OGH 12Os142/20d

OGH12Os142/20d21.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Nieschlag in der Strafsache gegen Peter E***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. November 2018, GZ 120 Hv 45/18g-31, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00142.20D.0121.000

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. November 2018, GZ 120 Hv 45/18g-31, verletzt in seinem Verfallsausspruch §§ 1, 61 StGB sowie § 20 StGB idF vor BGBl I 2010/108.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch über den Verfall aufgehoben, und zwar

a./ in Ansehung eines Betrags von 57.800 Euro (betreffend die Schuldspruchfakten 8./, 11./a./ und 13./) ersatzlos und

b./ in Ansehung eines Betrags von 102.800 Euro (betreffend die Schuldspruchfakten 4./, 9./ und 10./) und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. November 2018, GZ 120 Hv 45/18g‑31, wurde Peter E***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er von Ende 2002 bis zum 19. Oktober 2016 in S***** und an anderen Orten mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) 32 im Urteil namentlich genannte Personen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorgabe, rückzahlungsfähiger und -williger Darlehensnehmer zu sein, die übernommenen Geldbeträge in tatsächlich nicht existierende Sparprogramme gewinnbringend anzulegen oder zur Besicherung der Rückzahlungsforderungen seine Ansprüche aus Lebensversicherungen sowie gegenüber der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse abzutreten, teils unter Benützung falscher Urkunden, nämlich von ihm selbst verfasster, vorgeblich von Rechtsanwalt Dr. C***** sowie der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse stammender Schreiben zur angeblichen Besicherung der Rückzahlungsansprüche, zu Handlungen verleitet, die die Geschädigten insgesamt in dem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von 1.210.950 Euro am Vermögen schädigten.

[3] Unter einem wurde gemäß § 20 Abs 3 StGB ein Geldbetrag von 1.009.700 Euro für verfallen erklärt (US 5, 17 ff). Den 29 Privatbeteiligten wurden – nach jeweiligen Schadensbeträgen aufgeschlüsselt – gemäß § 369 Abs 1 StPO insgesamt 963.700 Euro zugesprochen (US 5 f, 19).

[4] Da der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft lediglich den Ausspruch über die Freiheitsstrafe bekämpften (ON 33, 34, 41), erwuchsen der Schuld- und der Verfallsausspruch sowie der Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche in Rechtskraft.

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das im Spruch genannte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht in seinem Verfallsausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[6] Die Anwendbarkeit der Bestimmungen über vermögensrechtliche Anordnungen richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die Straftat begangen wurde, auf die sich die Maßnahme bezieht (RIS-Justiz RS0119545).

[7] Dabei ist auch bei einer nach § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit für jede Tat gesondert ein auf die vermögensrechtliche Maßnahme bezogener – von der rechtlichen Beurteilung dieser Tat „entkoppelter“ (RIS-Justiz RS0119545 [T12]) – Günstigkeitsvergleich (im Sinn des § 61 StGB) vorzunehmen (RIS-Justiz RS0119545 [T10]).

[8] Die für den Zeitraum von Ende 2002 bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Tatzeitgesetze sahen als dem Verfall (§§ 20 f StGB idgF) vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die – nach dem sogenannten Nettoprinzip zu ermittelnde – Abschöpfung der Bereicherung vor (§§ 20 f StGB idF vor BGBl I 2010/108). Nach § 20a Abs 1 StGB aF war die Abschöpfung ausgeschlossen, soweit der Bereicherte zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat befriedigt oder sich dazu in vollstreckbarer Form vertraglich verpflichtet hatte, er dazu verurteilt worden war oder zugleich verurteilt wurde oder die Bereicherung durch andere rechtliche Maßnahmen beseitigt wurde. Demnach hatte eine Abschöpfung in dem Umfang zu unterbleiben, in welchem der Bereicherte zugleich mittels Adhäsionserkenntnisses zur Befriedigung von zivilrechtlichen Ansprüchen aus der Tat verurteilt wurde (vgl RIS-Justiz RS0090556). Dagegen ist die Anordnung des Verfalls bei gleichzeitigem Zuspruch an die Privatbeteiligten zulässig (RIS-Justiz RS0129916).

