European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00202.20T.1127.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 2 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Beim
Mobbing handelt es sich um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen („Bossing“), bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet (1 Ob 92/20s mwN). Typisch ist ein systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Geschehen, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhalten von Informationen oder Rufschädigung (RIS‑Justiz RS0124076 [T2]). Es soll zwar nicht jede spontane Gemütsäußerung „auf die Goldwaage gelegt“ werden, sehr wohl aber sollen Verhaltensweisen, die die menschliche Würde verletzen oder die dienstliche Zusammenarbeit und den Betriebsfrieden ernstlich stören, erfasst werden (ErläutRV 488 BlgNR 24. GP 9 zu § 43a BGB). Die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen entzieht sich einer vollständigen Aufzählung (1 Ob 106/15t). Ob Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz
Mobbing (Bossing) zugrunde liegt, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0124076 [T4, T6]). Mangels einer über den konkreten Fall hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zur Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann offen, wenn dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung eine zur Wahrung der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (1 Ob 92/20s; 1 Ob 39/20x). Eine solche zeigt die Revisionswerberin nicht auf.
[2] 2. Das Berufungsgericht ging unter anderem davon aus, dass dem Kläger (als stellvertretendem Kommandanten einer Polizeiinspektion) entgegen den „Organisationsvorschriften“ neun Monate lang kein „Sachbereich“ zugewiesen wurde; dass seine Einteilung zur Personalreserve für den Grenzeinsatz damit begründet wurde, dass er „am wenigsten abgehe“; dass ihm im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer missbräuchlichen Inanspruchnahme einer Pflegefreistellung von einem Vorgesetzten per Mail eine „mehr als fragwürdige bzw defizitäre moralische Komponente“ vorgehalten und angemerkt wurde: „Aber alles nichts Neues!“, wobei das E-Mail an das für alle Kollegen der Dienststelle einsehbare Dienststellenpostfach übermittelt wurde; dass beim Kläger eine – an sich unübliche – Krankenstandskontrolle am ersten Krankenstandstag über Funk angeordnet wurde, sodass dies etwa 100 Kollegen mithören konnten; dass seine Gesundmeldung von einem Vorgesetzten – um den Kläger lächerlich zu machen und zu diskreditieren – per Mail wie folgt kommentiert wurde: „Sechs Tage für eine Mittelohrentzündung ist imposant“, wobei das Mail wieder an das Dienststellenpostfach geschickt wurde; dass ein Ersuchen um Vorladung zu einer polizeiärztlichen Untersuchung ebenso wie das Untersuchungsergebnis den Kollegen des Klägers per Mail (über das Dienststellenpostfach) zugänglich gemacht wurde, um ihn bloßzustellen; dass ihm trotz mehrfachen Ersuchens eine Lizenz für eine Computeranwendung, ohne die er „seine Funktion nicht vollständig ausüben konnte“, begründungslos nicht erteilt wurde, um ihn zu benachteiligen; dass ein Vorgesetzter nicht einschritt, als der Kläger von Kollegen in einer Whats-App-Gruppe verspottet wurde, und ihm dieser – nachdem sich der Kläger über das Verhalten der Kollegen beschwerte – entgegnete: „Was du Menschenrechtler schon wieder hast, das sind brave Leistungsträger im Bezirk“; dass ihm auf seine Frage, warum sein akademischer Titel bei seinem Namen im Dienstplan nicht angegeben sei, von einem Vorgesetzten entgegnet wurde, er habe einen „Minderwertigkeitskomplex“; dass der Kläger von bestimmten Informationen abgeschnitten und dadurch ausgegrenzt wurde; sowie dass er im Unterschied zu seinen Kollegen kaum Überstunden leisten durfte und seinem diesbezüglichen Wunsch vom Vorgesetzten etwa entgegnet wurde, Überstunden würden nach Fleiß vergeben; wenn jemand blöd und dauernd krank sei, wisse er sich zu helfen.
