingungen gleichzusetzen sei, sodass für weitere 18 Tage, in denen die Betriebsschließung fortgedauert habe, die Versicherungsleistung aus der Betriebsausfallversicherung zustehe. Der tägliche Schaden habe sich jedenfalls auf mehr als 3.333,33 EUR belaufen. Die Betriebsschließung sei auf Basis des Epidemiegesetzes 1950 erfolgt. COVID‑19 sei eine Seuche, weshalb der Versicherungsfall verwirklicht sei. Das COVID‑19-Maßnahmengesetz, auf dem das Betretungsverbot gefußt habe, sei ein Spezialgesetz zum Epidemiegesetz 1950, habe dieses in gewissen Punkten ersetzt und sei bei Abschluss des Versicherungsvertrags noch nicht existent gewesen.

[12] Die Klage stütze sich auch auf Schadenersatz. Der der Beklagten zuzurechnende Versicherungsagent habe eine schuldhafte Verletzung von Aufklärungs‑ und Informationspflichten zu vertreten, weil er über ausdrückliche Nachfrage versichert habe, dass auch das Risiko einer Seuche vom Versicherungsschutz umfasst sei. Der Schaden liege im Entgang des Versicherungsschutzes, wobei sich in Anbetracht der Versicherungssumme von 100.000 EUR abzüglich der bereits geleisteten 40.000 EUR ein Schaden in Höhe von 60.000 EUR ergebe. Hätte er gewusst, dass kein umfassender Versicherungsschutz für Seuchen bestehe, hätte er den Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen, sodass – sofern keine Haftung aus dem Versicherungsvertrag bestehe – Schadenersatz zustehe. Jedenfalls seien die von ihm gezahlten Prämien frustriert.

[13] Die Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – ein, Voraussetzung für eine Versicherungsleistung sei, dass Schäden im versicherten Betrieb aufgrund von Maßnahmen oder Verfügungen, die auf dem Epidemiegesetz 1950 beruhten, eingetreten seien. Das mit Kundmachung vom 27. 3. 2020 verordnete Betretungsverbot von Beherbergungsbetrieben stütze sich jedoch nicht auf das Epidemiegesetz 1950, sondern auf das COVID‑19-Maßnahmengesetz, weshalb dem Kläger über den 27. 3. 2020 hinaus keine weiteren Ansprüche zustünden. Im Übrigen sei keine Schließung verordnet, sondern nur ein Betreten von Beherbergungsbetrieben verboten worden.

[14] Das versicherte Risiko sei ein anderes als jenes, das sich tatsächlich verwirklicht habe. Das Epidemiegesetz 1950 knüpfe daran an, dass eine besondere Gefahr für die Ausbreitung von Krankheiten von einem konkreten Betrieb ausgehe, also in diesem eine „seuchengeneigte Tätigkeit“ entfaltet werde. Ziel des COVID‑19-Maßnahmengesetzes sei es hingegen, Menschenansammlungen möglichst zu verhindern, um dadurch weitere Corona‑Infektionen und die Ausbreitung des Virus hintanzuhalten. Die auf Basis des COVID‑19-Maßnahmengesetzes erlassenen Betretungsverbote hätten jedoch nichts damit zu tun, dass die in den Betrieben ausgeübten Tätigkeiten an sich gefährlich im Hinblick auf die Verbreitung einer Seuche seien. Während das Epidemiegesetz 1950 nur regional deutlich begrenzte Schließungen erlaube, sehe das COVID‑19‑Maßnahmengesetz faktisch flächendeckende Betretungsverbote vor. Die Betretungsverbote würden lediglich zu faktischen Betriebsschließungen führen und ein anderes Risiko verwirklichen als jenes, das sie anknüpfend an das Epidemiegesetz 1950 übernommen habe.

[15] Der Seuchen-Betriebsunterbrechungsver-sicherungsbaustein sei über Empfehlung von ihrem Versicherungsagenten und nicht über Wunsch des Klägers in den Deckungsschutz aufgenommen worden. Von einem Szenario wie COVID‑19 sei damals nicht ansatzweise die Rede gewesen. Ein haftungsbegründender Beratungsfehler habe nicht vorgelegen. Ein Schaden sei schon deshalb nicht eingetreten, weil der Kläger dann, wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, dass nur auf das Epidemiegesetz 1950 gestützte Betriebsunterbrechungen versicherungsmäßig gedeckt seien, den Baustein nicht mitversichert hätte. Eine derart umfassende Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung wie vom Kläger nunmehr gewünscht, werde von ihr nicht angeboten.

[16] Das Erstgericht verpflichtete – soweit noch relevant – unter Abweisung des Mehrbegehrens die Beklagte zur Zahlung von 56.666,61 EUR sA. Halte man nicht am Wortlaut des Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 fest, sondern lasse bei der Auslegung auch den erkennbaren Zweck der Bedingung mit einfließen, könneein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass eine nachträgliche Gesetzesänderung durch das COVID‑19-Maßnahmengesetz bei einer faktisch durchgehenden behördlich bedingten Betriebsunterbrechung bei ein‑ und derselben Ausgangsgefahrenlage nicht zu einem nachträglichen Wegfall des bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes führen könne. Dem Kläger sei daher auch für den Zeitraum vom 28. 3. 2020 bis einschließlich 13. 4. 2020, sohin für weitere 17 Tage, Versicherungsdeckung zu gewähren. Ab dem 14. 4. 2020 stehe ihm keine Versicherungsleistung mehr zu, weil er auch ohne COVID‑19 ab diesem Tag seinen Betrieb saisonbedingt geschlossen hätte. Auch für den 15. 3. 2020 stehe ihm keine Versicherungsleistung zu, weil die mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz angeordnete Betriebs-schließung erst am 16. 3. 2020 in Kraft getreten sei. Insgesamt ergebe sich über den von der Beklagten bereits für den Zeitraum vom 16. 3. 2020 bis einschließlich 27. 3. 2020 geleisteten Betrag von 40.000 EUR hinaus ein weiterer ersatzfähiger Betrag von 56.666,61 EUR (17 Tage á 3.333,33 EUR) für den Zeitraum 28. 3. bis 13. 4. 2020.

