OGH 8ObA75/20t

OGH8ObA75/20t25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat ***** M*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner, BSc., MMMag. Nadja Auer, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 2020, GZ 15 Ra 23/20z‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00075.20T.0325.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 2 ASGG, § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit seinem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts, das die auf § 54 Abs 1 ASGG gestützte Klage mangels einer ausreichenden Anzahl betroffener Arbeitnehmer abgewiesen hatte.

[2] Die mangels Zulassung durch das Berufungsgericht außerordentliche Revision der klagenden Partei zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gemäß § 54 Abs 1 ASGG können in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft im Rahmen ihres Wirkungsbereichs sowie der jeweilige Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebs oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden. Es ist jedoch ohne Belang, wenn sich nach der Streitanhängigkeit die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens auf einen Arbeitnehmer verringert oder die Strittigkeit des Rechts oder Rechtsverhältnisses zwar nicht mehr einen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens, wohl aber zumindest noch einen zwischenweilig aus dem Betrieb oder Unternehmen ausgeschiedenen Arbeitnehmer betrifft.

[4] Nach der Rechtsprechung ist auch in diesem besonderen Feststellungsverfahren, das Testprozesscharakter aufweist, auf Seiten des Klägers ein rechtliches Interesse im Sinn des § 228 ZPO an der alsbaldigen Feststellung, und zwar bezogen auf das Verhältnis der materiell Betroffenen, erforderlich (OGH 9 ObA 29/88, Arb 10.735 = ZAS 1990/17, 151 [ Adamovic ]; 9 ObA 34/91, DRdA 1991/56, 468 [ Eypeltauer ] = RdW 1991, 299; RIS‑Justiz RS0085548; RS0085572; Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 54 ASGG Rz 6). Parteifähige Organe der Arbeitnehmerschaft sind nicht generell befugt, anstelle eines einzelnen Arbeitnehmers für diesen Individualansprüche gegen den Arbeitgeber geltend zu machen (RS0127054). Ein Feststellungsinteresse ist zu verneinen und die Klage abzuweisen, wenn nicht mindestens drei Arbeitnehmer konkret betroffen sind, die einen unmittelbaren, aktuellen Anlass zur Klagsführung hätten (RS0085568; 9 ObA 112/18p).

[5] Arbeitnehmer sind dann nicht (mehr) vom Klagebegehren betroffen, wenn die objektive Ungewissheit über den Bestand des strittigen Rechts bereits vor Klagseinbringung durch eine Individualvereinbarung mit dem Arbeitgeber bereinigt wurde. Die lediglich theoretische Möglichkeit der Anfechtung einer solchen Vereinbarung wegen Willensmängeln begründet kein Feststellungsinteresse im Sinn des § 54 Abs 1 ASGG. Dem Betriebsrat selbst steht nach dieser Bestimmung das Recht, Individualvereinbarungen anzufechten, nicht zu (RS0085568 [T2] = 9 ObA 112/18p).

[6] Im vorliegenden Verfahren steht fest, dass die vom Kläger als von der strittigen Auslegung der Qualifizierungskriterien betroffen namhaft gemachten Arbeitnehmer ihre Qualifizierungsperiode bereits vor Klagseinbringung abgeschlossen und – bis auf eine Person – ihre Dienstverhältnisse zur Beklagten mit ihrer Zustimmung einvernehmlich geregelt haben. In diesen Dienstverhältnissen spielen die streitgegenständlichen Qualifizierungsanforderungen insoweit aber keine Rolle mehr.

[7] Von diesem Sachverhalt ausgehend steht die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass weder die bloß theoretische Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung durch die genannten Arbeitnehmer, noch eine diese Anfechtung voraussetzende, überdies erst in der Zukunft liegende Möglichkeit der Geltendmachung früherer Gehaltsvorrückungen ein beim Kläger bestehendes aktuelles Feststellungsinteresse begründen, mit den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung im Einklang.

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