OGH 17Ob6/21p

OGH17Ob6/21p19.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Musger, Mag. Malesich, Dr. Kodek und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** A***** als Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen der O***** S*****, vertreten durch Graff Nestl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. H*****H*****, vertreten durch HBA Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 7.027,28 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 2. Dezember 2020, GZ 6 R 119/20v‑43, womit das Urteil des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 27. Februar 2020, GZ 25 C 1168/17d‑36, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0170OB00006.21P.0519.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte vertrat die Schuldnerin 2014 anwaltlich und stellte für seine Leistungen mit Honorarnoten vom 6. 3. 2015 und 10. 6. 2015 insgesamt 13.222,73 EUR in Rechnung. Da keine Zahlungen erfolgten, machte erdiesen Betrag klageweise geltend. Mit Zahlungsbefehlen des Bezirksgerichts Güssing zu AZ 2 C 363/15g und AZ 2 C 799/15z wurde die Schuldnerin zur Zahlung von 13.222,73 EUR je samt Zinsen und Kosten verurteilt. Nach Rechtskraft wurden zugunsten dieser Forderungen (Simultan‑)Pfandrechte auf einer Vielzahl von Liegenschaften der Schuldnerin einverleibt.

[2] Am 20. 12. 2016 wurde zu AZ 19 S 40/16b des Bezirksgerichts Fürstenfeld das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.

[3] Am 3. 1. 2017 gewährte N***** F***** (in Hinkunft: Darlehensgeber) der Schuldnerin in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung ein Darlehen von 150.000 EUR. Unmittelbar nach Unterfertigung des Darlehensvertrags überwies der Darlehensgeber – laut Anweisung der Schuldnerin – den Darlehensbetrag auf das Kanzleikonto eines Rechtsanwalts, der damit im Auftrag der Schuldnerin an diverse Gläubiger Zahlungen nach Insolvenzeröffnung leisten sollte. Dementsprechend überwies er auch am 3. 1. 2017 13.511,92 EUR an den Beklagten. Daraufhin wurden die vom Beklagten betriebenen Exekutionsverfahren eingestellt und die Pfandrechte gelöscht.

[4] Der Darlehensgeber meldete die Darlehensforderung im Insolvenzverfahren als vom Insolvenzverwalter auch anerkannte Masseforderung an.

[5] Mit der am 19. 12. 2017 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der von der Schuldnerin an den Beklagten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Überweisung in Höhe von (eingeschränkt) 7.027,28 EUR und die Zahlung diesesBetrags samt Anhang. Die Schuldnerin habe nach Insolvenzeröffnung und ohne Wissen und Zustimmung des Insolvenzverwalters Zahlung geleistet. Diese sei daher nach § 3 Abs 1 IO unwirksam.

[6] Der Beklagte bestritt das Klagebegehren. Durch die Insolvenzeröffnung werde die Fähigkeit des Schuldners, Darlehen aufzunehmen und Wechselverbindlichkeiten einzugehen, nicht beschränkt. Selbst ein nach Insolvenzeröffnung erteilter Überweisungsauftrag des Schuldners sei wirksam, wenn das Konto, von dem überwiesen werden soll, – wie hier – nicht zur Insolvenzmasse gehöre. Darüber hinaus müssten, auch wenn die §§ 27 ff IO nicht (unmittelbar) anwendbar seien, die zu diesen Bestimmungen ergangenen Auslegungsgrundsätze zur Auslegung des § 3 IO herangezogen werden. Es fehle an der danach erforderlichen Befriedigungstauglichkeit, weil zwar die Aufnahme des Darlehens durch die Schuldnerin zulässig gewesen sei, das Anerkenntnis der Darlehensforderung als Masseforderung durch den Insolvenzverwalter jedoch nicht. Es handle sich daher um einen bloßen Gläubigertausch. Im Übrigen wäre selbst im Fall der Bejahung der Unwirksamkeit der Rechtshandlung der Schuldnerin nach § 3 Abs 1 IO dem anderen Teil die Gegenleistung zurückzustellen, soweit sich die Masse durch sie bereichern würde. Dies sei hier der Fall, weil mit der Zahlung der offenen Forderungen die Aufgabe der einverleibten Pfandrechte (Absonderungsrechte) einher gegangen sei.