[9] Vor diesem Hintergrund ist die Abschöpfung der Bereicherung in jenen Fällen, in denen zugleich ein Zuspruch an Privatbeteiligte erging, günstiger.

[10] Indem das Landesgericht für Strafsachen Graz die Subsidiarität der Abschöpfung gegenüber einem gleichzeitigen Privatbeteiligtenzuspruch (§ 20a Abs 1 StGB aF) außer Acht ließ (US 18), hat es die Rechtsfrage, welche Gesetze für den Angeklagten günstiger waren, in Ansehung eines Teils der der vermögensrechtlichen Anordnung zugrunde liegenden Taten unrichtig gelöst, wobei wie folgt zu differenzieren ist:

[11] 1. Nach den Urteilsfeststellungen wurden Vermögenswerte durch Taten erlangt, hinsichtlich derer nicht zugleich auch ein Zuspruch an Privatbeteiligte erfolgte (Schuldspruchfakten 5./, 6./ und 15./) oder durch nach dem 1. Jänner 2011 begangene Taten (Schuldspruchfakten 18./ bis 32./).

[12] 1.1. In Bezug auf die zu 1./ bis 3./, 7./, 12./, 14./, 16./ und 17./ abgeurteilten Taten – zu denen nach Auffassung der Generalprokuratur offen bleibt, ob günstigeres Tatzeitrecht anwendbar gewesen wäre – lässt das Urteil nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs erkennen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19), dass die Tatrichter von jeweiligen tatbestandlichen Handlungseinheiten (zum Begriff und den Auswirkungen vgl RIS-Justiz RS0122006, RS0120233) ausgingen (vgl US 2 ff, 7 ff: jeweils „mehrere“ bzw „zahlreiche“ deliktische Angriffe gegen ein und dieselbe Person in einem teils vor, teils nach dem 1. Jänner 2011 liegenden Zeitraum bei festgestellter einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage). Bei Beurteilung einer tatbestandlichen Handlungseinheit ist aber die zum Zeitpunkt der Vornahme des letzten Teilakts geltende Rechtslage maßgebend, ohne dass dem Täter früheres, zur Zeit vorangegangener Teilhandlungen geltendes (allenfalls günstigeres) Recht zugute käme (RIS-Justiz RS0091813; Salimi in WK2 StGB § 67 Rz 10 mwN).

[13] 1.2. Im bisher dargelegten Umfang ist das Erstgericht daher zutreffend von der Anwendbarkeit der Bestimmungen über den Verfall nach §§ 20 f StGB (idgF) ausgegangen.

[14] 2. In Betreff der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten laut 8./, 11./a./ und 13./ des Schuldspruchs, die jeweils vor dem 1. Jänner 2011 begangen wurden (US 2 f, 8) und hinsichtlich derer korrespondierende Privatbeteiligtenzusprüche in Höhe von 57.800 Euro (US 5 f) ergingen, hätte das Erstgericht in Entsprechung der §§ 1, 61 StGB Tatzeitrecht einschließlich der Ausschlussklausel des § 20a Abs 1 StGB aF anwenden müssen.

[15] 3. Betreffend die Schuldspruchfakten 4./, 9./ und 10./ lässt das Urteil offen, inwieweit diese (ebenfalls in tatbestandlicher Handlungseinheit verwirklichten) Taten vor oder nach dem 1. Jänner 2011 beendet wurden (vgl US 2 f: „vor“ dem 19. Oktober 2016). Davon ausgehend kann nicht beurteilt werden, welche Rechtslage (§§ 20a f StGB aF oder § 20 StGB idgF) zum Tragen kommt.

[16] Da sich der aufgezeigte Rechtsfehler für den Verurteilten nachteilig ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[17] Im diesbezüglichen neuen Verfahren steht die Entscheidung im Sinn des letzten Satzes des § 445 Abs 2 StPO dem Vorsitzenden des Schöffengerichts als Einzelrichter zu (vgl RIS-Justiz RS0117920, RS0100271).

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