OGH 10ObS25/21f

OGH10ObS25/21f27.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. R*****, vertreten durch MMag. Stefan Zajic, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. Dezember 2020, GZ 25 Rs 69/20p‑20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 10. Juli 2020, GZ 48 Cgs 58/20w‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00025.21F.0427.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin beantragte am 26. 4. 2019 die Zuerkennung von Pflegegeld. Mit Bescheid vom 5. 9. 2019 erkannte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Klägerin Pflegegeld der Stufe 7 in Höhe von monatlich 1.688,90 EUR ab dem 1. 5. 2019 zu.

[2] Bis 2006 lebte die Klägerin in Deutschland. Sie kam ihrer in Deutschland bestehenden gesetzlichen Versicherungspflicht bei der A*****‑AG nach. Diese Versicherung umfasste sowohl die Krankenversicherung als auch die Pflegeversicherung.

[3] Seit 2006 ist die Klägerin dauerhaft in Österreich wohnhaft und auch krankenversichert. Die Versicherung bei der A*****‑AG in Deutschland führte sie weiter. Die Klägerin hätte nach ihrer Übersiedlung nach Österreich die Möglichkeit gehabt, die Versicherung zu kündigen oder auf Anwartschaft zu stellen. Für diese Krankenversicherung zahlt die Klägerin derzeit monatlich einen Kostenbeitrag von ca 860 EUR.

[4] Die Klägerin hat schon vor dem 1. 5. 2019 von der A*****‑AG eine Pflegegeldleistung erhalten. Jedenfalls bezieht sie seit dem 1. 5. 2019 eine solche Leistung in Höhe von monatlich 901 EUR. Für die Pflegeversicherung zahlte die Klägerin im Zeitraum von 1. 5. 2019 bis 31. 12. 2019 einen Beitrag von monatlich 85,12 EUR, seit dem 1. 1. 2020 einen Beitrag von monatlich 114,91 EUR.

[5] Im Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld vom 26. 4. 2019 führte die Klägerin die Pflegegeldleistung der A*****‑AG nicht an, weil es sich dabei nach Ansicht des damaligen Vertreters der Klägerin um eine Leistung aus einer freiwilligen Versicherung handelt. Die Beklagte erfuhr von dieser Leistung erstmals durch ein Schreiben des damaligen Vertreters der Klägerin vom 22. 10. 2019.

[6] Mit Bescheid vom 15. 11. 2019 bemaß die Beklagte das der Klägerin zuerkannte Pflegegeld der (rechnerischen) Höhe nach neu und sprach aus, dass ab 1. 5. 2019 die Pflegezulage in monatlicher Höhe von 901 EUR angerechnet werde. Die Beklagte erklärte, mit dem im Zeitraum von 1. 5. 2019 bis 31. 10. 2019 entstandenen Überbezug an Pflegegeld von 5.406 EUR gegen die Pflegegeldforderung der Klägerin dergestalt aufzurechnen, dass der Überbezug in monatlichen Raten von 393,30 EUR von der monatlichen Leistung abgezogen werde.

[7] Die Klägerin begehrt mit ihrer dagegen gerichteten Klage die Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 7 in der gesetzlichen Höhe ohne Anrechnung der deutschen Pflegezulage und die Feststellung, dass der Rückersatzanspruch der Beklagten nicht zu Recht bestehe. Nach ihrem Umzug nach Österreich sei sie nicht mehr gesetzlich verpflichtet gewesen, die private deutsche Pflegeversicherung aufrecht zu erhalten. Bei dieser Versicherung handle es sich somit um eine freiwillige Versicherung, die nicht auf das österreichische Pflegegeld anzurechnen sei. In jedem Fall seien die von der Klägerin gezahlten monatlichen Beiträge zur privaten Pflegeversicherung zu berücksichtigen.