[3] 3. Die Qualifikation dieses Sachverhalts als systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Bossinggeschehen begründet keine korrekturbedürftige Überschreitung des dem Berufungsgericht zustehenden Beurteilungsspielraums. Dieses setzte sich mit dem Verhalten der Vorgesetzten des Klägers (der beiden Nebenintervenienten) eingehend auseinander und kam nach Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte – unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsprechung – zum Ergebnis, dass der Kläger von diesen als „Störfaktor“ angesehen wurde, worauf sie jedoch kein sachliches und respektvolles Gespräch mit ihm suchten, sondern ihn „links liegen“ bzw „anrennen ließen“ (Erstnebenintervenient) und ihn vor den Kollegen bloßstellten und herabsetzten (Zweitnebenintervenient), wobei noch respektlose und abwertende Äußerungen im direkten Umgang mit ihm hinzukamen. Dass dies insgesamt als Bossing angesehen wurde, begegnet keinen Bedenken.
[4] 4. Die Revisionswerberin hält dem auch keine überzeugenden Argumente entgegen. Die Behauptung, das von den Nebenintervenienten dem Kläger gegenüber an den Tag gelegte Verhalten habe auf einem „legitimen Grund“ beruht, bleibt weitgehend substanzlos. Soweit argumentiert wird, dass nur „sozial inadäquate Handlungen“ Bossing begründen könnten, geht die Rechtsmittelwerberin nicht auf den konkreten Sachverhalt und dessen Beurteilung durch das Berufungsgericht als – sozial inadäquate – systematische Ausgrenzung und Bloßstellung des Klägers ein. Warum das Verhalten der Nebenintervenienten für die Beurteilung dieses Vorwurfs jeweils getrennt beurteilt werden sollte, legt die Revisionswerberin nicht dar und ist angesichts dessen, dass die Beklagte für die Handlungen beider Vorgesetzter einzustehen hat, auch nicht ersichtlich.
[5] 5. Dass der Rechtsträger für
Bossinghandlungen der von ihm mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betrauten Vorgesetzten einzustehen hat, sprach der Fachsenat schon mehrfach aus (vgl 1 Ob 106/15t; 1 Ob 56/18v). Gestützt wird diese Haftung dabei auf § 43a BDG als Schutzgesetz zugunsten der von Mobbing bzw (hier) Bossing betroffenen Person. Zu ersetzen ist bei Vorliegen der sonstigen Haftungsvoraussetzungen auch der bloße Vermögensschaden (1 Ob 106/15t). Werden Verletzungshandlungen – wie hier – durch Vorgesetzte des Geschädigten begangen, begründet dies unmittelbar eine Verletzung der in § 43a BDG normierten Fürsorgepflicht des Dienstgebers, ohne dass es auf eine zusätzliche Fürsorgepflichtverletzung durch eine (weitere) übergeordnete Stelle ankäme (1 Ob 56/18v). Warum das festgestellte Bossing – wie die Revisionswerberin meint – „keine eigene Anspruchsgrundlage“ darstellen bzw keine „Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten“ begründen soll, erschließt sich nicht.
[6] 6.1. Der vom Berufungsgericht dem Grunde nach bestätigten Haftung der Beklagten für jenen Verdienstentgang, den der Kläger daraus ableitet, dass er aus unsachlichen Gründen (bis zum Beginn seines – zumindest bis Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz andauernden – Krankenstands) von der Leistung von Überstunden ausgeschlossen wurde, hält die Revisionswerberin primär entgegen, dass kein Anspruch auf Erbringung solcher Mehrdienstleistungen bestanden habe und dass ein aus einer „für sich genommen rechtmäßigen“ Einzelhandlung abgeleiteter Ersatzanspruch nicht auf das erst in seiner Gesamtheit rechtswidrige Bossingverhalten gestützt werden könne.
