OGH 9ObA32/20a

OGH9ObA32/20a24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. T*****, Rechtsanwalt, *****, Deutschland, im Einvernehmen mit Dr. Katharina Bleckmann, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, sowie dem Nebeninterventienten auf Seiten der beklagten Partei J*****, Deutschland, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 14.572.206,72 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. Februar 2020, GZ 12 Ra 1/20h‑77, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00032.20A.0224.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Nur wenn die Auslegung der erstrichterlichen Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RS0118891 [T4, T5]). Das ist vorliegend nicht der Fall.

[2] Das Erstgericht stellte (disloziert) fest, dass „eine dementsprechende Zustimmung des organschaftlichen Vertreters der Alleingesellschafterin der Beklagten“ nicht vorlag. Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass sich diese Feststellung nicht nur auf die Genehmigung eines In-Sich-Geschäfts, sondern generell auf die Zustimmung zu der Vereinbarung bezieht, bestehen dagegen keine Bedenken. Schon aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass das Erstgericht vom Fehlen einer solchen Zustimmung ausgeht, da sonst eine Prüfung im Hinblick auf die Zulässigkeit eines In-Sich-Geschäfts nicht erforderlich gewesen wäre. Darüber hinaus hat das Erstgericht aber auch ausdrücklich festgestellt, dass eine Zustimmung der Mitglieder des Board of Directors nicht vorlag. Da aber der organschaftliche Vertreter der Alleingesellschafterin auch Mitglied des Board of Directors ist, ergibt sich schon daraus, dass er der Vereinbarung nicht zugestimmt hat.

[3] Damit liegt aber auch die geltend gemachte Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nicht vor, da das Berufungsgericht nicht von anderen Feststellungen als das Erstgericht ausgegangen ist, sondern diese nur im aufgezeigten Sinn verstanden hat.

[4] 2. Eine GmbH wird durch ihre Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 18 Abs 1 GmbHG). Gemäß § 20 Abs 2 GmbHG hat eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers im Innenverhältnis gegenüber dritten Personen keine rechtliche Wirkung.

[5] Missbraucht der Vertreter seine Vertretungsmacht, so wird dadurch die Gültigkeit des vom Vertreter mit dem Dritten abgeschlossenen Geschäfts im Allgemeinen aus Gründen des Verkehrsschutzes nicht berührt. Nach herrschender Rechtsprechung gilt dies allerdings nicht, wenn der Dritte vom Vollmachtsmissbrauch des Vertreters Kenntnis hatte, weil er dann nicht schutzwürdig ist. Die institutionell gesicherte Vertretungsmacht soll nur den redlichen Geschäftsverkehr erleichtern und die redlich an ihm Beteiligten schützen, nicht aber unredliche Geschäfte ermöglichen (RS0016733).

[6] In der auch vom Revisionswerber zitierten Entscheidung 6 Ob 35/19v hat sich der Oberste Gerichtshof unter ausführlicher Darstellung der Judikatur und Literatur generell mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen Mängel des Innenverhältnisses auch für das Außenverhältnis relevant sind. Aus dieser Entscheidung ergibt sich zusammengefasst, dass der Normzweck unbeschränkter organschaftlicher Vertretungsmacht darin liegt, eindeutig festzulegen, dass potentielle Geschäftspartner nicht gehalten sind, interne Zuständigkeitsregeln der Gesellschaft, namentlich die Geschäftsführungsbefugnis des handelnden Organs zu prüfen. Konsequenz dieses Normzwecks ist, dass Dritte, die wissen, dass das Organ interne Pflichten verletzt, nicht schutzwürdig sind. Ihnen gegenüber kommt das gesetzgeberische Motiv, Erkundigungsobliegenheiten seien zu vermeiden, nicht zum Tragen.

[7] Geht es aber um die Wahrung der Privatautonomie des Geschäftsherrn, macht es keinen Unterschied, ob der Vertreter seine Befugnis im Sinne einer intendierten Schädigung des Geschäftsherrn „missbraucht“ oder sein Vorgehen aus anderen Gründen sich aus dem Innenverhältnis ergebende Pflichtenbindungen verletzt. Aus diesem Grund ist auch die verbreitete Formulierung „Vollmachtsmissbrauch“ missverständlich, kommt es doch auf einen Missbrauch im engeren Sinn nicht an. Sowohl beim Vollmachtsmissbrauch im engeren Sinn als auch bei sonstiger Überschreitung von im Innenverhältnis bestehenden Bindungen ist das Handeln des Vertreters nicht vom Willen des Geschäftsherrn gedeckt, was sich der Dritte dann entgegenhalten lassen muss, wenn ihm dieser Umstand bekannt war.

[8] Vor dem Hintergrund des angesprochenen Gesetzeszwecks ist es auch überzeugend, außer der Feststellung konkreten Wissens im Sinne des „Sich-Aufdrängen-Müssens“ auch objektive Evidenz der Pflichtverletzung seitens des Vertretenen ausreichen zu lassen. Damit wird keineswegs eine Erkundigungsobliegenheit eingeführt, sondern nur berücksichtigt, dass sich innere Tatsachen nicht oder allenfalls nur ausnahmsweise beweisen lassen.

