OGH 14Os103/20h

OGH14Os103/20h15.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Nikolic in der Strafsache gegen ***** S***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juni 2020, GZ 85 Hv 29/17g‑105, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00103.20H.1215.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** S***** des Verbrechens des (richtig) Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (I) sowie der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*****

I/ Beamte mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Verfolgung und Ahndung von Verwaltungsübertretungen (vgl US 9) zu schädigen, (zu ergänzen [vgl US 8 f]: wissentlich) zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich zu missbrauchen, dass sie (vgl US 9) von der Erlassung eines Straferkenntnisses und der Vollstreckung eines Bescheids Abstand nähmen (A) und in weiterer Folge den ihm entzogenen Führerschein wieder ausfolgten (B), indem er im Zusammenhang mit einem gegen ihn geführten Verwaltungsstrafverfahren im Urteil näher bezeichnete Schreiben schickte, und zwar

A/ jeweils am 11. April 2017, wobei er den Beamten mit im Urteil wiedergegebenen Äußerungen unter anderem gerichtliche Geltendmachung unberechtigter Forderungen und Eintragung von Pfandrechten in einem „internationalen Schuldnerverzeichnis“ ankündigte,

1/ Mag. ***** D***** als Reaktion auf eine von diesem unterzeichnete Aufforderung zur Rechtfertigung vom 17. März 2017;

2/ ***** R***** als Reaktion auf den Bescheid vom 24. März 2017;

B/ am 15. Mai 2017 R*****, wobei er diesem ankündigte, ihn im Fall der Nichtausfolgung des (entzogenen) Führerscheins „für den ihm dadurch entstandenen Schaden haftbar“ zu machen;

II/ durch die zu I angeführten Taten Mag. D***** und R***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen (vgl US 9 und 14) zu den dort bezeichneten Handlungen und Unterlassungen zu nötigen versucht;

III/ am 15. März 2017 zwei im Urteil namentlich genannte Polizeibeamte durch Fußtritte in deren Richtung (US 6), mithin durch Gewalt, an einer Amtshandlung, nämlich der Feststellung seiner Identität, zu hindern versucht.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und b (nominell auch Z 10) StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) zeigt an sich zutreffend eine Gesetzesverletzung auf, weil das Protokoll über die Hauptverhandlung (ebenso wie übrigens die Urteilsausfertigung [vgl § 270 Abs 2 Z 1 StPO]) – entgegen der (ausnahmslosen) Anordnung des § 271 Abs 1 Z 2 StPO (vgl dazu Danek , WK‑StPO § 271 Rz 11 f) – die Namen der Mitglieder des Schöffengerichts, des Anklägers und der Schriftführerin nicht enthält (vgl ON 104 S 1 [„zuständige Richterin“, „Schöffen: 1. HS 6/6982 2. HS 4/4827“ Schriftführerin und Staatsanwalt [jeweils]: „dem Gericht bekannt“]). Ein Erfolg bleibt der Rüge dennoch versagt, weil nur das gänzliche Fehlen eines Protokolls über die Hauptverhandlung, nicht dessen Inhalt, unter Nichtigkeitssanktion steht (RIS‑Justiz RS0098665).

[5] Der weiteren Rüge zuwider (nominell Z 4 [vgl RIS-Justiz RS0119094; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 463]) stützte das Erstgericht die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der zu I inkriminierten Schreiben primär auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Bericht der Kriminalpolizei (ON 104 S 23 iVm ON 2 S 7), nicht (bloß) auf Gerichtsnotorietät (US 12). Das Vorbringen, der Angeklagte sei durch die Urteilsausführungen zu Funktionsweise und Konsequenzen von Eintragungen im „UCC-Uniform Commercial Code“, nämlich der Möglichkeit, auf deren Grundlage einen gerichtlichen Exekutionstitel in Malta zu erwirken (US 8), überrascht worden, geht daher ins Leere.

[6] Die Mängelrüge (nominell Z 5 dritter Fall) spricht mit ihrer Kritik an der Feststellung, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit „Anhänger einer den Staat nicht anerkennenden, sogenannten souveränen Bewegung“ gewesen (US 5), keine entscheidende Tatsache an, die allein jedoch Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes sein könnte (RIS‑Justiz RS0117499).

[7] Die Rechtsrüge zu I (Z 9 lit a) erklärt nicht, weshalb (strafbare) versuchte Bestimmungstäterschaft bloß vorliegen soll, wenn der unmittelbare Täter im Zeitpunkt der Bestimmungshandlung bereits fest zur Tat entschlossen ist, nicht auch dann, wenn – wie hier (US 9) – die Bestimmung misslingt, weil der Adressat es ablehnt, sich im Sinn der Aufforderung zu verhalten (vgl Hager/Massauer in WK 2 StGB §§ 15, 16 Rz 22; Fuchs/Zerbes AT I 10 34/30 ff; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 16 36.13 ff).

[8] Die zu II pauschal geäußerte Kritik, es fehlten Feststellungen, „welche für die Erfüllung des objektiven wie subjektiven Tatbestands“ erforderlich seien, legt nicht im Einzelnen dar, welche weiteren Konstatierungen über die ohnehin getroffenen (US 7, 8 f und 14) hinaus, erforderlich gewesen wären (RIS‑Justiz RS0099620). Weshalb die Frage „der temporär mangelnden Anerkennung des Staates durch den Angeklagten“ das „Erfülltsein des dem Angeklagten angelasteten Tatbestands“ berühre, bleibt unklar.

[9] Die Behauptung zu III, der Beschwerdeführer habe „äußerstenfalls passiven Widerstand“ geleistet, geht nicht von der Gesamtheit des Urteilssachverhalts (RIS-Justiz RS0099810) aus. Dass die festgestellten gezielten Fußtritte gegen zwei Polizeibeamte (US 6) keine tatbildliche Gewalt seien, wird ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (vgl RIS‑Justiz RS0116565) bloß behauptet (vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0094001 [T10]; Danek/Mann in WK 2 § 269 Rz 57).

[10] Soweit er in Zusammenhang mit diesem Schuldspruch das Fehlen von Feststellungen „zum Rechtfertigungsgrund der erlaubten Gewaltabwehr“ moniert (Z 9 lit b), unterlässt der Beschwerdeführer die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines Feststellungsmangels durch Hinweis auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse, die ein entsprechendes Sachverhaltssubstrat für die Annahme dieses Ausnahmesatzes tragen könnten (RIS-Justiz RS0118580; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 600 und 611).

[11] Gleiches gilt für den Einwand (nominell im Rahmen der Mängelrüge, der Sache nach ebenfalls Z 9 lit b), zu I liege strafbefreiender Rücktritt vom Versuch „durch das Nichtergreifen von Rechtsmitteln“ vor.

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[13] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[14] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

[15] Die Beschwerde des Angeklagten (ON 112) gegen den Beschluss vom 27. August 2020 (ON 109), mit welchem sein Antrag auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung abgewiesen wurde, ist damit – ohne einer inhaltlichen Erwiderung zu bedürfen – erledigt, weil die Nichtigkeitsbeschwerde auch im Fall der beantragten Berichtigung erfolglos geblieben wäre (RIS-Justiz RS0126057 [T2]).

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