[17] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und ergänzte, dass das in § 2 der Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg vom 27. 3. 2020 normierte Betretungsverbot von Beherbergungsbetrieben für Touristinnen und Touristen im gesamten Landesgebiet einer behördlichen Schließung des Hotels des Klägers gleichzusetzen sei. Dass der Kläger im Zusammenhang mit der Führung seines Hotels im Zeitraum vom 27. 3. bis 13. 4. 2020 irgendwelche betrieblichen Tätigkeiten (zB Weiterführen des Restaurantbetriebs durch Lieferservice) gesetzt hätte, sei nicht hervorgekommen und im erstinstanzlichen Verfahren auch nicht behauptet worden. Zwar sei in Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 festgehalten, dass Versicherungsschutz für den Fall gewährt werde, dass aufgrund des Epidemiegesetzes 1950 eine behördliche Schließung des Betriebs erfolge, die Bezeichnung als „Allgemeine Bedingungen für die Versicherung gegen die Folgen einer Betriebsschließung infolge Seuchengefahr“ könne jedoch bei einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer die nachvollziehbare Annahme begründen, dass damit Betriebsschließungen aufgrund jedweder Seuche versichert seien. Eine systematisch‑logische Interpretation der Bedingungen F 472 lasse die Annahme, dass Versicherungsschutz bei Betriebsschließung infolge Auftretens einer Seuche, unabhängig davon, ob die Betriebsschließung aufgrund des Epidemiegesetzes 1950 oder einer anderen – allenfalls anstelle des Epidemiegesetzes 1950 tretenden – gesetzlichen Regelung erfolge, als gerechtfertigt erscheinen. Zweck des Art 1.1.1 im Zusammenhang mit Art 4.1. der Bedingungen F 472 sei es, dem Versicherungsnehmer den Schaden zu ersetzen, der im Fall einer behördlichen Schließung seines Betriebs aufgrund von Seuchengefahr entstehe. Dieses am Zweck der Bestimmungen orientierte Auslegungsergebnis zeige, dass für die gesamte Zeit der Betriebsschließung Versicherungsdeckung zu gewähren sei. Mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar wäre es, dann, wenn – wie vorliegend – keine wie immer geartete Änderung der faktischen Verhältnisse eintrete, den Versicherungsschutz nur deshalb zu ändern, weil die Behörde eine Betriebsschließung nicht mehr auf das in den Versicherungsbedingungen genannte Epidemiegesetz 1950, sondern auf ein an dessen Stelle tretendes Gesetz, das COVID‑19-Maßnahmengesetz, stütze, zumal beide Gesetze dieselbe Zielsetzung, nämlich ein Hintanhalten der Verbreitung einer Seuche, verfolgten. Aus den Gesetzesmaterialien zum COVID‑19-Maßnahmengesetz lasse sich ableiten, dass dieses zwar nicht anstelle des Epidemiegesetzes 1950 treten solle, dass es jedoch dieselbe Stoßrichtung wie das Epidemiegesetz 1950 verfolge und lediglich als lex specialis in Anbetracht der mit COVID‑19 verbundenen besonderen Herausforderungen besondere Maßnahmen möglich machen solle. Ohne das COVID‑19-Maßnahmengesetz hätte der Betrieb des Klägers – so wie bis zum 27. 3. 2020 geschehen – auch auf der Basis des Epidemiegesetzes 1950 weiter geschlossen gehalten werden können. Das Risiko des Eintritts des Versicherungsfalls habe sich durch die vom Gesetzgeber vorgenommene Änderung, Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID‑19 dem COVID‑19-Maßnahmengesetz zu unterstellen, nicht erhöht. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags sei das Risiko einer pandemiebedingten Schließung des Betriebs des Klägers im Rahmen der Bedingungen F 472 versichert gewesen. Bejahe man die Frage, ob eine Betriebsschließung aufgrund des COVID‑19-Maßnahmengesetzes vom Versicherungsschutz umfasst bleibe, würde sich das vom Versicherer übernommene Risiko grundsätzlich nicht ändern; würde man diese Frage verneinen, würde das Risiko der Beklagten ohne Rückkoppelung auf die Prämienhöhe eingeschränkt werden. Allein der Umstand, dass das COVID‑19-Maßnahmengesetz keinen Entschädigungsanspruch vorsehe, der auf den Versicherer übergehen könnte, führe nicht dazu, dass es dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechen würde, den Versicherungsnehmer um seinen Ersatzanspruch aus dem Betriebsunterbrechungs-versicherungsvertrag gegenüber der Beklagten zu bringen. In der Frühphase der Pandemie im März 2020 seien touristische Einrichtungen (berechtigt) als maßgeblicher Katalysator bei der Verbreitung von COVID‑19 betrachtet worden. Die von der Beklagten in Abrede gestellte „seuchengeneigte Tätigkeit“ durch den Betrieb eines Hotels sei zumindest nach dem damaligen Kenntnisstand vorgelegen.

[18] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob ein behördliches Betretungsverbot für ein Hotel nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz einer Betriebsschließung nach dem Epidemiegesetz 1950 gleichzusetzen sei, ob daher Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 Versicherungsschutz auch für den Fall gewähre, dass eine Betriebsschließung aufgrund eines nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz ergangenen Betretungsverbots erforderlich geworden sei, fehle.

