OGH 13Os50/20g

OGH13Os50/20g13.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pateisky in der Strafsache gegen Stephanie W***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall und 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 7. November 2019, GZ 22 Hv 98/18p‑65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00050.20G.0113.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stephanie W***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall und 15 StGB (1) sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (2) schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie in I***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

(1) in einer Vielzahl von Angriffen andere gewerbsmäßig durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet und dies versucht, die Nachgenannte in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, indem sie gegenüber Verfügungsberechtigten der nachangeführten Versicherungsträger und Versicherungsgesellschaften sowie gegenüber Verhandlungsrichtern und Prozessgegnern in anhängig gemachten Zivilverfahren in Tatsachenbehauptungen, Parteivorbringen und Vernehmungen vorgab, infolge am 13. Dezember 2012 erlittener Unfallverletzungen könne sie ihren linken Arm schmerzbedingt dauerhaft nicht mehr gebrauchen und sei daher arbeitsunfähig und es sei an ihrem gesamten linken Arm ein sogenannter Morbus Sudeck aufgetreten, wodurch sie diese zur Erbringung im Urteil näher bezeichneter versicherungsvertraglicher Sach‑ und Geldleistungen (a bis f), zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs (g) und zur Klagsstattgebung (h) verleitete (a bis d, f, g) oder dies versuchte (e und h), und zwar

a) vom 29. April 2013 bis zum 7. Dezember 2016 die T***** (T*****) um 15.361,54 Euro,

b) am 13. Dezember 2013 die P***** um 32.074,65 Euro,

c) vom 29. April 2013 bis zum November 2015 die M***** AG um 18.000 Euro,

d) vom 29. April 2013 bis zum 27. Mai 2014 die D***** AG um 21.600 Euro,

e) am 13. August 2014 und am 12. November 2015 die D***** AG um 365.500 Euro,

f) vom 26. August 2013 bis zum 16. Dezember 2015 die U***** AG um 5.369,60 Euro,

g) vom 4. September 2014 bis zum 21. Jänner 2015 die P***** um 4.461,70 Euro und

h) vom 5. Dezember 2014 bis zum 4. Februar 2016 die M***** AG um 647.953,77 Euro sowie um 309,07 Euro monatlich bis an ihr Lebensende, weiters

(2) am 23. Jänner 2018 Verfügungsberechtigten des Unternehmens Pr***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein T‑Shirt im Wert von 9 Euro, „weggenommen“.

[3] Gegen den Schuldspruch 1 wendet sich die auf Z 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) erfolgte die Abweisung des Antrags, „gemäß § 127 Abs 3 StPO zum selben Beweisthema wie bisher“ ein weiteres medizinisches Gutachten einzuholen, „zumal das Gutachten der Sachverständigen Dr. Margot G***** mangelhaft“ sei (ON 64 S 20), zu Recht.

[5] Gemäß § 127 Abs 3 StPO ist ein weiterer Sachverständiger zur Verhandlung beizuziehen, wenn das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die Bedenken nicht durch Befragung des bestellten Sachverständigen beseitigen lassen. „Sonst mangelhaft“ ist ein Gutachten dann, wenn es unschlüssig, unklar oder unbegründet ist, den Kriterien der Logik widerspricht oder nicht mit den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0127942).

[6] Durfte – wie hier (ON 64 S 14 ff) – die Angeklagte die Sachverständige in der Hauptverhandlung zu sämtlichen gegen ihr Gutachten erhobenen Kritikpunkten befragen und bezog diese auch Stellung, so bedarf es für einen Beweisantrag auf Einholung eines zweiten Gutachtens der fundierten Darlegung, weshalb behauptete Bedenken nicht aufgeklärt wären (RIS‑Justiz RS0102833 [T3]). Dieser Anforderung hat die Angeklagte nicht entsprochen.

[7] Auch der Antrag auf Vernehmung namentlich genannter, die Angeklagte behandelnder Ärzte und Physiotherapeuten (ON 57 S 2 f iVm ON 64 S 9, 20) zum Beweis dafür, dass sich „ihre subjektiven Angaben zu ihrem Schmerzempfinden stets mit den Untersuchungsergebnissen der behandelnden Ärzte deckten, die Angaben der Angeklagten glaubhaft waren und die Angeklagte allen verordneten Therapiemaßnahmen ordnungsgemäß nachgekommen“ sei, wurde ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen. Denn die Abhörung eines Zeugen kann erfolgreich nur zum Beweis sinnlicher Wahrnehmungen, nicht aber von Schlussfolgerungen, subjektiven Meinungen, Ansichten, Wertungen oder ähnlichen intellektuellen Vorgängen beantragt werden (RIS‑Justiz RS0097540). In Ansehung der behaupteten Einhaltung der verordneten Therapiemaßnahmen zielte der Antrag nicht auf den Nachweis eines für das Verfahrensziel erheblichen Tatumstands (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 332).

[8] Auch der Antrag ( ON 57 S 3 iVm ON 64 S 9, 20) auf Vernehmung der beiden Gutachter im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Innsbruck zum Beweis dafür, „dass die Angeklagte sehr wohl an 'Morbus Sudeck' gelitten“ habe, war nicht auf den Beweis sinnlicher Wahrnehmungen gerichtet (RIS‑Justiz RS0097540 [T22]).