[9] Ein Vertrag ist daher schwebend unwirksam, wenn der Vertreter bei dessen Abschluss seine im Innenverhältnis bestehenden Pflichten – wenn auch ohne Schädigungsvorsatz – überschritten hat und dem anderen Teil dieser Umstand bekannt war oder sich geradezu aufdrängen musste.

[10] 3. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Nebenintervenient zwar im Außenverhältnis allein vertretungsbefugt war, im Innenverhältnis aufgrund seines Dienstvertrags aber nur zur Vertretung gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer oder einem Prokuristen befugt war. Darüber hinaus herrschte im Unternehmen das Vier-Augen-Prinzip, dem auch der Nebenintervenient unterworfen war, wonach mit jeder Angelegenheit mindestens zwei Personen zu befassen waren und Urkunden in der Regel zu zweit unterschrieben wurden. Nach den „Unterschriftsrichtlinien“ waren verpflichtende Schriftstücke mit zwei Unterschriften zu unterzeichnen. Von diesen Richtlinien wurde nur in begründeten Ausnahmefällen abgegangen. Zusätzlich hätte eine Vereinbarung wie die, auf die sich der Kläger beruft, der Zustimmung des Vergütungskomitees bedurft.

[11] Weder die Zustimmung oder Unterschrift eines weiteren vertretungsbefugten Organs, noch die Zustimmung des Vergütungskomitees lagen vor. Damit war der Nebenintervenient im Innenverhältnis nicht zur Unterfertigung der Vereinbarung berechtigt.

[12] 4. Dass diese internen Vorschriften nicht eingehalten wurden, wird auch in der außerordentlichen Revision nicht bestritten. Der Kläger macht jedoch geltend, dass das Erstgericht nicht festgestellt habe, dass eine Überschreitung der Befugnisse für ihn evident gewesen sei. Insofern ergänze das Berufungsgericht in Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes die erstgerichtlichen Feststellungen.

[13] Allerdings handelt es sich bei der Frage der „Evidenz“ der Überschreitung der Befugnisse um eine solche der rechtlichen Beurteilung, die nach den festgestellten Gesamtumständen zu erfolgen hat.

[14] Nach diesen war der Kläger als General Counsel mit den internen Regelungen bestens vertraut. Sowohl der Geschäftsführerdienstvertrag als auch die Unterschriftsrichtlinien waren dem Kläger nicht nur bekannt, sondern wurde der Dienstvertrag von ihm für die Beklagte unterzeichnet, die Unterschriftsrichtlinien wurden von ihm selbst erstellt. Damit war ihm aber auch bekannt, dass solche Vereinbarungen nicht nur von zwei vertretungsbefugten Organen zu entscheiden, sondern auch von beiden zu unterfertigen sind. Die Vereinbarung trägt aber ausschließlich die Unterschrift des Nebenintervenienten. Dass die Unterschrift des Klägers als nicht nur im eigenen Namen, sondern auch als Vertreter der Beklagten beigesetzt anzusehen ist, wird in der außerordentlichen Revision nicht mehr aufrecht erhalten.

[15] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass damit für den Kläger die Nichteinhaltung der internen Vorschriften für den Abschluss verpflichtender Geschäfte zumindest evident war, hält sich vor diesem Hintergrund im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[16] 5. Der Kläger wirft dem Berufungsgericht vor, zu Unrecht zu fordern, dass weitere – nach dem Innenverhältnis erforderliche – Zustimmungen auf der Vertragsurkunde ersichtlich sein müssten, ansonsten der Vertragspartner von ihrem Fehlen ausgehen müsse, und damit eine Erkundigungsobliegenheit zu statuieren. Dabei übersieht er, dass auch das Berufungsgericht eine Erkundigungsobliegenheit verneint hat. Es stimmte jedoch dem Erstgericht darin zu, dass sich dem Kläger ausgehend von den Gesamtumständen, dem außergewöhnlichen Inhalt der Vereinbarung, den unüblichen Umständen des Zustandekommens, der eigenen Stellung im Unternehmen und seiner umfassenden Kenntnisse von den vorgeschriebenen inneren Abläufen, Zweifel an der Einbindung anderer Gremien innerhalb des Konzerns aufdrängen mussten.

[17] 6. Der Kläger wendet sich in der außerordentlichen Revision nicht mehr gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass es sich bei der Vereinbarung, aus der er seine Ansprüche ableitet, um ein außergewöhnliches Geschäft handelt, das der Zustimmung auch der Alleingesellschafterin bedurft hätte. Diese liegt nach den Feststellungen, wie ausgeführt, nicht vor. Auch aus diesem Grund war der Nebenintervenient im Innenverhältnis nicht zum Abschluss des Vertrags berechtigt.

[18] Ob der Kläger darauf vertrauen durfte, dass diese Zustimmung vorlag, ist letztlich nicht von Relevanz. Auch wenn die Gesellschafterversammlung grundsätzlich jede Angelegenheit an sich ziehen und für die Geschäftsführer im Innenverhältnis bindend entscheiden kann (vgl RS0059962), lässt sich aus einer (vermuteten) Zustimmung zu einer Vereinbarung durch die Gesellschafter nicht auf einen Verzicht auf innerbetriebliche einzuhaltende Vorschriften bei Abschluss dieser Vereinbarung schließen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf die Einhaltung dieser Vorschriften wurde aber, wie dargelegt, vom Berufungsgericht vertretbar verneint.

[19] 7. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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