[19] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[20] Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[21] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[22] 1. Rechtslage:

[23] 1.1. Gemäß § 20 Abs 1 Epidemiegesetz 1950 (BGBl 1950/186 idgF; folgend: EpiG) kann beim Auftreten gewisser Krankheiten, die in dieser Bestimmung taxativ aufgezählt werden, die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betrieb bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde. § 20 Abs 2 leg cit ermöglicht unter denselben Voraussetzungen die Schließung oder Beschränkung einzelner Betriebsstätten sowie die Untersagung des Betretens der Betriebsstätten durch einzelne Personen, die mit Kranken in Berührung kommen. Gemäß § 20 Abs 3 leg cit ist die Schließung einer Betriebsstätte jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.

[24] In der Liste der vom EpiG ausdrücklich erfassten Krankheiten ist COVID‑19 zwar nicht angeführt; das Gesetz enthält aber eine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister für Gesundheit, wonach weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterworfen werden (§ 1 Abs 2 EpiG) und zur Grundlage von Betriebsschließungen gemacht werden können (§ 20 Abs 4 EpiG).

[25] Nachdem in Innsbruck am 25. 2. 2020 der erste Fall einer Corona‑Infektion aufgetreten war, hat der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz von dieser Verordnungsermächtigung gemäß § 20 Abs 4 EpiG Gebrauch gemacht und mit Verordnung vom 28. 2. 2020 (Art 1 BGBl II 2020/74) angeordnet, dass die in § 20 Abs 1 bis 3 des EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) getroffen werden können (vgl auch Fenyves, COVID‑19 und die Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung, VersRdSch H 5/2020, 34 [37 f]).

[26] In der Folge kam es – im Wesentlichen auf diese Regelung gestützt – zur Erlassung einer Reihe von Verordnungen durch Bezirkshauptmannschaften, in denen „verkehrsbeschränkende“ Maßnahmen angeordnet wurden. So erließ – im gegenständlichen Fall – die Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 14. 3. 2020, kundgemacht im Amtsblatt für das Land Vorarlberg Jahrgang 75/Nr 13, eine Verordnung betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebs und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS‑CoV‑2 im gesamten Bezirk mit nachstehendem Inhalt:

„Gemäß § 20 Abs 1 und 4 sowie § 26 Epidemiegesetz 1950, [...], in der geltenden Fassung, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS‑CoV‑2 [...] wird verordnet:

[...]

§ 2

(1) Beherbergungsbetriebe (§ 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994) sind gemäß § 20 Abs 1 und 4 und der Verordnung BGBl II Nr 74/2020 zu schließen.

[...]

§ 3

[...]

(2) § 2 tritt mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung dieser Verordnung, frühestens jedoch am 16. März 2020, 12.00 Uhr, in Kraft.

(3) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.“

[27] 1.2. Am 16. 3. 2020 trat das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (BGBl I 2020/12 in der maßgeblichen Fassung BGBl I 2020/16; folgend: COVID‑19-Maßnahmengesetz) in Kraft.

[28] Nach dem Bericht des Budgetausschusses zum COVID‑19-Maßnahmengesetz war der Gesetzgeber der Meinung, es habe sich mit dem Fortschreiten der Pandemie herausgestellt, dass die Maßnahmen des EpiG „nicht ausreichend bzw zu kleinteilig“ sind, um die weitere Verbreitung von COVID‑19 zu verhindern (102 BlgNR 27. GP , 5). Er sah sich daher zur Erlassung des COVID‑19-Maßnahmengesetzes veranlasst, das die Möglichkeit der Verhängung von Betretungsverboten eröffnet. Gemäß § 1 dieses Gesetzes (BGBl I 2020/12 in der anzuwendenden Fassung BGBl I 2020/16) konnte der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Kosumentenschutz beim Auftreten von COVID‑19 durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des § 2 Abs 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. Ferner konnte gemäß § 2 unter derselben Voraussetzung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden. Die Kompetenz zur Erlassung einer Verordnung gemäß § 2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes hing von ihrer Reichweite ab, bei Erstreckung auf das gesamte Landesgebiet war der Landeshauptmann zuständig (§ 2 Z 2 leg cit).

[29] § 4 leg cit enthielt Regelungen über das Verhältnis zwischen EpiG und COVID‑19-Maßnahmengesetz. Gemäß § 4 Abs 2 leg cit gelangten die Bestimmungen des EpiG betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung, wenn der Bundesminister gemäß § 1 leg cit eine Verordnung erlassen hatte. Die Bestimmungen des EpiG blieben unberührt (§ 4 Abs 3 leg cit). In der Folge wurden in Art 26 des 2. COVID‑19-Gesetzes vom 21. 3. 2020, BGBl I 2020/16, vom Gesetzgeber „Klarstellungen“ in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem EpiG und dem COVID‑19-Maßnahmengesetz vorgenommen. In § 4 Abs 2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes wurde der Satz eingefügt „im Rahmen des Anwendungsbereiches dieser Verordnung“. Dadurch sollte laut dem Ausschussbericht klargestellt werden, dass weiterhin Betretungsverbote gemäß § 1 COVID‑19-Maßnahmengesetz einerseits und Betriebsschließungen gemäß § 20 EpiG andererseits möglich sind (112 BlgNR 27. GP , 14). Der Gesetzgeber schloss die Geltung der Regelungen des EpiG über die Schließung von Betriebsstätten betreffend Maßnahmen nach § 1 COVID‑19-Maßnahmengesetz aus. Mit der Schaffung des COVID‑19-Maßnahmengesetzes verfolgte er offenkundig (auch) das Anliegen, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpiG, konkret nach dessen § 20 iVm § 32, auszuschließen (VfGH G 202/2020 ua [Punkt 2.4.2.2.]).