[7] Das Erstgericht gab dem – infolge teilweiser Zahlung – eingeschränkten Klagebegehren statt. Ob die Rechtshandlungen der Schuldnerin nach Insolvenzeröffnung für die Masse vorteilhaft oder schädlich seien, sei unerheblich, weil § 3 IO jeder Rechtshandlung des Schuldners, die in die Verfügungsgewalt des Masseverwalters eingreife, die Rechtswirksamkeit (relativ) abspreche. Eine Bereicherung der Insolvenzmasse liege nicht vor. Auf Basis der Verwertungen der von den Pfandrechten des Beklagten betroffenen Liegenschaften und den diesbezüglich erzielten Verwertungserlösen ergebe sich für den Beklagten zusätzlich zu den bereits verteilten Beträgen kein weiterer Verlust, durch den die Insolvenzmasse bereichert wäre.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Verwende die Schuldnerin das nach Insolvenzeröffnung ohne Wissen und Zustimmung des Insolvenzverwalters aufgenommene (Privat‑)Darlehen, um Forderungen ihrer Gläubiger zu tilgen, habe diesinsoweit Auswirkungen auf die Insolvenzmasse, als für die übrigen Insolvenzgläubiger zwar allenfalls ein größeres Massevermögen zur Verfügung stehe, aber – im Gegensatz zu den Gläubigern, deren Forderungen vollständig befriedigt worden seien – dennoch nur eine quotenmäßige Verteilung bleibe. Zudem habe der Darlehensgeber seine Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet und sei diese anerkannt worden. Für die Rechts‑(un‑)wirksamkeit des § 3 IO sei es letztlich irrelevant, ob diese Rechtshandlung für die Masse schädlich oder unschädlich sei. Damit sei es auch nicht entscheidend, ob der Insolvenzverwalter die Forderung des Darlehensgebers anerkennen hätte dürfen oder nicht. Eine Bereicherung der Masse und damit weitere, einer Rückzahlungsverpflichtung entgegenstehende Ansprüche des Beklagten lägen nicht vor, weil ihm zum einen die aus der Veräußerung der Liegenschaften resultierenden Sondermasseerlöse ohnehin bereits zugutegekommen seien. Zum anderen bestehe an den anderen Liegenschaften nach dem Grundbuchstand nach wie vor ein aufrechtes Pfandrecht, womit der Beklagte, unabhängig vom Wert dieser Liegenschaften, nicht anders gestellt sei, als vor der unwirksamen Zahlung.

[9] Das Berufungsgericht ließ nachträglich die ordentliche Revision zu, weil soweit überblickbar keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliege, ob die zu §§ 27 ff IO entwickelten Auslegungsgrundsätze auch auf § 3 IO anzuwenden seien; die nach § 3 IO erforderliche Massebezogenheit der Rechtshandlung im Sinn der Notwendigkeit einer „Befriedigungstauglichkeit“ der Anfechtung zu verstehen sei und ob, bejahendenfalls der Begriff der Massebezogenheit in Bezug auf § 3 IO wirtschaftlich zu betrachten sei, sodass mit der Darlehensgewährung an die Schuldnerin durch den Darlehensgeber und der Befriedigung der Ansprüche des Beklagten aus diesem Darlehen insgesamt eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger nicht eingetreten sei.

[10] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Kläger begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[13] 1.1 Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen, das dem Schuldner zu dieser Zeit gehört oder das er während des Insolvenzverfahrens erlangt (Insolvenzmasse), dessen freier Verfügung entzogen (§ 2 Abs 2 IO). Nach § 3 Abs 1 IO sind Rechtshandlungen des Schuldners nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welche die Insolvenzmasse betreffen, den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam.

[14] 1.2 Die Insolvenzeröffnung bringt eine doppelte Verfügungsbeschränkung für den Schuldner mit sich, nämlich eine tatsächliche mit der Übernahme der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter und eine rechtliche, unmittelbar mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretende, die sich in der relativen Unwirksamkeit der Rechtshandlungen des Schuldners äußert. Sie führt zu keiner allgemeinen Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Schuldners. Dieser bleibt vielmehr verpflichtungsfähig. Allerdings sind die die Masse betreffenden Rechtshandlungen des Schuldners den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam (RS0063784), und zwar soweit es der Insolvenzzweck, nämlich die Bewahrung der Masse, erfordert (1 Ob 220/08x).

[15] 2.1 Unter Rechtshandlungen des Schuldners, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen, sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern alle Handlungen zu verstehen, die rechtliche Wirkungen hervorbringen (RS0068855; RS0063784 [T10]). Dabei genügt es, dass die rechtlichen Wirkungen im Vermögen des Schuldners nur mittelbar die Masse betreffen (vgl 8 Ob 143/01i mwN; Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [Stand 1. 5. 1999, rdb.at] § 3 KO Rz 10; Buchegger in Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 § 3 Rz 8). Auch eine Zahlung des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine massebezogene Rechtshandlung, soferne sie nicht aus dem insolvenzfreien Vermögen erfolgt (vgl Feil, Insolvenzordnung8 § 3 Rz 16).

[16] 2.2 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens leistete die Schuldnerin aus dem von ihr aufgenommenen Privatdarlehen an den Beklagten Zahlungen, um die Einstellung der von ihm betriebenen Exekutionsverfahren und die Löschung der auf den Liegenschaften bestehenden Pfandrechte zu erreichen. Die Darlehensforderung wurde vom Kläger als Masseforderung anerkannt.