[8] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass sie gemäß § 7 BPGG berechtigt sei, die Beträge, die die Klägerin aus der in Deutschland abgeschlossenen Pflegeversicherung zum Zweck der Pflege erhalte, auf das von ihr zu leistende Pflegegeld anzurechnen. Den Überbezug könne sie zurückfordern, weil die Klägerin den Bezug aus der deutschen Pflegeversicherung im Antrag nicht angegeben habe.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte den angefochtenen Bescheid wieder her. § 7 BPGG sei weit zu verstehen. Jede andere Leistung mit dem Zweck, pflegebedingten Mehraufwand abzugelten, sei anzurechnen, daher hier auch das aus der deutschen Pflegeversicherung bezogene Pflegegeld. Dadurch, dass die Klägerin nach ihrem Umzug nach Österreich diese Versicherung weitergeführt habe, sei sie keine „freiwillige“ Versicherung geworden. Da die Klägerin diesen Bezug in ihrem Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld nicht angegeben habe, sei die Beklagte berechtigt, den Überbezug zurückzufordern.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Gemäß § 7 BPGG seien Geldleistungen, die wegen Pflegebedürftigkeit nach anderen bundesgesetzlichen oder ausländischen Vorschriften gewährt werden, auf das Pflegegeld nach dem BPGG anzurechnen. Nicht erfasst von der Anrechnung seien Leistungen, die aufgrund vertraglicher Verpflichtungen (etwa eines Ausgedinge‑ oder eines Pflegeversicherungsvertrags) gebühren. Ansprüche auf deutsches Pflegegeld/eine deutsche Pflegezulage aus einer gesetzlich verankerten freiwilligen deutschen Krankenversicherung/Pflegeversicherung seien im Gegensatz zu Leistungen aus einer eine reine Eigenvorsorge bildenden privaten Pflegeversicherung auf den Anspruch auf österreichisches Pflegegeld im Sinn des § 7 BPGG anzurechnen, und zwar ohne Abzug der für die freiwillige Pflegeversicherung geleisteten Versicherungsbeiträge vom Anrechnungsbetrag.

[11] Nach deutschem Recht unterscheide sich die freiwillige Kranken‑/Pflegeversicherung (freiwillige Weiterversicherung) in der deutschen gesetzlichen Kranken‑/Pflegeversicherung grundlegend von der privaten Kranken‑/Pflegeversicherung: Der Inhalt der freiwilligen Versicherung/Weiterversicherung in der gesetzlichen Kranken‑/Pflegeversicherung sei gesetzlich geregelt, während die Festlegung der Rechte und Pflichten aus einer privaten Versicherung Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung sei. Zwar sei beiden Formen der Versicherung gemeinsam, dass sie durch Entschluss des Berechtigten zustande kommen; in der gesetzlichen Krankenversicherung biete sich jedoch – anders als in der privaten Krankenversicherung – grundsätzlich keine Möglichkeit, den Inhalt des Versicherungsverhältnisses nach eigenem Belieben zu gestalten und den individuellen Bedürfnissen (zB im Sinn der Abdeckung nur eines bestimmten Risikos) anzupassen. Anders als Unternehmen im privaten Krankenversicherungssektor könnten die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungsberechtigte nicht zurückweisen, wenn alle Voraussetzungen für den freiwilligen Beitritt (die freiwillige Weiterführung der Pflichtversicherung) erfüllt seien. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ergebe sich bei der Beitragsbemessung, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Solidaritätsprinzip erfolge; Bemessungsbasis sei daher das Einkommen der versicherten Person und nicht das zu versichernde Risiko.