[30] Am 27. 3. 2020 erließ der Landeshauptmann von Vorarlberg eine Verordnung nach § 2 Z 2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes betreffend das Betreten von Seilbahnen und von Beherbergungsbetrieben zu touristischen Zwecken, Vlbg LGBl 2020/16, mit nachstehendem Inhalt:

„Auf Grund von § 2 Z 2 des Covid‑19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020 in der Fassung BGBl I Nr 16/2020, wird verordnet:

[...]

§ 2

Das Betreten von Beherbergungsbetrieben (§ 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994) als Touristin oder als Tourist ist im gesamten Landesgebiet verboten.

§ 3

Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.“

[31] Aufgrund dieser Verordnung des Landeshauptmanns für Vorarlberg hob die Bezirkshauptmannschaft Bregenz ihre Verordnung betreffend die Schließung der Beherbergungsbetriebe zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS‑CoV‑2 im gesamten Bezirk vom 14. 3. 2020, die an sich erst mit Ablauf des 13. 4. 2020 außer Kraft treten hätte sollen, mit Ablauf des 27. 3. 2020 vorzeitig wieder auf.

[32] 2. Strittig ist im Revisionsverfahren, ob dem Kläger eine Versicherungsleistung für den Zeitraum vom 28. 3. 2020 bis 13. 4. 2020 (Betretungsverbot auf der Grundlage des COVID‑19-Maßnahmengesetzes) zusteht.

[33] 3. Allgemeines und zur Auslegung von Art 1.1.1 der Bedingungen F 472:

[34] 3.1. Generell ist die Betriebsunterbrechungs-versicherung eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RS0080975). Die zu beurteilende Betriebsausfallversicherung wird auch als Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung oder in Deutschland als „Betriebsschließungsversicherung“ bezeichnet (Fenyves aaO 36).

[35] 3.2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RS0050063; RS0112256). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (RS0008901 [T5, T7, T87]). Versicherungsbedingungen sind aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (RS0008901 [T10]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[36] 3.3. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung, mit der festgelegt wird, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind (7 Ob 208/13h mwN uva; vgl RS0080166 [T10]).

[37] 3.4. Nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 muss der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde nach dem EpiG (in der letztgültigen Fassung) zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen werden.

[38] 3.5. Unter einer Seuche versteht man eine Infektionskrankheit, die infolge ihrer großen Verbreitung und der Schwere des Verlaufs eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Diese Definition trifft unzweifelhaft auf COVID‑19 zu (Prader/Weber, COVID‑19 – ein Fall der Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige?, Zak 2020/264, 164 [166 mwN]).

[39] 3.6. Nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 muss die Seuche im EpiG genannt sein. Durch die Formulierung „in der letztgültigen Fassung“ liegt ein dynamischer Verweis auf die Bestimmungen des EpiG vor, sodass im Versicherungsfall nicht die Rechtslage bei Abschluss des Versicherungsvertrags, sondern jene im Zeitpunkt des Versicherungsfalls entscheidend ist (Fenyves aaO 37). Die Parteien haben (zulässigerweise und ausreichend bestimmt) künftige Änderungen des EpiG antizipiert und wollten diese in den Versicherungsschutz einbeziehen (vgl Schauer in r+s 2020, 698 [700] [Anmerkung zur erstinstanzlichen Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch]). Der Versicherungsnehmer darf bei Vertragsabschluss aufgrund der „dynamischen Verweisung“ davon ausgehen, dass alle Krankheiten, die bei Eintritt des Versicherungsfalls vom EpiG erfasst sind, vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen.

[40] Am 29. 2. 2020 trat – wie oben zu Punkt 1.1. dargestellt – die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS‑CoV‑2, BGBl II 2020/74, in Kraft. Nach deren Art 1 können die in § 20 Abs 1 bis 3 des EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) getroffen werden. Seitdem wird die Erkrankung an COVID‑19 vom EpiG erfasst und begründet den Versicherungsschutz.

[41] 3.7. Nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 gewährt die Beklagte Versicherungsschutz für den Fall, dass aufgrund des EpiG der Betrieb des Klägers von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird. Diese Risikodeckung verlangt die „Schließung“ des versicherten Betriebs. Es muss daher eine gänzliche Unterbrechung des Betriebs vorliegen, das heißt ein vollständiger Stillstand der Betriebsabläufe eingetreten sein (vgl 7 Ob 137/14v; 7 Ob 49/19k).

[42] 3.8. Auch wenn bei Vertragsabschluss niemand mit einer Pandemie wie COVID‑19 gerechnet hat, so ist der Versicherer dennoch zur Deckung entsprechend seiner Zusage verpflichtet. Es kommt daher nur auf die Auslegung von Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 aus der Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers (vgl oben Punkt 3.2.) an.

[43] Ein etwaiger Wille des Versicherers, die Deckung auf solche Betriebsschließungen zu beschränken, die durch von innerhalb des Betriebs auftretenden Seuchen verursacht wurden, kommt in Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht zum Ausdruck. Dies kann auch nicht aus Art 1.1.2 und Art 1.1.3 der Bedingungen F 472 erschlossen werden, wird doch in ihnen ein Bezug zum konkreten Betrieb ausdrücklich hergestellt. Nach Art 1.1.2 der Bedingungen F 472 muss der Seuchenerreger im Betrieb bzw bei den zu vernichtenden Waren vorhanden sein, Art 1.1.3 der Bedingungen F 472 bezieht sich auf einen Ansteckungs‑ oder Krankheitsverdacht von im Betrieb Beschäftigten. Da ein solcher (einschränkender) Bezug auf den konkreten Betrieb in Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 fehlt, zieht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer(e contrario) den Schluss, dass es bei der Betriebsschließung nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nur auf das Faktum der Betriebsschließung ankommt und nicht darauf, dass diese auch noch durch eine innerhalb des Betriebs (intrinsisch) auftretende Seuche verursacht worden sein muss. Es genügt damit, wenn die Schließung – wie in den COVID‑19-Fällen – erfolgt, um die Ausbreitung einer außerhalb des Betriebs entstandenen Infektionsquelle einzudämmen und setzt kein Auftreten der Seuche im Betrieb selbst voraus.

