OGH 1Ob52/21k

OGH1Ob52/21k21.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. W* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner, Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, gegen die beklagte Partei Mag. T*, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG, Graz, wegen 13.073,62 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2020, GZ 3 R 189/20s‑20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 16. Juni 2020, GZ 206 C 326/19s‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131612

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte war ab 28. 10. 2015 Erwachsenenvertreter (vormals Sachwalter) einer bosnischen Staatsangehörigen, die in einer von der Klägerin betriebenen Wohn- und Betreuungseinrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen wohnhaft ist. Sein Wirkungskreis umfasste alle Angelegenheiten iSd § 286 Abs 2 Z 3 ABGB idF vor BGBl I 2017/59. Zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Tätigkeit bestand für die Betroffene ein aufrechter Kostenübernahmebescheid für den Ersatz und die Beitragsleistung nicht gedeckter Kosten der Unterbringung im Pflegeheim der Klägerin nach dem Steiermärkischen Sozialhilfegesetz bis zum 6. 5. 2017. Für die Zeit vom 7. 5. 2017 bis 17. 8. 2017 wurde ihr mangels Anspruchs aus Mitteln der Sozialhilfe ein Betrag von 13.073,62 EUR als Zuschuss für ihren Aufenthalt im Haus der Klägerin nicht ausbezahlt, weil die für eine (erfolgversprechende) Antragstellung notwendige Verlängerung ihres Aufenthaltstitels und die Antragstellung selbst nicht rechtzeitig erfolgten.

[2] Die Klägerin begehrt 13.073,62 EUR an Schadenersatz, weil der Beklagte weder rechtzeitig die notwendigen Schritte für die erforderliche Verlängerung des Aufenthaltstitels der Betroffenen noch für die Antragstellung auf Kostenübernahme nach dem Steiermärkischen Sozialhilfegesetz gesetzt habe. Deshalb sei für deren Aufenthalt im Haus der Klägerin ein Betrag von 13.073,62 EUR offen. Der Beklagte habe es unterlassen, das Wohl der Betroffenen bestmöglich zu fördern und damit gegen seine Handlungs- und Sorgfaltspflichten als Erwachsenenvertreter verstoßen.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts und ging wie dieses davon aus, dass ein allfälliger Nachteil der Klägerin nicht vom Schutzzweck der Verhaltenspflicht des Erwachsenenvertreters erfasst sei, sodass auch nicht abschließend beurteilt werden müsse, ob dem Beklagten überhaupt eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Die Revision sei zulässig, weil nach seiner Ansicht eindeutige höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Schäden eines Dritten auch dann nicht vom Schutzzweck der den Erwachsenenvertreter treffenden Pflichten erfasst seien, wenn diesem keine eigene Nachlässigkeit vorgeworfen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, was kurz zu begründen ist:

[5] 1. Ganz allgemein gilt, dass nur jene Schäden zu ersetzen sind, deren Eintritt die übertretene Vorschrift gerade verhindern wollte oder deren Verhinderung sie zumindest mitbezweckt (vgl nur RIS‑Justiz RS0027553 [T6; T17; T26]). Nach ständiger Rechtsprechung haftet ein Schädiger aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens daher nur für jene (kausal) verursachten Schäden, die vom Schutzzweck der (Gebots- oder Verbots‑)Norm erfasst werden (ausführlich: 1 Ob 73/16s [Pkt I.4.]; zum personalen, sachlichen und modalen Schutzbereich: Karner in KBB6 § 1311 ABGB Rz 5 mwN; RS0027553 [T18 ua]).

[6] 2. Die Pflichten eines Erwachsenenvertreters (vormals Sachwalter) nach § 275 Abs 1 ABGB idF vor BGBl I 2017/59 (2. ErwSchG) zur Wahrung und Förderung des Wohls des Betroffenen haben Bedeutung lediglich gegenüber dem Pflegebefohlenen, nicht aber im Verhältnis zu Dritten. Nach herrschender Rechtsprechung (vgl nur 1 Ob 197/01d [Punkt 6.2]; zur Vormundschaft 5 Ob 342/64; 5 Ob 174/66 SZ 39/125) und Lehre (Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 [2019] 197; Parapatits in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 249 Rz 18; Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 277 ABGB Rz 2; Volgger, Die Haftung des Sachwalters, iFamZ 2007, 74 [76]) bezwecken diese Verhaltenspflichten daher ausschließlich den Schutz des Betroffenen vor Rechtsnachteilen als Subjekt der Erwachsenenvertretung (vormals Sachwalterschaft), insbesondere vor allfälligen Vermögensnachteilen. Vermögensnachteile, wie sie die Klägerin geltend macht, indem sie dem Beklagten zur Last legt, er habe Sozialleistungen der Betroffenen nicht rechtzeitig beantragt, weswegen Kosten für deren Unterbringung im Zeitraum vom 7. 5. 2017 bis 16. 8. 2017 nicht beglichen seien, sind vor diesem Hintergrund bloße Reflexwirkung eines allfälligen pflichtwidrigen Handelns.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts folgt diesen Grundsätzen. Bedenken dagegen kann die Revisionswerberin mit ihrem allgemein gehaltenen Hinweis auf einen Verstoß des Beklagten gegen ein Schutzgesetz nicht erwecken. Aus welchen Gründen die den Sachwalter (Erwachsenenvertreter) gegenüber dem Pflegebefohlenen treffenden Pflichten dann auch dem Schutz der Vermögensinteressen eines Dritten dienen sollten, wenn diesem selbst kein Sorgfaltsvorwurf (in eigenen Angelegenheiten) zu machen ist, versucht die Revision gar nicht darzulegen und setzt sich damit mit der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage auch nicht auseinander. Sachlich überzeugende Gründe für eine solche Differenzierung sind auch nicht zu erkennen und können auch aus der Entscheidung zu 1 Ob 197/01d nicht abgeleitet werden. Warum die Entscheidung zu 1 Ob 197/01d „verfehlt“ sein soll, weil es sich danach bei der Sachwalterin nicht um eine Rechtsanwältin gehandelt hat, ist nicht nachvollziehbar. Für die Beurteilung, wie weit der Schutzzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) der hierzu beurteilenden Pflichten des Sachwalters (Erwachsenenvertreters) reicht, ist diese Frage ohne Belang.

[7] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht.

5. Der Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt, sodass eine Kostenentscheidung unterbleiben kann.

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