[17] 2.3 Nach Lehre und Rechtsprechung können unwirksame Handlungen des Schuldners durch den Insolvenzverwalter mit Wirkung ex tunc genehmigt werden. Die unwirksame Rechtshandlung des Schuldners wird dadurch rückwirkend geheilt. Ihr wird volle Wirksamkeit auch in Ansehung der Insolvenzmasse verliehen (vgl 1 Ob 220/08x mwN; Kodek in Koller/Lovrek/Spitzer, Insolvenzordnung [2019] § 3 Rz 24 f).

[18] 2.4 Durch Anerkennung der Darlehensforderung als Masseforderung genehmigte der Kläger daher den von der Schuldnerin geschlossenen Darlehensvertrag mit der Wirkung ex tunc, sodass schon aus diesem Grund die Zahlungen an den Beklagten die Insolvenzmasse betrafen, weil die Genehmigung des Darlehensvertrags auch die Zuzählung der Darlehenssumme erfasste.

[19] Daraus folgt, dass die Zahlungen an den Beklagten – entgegen seiner Ansicht – die Masse betrafen.

[20] 3.1 Der Beklagte vertritt nun, dass zur Auslegung des § 3 IO die zu §§ 27 ff IO entwickelten Grundsätze herangezogen werden müssten, sodass auch für die Unwirksamkeit nach § 3 Abs 1 IO die Befriedigungstauglichkeit Voraussetzung sei.

[21] 3.2 Richtig ist lediglich, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Fall einer Anfechtung nach §§ 27 ff IO auf die Befriedigungstauglichkeit abzustellen ist (RS0050591, RS0064354, vgl auch RS0064297, RS0041198). Eine Übertragung dieser Grundsätze auf § 3 IO kommt aber nicht in Betracht:

[22] 3.3 Die Unwirksamkeit von Rechtshandlungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung folgt nämlich bereits aus dem Gesetz, sie bedarf keiner Anfechtung (vgl 1 Ob 512/91; Kodekin KLS, § 3 Rz 2; Schubert, § 3 KO Rz 2). Sie ist Rechtsfolge dessen, dass dem Schuldner – wie ausgeführt – die Verfügung über das Massevermögen entzogen ist.

[23] Im Gegensatz dazu sind Rechtshandlungen des Schuldners vor Insolvenzeröffnung wirksam, sie können bei Zutreffen der Voraussetzungen der §§ 27 ff IO aber anfechtbar sein.

[24] Dabei verfolgen die Anfechtungstatbestände der IO nach den §§ 27 ff IO ausschließlich den Zweck, die den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehende Insolvenzmasse gegen Vorgänge vor der Insolvenzeröffnung zu immunisieren, die geeignet sind, diesen Befriedigungsfonds zu verkleinern oder zumindest die Befriedigung hieraus zu erschweren (3 Ob 182/17m). Ein Vergleich mit § 3 Abs 1 IO verbietet sich aber schon vor dem Hintergrund, dass vor Insolvenzeröffnung nur der Schuldner agieren kann und schon aus Verkehrsschutzgründen geboten ist, nur diejenige Rechtshandlungen für anfechtbar zu erklären, die sich nachteilig für die Gläubigerschaft ausgewirkt haben, alle anderen Handlungen jedoch, bei denen Konkurszwecke nicht greifen, unberührt zu lassen (Konecny, Massebezogene Rechtshandlungen von Gemeinschuldnern, JBl 2004, 341 [346]). Nach Insolvenzeröffnung agiert hingegen ausschließlich der Insolvenzverwalter. Es ist bei sonstiger Haftung seine Aufgabe, masseerhaltende Maßnahmen zu setzen, wobei für die Masse vorteilhafte Rechtshandlungen des Schuldners gleichermaßen unwirksam sind, weil ihm nach § 2 Abs 2 IO jede Verfügung über die Masse entzogen ist (Buchegger,§ 3 KORz 8).

[25] 3.4 Da es davon ausgehend nicht auf die Begfriedigungstauglichkeit ankommt, erübrigt sich hier ein weiteres Eingehen auf das allfällige Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen.

[26] 4. Gegen die Verneinung des geltend gemachten Bereicherungsanspruchs des Beklagten durch die Vorinstanzen wendet sich die Revision nicht: Bereits das Erstgericht verwies darauf, dass dem Beklagten aufgrund der konkret erzielten Verwertungserlöse aus dem Verkauf von Pfandliegenschaften kein Nachteil entstand, die Masse also nicht bereichert ist. Es bedarf daher keines Eingehens darauf, wie sich eine iSd § 3 Abs 2 IO unwirksame Befriedigung eines Gläubigers durch den Schuldner auf die Löschung eines Pfandrechts des Gläubigers auswirkt.

[27] 5. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Beklagten geleisteten Zahlungen gemäß § 3 Abs 1 IO unwirksam sind, ist zutreffend. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen, die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte