OGH 3Ob11/21w

OGH3Ob11/21w25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Jörg Zarbl, M.B.L.‑HSG, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, wegen 5.250 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. November 2020, GZ 50 R 114/20a‑27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 21. Juli 2020, GZ 17 C 44/20z‑23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00011.21W.0225.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Deutschland und Gründungskommanditistin einer deutschen GmbH & Co KG (im Folgenden: „die KG“), deren Geschäftsgegenstand der Erwerb, das Halten und Verwalten von unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen an Immobilienprojektentwicklungsgesellschaften (hier: in den Vereinigten Arabischen Emiraten) ist. Nach § 4 Abs 3 des Gesellschaftsvertrags der KG ist die Beklagte berechtigt, ihre Kommanditeinlage als Treuhänderin für Dritte (Anleger bzw Treugeber) um den Betrag von bis zu 47.499.000 EUR zu erhöhen. Dies erfolgt durch die gemeinsame Annahme von Beitrittserklärungen der Anleger durch die Beklagte und eine weitere Kommanditistin. Nach § 5 Z 1 des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft hält und verwaltet die Beklagte, soweit sie Kommanditeinlagen für Treugeber übernimmt, diese nach Maßgabe eines separat abzuschließenden Treuhand- und Verwaltungsvertrags. Anteile an der KG wurden in Österreich mit Wissen und Einverständnis der Beklagten über gewerbliche Vermögensberater an Konsumenten vermittelt.

[2] Der Kläger zeichnete am 7. März 2011 in Österreich zur privaten Vermögensvorsorge eine Beitrittserklärung an der KG zu einer Nominale von 5.000 EUR zuzüglich 5 % Agio und zahlte den Betrag auf das Konto der Beklagten bei einer deutschen Sparkasse ein. Eine gesonderte Vereinbarung über die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Treuhandvertrag wurde nicht geschlossen. Der Kläger erhielt ein Beteiligungszertifikat und eine Zahlungseingangsbestätigung. Eine schriftliche Bestätigung über die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere die Rechtsstellung der Klägerin sowie das Publikationsorgan und das Veröffentlichungsdatum des Prospekts, erhielt er nicht. Mit Schreiben vom 4. November 2019 erklärte der Kläger, vom Vertrag zurückzutreten und forderte den investierten Betrag zuzüglich Agio und Zinsen von der Beklagten.

[3] Der Kläger begehrte 5.250 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Übertragung der Treugeberstellung bzw der Rechte und Pflichten aus dem Treuhandvertrag.

[4] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, sie sei nicht passiv legitimiert, der Treuhandvertrag unterliege deutschem Recht und nach deutschem Recht seien die geltend gemachten Ansprüche verjährt, ein Verstoß gegen § 4 Z 3 KMG liege nicht vor und der Rücktritt sei nicht berechtigt.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Treuhandverhältnis sei durch den wirksamen Rücktritt des Klägers nach § 5 Abs 2 KMG aF (vor BGBl I 62/2019) mit Wirkung ex tunc aufgelöst und im Sinn des § 4 KSchG rückabzuwickeln.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 14 KMG aF fehle und zahlreiche Verfahren mit gleich gelagertem Sachverhalt anhängig seien.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im klageabweisenden Sinn abzuändern, hilfsweise aufzuheben.

[8] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision der Beklagten ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Am 25. November 2020 hat der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 220/20a über die Ansprüche nach dem Rücktritt einer privaten Anlegerin von einem nahezu gleichlautenden treuhändischen Beitritts- und Beteiligungsvorgang gegen dieselbe Beklagte entschieden; inzwischen sind weitere Parallelentscheidungen zu 9 Ob 49/20a und 9 Ob 58/20z ergangen (und ähnliche Verfahren zu 4 Ob 164/20a und zu 4 Ob 209/20v anhängig). Auf die ausführliche Entscheidungsbegründung zu 6 Ob 220/20a wird verwiesen.

[11] 2. Ebenso wie im Verfahren zu 6 Ob 220/20a sind die Vorinstanzen von der Anwendbarkeit österreichischen Rechts ausgegangen: Gegenstand des Rücktritts des Klägers ist (wie in den Parallelverfahren) nicht ein allfälliges Rechtsverhältnis mit der Emittentin, sondern der Treuhandvertrag mit der Beklagten. Dem entsprechend fordert der Kläger nicht von der Emittentin die Kapitaleinlage zurück, sondern macht gegenüber seiner Vertragspartnerin, der Beklagten, die Kondiktion der an diese – als Treugut – geleisteten Einzahlung geltend. Der Anspruch unterliegt daher nicht dem Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO und damit nicht dem Gesellschaftsstatut (6 Ob 220/20a mwN).

[12] 3. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet.

[13] Der Begriff des „Ausrichtens“ ist weit zu verstehen und bedeutet, dass der Wille des Unternehmers hinreichend erkennbar sein muss, mit Verbrauchern aus anderen Staaten, darunter dem Sitzstaat des Verbrauchers, Verträge abzuschließen (vgl EuGH C‑585/08 und C‑144/09, Pammer/Reederei Karl Schlüter und Hotel Alpenhof/Heller ; ECLI:EU:C:2010:740, Rn 75).

[14] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass aufgrund des Umstands, dass das konkrete Veranlagungsprodukt unter Verwendung eines eigenen Beitrittsformulars durch gewerbliche Vermögensberater mit Wissen und Einverständnis der Beklagten in Österreich vermittelt wurde, ein Ausrichten ihrer Tätigkeit auf Österreich vorliegt, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums.

[15] Dem Revisionsvorbringen, dass der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit a Rom I-VO (Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als jenem, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat) erfüllt sei, ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 110/07f; 1 Ob 48/12h) zur entsprechenden Bestimmung des Art 5 Abs 4 lit b EVÜ entgegen zu halten, wonach in vergleichbaren Fällen das Vorliegen des Ausnahmetatbestands verneint wurde (so auch 6 Ob 220/20a). Auf Basis der Feststellungen, nach denen der Kläger die Beitrittserklärung in Österreich unterfertigte und der Schlussfolgerung der Vorinstanzen, dass ihm die laufenden Informationen über die Beteiligung in Österreich zugingen, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, wonach die Beklagte ihre Dienstleistungen nicht ausschließlich im Ausland erbrachte.

[16] 4. Nach § 14 KMG aF (vor der Novelle BGBl I 62/2019) liegen Veranlagungsgemeinschaften in Immobilien vor, wenn Veranlagungen von Emittenten ausgegeben werden, die mit dem investierten Kapital direkt oder indirekt nach Zweck oder tatsächlicher Übung überwiegend Erträge aus der Überlassung oder Übertragung von Immobilien an Dritte erwirtschaften. Diese Sonderbestimmung ist nur dann anwendbar, wenn der Emittent mehr als 50 % seiner Erträge aus der Überlassung (Vermietung, Verpachtung) und der Übertragung (Veräußerung) von Immobilien erzielt.

[17] Nach den Feststellungen sollte sich der Kläger als Treugeber über die Beklagte an einer GmbH & Co KG beteiligen, die wiederum bis zu 90 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in den VAE erwerben sollte. Diese sollte dann mit einem weiteren Gesellschafter eine Gesellschaft gründen, deren Gegenstand die Entwicklung und Verwaltung von Grundstücken und Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere Bau und Betrieb einer Herz-, Gefäß- und Nierenklinik ist. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von diesem Sachverhalt eine Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien vorliegt, bestehen keine Bedenken.

[18] 5. Entgegen den Revisionsausführungen ist die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 5 Abs 2 KMG aF der Beklagten gegenüber nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sie die Beteiligung an der KG nicht an den Kläger veräußert, sondern mit diesem bloß eine Treuhandabrede in Ansehung der von ihr selbst gehaltenen Kommanditbeteiligung getroffen hat. Für das Rücktrittsrecht des § 5 Abs 2 KMG aF gilt vielmehr – wie auch hinsichtlich des Rücktrittsrechts nach § 5 Abs 1 KMG aF –, dass Rücktrittsgegner des Verbrauchers sein jeweiliger Vertragspartner ist (6 Ob 220/20a mwN).

