OGH 10ObS98/20i

OGH10ObS98/20i15.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 2. April 2020, GZ 11 Rs 20/20 w‑11, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. November 2019, GZ 59 Cgs 171/19k‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130435

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der 1958 geborene Kläger bezog in den Monaten April 2006 und Juli 2007 bis Oktober 2007 nach Ausschöpfung seines Entgeltfortzahlungsanspruchs Krankengeld nach § 138 ASVG während des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses.

[2] Verfahrensgegenstand ist die Qualifikation dieser Zeiten als Schwerarbeitszeiten im Sinn der § 607 Abs 14 ASVG, § 4 Abs 3 Z 1 und Abs 4 APG.

[3] Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt sprach mit Bescheid vom 13. 5. 2019 für den Feststellungszeitpunkt 1. 11. 2018 aus, der Kläger habe insgesamt 532 Versicherungsmonate erworben, davon würden 122 Versicherungsmonate (Dezember 1998 bis März 2006, Mai 2006 bis Juni 2007 und November 2007 bis Juni 2009) als Schwerarbeitszeiten „nach dem 40. Lebensjahr des Klägers“ anerkannt.

[4] Der Kläger begehrt die Feststellung von insgesamt 127 Schwerarbeitsmonaten „nach dem 40. Lebensjahr“. Auch die Monate April 2006 und Juli 2007 bis Oktober 2007 seien als Schwerarbeitszeiten zu werten.

[5] Die Beklagte hält dem zusammengefasst entgegen, Arbeitsunterbrechungen durch Krankenstände blieben nach § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV nur dann außer Betracht, wenn trotz der Arbeitsunterbrechung ein Beitragsmonat der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben werde. Das sei bei den verfahrensgegenständlichen Monaten nicht der Fall.

[6] Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich der weiteren fünf Schwerarbeitsmonate statt.

[7] Das Berufungsgericht änderte das Urteil über Berufung der Beklagten dahin ab, dass es die fünf fraglichen Monate nicht als Schwerarbeitsmonate feststellte. Es ließ die Revision mit der Begründung zu, es bestehe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob Zeiten der Teilversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG als Schwerarbeitsmonate nach § 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 3 Z 1 und Abs 4 APG qualifiziert werden könnten.

[8] Rechtlich verneinte es eine Qualifikation als Schwerarbeitszeiten. Aus § 607 Abs 14 ASVG ergebe sich, dass diese Qualifikation Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit voraussetze. Zeiten des Krankengeldbezugs unterlägen aber dem § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG und seien keine Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit. Für die Beurteilung nach dem APG gelte kein abweichendes Begriffsverständnis.

[9] Darüber hinaus verlange § 4 zweiter Satz SchwerarbeitsV das „Weiterbestehen“ der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung, damit Arbeitsunterbrechungen außer Betracht blieben. Im Fall des Krankengeldbezugs komme es aber zu einem Wechsel des Pflichtversicherungstatbestands von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG. Daher könne nicht von einem „Weiterbestehen“ im Sinn des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV ausgegangen werden. Ein gegenteiliges Verständnis hätte zur Folge, dass Zeiten des Krankengeldbezugs ab dem 1. 1. 2005 grundsätzlich als Schwerarbeitszeiten berücksichtigt werden könnten, wohingegen dies für derartige Zeiten aufgrund der vor dem 1. 1. 2005 geltenden Qualifikation als Ersatzzeiten nach § 227 Abs 1 Z 6 ASVG nicht in Betracht komme. Anhaltspunkte für eine derartige Ungleichbehandlung seien aber nicht ersichtlich.

[10] Zudem sei das Ausfallsprinzip beim Krankengeldbezug gemäß § 141 ASVG nur teilweise verwirklicht. Die Anerkennung von Teilpflichtversicherungszeiten nach § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG würde auch dazu führen, dass sehr lange Arbeitsunterbrechungen zum Erwerb von Schwerarbeitszeiten führen könnten, weil § 139 ASVG einen Krankengeldbezug von bis zu 78 Wochen ermögliche. Dies widerspreche der Absicht des Gesetzgebers.