[7] 6.2. Dass eine auf die Verletzung des § 43a BDG gestützte Haftung der Beklagten auch für jene (Einzel-)Handlungen ihrer Organe in Betracht kommt, die Teil des insgesamt rechtswidrigen Bossingverhaltens – und daher auch „als solche“ rechtswidrig – sind, begegnet keinen Bedenken. Warum die den Bossingvorwurf (mit-)begründenden einzelnen (Bossing‑)Handlungen „rechtskonform“ sein sollten, erschließt sich nicht und wird von der Rechtsmittelwerberin auch nicht nachvollziehbar dargelegt. Dass sich aus § 49 BDG kein Anspruch des Klägers auf Anordnung von Mehrdienstleistung (Überstunden) ergibt, ändert nichts daran, dass die Verweigerung einer solchen Anordnung als Teil eines (auch) dadurch charakterisierten Bossinggeschehens eine Verletzung der sich aus § 43a BDG ergebenden Fürsorgepflicht darstellt. Ebenso wie aus einer unterbliebenen Beförderung, auf die kein subjektives Recht besteht,
Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden können, wenn dies auf einen Missbrauch der eingeräumten Befugnisse zurückzuführen ist (RS0112461), kommt grundsätzlich auch eine Haftung des Rechtsträgers für einen auf unsachlichen Kriterien beruhenden (diskriminierenden) Ausschlusses eines Mitarbeiters von der an sich bestehenden Möglichkeit, zur Erbringung von Mehrdienstleistungen „eingeteilt“ zu werden, in Betracht. Die Behauptung, der Kläger sei aus – in der Revision nicht konkret dargelegten – „sachlichen Motiven“ von der Erbringung von Überstunden ausgeschlossen worden, übergeht, dass ihm dies von seinem Vorgesetzten mit der „Begründung“, „wenn jemand blöd oder dauernd krank sei, wisse er sich zu helfen“, verweigert wurde.
[8] 6.3. Dass der behauptete Verdienstentgang keinen Vermögensschaden des Klägers begründe, weil dem entgangenen Entgelt ein Mehr an Freizeit gegenüberstehe, ist nicht nachvollziehbar. Würde man dieser Argumentation folgen, wäre ein Ersatz von Verdienstentgang weitgehend ausgeschlossen. Der „Ausgleich“ eines entgangenen Verdienstes durch dadurch in höherem Ausmaß zur Verfügung stehende Freizeit kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil
immaterielle Vorteile (Freizeit) mangels sachlicher Kongruenz nicht geeignet sind, einen vermögensrechtlichen Nachteil auszugleichen (vgl 2 Ob 226/07k). Dem Argument, die Anordnung von Mehrdienstleistungen wäre aufgrund der damit verbundenen Mehrbelastung des Klägers nicht in seinem Interesse gelegen, sondern hätte dem Arbeitnehmerschutz widersprochen und daher eine Verletzung der Fürsorgepflicht begründet, kann schon angesichts der Feststellung, wonach der Kläger seinem Vorgesetzten mitgeteilt hatte, Überstunden leisten zu wollen, nicht gefolgt werden. Dass diese „oftmals“ nicht in Geld, sondern durch Zeitausgleich „abgegolten“ würden, hat die Beklagte in erster Instanz nicht behauptet; im Übrigen betrifft die Frage, in welchem Umfang dem Kläger Verdienst entgangen ist, die im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zu beurteilende Anspruchshöhe.
[9] 7. Da die Revision insgesamt keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie als unzulässig zurückzuweisen. Soweit sich das Rechtsmittel nicht nur dagegen wendet, dass der klagestattgebende Teil des Ersturteils teilweise (dem Grunde nach) bestätigt wurde, sondern auch dagegen, dass das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung im Übrigen zur Verfahrensergänzung aufhob, ergibt sich die Unzulässigkeit einer solchen Anfechtung schon daraus, dass ein Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht zugelassen wurde (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO).
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