OGH 3Ob176/20h

OGH3Ob176/20h20.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, und der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten 1. Dr. C* als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der P* GmbH, vertreten durch Dr. Candidus Cortolezis Rechtsanwalt GmbH in Graz, 2. V* GmbH, *, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwälte GmbH in Graz, 3. Ing. H*, vertreten durch Mag. Barbara Brandl, Rechtsanwältin in Graz, 4. S* GmbH, *, vertreten durch Mag. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Likar Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 23.051,69 EUR sA und Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 7. August 2020, GZ 5 R 68/20m‑109, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130655

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die behaupteten Verfahrensmängel wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[2] 2. Nach den Feststellungen hat die Beklagte, die bereits anlässlich der Übergabe des von ihr von der klagenden Bauträgerin gekauften Wohnungseigentumsobjekts zahlreiche Mängel geltend gemacht hatte, lediglich die Durchführung der von einem Privatgutachter der Klägerin vorgeschlagene Vorgangsweise zur Sanierung eines Mangels, nämlich des Schimmelproblems im Dachboden ihres Objekts, abgelehnt. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz bestanden aber – bei einer (den beiden letzten Raten nach dem im Kauf‑ und Bauträgervertrag vereinbarten Ratenplan B gemäß BTVG entsprechenden) aushaftenden Forderung von 27.445 EUR – nach wie vor verschiedene im Einzelnen festgestellte Mängel, für deren Behebung (in Eigenleistung der Klägerin) Kosten von insgesamt 4.012 EUR brutto aufzuwenden sind. Dass die Vorinstanzen ausgehend von diesem Sachverhalt das Zurückbehaltungsrecht der Beklagten nach § 1052 ABGB wegen dieser Mängel bejahten und daher den Vertragsrücktritt der Klägerin als unberechtigt ansahen, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar:

[3] 2.1. Der Werkbesteller/Käufer kann der Werklohn- bzw Kaufpreisklage die Einrede des nicht erfüllten Vertrags auch bei Vorliegen geringfügiger Mängel entgegenhalten, es sei denn, die Ausübung dieses Rechts artet zur Schikane aus (RIS‑Justiz RS0020161). Beträgt der Verbesserungsaufwand – wie hier – rund 15 % des offenen Werklohns, ist Schikane jedenfalls zu verneinen (3 Ob 142/08s = RS0020161 [T10]).

[4] 2.2. Es trifft zwar zu, dass die Fälligkeit des Werklohns bzw Kaufpreises nur solange hinausgeschoben werden kann, als ein Verbesserungsanspruch besteht und die Verbesserung im Interesse des Bestellers/Käufers liegt; fällt dieses Interesse weg, besteht kein Bedürfnis nach Gewährung eines gänzlichen Leistungsverweigerungsrechts mehr (RS0019929). Das Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers/Käufers erlischt deshalb, sobald er die Fertigstellung des Werks durch den Unternehmer/Verkäufer verhindert oder unmöglich macht oder wenn er das noch unvollendete Werk von einem Dritten vervollständigen lässt (RS0019929 [T16]). Allerdings begründet es keine erhebliche Rechtsfrage, dass die Vorinstanzen das Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten wegen der zahlreichen nach wie vor bestehenden Mängel bejahten, obwohl sie die Behebung eines anderen, davon unabhängigen – und im Übrigen mittlerweile ohnehin von der Klägerin behobenen – Mangels (des Schimmelproblems) auf die ursprünglich vorgeschlagene Weise abgelehnt hatte. Der von der Revisionswerberin in Zusammenhang mit der zunächst erklärten Ablehnung der Sanierung des Schimmelproblems vermissten zusätzlichen Feststellungen bedurfte es nicht, weil sich daraus keine Weigerung der Beklagten ableiten ließe, andere Mängel durch die Klägerin verbessern zu lassen.

[5] 2.3.1. Der Haftrücklass (das vertragliche Recht des Bestellers/Käufers, einen Teil des Werklohns/Kaufpreises zurückzubehalten) oder die Haftrücklassgarantie (mit dem Zweck, den Begünstigten so zu stellen, als ob er die fragliche Summe noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte) sollen Gewährleistungsansprüche sichern und somit auch den Anspruch des Bestellers/Käufers auf Verbesserung des mangelhaften Werks bzw der mangelhaften Kaufsache. Solange ein Verbesserungsanspruch besteht, wird die Fälligkeit des Werklohns bzw Kaufpreises hinausgeschoben. Die Vereinbarung einer Haftrücklassgarantie hat darauf keinen Einfluss; der Parteiwille ist regelmäßig allein darauf gerichtet, dass die Haftrücklassgarantie den Haftrücklass ersetzt, während sonst keine Veränderung der Rechtspositionen herbeigeführt werden soll (6 Ob 140/16f mwN). Mit dem Haftrücklass soll in erster Linie eine Deckung für zunächst verborgene Mängel geschaffen und ein Hinausschieben der Endabrechnung im Hinblick auf allenfalls noch vorhandene, aber zunächst nicht erkennbare Mängel verhindert werden. Damit wird aber nicht automatisch auf das darüber hinausgehende Leistungsverweigerungsrecht des Bestellers mangels Fälligkeit des Werklohns wegen Unterlassung einer Verbesserung des mangelhaften Werks verzichtet (RS0018128; 8 Ob 628/90 = RS0020059).

[6] 2.3.2. Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen, indem sie das Zurückbehaltungsrecht der Beklagten trotz der Tatsache bejahten, dass ihr mit Fälligstellung der siebten und letzten Kaufpreisrate (= 2 % Haftrücklass) – zu einem Zeitpunkt, als sie schon zahlreiche Mängel des Objekts gerügt hatte – eine entsprechende Haftrücklassgarantie übermittelt worden war.

[7] 3. Dass das Berufungsgericht davon ausging, dass die festgestellten Mängel (insbesondere Kratzer an neuwertigen Isolierglasscheiben in einer Länge von bis zu 9 cm, sowie Oberflächenschäden an Fensterrahmen, Fensterstöcken und Innenfensterbänken) mit der gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft einer „Neuwertigkeit“ keinesfalls vereinbar sind, stellt ebenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

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