OGH 8ObA115/20z

OGH8ObA115/20z28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T* T*, vertreten durch Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, gegen die beklagte Partei F* Ges.m.b.H., *, vertreten durch die anwaltschriefl KG in Mödling, wegen 22.023,94 EUR brutto zuzüglich 804,53 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 22.023,94 EUR brutto zuzüglich 154,53 EUR netto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. September 2020, GZ 9 Ra 31/20z‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130802

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war seit 3. 9. 2018 bei der beklagten Spedition als Disponent beschäftigt. Er wohnt gemeinsam mit seiner Ehegattin und dem am 27. 11. 2018 geborenen gemeinsamen Sohn. Es war geplant, dass die Mutter in den Monaten Juni, Juli und August 2019 ihre Karenz unterbricht und der Kläger in dieser Zeit Väterkarenz in Anspruch nimmt, was der Kläger der Beklagten am 21. 2. 2019 im Wesentlichen mitteilte.

[2] Mit Schreiben vom 28. 2. 2019 sprach die Beklagte wegen eines bestimmten Sachverhalts die Entlassung aus, ohne eine gerichtliche Zustimmung zu ihr einzuholen. In weiterer Folge war der Kläger arbeitslos. Seine Ehegattin unterbrach nicht wie ursprünglich geplant ihre Karenz und bezog weiter Kinderbetreuungsgeld.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner Klage Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 1. 3. bis 31. 5. und 1. 9. bis 15. 11. 2019. Die Entlassung sei wegen Verletzung des § 7 Abs 3 VKG unwirksam. Wegen des Kündigungsschutzes nach VKG hätte das Dienstverhältnis frühestens zum 15. 11. 2019 von der Klägerin aufgekündigt werden können.

[4] Das Berufungsgericht gab der Klage – unter Abzug einer (teilweise) als zu Recht bestehend erkannten Gegenforderung der Beklagten – statt. Es entgegnete dem Einwand der Beklagten, der Kläger habe die Väterkarenz tatsächlich nicht am 1. 6. 2019 angetreten, dass die Karenz nur in einem aufrechten Dienstverhältnis in Anspruch genommen werden könne, ein solches hier aber wegen der Entlassung nicht mehr vorgelegen habe. Für die hypothetische Vergleichsberechnung zur Ermittlung der Kündigungsentschädigung nach § 29 AngG legte das Berufungsgericht zugrunde, dass die Arbeitsvertragsparteien die ihnen jeweils zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten genutzt hätten, woraus sich ein fiktives Ende des Dienstverhältnisses am 15. 11. 2019 ergebe.

[5] Die Beklagte zeigt in ihrer außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. § 2 VKG gibt – parallel zum MuttSchG – dem Vater ein einseitiges Gestaltungsrecht (9 ObA 99/17z [Pkt 6.] = DRdA 2018/43 [K. Mayr] mwN). Es modifiziert für die Zeit der Karenz das Arbeitsverhältnis insofern, als es zwar aufrecht bleibt, aber die beiden Hauptleistungspflichten – die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers – ruhen (4 Ob 153/77 = DRdA 1979/3 [G. Klein] = ZAS 1978/29 [Marhold]; RS0070748 [T1]; vgl jüngst auch 10 ObS 107/20p [Pkt 1.4. aE]).

[7] Das Gestaltungsrecht wird zwar durch das (vorherige, § 2 VKG) an den Arbeitgeber gerichtete Verlangen auf Karenzierung ausgeübt, wobei grundsätzlich Beginn und Dauer der Karenz anzugeben sind (Bauer in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz3 [2020] § 2 VKG Rz 3 und 11; Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2 VKG Rz 12, § 7 Rz 4). Seine gestaltende Wirkung entfaltet es aber erst mit Erreichung des Beginns der Karenz. Weil es um die Gestaltung des Dienstverhältnisses geht, muss dieses aufrecht sein (Ercher/Stech in Ercher/Stech/Langer, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz [2005] § 2 VKG Rz 4), und zwar sowohl bei der Ausübung des Gestaltungsrechts (vgl Bauer aaO § 2 VKG Rz 10) als auch sodann beim Beginn der Karenz (vgl 4 Ob 153/77, wonach es eine wesensmäßige Voraussetzung des Karenzurlaubs nach dem MuttSchG ist, dass die Arbeitnehmerin während dessen Dauer, hätte sie ihn nicht in Anspruch genommen, zur Arbeitsleistung an sich verpflichtet wäre).

[8] Fand – wie hier – das Arbeitsverhältnis bereits zwischen dem Verlangen auf Karenzierung und dem (dabei bekanntgegebenen) Karenzbeginn sein Ende, geht das Gestaltungsrecht ins Leere; es kann nicht mehr zur Karenzierung kommen. Wie bereits zutreffend vom Berufungsgericht erkannt, war es daher von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch Entlassung die Karenz antritt. Der vom Erstgericht festgestellte Nichtantritt der Karenz kann ihm daher nicht schaden.

[9] 2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Entlassung des Klägers sei wegen Verletzung des § 7 Abs 3 Satz 2 VKG durch die Beklagte rechtsunwirksam (vgl 8 ObA 37/17z [Pkt 4.1. und 4.2.] = DRdA 2018/24 [Pfalz] = EvBl 2018/30 [Burger-Ehrnhofer] sowie § 7 Abs 3 Satz 3 VKG iVm § 12 Abs 4 MuttSchG), wird in der Revision nicht in Frage gestellt.

[10] 3. Nach der Rechtsprechung hat der Dienstnehmer im Fall einer unwirksamen Auflösung des Dienstverhältnisses bei bestehendem besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Auflösung und der Forderung einer Kündigungsentschädigung bei rechtswidriger Beendigung (RS0101989 [T1]; 8 ObA 37/17z [Pkt 3.] mwN; vgl auch RS0070823). Der Kläger wählte hier letzteres.

[11] 4. Dass das Berufungsgericht bei der Ermittlung der Kündigungsentschädigung als entscheidungswesentlich betrachtete, wann das Dienstverhältnis bei einer ordnungsgemäßen Kündigung durch den beklagten Arbeitgeber fiktiv geendet hätte, entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl RS0028397; 8 Ob 2092/96x; Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 29 Rz 1). Dabei ging esmit Hinweis auf 8 ObS 9/08v (= DRdA 2010/31 [krit Burger-Ehrnhofer] = ZAS 2010/6 [krit Drs]) – zu welchem konkreten Fall diese Entscheidung erging, ist entgegen der Ansicht der Revision ohne Belang – auch berechtigt davon aus, dass bei Ermittlung des hypothetischen Vertragsendes grundsätzlich anzunehmen ist, dass die Arbeitsvertragsparteien die ihnen jeweils zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten genutzt hätten. Hier hat der Kläger ja auch schon konkret den Karenzurlaub festgelegt.

[12] Damit war im vorliegenden Fall zugrunde zu legen, dass der Kläger, wäre er nicht entlassen worden, am 1. 6. 2019 eine dreimonatige Karenz angetreten hätte.

[13] Dass ausgehend vom einem Ende der (fiktiven) Karenz am 31. 8. 2019 der Beklagten eine (fiktive) Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses frühestens zum 15. 11. 2019 möglich gewesen wäre, zieht die Beklagte in der Revision nicht in Zweifel.

[14] Weil es der Beklagten nicht gelingt, eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, ist ihre außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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