[44] Das EpiG in seiner aktuellen Fassung, auf das die Bedingungslage verweist, hat außerdem nicht nur das Risiko der Übertragung von Krankheiten vor Augen, die mit dem im Betrieb ausgeübten Gewerbe zusammenhängen. Der Katalog der anzeigepflichtigen Krankheiten umfasst seit mehreren Jahren auch Krankheiten wie SARS und Mers‑CoV („neues Corona‑Virus“) (vgl § 1 Abs 1 Z 1 EpiG idF BGBl I 2016/63). Beide sind mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) verwandt und haben nicht spezifisch mit der in dem von der Schließung betroffenen Betrieb ausgeübten Tätigkeit zu tun (Schauer aaO 701).

[45] 3.9. Auch wenn der Gesetzgeber des EpiG eine großflächige Schließung von Betriebsstätten nicht vor Augen gehabt haben mag (vgl VfGH G 202/2020 ua [Punkt 2.4.2.5.]), ändert das aber nichts daran, dass sich der Umfang der Deckungspflicht der Beklagten aus der zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungslage ergibt. Ein Hinweis darauf, dass kein Versicherungsschutz bestehen soll, wenn bundesweit flächendeckend Betriebsschließungen angeordnet werden, findet sich dort nicht. Vielmehr deutet der Begriff „Seuche“ auf eine großflächige Beeinträchtigung vieler Betriebe hin.

[46] 3.10. Die Betriebsschließung muss daher nur der Verhinderung der Verbreitung der Seuche dienen (vgl grundsätzlich für eine Deckung: Fenyves, aaO; Schauer, aaO; die herrschende Meinung in Deutschland zur im Kern vergleichbaren Bedingungslage [§ 1 Nr 1 lit a AVB BS 2002]: Armbrüster in Prölss/Martin, VVG31 [2021], Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz [Betriebsschließung] [AVB BS 2002] Rn 6; ders in NJW 2020, 3468 [Anmerkung zu Landesgericht München I, 12 O 5895/20]; Fortmann, Corona‑Krise und Betriebsschließungsversicherungen – noch kein Ende der Unsicherheit in Sicht, VersR 2020, 1073 [1079]; Lüttringhaus/Eggen, Versicherungsschutz und Corona‑Pandemie: Deckungs‑ und Haftungsfragen im Kontext der Betriebsunterbrechungs‑ und Veranstaltungsausfall-versicherung, r+s 2020, 250 [252]; Notthoff, Umfang des Versicherungsschutzes der Betriebsschließungsversicherung im Falle der hoheitlichen Schließungsanordnung, r+s 2020, 551 [554]; Orlikowski‑Wolf/Gubenko in r+s 2020, 625 [Anmerkung zu Landesgericht München I, 12 O 5895/20]; aA Strasser/Meyer, Die Betriebsunterbrechungsversicherung in Zeiten von COVID‑19, Business [Interruption] Usual?, ZVers 2020, 183 [187], in [FN 58] allerdings einräumend, dass sich die beschränkte Zielsetzung nicht in jedem Fall aus den jeweiligen Bedingungswerken ergebe; vgl auch Figl/Perner in Resch, Corona‑HB1.03 Kap 20 Rz 42 [EpiG für Fälle gedacht, in denen das Risiko vom zu schließenden Betrieb ausgeht] und Rz 44 [Betriebsschließung nur gedeckt, wenn damit einer „intrinsischen Gefahr“ vorgebeugt werden soll]; zur deutschen Bedingungslage: Günther/Piontek, Die Auswirkungen der „Corona‑Krise“ auf das Versicherungsrecht – Eine erste Bestandaufnahme, r+s 2020, 242 [244 f]).

[47] 3.11. Auch aus der geringen Prämie (vgl dazu Punkt 4.4.4.) kann der Versicherungsnehmer nichts Gegenteiliges ableiten. Er kennt die Grundsätze nicht, nach denen der Versicherer die Prämie für sein Produkt kalkuliert.

[48] 3.12. Ob die Schließung des Betriebs durch die Behörde mit Bescheid, mittels Verordnung oder möglicherweise durch unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls‑ und Zwangsgewalt erfolgt, ist nach dem Wortlaut des Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht maßgeblich. Obdie hoheitlich angeordnete Schließung auf individuelle oder generelle Weise erfolgt, macht für die Deckungspflicht des Versicherers keinen Unterschied (vgl Armbrüster in NJW 2020, 3468; Fortmann aaO 1080; Lüttringhaus/Eggen aaO 251; Notthoff aaO 554; Orlikowski‑Wolf/Gubenko in r+s 2020, 625; aA Strasser/Meyer aaO 188: behördliche Betriebsschließung [konkreter Einzelfall, ein Adressat] stelle ein „völlig anderes Risiko“ dar als eine Schließung auf der Grundlage eines Gesetzes bzw einer Verordnung [allgemeiner, nicht feststehender, bloß bestimmbarer Adressatenkreis]).

[49] Grundsätzlich besteht daher Deckung für eine behördlich durch Verordnung angeordnete Betriebsschließung nach dem EpiG.

[50] 3.13. Für den vorliegenden Fall bedeutet das Folgendes:

[51] Der Hotelbetrieb des Klägers – ein Beherbergungsbetrieb nach § 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994 – war zunächst mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 14. 3. 2020 nach § 20 EpiG geschlossen worden. Nach Art 1.1.1 der Bedingungen F 472 besteht daher Versicherungsschutz für den Zeitraum vom 16. 3. 2020 bis zur Aufhebung dieser Verordnung mit 27. 3. 2020, weshalb ihm die Beklagte diesen Unterbrechungsschaden zutreffend ersetzt hat.