[19] Soweit die Beklagte in Abrede stellt, dass sie gegenüber dem Kläger im eigenen Namen tätig wurde, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, sodass die Revision in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.

[20] Das Argument, ein Rücktritt wäre nur gegenüber der Fondsgesellschaft möglich gewesen, nicht aber gegenüber der Beklagten als bloßer Kommanditistin, lässt außer Acht, dass Gegenstand des hier ausgeübten Rücktrittsrechts nicht die Kommanditbeteiligung, sondern die Treuhandvereinbarung ist (6 Ob 220/20a mwN).

[21] 6. Die Rechtsansicht der Revisionswerberin, nach § 5 Abs 2 KMG aF berechtige nur das vollständige Fehlen der Anlegerbestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG zum Rücktritt des Verbrauchers, nicht aber die bloße Fehlerhaftigkeit der Anlegerbestätigung, trifft nicht zu. Zu 6 Ob 220/20a (= RS0133359) wurde bereits klargestellt, dass auch eine in wesentlichen Punkten fehlerhafte Prospektveröffentlichung – und nicht nur die Nichtveröffentlichung eines Prospekts – ein Rücktrittsrecht des Anlegers erzeugt, wobei für die (bloß) wesentlich fehlerhafte Bestätigung nach § 14 Z 3 KMG aF nichts anderes gilt.

[22] 7. Das Rücktrittsrecht des § 5 KMG aF wurde weitgehend dem § 3 KSchG nachgebildet ( Zib/Russ/Lorenz , Kapitalmarktgesetz [2008] § 5 Rz 2). Daher wirkt auch der Rücktritt nach § 5 KMG aF ex tunc (3 Ob 144/14v; Zivny , KMG² § 5 Rz 21).

[23] 8. Dass die Vorinstanzen die Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft, wonach ein Verbraucher im Fall eines Rücktritts oder Widerrufs eines Beitritts zu einer Personengesellschaft nur einen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben hat, das sich nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Gesellschaft berechnet, nicht angewendet haben, ist nicht zu beanstanden: Der Kläger ist nur vom Treuhandverhältnis mit der Beklagten zurückgetreten; dadurch kommt es weder zu einer Verringerung der Gesellschafteranzahl noch zu einer Verringerung des Gesellschaftsvermögens, da die Beklagte weiterhin ihre Stellung als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft behält (vgl 6 Ob 220/20a).

[24] 9. Schließlich ist auch der von der Revisionswerberin gegen ihre Rückzahlungspflicht ins Treffen geführte Umstand, nicht sie selbst, sondern die Fondsgesellschaft sei Empfängerin der von der Klägerin geleisteten Kommanditeinlage gewesen, weil die Überweisung auf ein Treuhandkonto erfolgt sei, über das nicht die Revisionswerberin, sondern die Fondsgesellschaft verfügungsberechtigt gewesen sei, nicht geeignet, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen. Da die Klägerin mit der Beitrittserklärung eine Zahlungsverpflichtung in Höhe des überwiesenen Betrags unmittelbar gegenüber der Beklagten übernommen hat und die Zahlung in Erfüllung dieser Vertragspflicht tätigte, steht ihr aufgrund des erfolgten Rücktritts von der Treuhandvereinbarung der Anspruch auf Rückzahlung des rechtsgrundlos geleisteten Einzahlungsbetrags auch gegenüber der Beklagten zu (6 Ob 220/20a).

[25] 10. Die Vorinstanzen haben daher den Anspruch des Klägers im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung für berechtigt erkannt. Die Beklagte zeigt in ihrer Revision dagegen keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[26] 11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RS0035962 [T6, T32]).

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