[11] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des klagestattgebenden Urteils des Erstgerichts anstrebt; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[12] Die Beklagte beantragt in ihrerRevisionsbeantwortung, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[13] Der Revisionswerber macht zusammengefasst geltend, der Wortlaut des § 4 SchwerarbeitsV erlaube keine Differenzierung danach, ob während der Arbeitsunterbrechung Entgeltfortzahlung oder Krankengeld bezogen werde; es komme nur auf den Bestand der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung an, nicht darauf, ob diese aufgrund von Erwerbstätigkeit oder nach § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[15] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Revisionsgericht das Urteil des Berufungsgerichts und dessen Begründung als zutreffend erachtet, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

[16] 2.1. Nach § 4 SchwerarbeitsV (BGBl II 2006/104) ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 der SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt werden, das einen Versicherungsmonat im Sinn des § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht.

[17] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach zur Frage Stellung genommen, ob und inwieweit Schwerarbeit tatsächlich ausgeübt werden muss, damit Schwerarbeitszeiten begründet werden können.

[18] Demnach ist bei der Feststellung von Schwerarbeitszeiten vom Grundsatz auszugehen, dass nur tatsächlich geleistete Schwerarbeit und tatsächliche Beanspruchung durch Schwerarbeit im konkreten Kalender-(Versicherungs-)Monat einen Schwerarbeitsmonat begründen kann (10 ObS 85/20b). Es kommt jeweils auf die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung an (10 ObS 103/10k SSV‑NF 24/58: Ausgestaltung des Wechseldienstes einesDiskothekenbetreibers; 10 ObS 23/16d SSV‑NF 30/30 = DRdA 2017/4, 37 [De Brito]: diplomierte Krankenschwester, die eine Umrechnung ihrer tatsächlich geleisteten längeren Dienste auf 8-Stunden-Arbeitstage anstrebte; 10 ObS 85/20b: Pflegeassistent, der die als Zeitausgleich für Nachtdienste gewährten Tage als Leistung von Schwerarbeit gewertet wissen wollte; 10 ObS 117/16b SSV‑NF 30/92 = DRdA 2017/43, 400 [Bell]: diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester, die eine Tätigkeit als freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende ausübte). Demnach ist maßgeblich, ob eine Schwerarbeit darstellende Tätigkeit tatsächlich im Mindestmaß von 15 Tagen im Kalendermonat ausgeübt wurde (10 Ob 23/16d; 10 ObS 62/20w).

[19] 2.3. Das Abstellen auf die tatsächliche Ausübung steht im Einklang mit der gesetzgeberischen Zielsetzung, wonach die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten jenen Versicherten offen stehen soll, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit tatsächlich besonders belastenden Formen von Schwerarbeit ausgesetzt waren (10 ObS 117/16b unter Hinweis auf ErläutRV 653 BlgNR 22. GP  9 zum PensionsharmonisierungsG BGBl I 2004/142).

[20] 3.1. Im vorliegenden Fall steht nicht die Qualifikation der vom Kläger tatsächlich ausgeübten Tätigkeit als Schwerarbeit in Frage, sondern die Beurteilung von Zeiten des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG als für die Qualifikation als Schwerarbeitsmonate unschädliche Arbeitsunterbrechungen gemäß § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV.

[21] 3.2. Ausgehend von dieser Bestimmung können Zeiten des Urlaubsverbrauchs Schwerarbeitszeiten begründen, wenn während des Urlaubs, wäre fiktiv gearbeitet worden, Schwerarbeit geleistet worden wäre (10 ObS 96/10f SSV‑NF 24/54; RS0126110). Dies wurde aus dem im Urlaubsrecht – insbesondere im Hinblick auf das Urlaubsentgelt nach § 6 UrlG – geltende „fiktive Ausfallsprinzip“ abgeleitet (10 ObS 96/10f).

[22] Wesentlich für die (mögliche) Anerkennung von Zeiten des Urlaubsverbrauchs als Schwerarbeitszeiten ist unter Wertungsgesichtspunkten auch der damit angesprochene begrenzte Zeitraum von in der Regel fünf Wochen pro Arbeitsjahr. Demgegenüber wird die Möglichkeit, dass über Jahre Schwerarbeitszeiten erworben werden könnte, obwohl keine Schwerarbeit vorliegt, nicht als vom Zweck der SchwerarbeitsV gedeckt angesehen (10 ObS 117/16b; 10 ObS 85/20b).

[23] 3.3. Das Berufungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass die Dauer des Krankengeldanspruchs nach § 139 ASVG weit über den zeitlichen Umfang eines Jahresurlaubs hinausgeht. Es führte auch zutreffend aus, dass die Bemessung des Krankengeldes nach § 141 ASVG auch nicht dem urlaubsrechtlichen Ausfallsprinzip (vgl RS0077562; RS0052461; RS0058728) folgt, sondern den Entgeltverlust nicht unbedingt zur Gänze ersetzt (vgl RS0106773).