[52] 4. Zum COVID‑19-Maßnahmengesetz:

[53] 4.1. Für den im vorliegenden Verfahren relevanten Zeitraum galt die Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg vom 27. 3. 2020 auf der Grundlage von § 2 Z 2 COVID‑19-Maßnahmengesetz. Es wurde für Beherbergungsbetriebe ein Betretungsverbot „als Touristin oder Tourist“ im gesamten Landesgebiet angeordnet. Es wurde damit nicht nur die Rechtsgrundlage für die den Hotelbetrieb des Klägers betreffenden Maßnahmen geändert, sondern auch statt einer allgemeinen Anordnung der Betriebsschließung ein nicht unmittelbar an den Unternehmer gerichtetes allgemeines Betretungsverbot (für Touristinnen und Touristen) erlassen.

[54] 4.2. Grundsätzlich bedeutet eine Gesetzesänderung (oder auch die Erlassung eines neuen Gesetzes) allein nicht, dass der Versicherungsschutz zwingend entfallen muss. Es kommt vielmehr darauf an, ob das Risiko gleich geblieben ist, es also dem Äquivalenzverhältnis zur Prämie weiter entspricht (vgl 7 Ob 172/15t, dazu zustimmend Ertl, Feuerversicherung fürs Iglu – Zugleich Besprechung der E OGH 7 Ob 172/15t, ecolex 2017, 296) oder ob es sich zu Lasten des Versicherers relevant verändert hat.

[55] Daran, dass nach der vorliegenden Bedingungslage der Versicherungsschutz für COVID‑19 an sich nicht deshalb verloren geht, weil Sonderbestimmungen für die vom EpiG erfasste Seuche nun im COVID‑19-Maßnahmengesetz geregelt sind, besteht kein Zweifel. Zu prüfen bleibt aber, ob sich durch die neuen Regelungen das Risiko verändert hat.

[56] 4.3. Zur Frage der Deckungspflicht der Versicherer bei angeordneten Betretungsverboten wurde vertreten:

[57] 4.3.1. Strasser/Meyer (aaO 188 f) stellen nur auf das Handeln der zuständigen Behörde auf der Grundlage des EpiG ab. Maßgeblich sei, dass die Maßnahme auf Grundlage dieses Gesetzes erfolgt sei.

[58] 4.3.2. Fenyves (aaO 40 f) führt zu Fällen, in denen durch Verordnungen der Bezirkshauptmannschaften zunächst die Schließung von Betriebsstätten gemäß § 20 EpiGangeordnet wurde und es danach zu einem „Rechtsformwechsel“ dadurch gekommen sei, dass für diese Betriebe nunmehr durch eine Verordnung des Landeshauptmanns nach § 2 Z 2 COVID‑19-Maßnahmengesetz Betretungsverbote ausgesprochen wurden, aus, dass sich dadurch das in diesen Betriebsstätten angelegte Risiko in keiner Weise geändert habe. In diesen Fällen sei eine Deckung aus der Seuchen‑Betriebsunterbrechungsversicherung zu bejahen und ungeachtet des „Rechtsformenwechsels“ von einem Fortbestehen der Deckung bis zum Ende der „Haftzeit“ auszugehen.

[59] Gegenteiliges soll für Betretungsverbote gelten, die nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz für bestimmte Betriebsstätten verhängt wurden und die dadurch faktisch zu deren Schließung führten, dass sie weder von Kunden noch Lieferanten und Mitarbeitern besucht werden konnten. Dadurch verwirkliche sich nicht das Risiko, das der Versicherer in der Seuchen‑Betriebsunterbrechungs-versicherung aufgrund der Ausrichtung dieser Versicherung auf das EpiG übernommen habe. Für die durch solche Betretungsverbote entstehenden Ertragsausfälle bestehe keine Deckung.

[60] 4.3.3. Figl/Perner (aaO Kap 20 Rz 37 ff) schließen sich grundsätzlich der Rechtsansicht von Fenyves zum „Rechtsformwechsel“ an. Alleine auf die formale Rechtsgrundlage komme es für die Deckung nicht an. Seien die Bedingungen „offen“ formuliert (demonstrative Aufzählung oder keine Aufzählung von Seuchen), spreche – vorbehaltlich dessen, dass eine gedeckte Betriebsschließung im Sinn der Bedingungen vorläge – mehr für den Versicherungsschutz für Maßnahmen aufgrund von COVID‑19. Dass der Versicherer auch das Risiko für neuartige Seuchen übernehmen wolle, ergebe sich aus § 20 Abs 4 EpiG, der eine Verordnungsermächtigung enthalte, nach der mittels Verordnung festgelegt werden könne, dass Betriebsschließungen nach dem EpiG auch für neue (andere als in § 20 Abs 1 leg cit genannte) Krankheiten angeordnet werden können. Neu auftretende Krankheiten seien somit gedeckt (aaO Rz 40). Wenn die Bedingungslage auf das EpiG – statisch oder dynamisch – abstelle, werde damit das Risiko auf die Maßnahmen beschränkt, die das EpiG inhaltlich vorsehe. Bei der deckungsrechtlichen Beurteilung von Maßnahmen aufgrund des COVID‑19-Maßnahmengesetzes müsse verglichen werden, ob dieses Gesetz oder darauf basierende Verordnungen Maßnahmen vorsähen, die das EpiG nicht kenne (aaO Rz 41). Der Versicherer übernehme nur das Risiko für Maßnahmen solcher Art, die das EpiG vorsehe (aaO Rz 42). Die besseren Gründe sprächen dafür, dass nur für individuelle Betriebsschließungen Versicherungsschutz bestehe („intrinsische Gefahren“). Seien die Versicherungsbedingungen hinsichtlich der Seuchen „offen“ formuliert (demonstrativ oder gar keine Aufzählung), bestehe Versicherungsschutz für individuelle Maßnahmen aufgrund von COVID‑19 (aaO Rz 47).

