OGH 6Ob86/21x

OGH6Ob86/21x12.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Wels zu FN * eingetragenen S* GmbH, *, wegen Eintragung einer Änderung des Gesellschaftsvertrags, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihres Geschäftsführers Ing. Mag. P* S*, beide vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 17. März 2021, GZ 6 R 31/21b‑10, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131884

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Bei der im Firmenbuch zu FN * eingetragenen S* GmbH wurde die Eintragung der mit Generalversammlungsbeschluss vom 25. 11. 2020 erfolgten Änderung des Gesellschaftsvertrags beantragt. Damit sollten die Aufgriffsrechte teilweise neu geregelt und eine Ungleichbehandlung einzelner Fälle von Aufgriffsrechten beseitigt werden, sodass künftig bei Ausübung eines jeden Aufgriffsrechts ein Abtretungspreis zu zahlen sein sollte, der sich mit 50 % des zu ermittelnden Unternehmenswerts bestimmen würde. Als Fälle des Aufgriffsrechts waren ua die rechtskräftige Nichteröffnung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens, die Befriedigungsexekution auf den Geschäftsanteil sowie die rechtskräftige Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters vorgesehen. Konsequenz dieser Änderung des Gesellschaftsvertrags wäre, dass für nicht von Aufgriffsrechten betroffene Fälle des Gesellschafterwechsels (ua die nicht zustimmungspflichtige Veräußerung eines Geschäftsanteils im Familienkreis) der für Aufgriffsrechte geltende Abtretungspreis nicht gelten würde, sondern– mangels Regelung im Gesellschaftsvertrag – zwischen den Parteien des Abtretungsvertrags frei vereinbart werden und somit auch höher als 50 % des aliquoten Unternehmenswerts sein könnte.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Eintragungsbegehren ab, wobei das Rekursgericht auf die Entscheidung 6 Ob 64/20k verwies; angesichts des klaren Wortlauts dieser Entscheidung sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Geschäftsführers und der Gesellschaft zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 1. Der erkennende Senat ist in der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung vom 16. 9. 2020, 6 Ob 64/20k (= NZ 2021, 36 [Brugger] = AnwBl 2021, 70 [E. Ciresa] = GesRZ 2021, 43 [Rüffler] = ÖBA 2021, 107 [Seekirchner]; vgl auch Wilfinger, Aufgriffsrechte für die Gesellschafterinsolvenz, ZIK 2020, 215; Gonaus/ Schmidsberger, Aufgriffsrechte für den Fall der Insolvenz eines Gesellschafters zulässig!, RdW 2020, 896; Huemer/Haglmüller, OGH erlaubt Aufgriff in der Insolvenz – ohne Untergriffe beim Preis, GES 2020, 415; Rastegar, OGH: Langersehnte Klärung zu insolvenzbegzogenen Aufgriffsklauseln, ÖJZ 2021, 205; Hartlieb/ Simonishvili/Zollner, Aufgriffsrechte und Gesellschafterinsolvenz – zugleich eine Besprechung von OGH 6 Ob 64/20k, ecolex 2021, 129) nach ausführlicher Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur zu folgendem Ergebnis gelangt:

„Der erkennende Senat erachtet daher die Auffassung von Schopper [...], Walch [...] insoweit als überzeugend, als unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes freiwilliges Ausscheiden und das Ableben eines Gesellschafters einerseits sowie Exekution bzw Insolvenz andererseits als Fälle des Aufgriffsrechts gleich behandelt werden müssen [...]. Eine Abfindungsbeschränkung unter den Verkehrswert (Schätzwert) des Geschäftsanteils in den Fällen der Exekution und Insolvenz des Gesellschafters ist darüber hinaus nur zulässig, wenn sie nicht nur in diesen Fällen greift, sondern eine entsprechende Reduktion des Abfindungsanspruchs für jede Konstellation des freiwilligen (insbesondere der Anteilsübertragung) und des unfreiwilligen Ausscheidens des Gesellschafters vereinbart wird (Kalss/Eckert [...]; Trenker, JBl 2016, 446; vgl 6 Ob 142/05d, wo die Vereinbarung eines Aufgriffsrechts zu einem reduzierten Aufgriffspreis im Fall der Selbstkündigung eines Gesellschafters als nicht vergleichbar einer Beschränkung der Abfindung im Fall des konkursbedingten Ausscheidens beurteilt wurde, weil der Gesellschafter nicht kündigen müsse, sondern im Unterschied zum Gläubiger seinen Geschäftsanteil veräußern und so dessen vollen Wert realisieren könnte).“ (Hervorhebung durch den Senat).