[12] Die der Klägerin infolge freiwilliger Weiterführung der deutschen gesetzlichen Pflegeversicherung gewährte Pflegezulage sowie das österreichische Pflegegeld seien funktionsgleich, sodass die Pflegezulage gemäß § 7 BPGG auf das österreichische Pflegegeld anzurechnen sei. Dieses Ergebnis stehe auch mit Art 10 VO (EG) 883/2004 im Einklang. Beitragszahlungen seien sowohl der deutschen Pflegepflichtversicherung als auch der freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Pflegeversicherung immanent, sodass diese eine – durch die Anrechnung bewirkte – Kürzung des Pflegegeldes nicht hindern könnten. Der Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Klägerin ihre Anzeigepflicht gemäß § 10 BPGG verletzt habe, sei die Klägerin in der Berufung nicht entgegengetreten, sodass diese Frage nicht zu prüfen sei.

[13] Die Revision sei zulässig, weil die Ansicht der Klägerin, dass das Kriterium der „Freiwilligkeit“ von Beitragszahlungen gegenüber dem Kriterium ihrer „Gesetzlichkeit“ prävaliere, überprüfenswert sei.

[14] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[15] 1. Das Berufungsgericht hat in seiner ausführlichen Entscheidungsbegründung die in der Entscheidung 10 ObS 121/08d (SSV‑NF 22/71; zustimmend Pfeil, Anrechnung ausländischer Leistungen auf das Pflegegeld, DRdA 2010/16, 233) zu § 6 SPGG aF (§ 7 BPGG) aufgestellten Grundsätze beachtet.

[16] 2.1 Die gesetzmäßige Ausführung des Revisionsgrundes nach § 503 Z 4 ZPO setzt voraus, dass der Revisionswerber konkret ausführt, aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Sache rechtlich unrichtig beurteilt habe. Dazu reicht insbesondere das bloße Aufstellen der Behauptung der Unrichtigkeit nicht aus. Wird in der Revision nicht – zumindest in grundsätzlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – dargelegt, aus welchen Gründen dem Revisionswerber die rechtliche Beurteilung unrichtig erscheint, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, die materiell‑rechtliche Beurteilung zu überprüfen (1 Ob 221/04p; RS0043654, RS0043603, RS0043605). Eine pauschale Bekämpfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ohne Auseinandersetzung mit höchstgerichtlicher Rechtsprechung genügt demnach nicht den an eine Revision gestellten Anforderungen (10 Ob 11/14m; RS0043654 [T12]).

[17] 2.2 Die Revisionswerberin führt auch in der Revision lediglich aus, dass nach ihrer Übersiedelung von Deutschland nach Österreich keine Pflicht zum Abschluss bzw zur Aufrechterhaltung einer Pflegeversicherung in Deutschland mehr bestanden habe. Bei der Leistung der deutschen Pflegeversicherung handle es sich daher um keine staatliche oder anderweitige Leistung, die bei der Berechnung des Pflegegeldes zu berücksichtigen sei. Das Kriterium der „Freiwilligkeit“ der Prämienzahlungen prävaliere gegenüber dem Kriterium der „Gesetzlichkeit“. Damit hält die Revisionswerberin der oben dargestellten ausführlichen Begründung des Berufungsgerichts lediglich die nicht näher begründete Behauptung des Gegenteils entgegen, womit die Revision in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt wird.

[18] 2.3 Dasselbe gilt für die weiteren Revisionsausführungen, mit denen neuerlich behauptet wird, dass die von der Klägerin für die Pflegeversicherung in Deutschland geleisteten Beiträge „wertmindernd in Abzug zu bringen“ seien, wodurch sich eine Minderung des Rückerstattungsbetrags ergebe. Dem ermittelten Rückerstattungsbetrag sei entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts sehr wohl widersprochen worden. Auch mit diesen Ausführungen zeigt die Revisionswerberin nicht auf, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig sein sollte. Sie legt insbesondere nicht dar, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die von ihr begehrte „wertmindernde“ Anrechnung erfolgen sollte: Soweit die Revisionswerberin damit erkennbar nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen argumentiert, hat dem der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 121/08d entgegengehalten, dass derartige Schadenersatzansprüche nicht in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallen.

[19] Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

[20] Anhaltspunkte für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus der Aktenlage.

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