European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00012.21I.0218.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.017,90 EUR (darin 169,65 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:
[2] Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es sei angesichts des als Zweck des Schriftformgebots des § 33 MRG in der Entscheidung 8 Ob 102/16g erkannten Übereilungsschutzes des Mieters fraglich, an der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs festzuhalten, wonach eine formwidrige Mieterkündigung in ein Anbot auf einvernehmliche Vertragsauflösung umzudeuten ist, das bei Annahme durch den Vermieter zur Vertragsbeendigung führt.
[3] Die Beklagte mietete am 14. 2. 2019 von der Klägerin eine 200 m² große Teilfläche einer Lagerhalle, wobei es zwischen den Parteien unstrittig ist, dass dieser Mietvertrag in den Teilanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes fällt. Die Beklagte verzichtete im Mietvertrag für die ersten sechs Monate auf eine vorzeitige Kündigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Bestandverhältnisses. Die Vorinstanzen gaben dem auf Räumung der Bestandfläche lautenden Begehren der Klägerin, die sich auf eine einvernehmliche Auflösung des Mietvertrags per 15. 8. 2019 stützt, statt.
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Nach § 33 Abs 1 MRG können Mietverträge vom Mieter gerichtlich oder schriftlich, vom Vermieter jedoch nur gerichtlich gekündigt werden. Durch diese mit der WRN 2006 erfolgte – durch die ZVN 2009 modifizierte – Neuregelung kann der Mieter statt der zuvor bejahten Notwendigkeit einer gerichtlichen Mieterkündigung auch ein dem Kündigungsschutz des Mietrechtsgesetzes unterliegendes Mietverhältnis wirksam außergerichtlich aufkündigen, wobei er jedoch die Schriftform einhalten muss (Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 33 MRG Rz 11). Die Entscheidung 8 Ob 102/16g (wobl 2017, 186/59 [Häublein/Hochleitner] = ecolex 2017/248 [Benes]) hielt in diesem Zusammenhang fest, dass die rein privatrechtlich zu beurteilende außergerichtliche Aufkündigung eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung sei, die keiner Annahme durch den Gegner bedarf und ihre Wirkung mit Zugang entfaltet. Die Ansicht des (dort) Berufungsgerichts, dass für die wirksame Kündigung eines Bestandverhältnisses durch den Mieter gemäß § 33 Abs 1 MRG aus Gründen der Rechtssicherheit und des vom Gesetz intendierten Schutzes des Mieters die strenge Schriftform im Sinn der Unterschriftlichkeit erforderlich sei, wurde gebilligt. Das Verfassen und Versenden einer einfachen, nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur iSd § 4 Abs 1 SigG versehenen E‑Mail biete keinen der eigenhändigen Unterfertigung eines Schriftstücks gleichwertigen Übereilungsschutz, weil es an einem Akt fehle, der die Bedeutung der Vertragserklärung besonders augenscheinlich macht. Mit der Frage der – hier zu beurteilenden – einvernehmlichen Vertragsauflösung befasste sich die Entscheidung 8 Ob 102/16g nicht.
[5] 2. Bereits vor der WRN 2006 entsprach es ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur außergerichtlichen Mieterkündigung, dass diese als Angebot zu einvernehmlicher Vertragsauflösung zu verstehen sei; die schlüssige Annahme eines solchen Angebots setze aber voraus, dass der Vermieter ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das bei Berücksichtigung aller Umstände keinen Grund, daran zu zweifeln, übrig lässt (RS0014332). Der Vermieter sei zur Zurückweisung einer formwidrigen Kündigung grundsätzlich nicht verpflichtet, sein Stillschweigen könne nur bei Vorliegen zureichender Gründe als Annahme der als Auflösungsangebot umgedeuteten außergerichtlichen Kündigung verstanden werden; solche Gründe könnten etwa die Neuvermietung, die Annahme der Schlüssel zum Mietobjekt oder ähnliche unzweifelhafte Verhaltensweisen sein (RS0014397). Jedenfalls könne die ausdrückliche Annahme der außergerichtlichen Aufkündigung des Mieters betreffend ein den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegendes Bestandverhältnis durch den Vertragspartner im Einzelfall durchaus zu einer schlüssigen (§ 863 ABGB) Parteienvereinbarung über eine einvernehmliche Auflösung des Bestandverhältnisses führen (RS0014445). Dass der Vermieter eine formungültige Kündigung des Mieters als einvernehmliche Vertragsauflösungserklärung annehmen kann, ist auch im Schrifttum anerkannt (Lovrek aaO; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 MRG § 33 Rz 22).