 

[5] 2. Entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs ist das Rekursgericht von diesen Grundsätzen nicht abgewichen. Aus dem zweiten zitierten Satz geht klar hervor, dass die Gleichbehandlung betreffend die „Abfindung“ nicht nur für alle Aufgriffsfälle, sondern für sämtliche Fälle eines Gesellschafterwechsels derart gefordert wird, dass es in den Fällen der Exekution und Insolvenz nicht zu einer Benachteiligung der Gläubiger eines Gesellschafters kommt (vgl Rüffler, GesRZ 2021, 43; Rastegar, ÖJZ 2021/25). Daran ändert die Wendung „als Fälle des Aufgriffsrechts“ im ersten Satz nichts, macht der zweite Satz doch mit den Worten „darüber hinaus“ unmissverständlich deutlich, dass er nicht etwa eine (überflüssige) Wiederholung der Aussage des ersten Satzes mit anderen Worten darstellt, sondern eine Erweiterung der geforderten Gleichbehandlung auf eben sämtliche Fälle eines Gesellschafterwechsels. Diese auch dem eindeutigen Wortlaut entsprechende Aussageabsicht des Senats ergibt sich weiters aus der Zitierung der Entscheidungsanmerkung in JBl 2016, 446 Trenkers, der mit denselben Worten (ebenfalls) nicht zwischen Fällen des Aufgriffsrechts und anderen Fällen unterscheidet. Schließlich ist auf die Auslegung der Entscheidung 6 Ob 142/05d im abschließenden Klammerzitat hinzuweisen, wo auf die Möglichkeit der Umgehung eines Aufgriffsrechts durch privatautonome Vertragsgestaltung abseits eines Aufgriffsrechts hingewiesen wird.

[6] Das Verständnis des Revisionsrekurses, die Entscheidung 6 Ob 64/20k fordere die Gleichbehandlung hinsichtlich der Abfindung beim Gesellschafterwechsel nur in Fällen eines ausgeübten Aufgriffsrechts, nicht aber auch in anderen Fällen des Gesellschafterwechsels, wird vom erkennenden Senat nicht geteilt.

[7] 3. Daran kann auch nichts ändern, dass die abfindungspflichtigen Ausscheidensfälle des Umgründungs-rechts (§§ 234b, 253 AktG; § 10 Abs 1 EU‑VerschG; § 2 Abs 2 Z 3 UmwG; § 9 Abs 1, § 11 Abs 1 SpaltG) sowie des GesAusG – nach herrschender Ansicht (Winner/Obradović in Talos/Winner, EU-VerschG2 [2016] § 10 Rz 64; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung2 [2010] § 2 GesAusG Rz 22, § 2 UmwG Rz 136) zwingend – jeweils eine „angemessene Barabfindung“ vorsehen. Denn – wie Hartlieb/Simonishvili/Zollner (aaO 132) zutreffend erkannt haben – hatte der erkennende Senat keineswegs die Absicht, aufgrund dieser Bestimmungen eine Abfindungsbeschränkung letztlich doch generell zu verbieten; die Entscheidung 6 Ob 64/20k befasste sich mit derartigen Fällen mit keinem Wort.

[8] 4. Die Entscheidung 6 Ob 64/20k ist ausführlich begründet und wurde – wie unter Punkt 1. ersichtlich – in der Lehre vielfach besprochen. Sie wurde in dem hier interessierenden Aspekt überwiegend so verstanden, wie es bereits das Rekursgericht tat und hier nochmals klargestellt wird (Brugger, Rüffler, Gonaus/Schmidsberger, Huemer/Haglmüller, Rastegar, Hartlieb/Simonishvili/Zollner; nur Aufgriffsfälle erwähnend E. Ciresa, Wilfinger). Die zitierten Aussagen der Entscheidung wurden dabei von den meisten der erwähnten Autoren widerspruchslos referiert. Lediglich Rüfffler merkt an, er halte es nach wie vor für besser, dass nicht alle, sondern nur vergleichbare Fälle gleichbehandelt werden, relativiert seinen Einwand aber als „beckmesserisch“ und räumt ein, dass „der Standpunkt des OGH gut vertretbar ist“. Rastegar wiederum attestiert der Entscheidung einen „bitteren Beigeschmack“, der im Wesentlichen in einem gesellschafterfeindlichen weitgehenden Verlust der Privatautonomie der Gesellschafter betreffend die Preisgestaltung beim Gesellschafterwechsel bestehe, meint aber weiters: „Das soll nicht heißen, dass die Lösung des OGH falsch ist.“ Es handle sich eher um eine Glaubensfrage.

[9] Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384). Dies trifft nach dem Gesagten auf die (hier entscheidenden Passagen der) Entscheidung 6 Ob 64/20k zu.

[10] 5. Von der schon von den Vorinstanzen angenommenen Unzulässigkeit der von der Gesellschaft beabsichtigten Gestaltung des Gesellschaftsvertrags ausgehend, ist die weitere im Revisionsrekurs relevierte Frage, ob ein Abschlag vom Verkehrswert von 50 % zulässig ist, nicht entscheidungsrelevant.

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