[9] Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[10] Die Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) der Feststellungen zu den Täuschungshandlungen der Angeklagten sowie zu deren subjektiver Tatseite einwendende Mängelrüge (Z 5) geht nicht von der Gesamtheit der vorsätzlichen Täuschung mit Bereicherungsvorsatz klar zum Ausdruck bringenden Entscheidungsgründe (insbesondere US 5 und 7) aus (vgl aber RIS‑Justiz RS0117995 [T3]).

[11] Soweit die Beschwerde Feststellungen dazu vermisst (der Sache nach Z 9 lit a), „zu welchem konkreten Zeitpunkt die Angeklagte durch welche konkrete Äußerung gegenüber welcher konkreten Person/Institution“ eine Täuschungshandlung begangen habe, leitet sie nicht aus dem Gesetz ab, weshalb die tatrichterlichen Feststellungen (US 4 f) für eine rechtsrichtige Beurteilung als Betrug (§§ 146 ff StGB) nicht ausreichen sollten (RIS-Justiz RS0116565).

[12] Die Feststellung zum Beginn des Tatzeitraums spätestens mit dem 29. April 2013 (US 4) dient bloß der Individualisierung (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 290). Solcherart ist sie nicht entscheidend (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 406), weshalb die eine Begründung dieser Feststellung vermissende Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ins Leere geht.

[13] Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite haben die Tatrichter unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit zulässig auf die objektive Tatseite gestützt (US 11; RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882).

[14] Entgegen der Beschwerdekritik (Z 5 zweiter Fall) blieben die – auch von der Sachverständigen umfassend berücksichtigten (ON 64 S 11 ff) – medizinischen Unterlagen, Befunde und Vorgutachten nicht unerörtert (US 7 ff). Mit eigenen Beweiswerterwägungen zu diesen Verfahrensergebnissen wendet sich die Beschwerdeführerin nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[15] Entgegen dem Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) haben die Tatrichter die nach der Vorführung von Videoaufnahmen getätigten (einverständlich vorgetragenen [ON 64 S 21]) Angaben der im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Innsbruck bestellten Sachverständigen keineswegs in ihren wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben (US 9 f; ON 30 S 17 und 19 ff in ON 2).

[16] Die „keine hinreichenden Feststellungen des Erstgerichts zur Annahme der subjektiven Tatseite“ einwendende Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet nicht aus dem Gesetz ab, weshalb die getroffenen Feststellungen (US 7) für die rechtsrichtige Subsumtion nicht ausreichen sollten (erneut RIS‑Justiz RS0116565).

[17] Soweit sie einmal mehr die Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite als offenbar unzureichend kritisiert (der Sache nach Z 5 vierter Fall), ist auf die bezughabenden Ausführungen zur Mängelrüge zu verweisen.

[18] Die den Entfall der Qualifikation des § 147 Abs 3 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) geht mit der Behauptung, es finde sich zur Herbeiführung eines Schadens von mehr als 300.000 Euro „schon auf objektiver Ebene keine klare Feststellung“, nicht vom Urteilssachverhalt aus (insbesondere US 5 f, 11) und verfehlt damit den Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

[19] Die Kritik am Fehlen von Feststellungen zum Vorliegen eines Vorsatzes bezogen auf die Herbeiführung eines Schadens von mehr als 300.000 Euro leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb ein auf die Gesamtschadenssumme gerichteter Vorsatz erforderlich sein sollte (vgl aber RIS‑Justiz RS0132778 [insbesondere T1]).

[20] Mit der Behauptung fehlender Feststellungen zu den in Z 1 bis 3 des § 70 Abs 1 StGB normierten Kriterien wendet sich die Subsumtionsrüge (Z 10) gegen die Annahme der Qualifikation des § 148 erster Fall StGB. Sie legt jedoch nicht dar, weshalb die Konstatierungen zur Vielzahl der Tathandlungen (US 5 f) den Voraussetzungen des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB nicht entsprechen sollten (RIS‑Justiz RS0116565).

[21] Auch soweit sie in Ansehung der festgestellten Gewerbsmäßigkeit einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia behauptet, leitet sie nicht aus dem Gesetz ab, warum es den auf US 7 iVm US 5 f getroffenen Feststellungen am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565 [T2]).

[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[23] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[24] Dabei wird es zu prüfen haben, ob in Ansehung des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (2), wie vom Erstgericht angenommen (US 13), Deliktsvollendung (zu den Voraussetzungen des [hier nicht indizierten] Strafaufhebungsgrundes der tätigen Reue in diesem Kontext siehe Kirchbacher in WK2 StGB § 167 insbesondere Rz 44) oder aber – allenfalls aufgrund (im angefochtenen Urteil nicht festgestellter [vgl aber ON 22 S 15 f iVm ON 64 S 21]) Beobachtung der Angeklagten bei der Wegnahme des T-Shirts durch einen vom Unternehmen beauftragten Detektiv schon im Geschäftslokal (vgl Stricker in WK2 StGB § 127 Rz 160) – Versuch (§ 15 StGB) vorliegt.

[25] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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