[6] 3. Auch den Parteien eines auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietverhältnisses steht es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs frei, einverständlich die Auflösung des Mietverhältnisses zu einem bestimmten Endtermin zu vereinbaren (RS0113485; RS0070093; RS0070053; 3 Ob 145/08g; 5 Ob 184/10k), es sei denn die einverständliche Vertragsauflösung diente der Umgehung des Mietrechtsgesetzes (RS0067213), der Mieter also bei der einvernehmlichen Lösung des Bestandverhätnisses unter Druck stand (RS0069473). Die Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes zugunsten des Mieters sind wegen des vom Gesetzgeber als typisch erachteten und ohne Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalls ausnahmslos anzunehmenden ökonomischen und sozialen Drucks im Zweifel stets als zwingend anzusehen, auch wenn dies nur bei einzelnen Bestimmungen betont wird. Ein nachträglicher Verzicht des Mieters auf die Geltendmachung der ihm entgegen anderslautenden Vereinbarungen erwachsenen Rechte ist zwar zulässig, setzt aber voraus, dass der erwähnte ökonomische und soziale Druck weggefallen ist (RS0034015). In Bezug auf den Verzicht auf die Rückforderung einer verbotenen Ablöse iSd § 27 Abs 1 MRG entspricht es etwa ständiger Rechtsprechung, dass dieser nur bis zum Wegfall der Zwangslage des Mieters ausgeschlossen ist (5 Ob 189/15b mwN). Der Zeitpunkt des Wegfalls der Zwangslage wird immer von den Umständen des Einzelfalls bestimmt (RS0034044).
[7] 4. Die schlüssige Annahme eines Angebots zur einvernehmlichen Vertragsauflösung setzt voraus, dass der Vermieter ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das bei Berücksichtigung aller Umstände keinen Grund, daran zu zweifeln, übrig lässt (§ 863 Abs 1 ABGB). Die Beurteilung von konkludenten Willenserklärungen ist dabei regelmäßig einzelfallbezogen und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar (6 Ob 68/12m zur Frage der einvernehmlichen Auflösung eines Mietverhältnisses; RS0081754 [T9]; RS0042936 [T36; T47]; RS0043253).
[8] 4.1. Im vorliegenden Fall gab der Geschäftsführer der beklagten Mieterin mit E‑Mail vom 16. 5. 2019 der Klägerin bekannt, dass die Beklagte die Kündigung des Vertrags und die Räumung des Lagers vorbereite. In Telefonaten vom 16. und 18. 5. 2019 teilte er dem Geschäftsführer der Klägerin mit, dass er das Bestandverhältnis beenden wolle. Mit E‑Mail vom 22. 5. 2019 hielt daraufhin der Geschäftsführer der Klägerin fest, dass er zum Thema Kündigung keine konkreten Vorschläge bekommen habe und auf seine Anrufe nicht reagiert werde. Kurz danach kündigte der Geschäftsführer der Beklagten bei einem Telefonat den Vertrag zum 15. 8. 2019 auf; der Geschäftsführer der Klägerin stimmte dieser Kündigung zu. Bei dieser Aufkündigung stand der Geschäftsführer der Beklagten nicht unter Druck, sondern ging der Wunsch nach Auflösung des Vertrags von ihm aus. In zwei weiteren E‑Mails am 22. 5. und am 12. 6. 2019 bestätigte der Geschäftsführer der Beklagten Kündigung und Räumung.
[9] 4.2. Bei dieser Sachlage stellt die Annahme einer einvernehmlichen Auflösung des Vertrags durch die Vorinstanzen keine Fehlbeurteilung dar. Vielmehr hat die Klägerin die formungültige Kündigung ausdrücklich angenommen; dass der Geschäftsführer der Beklagten nicht unter Druck stand, zeigt sich unter anderem darin, dass er auch nach seiner Kündigungserklärung weiter auf die erfolgte Kündigung Bezug nahm.
[10] Der Revision der Beklagten gelingt es nicht aufzuzeigen, weshalb insoweit eine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegen soll. In der dort zitierten Entscheidung 5 Ob 133/10k wurde lediglich zum Schriftformgebot im Zusammenhang mit § 16 Abs 1 Z 5 MRG Stellung genommen; dass im vorliegenden Fall die Kündigung der Beklagten, weil mündlich, nicht dem Schriftformgebot entsprach, ist aber ohnehin nicht strittig. Weshalb schließlich lediglich dann eine konkludente Auflösung vorliegen sollte, wenn diese bereits durch Übergabe des Bestandobjekts vollzogen wurde, ist nicht nachvollziehbar: Die Deutung des Erklärungsinhalts etwa der Übergabe von Schlüsseln ist lediglich eine Möglichkeit einer schlüssigen Erklärung. Dass andere Verhaltensweisen nicht als Auflösungserklärung gedeutet werden dürften, ergibt sich daraus nicht. Auch der in der Revision genannten Entscheidung 9 Ob 24/03z ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
[11] 5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.
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