[61] 4.3.4. Schauer (aaO 700 f) meint, dass gute Gründe für die erstinstanzliche Rechtsansicht sprächen. Maßgeblich sei, dass die auf der COVID‑19‑Gesetzgebung beruhende Maßnahme das versicherte Risiko in derselben Weise beeinträchtige wie dies aufgrund einer Schließung nach dem EpiG der Fall gewesen wäre. Auch ohne die auf der Grundlage des EpiG ergangene Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz wäre nicht anders zu entscheiden gewesen, wenn also der Versicherungsnehmer sein Hotel erst(mals) wegen der aufgrund des COVID‑19-Maßnahmengesetzes ergangenen Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg geschlossen hätte. Die das versicherte Interesse berührende Maßnahme nach der Covid-Gesetzgebung sei den behördlichen Anordnungen aufgrund des EpiG gleichzuhalten. Der Gesetzgeber hätte die Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID‑19 auch im EpiG regeln können.

[62] 4.3.5. Günther (inFD‑VersR 2020, 432602 [Anmerkung zur erstinstanzlichen Entscheidung]) meint, dass weder das COVID‑19-Maßnahmengesetz noch die Verordnung des Landeshauptmanns (Betretungsverbot) einer Aufrechterhaltung der „weitergehenden“ Anordnung der Bezirkshauptmannschaft (Betriebsschließung) aufgrund des EpiG entgegengestanden hätten. Letztere wäre weiterhin vom Versicherungsschutz umfasst, sei also nicht aufgrund einer nachträglichen Gesetzesänderung „aus der Deckung gefallen“.

[63] 4.4. Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

[64] Es sprechen folgende Gründe gegen eine Gleichstellung von Betriebsschließung und Betretungsverbot:

[65] 4.4.1. Der Gesetzgeber hat klargestellt (siehe oben Punkt 1.2.), dass einerseits Betretungsverbote nach § 1 COVID‑19-Maßnahmengesetz und andererseits Betriebs-schließungen nach § 20 EpiG möglich sein sollen. Sowohl das EpiG als auch das COVID‑19-Maßnahmengesetz stehen in Kraft. Es bestehen daher zwei verschiedene behördliche Maßnahmen nebeneinander, was schon darauf hinweist, dass sie nicht dasselbe Risiko abdecken, weil es ansonsten nicht beider Bestimmungen bedurft hätte. DieBedingungen F 472, die auf Betriebsschließungen nach dem EpiG abstellen, haben damit trotz des COVID‑19-Maßnahmengesetzes auch weiter einen Anwendungsbereich.

[66] 4.4.2. Das Betretungsverbot richtet sich an „Touristinnen und Touristen“, nicht jedoch unmittelbar an den Unternehmer selbst, das heißt, es fehlt der unmittelbare Bezug zu einem Betrieb.

[67] 4.4.3. Ein nach § 1 und § 2 COVID‑19-Maßnahmengesetz angeordnetes Betretungsverbot ist schon begrifflich etwas anderes als eine (nach den Versicherungsbedingungen erforderliche) Betriebsschließung nach dem EpiG. Eine Schließung des Betriebs muss nach den Bedingungen F 472 zu einem gänzlichen Betriebsstillstand führen (vgl oben Punkt 3.7.), während bei einem Betretungsverbot dem Wortlaut nach grundsätzlich kein solcher Betriebsstillstand eintritt, weil weiterhin die teilweise Aufrechterhaltung des Betriebs möglich ist (zB durch Online‑Bestellungen; Abholungen; Zustellungen; Beherbergung von Geschäftsreisenden). Schon ausgehend vom Wortlaut besteht daher ein erheblicher Unterschied zwischen einem Betretungsverbot und einer Betriebsschließung. Darauf, ob sich ein Betretungsverbot für einzelne Betriebe von Versicherungsnehmern faktisch wie eine Betriebsschließung auswirkt, kommt es bei der Auslegung der vereinbarten Bedingungslage (vereinbartes Risiko) hingegen nicht an.

[68] Es ist daher festzuhalten, dass eine Betriebsschließung qualitativ ein anderes Risiko ist als ein Betretungsverbot, sodass es unerheblich ist, in welchen Gesetzen es angeordnet wird, weil nach den Bedingungen F 472 nur Betriebsschließungen gedeckt sind. Das Risiko einer bloß faktisch als Nebenwirkung eintretenden Betriebsschließung aufgrund des hier angeordneten Betretungsverbots nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetzes ist daher vonArt 1.1.1 der Bedingungen F 472 nicht gedeckt.

[69] 4.4.4. Nach Art 5 der Bedingungen F 472 geht der Anspruch auf Entschädigung, der dem Versicherungsnehmer aus Anlass der behördlichen Betriebsschließung gegen den Bund zusteht (vgl § 32 Abs 4 EpiG: Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen Einkommen), auf den Versicherer nach Maßgabe seiner Versicherungsleistung über. Die Parteien vereinbarten auch, dassder Versicherungsnehmer auf Verlangen des Versicherers eine Abtretungsurkunde ausstellen muss, offenbar um eine Rechtslage § 67 VersVG entsprechend sicherzustellen. Der Versicherer soll also nach den Bedingungen F 472 hinsichtlich der Entschädigung bloß in Vorlage treten, sodass er nach dieser Vereinbarung nach Eingang der Entschädigungsleistung durch den Bund letztlich nur die Differenz zum (allfällig) höheren Schaden zu tragen hat. Dadurch wird vereinbarungsgemäß das vom Versicherer übernommene Risiko erheblich und kalkulierbar gemindert. Die umfangreichen Ersatzleistungen des Bundes nach § 20 iVm § 32 EpiG und das dadurch geringe(re) Risiko des Versicherers erklärt, jedenfalls zum Teil, auch die Höhe der Versicherungsprämie.