[24] 3.4. Eine Beurteilung von Zeiten des Bezug von Krankengeld nach § 138 ZPO im Lichte des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV durch den Obersten Gerichtshof liegt noch nicht vor.

[25] Zu 10 ObS 103/10k SSV‑NF 24/58 wurde lediglich ausgesprochen, dass „Arbeitsunterbrechungen, die die Pensionsversicherung nicht beenden (zB Urlaub, Krankenstand)“, außer Acht zu lassen seien. Dabei wurde nicht zwischen Zeiten der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung und solchen des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG differenziert. Die gleiche Aussage findet sich auch in der Kommentarliteratur (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 4 APG Rz 192, ebenfalls ohne weitere Ausführungen). Soweit angemerkt wird, bei Arbeitsunterbrechungen „wie zB Krankenstand, Urlaub“ gelte das Ausfallsprinzip (Pöltner/Pacic, ASVG [96. Erg-Lfg], Anhang SchwerarbeitsV Anm 16), wird offenkundig nicht auf den Bezug von Krankengeld nach § 138 ASVG, sondern auf die arbeitsrechtliche Entgeltfortzahlung abgestellt.

[26] 4. Ausgehend von den dargestellten Stellungnahmen ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof als maßgeblich angesehenen Wertungen – das Abstellen auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit, die Beachtung der zeitlichen Dauer der Unterbrechung der Tätigkeit sowie das Abstellen auf den am Ausfallsprinzip orientierten Entgeltbezug – keinen Anhaltspunkt dafür bilden, auch Zeiten des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG als Unterbrechung im Sinn des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV zu werten.

[27] 5.1. Gegen die Beurteilung von Zeiten des Bezugs von Krankengeld als – für die Qualifikation als Schwerarbeitszeiten unschädliche – „Arbeitsunterbrechung“ gemäß § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV spricht aber auch der bereits vom Berufungsgericht angesprochene Wechsel des Versicherungstatbestands, der mit dem Beginn des Krankengeldbezugs eintritt.

[28] 5.2. Nach § 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG sind BezieherInnen von Krankengeld nur in der Pensionsversicherung teilversichert. Das Argument des Revisionswerbers, dass damit „weiterhin“ eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung besteht, vermag aber nicht zu überzeugen.

[29] Die Teilversicherung ist im Verhältnis zur Vollversicherung nämlich nicht ein Minus, sondern ein Aliud, weil sie nicht etwa nur eine eingeschränkte Vollversicherung ist, sondern ein eigenes Rechtsinstitut darstellt (Zehetner in Sonntag, ASVG11 § 8 Rz 2; VwGH 2002/08/0196; 2003/08/0102).

[30] 5.3. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass jene Zeiten nach dem 31. 12. 1955 und vor dem 1.1. 2005, während derer der Versicherte nach dem 31. 12. 1970 Krankengeld bezog, gemäß § 227 Abs 1 Z 6 ASVG als Ersatzzeiten (in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit vorliegt) gelten. Durch das Pensionsharmonisierungsgesetz (BGBl I 2004/142) wurden für Personen, die – wie der Kläger – nach dem 1. 1. 1955 geboren sind, die bisherigen Ersatzzeiten ab 1. 1. 2005 durch entsprechende Teilpflichtversicherungen in der Pensionsversicherung (vgl § 8 Abs 1 Z 2 lit a bis g ASVG) abgelöst (10 ObS 128/14t SSV‑NF 28/70).

[31] Es würde aber – wie das Berufungsgericht bereits ausführte – einen Wertungswiderspruch begründen, für Zeiten des Krankengeldbezugs, die ab dem 1. 1. 2005 in der Pensionsversicherung erworben wurden, die Möglichkeit der Anerkennung als Schwerarbeitsmonate nach § 4 SchwerarbeitsV zu eröffnen, während dies für die davor liegenden Zeiten des Bezugs von Krankengeld mangels Bestehens einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nicht in Betracht kam.

[32] 6. Im Ergebnis ist daher festzuhalten: Zeiten des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG können nicht als Schwerarbeitszeiten im Sinn der SchwerarbeitsV qualifiziert werden.

[33] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit erforderten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus dem Akt nicht ersichtlich.

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