[70] 4.4.5. Das COVID‑19-Maßnahmengesetz sieht demgegenüber keine Ersatzleistungen des Bundes vor. Mit der Schaffung des COVID‑19-Maßnahmengesetzes verfolgte der Gesetzgeber offenkundig (auch) das Anliegen, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpiG, konkret nach § 20 iVm § 32 EpiG, auszuschließen (VfGH G 202/20 ua [Punkt 2.4.2.2.]). Der Gesetzgeber hat zwar das Betretungsverbot in ein umfangreiches Maßnahmen‑ und Rettungspaket eingebettet, das funktionell darauf abzielt, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots auf die davon betroffenen Unternehmen bzw allgemein die Folgen der COVID‑19‑Pandemie abzufedern (vgl dazu die Darstellung des VfGH G 202/2020 ua [Punkt 2.3.6.]). Der Versicherungsnehmer bekommt danach wohl auch eine Entschädigung, aber sie ist geringer als nach § 32 EpiG und nicht vorweg präzisiert und damit nicht kalkulierbar.

[71] 4.4.6. Auch Art 5 der Bedingungen F 472 stellt auf das EpiG ab, sodass seiner unmittelbaren Anwendung für andere Entschädigungen der öffentlichen Hand die Grundlage entzogen ist. Damit fehlt den Parteien eine gleichwertige, absehbare Vertrags- und Rechtslage wie sie zum EpiG besteht. Klar ist lediglich, dass das allgemeine versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot (vgl RS0081314) gilt und dass sich der Versicherungsnehmer die Entschädigungszahlungen der öffentlichen Hand zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen eines Betretungsverbots nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz grundsätzlich anrechnen lassen muss. Es ist aber nicht mehr geregelt, ob der Versicherer in Vorlage treten muss (wie zum EpiG) oder ob der Versicherungsnehmer erst nach Anrechnung der Leistungen der öffentlichen Hand Anspruch auf die Differenz zu seinem Schaden hat.

[72] 4.4.7. Da das COVID‑19-Maßnahmengesetz unmittelbar, wie dargelegt, gar keine Entschädigungen mehr vorsieht, kann der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer nicht erwarten, dass er bei einem derart erhöhten Risiko des Versicherers durch eine mit dem EpiG wirtschaftlich nicht vergleichbare Rechtslage dennoch auch für Maßnahmen nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz bei selber Prämie gleiche Versicherungsdeckung erhält.

[73] 4.4.8. Zusammengefasst ist damit festzuhalten, dass sich das Risiko durch ein Betretungsverbot nach dem COVID‑19-Maßnahmengesetz im Verhältnis zu einer versicherten Betriebsschließung nach dem EpiG sowohl qualitativ als auch quantitativ erhöht hat, was einen fortwirkenden Versicherungsschutz ausschließen muss.

[74] 4.4.9. Das bedeutet, dass dem Klägerfür die Zeit vom 28. 3. bis 13. 4. 2020 während des angeordneten Betretungsverbots keine Versicherungsleistung zusteht.

[75] 5. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Versicherungsfall nicht bereits mit der erstmaligen Betriebsschließung durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft auf der Grundlage des EpiG ein für allemal (bis 13. 4. 2020) eingetreten und allein diese Rechtsgrundlage maßgeblich. Der Kläger übersieht nämlich, dass Grundlage für die Beeinträchtigungen seines Betriebs im klagsgegenständlichen Zeitraum ab 28. 3. 2020 nicht diese Verordnung, sondern die Verordnung des Landeshauptmanns von Vorarlberg war, die auf Basis des COVID‑19-Maßnahmengesetzes erging und die ursprüngliche Verordnung gerade nicht fort wirkte.

[76] 6. Der Kläger hat auch keinen Schadenersatzanspruch gegenüber der Beklagten. Der Versicherungsagent der Beklagten erklärte ihm insbesondere, dass ein Schaden resultierend aus einer behördlichen Betriebsschließung aufgrund einer vom Betrieb ausgehenden Seuchengefahr versichert sei. Diese Aufklärung und Information des Klägers erfolgte ordnungsgemäß, besteht doch speziell Versicherungsschutz für die behördliche Schließung des Betriebs aufgrund des (damals allein geltenden) EpiG zur Verhinderung und Verbreitung von Seuchen. Der Kläger wurde nicht falsch belehrt. Künftige Änderungen der Sach- und Rechtslage (wie die Anordnung von Betretungsverboten auf der Grundlage des COVID‑19-Maßnahmengesetzes, weil sich das EpiG als nicht der Sachlage entsprechend erwies) waren nicht voraussehbar und bedurften keiner Aufklärung. Eine „All‑Risk‑Versicherung“ gibt es grundsätzlich ohnehin nicht (vgl RS0119747); eine solche durfte der Kläger auch nicht erwarten. Mangels rechtswidrigen Verhaltens des Versicherungsagenten (hinsichtlich der nicht näher konkretisierten Prämienrückforderung auch mangels Nachweises des Klägers, dass er den Deckungsbaustein „Betriebsschließung infolge Seuchengefahr aufgrund des Epidemiegesetzes“ nicht mitversichert hätte) besteht auch das hilfsweise auf Schadenersatz gestützte Klagebegehren nicht zu Recht.

[77] 7. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Klagebegehren (insgesamt) abzuweisen. Die von der Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens muss nicht mehr geprüft werden.

[78] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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