OGH 23Ds6/19p

OGH23Ds6/19p25.11.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Richtamtsanwärter Mag. Nikolic in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 12. März 2019, GZ D 19/17‑13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Wittwer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0230DS00006.19P.1125.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

Danach hat er

(1/a) gegenüber DI Hermann S***** seine Warn‑, Aufklärungs‑ und Informationspflichten sowie die Verpflichtung zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (ES 13) dadurch verletzt, dass er über Auftrag des Käufers Albert B***** um den 16. Juni 2015 einen Liegenschaftskaufvertrag mit dem Kaufpreis von 50.000 Euro erstellt und ihn am 18. Juni 2015 an den Notar Dr. U***** zur Unterfertigung durch die Parteien weitergeleitet hat, ohne den Vertragsinhalt mit dem Verkäufer DI Hermann S***** besprochen zu haben, weiters

(1/b) das Doppelvertretungsverbot dadurch verletzt, dass er um den 16. Juni 2015 einen Liegenschaftskaufvertrag zwischen dem Käufer Albert B***** und dem Verkäufer DI Hermann S***** erstellt und danach vom 23. Juni 2015 bis zum 11. September 2015 den Käufer gegen den Verkäufer vertreten und beraten hat.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen wegen Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a sowie 9 lit b StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten geht fehl.

Der ersichtlich gegen den Schuldspruch 1/a gerichteten Mängelrüge (Z 5) zuwider stehen die Feststellungen, nach denen einerseits der Beschuldigte „den Verkäufer DI Hermann S***** zu keinem Zeitpunkt persönlich kennengelernt, noch schriftlich mit ihm korrespondiert“ hat (ES 13) und er andererseits den Kaufvertragsentwurf „mit Schreiben vom 16. Juni 2015 den Vertragsparteien zur Stellungnahme übermittelt“ hat (ES 6), nicht zueinander im Widerspruch (Z 5 dritter Fall). Die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe in ihrem Sinnzusammenhang (RIS‑Justiz RS0099636) zeigt nämlich die insoweit relevante Feststellungsbasis, wonach der Beschuldigte zwar den Vertragsentwurf an den Verkäufer weitergeleitet, aber weder von diesem eine Antwort hiezu erhalten noch seinerseits darüber hinaus mit dem Verkäufer Kontakt aufgenommen hat (ES 6 dritter Absatz iVm ES 13 letzter Absatz). Gerade dieses Verhalten liegt im Übrigen dem in Rede stehenden Schuldspruch zugrunde (vgl ES 12 bis 14).

Im Hinblick auf die Feststellung zum Schuldspruch 1/b, dass sich der Beschuldigte mit Schreiben vom 29. Juni 2015 gegenüber dem Sohn des Verkäufers, Rechtsanwalt Dr. Karl S*****, als Rechtsvertreter des Käufers Albert B***** legitimiert hat (ES 7), spricht die Beschwerde mit der Frage, ob ein weiteres solches Legitimierungsschreiben am 1. Juli 2015 oder am 1. Juli 2017 an Dr. Karl S***** ergangen ist, keine entscheidende Tatsache an (siehe aber RIS‑Justiz RS0106268).

Hinzugefügt sei, dass die Ausfertigung des Erkenntnisses insoweit einen – angesichts des insgesamt deutlich dargestellten chronologischen Ablaufs des Tatgeschehens (ES 7 bis 10, vgl auch ES 16 letzter Absatz) – für jedermann leicht erkennbaren und jederzeit korrigierbaren (§ 270 Abs 3 StPO) Schreibfehler zur angesprochenen Jahreszahl (2017 anstelle von 2015) enthält, der solcherart schon grundsätzlich nicht geeignet ist, die insoweit behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) zu begründen (RIS‑Justiz RS0107358).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Fehlen mehrerer Feststellungen einwendet, die aus ihrer Sicht die mangelnde Erkennbarkeit der fehlenden oder jedenfalls eingeschränkten Geschäftsfähigkeit des Verkäufers DI Hermann S***** indiziert hätten, und hierauf aufbauend ersichtlich die Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten in Abrede stellt, unterlässt sie den gebotenen Vergleich des Entscheidungssachverhalts mit dem darauf anzuwendenden Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565 [T2]). Gegenstand des insoweit angesprochenen Schuldspruchs 1/a ist nämlich nicht der Vorwurf des Vertragsabschlusses mit einem nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähigen Vertragspartner, sondern das Unterlassen anwaltlicher Warn‑, Aufklärungs- und Informationspflichten sowie ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung.

Der in diesem Zusammenhang auch erhobene Einwand fehlender Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten geht schon im Ansatz fehl, weil die Verletzung der in Rede stehenden anwaltlichen Pflichten keinen deliktischen Erfolg verlangt (RIS‑Justiz RS0054994 [T8]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 12).

Die Ansicht der Rechtsrüge, der Disziplinarrat habe den zum Schuldspruch 1/a festgestellten Sachverhalt rechtsirrig als Disziplinarvergehen beurteilt, trifft nicht zu. Wird ein Vertrag (wie hier) unter der alleinigen Intervention nur eines Rechtsanwalts formuliert und schreitet bis zum Vertragsabschluss ausschließlich dieser Rechtsanwalt für die Vertragsteile ein (hier: Übermittlung des Vertragsentwurfs an den Verkäufer zur Genehmigung, Weiterleitung an einen Notar zwecks Unterfertigung sowie grundbücherlicher Durchführung des Vertrags), hat er beide Vertragsteile unparteiisch mit gleicher Sorgfalt und Treue zu behandeln und vor Interessengefährdungen zu bewahren (RIS‑Justiz RS0054994). Welche konkreten Pflichten aus den von der Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätzen, aufgetragene Geschäfte umsichtig und redlich zu besorgen, abzuleiten sind, richtet sich immer nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0112203 [T10]). In Bezug auf die Vertragserrichtung durch einen Rechtsanwalt schränken daher ein eng umgrenztes Mandat oder ein einfacher, unauffälliger Vertragsinhalt die in Rede stehenden Pflichten ein, wogegen sie ein umfassendes Mandat oder ein komplizierter, einer Vertragspartei nachteiliger Inhalt ausdehnen (vgl RIS‑Justiz RS0055549 [T1]).

Nach den Feststellungen des Disziplinarrats handelt es sich bei der vom Kaufvertrag erfassten Liegenschaft im Ausmaß von 9.538 m2 um eine Baufläche und Bauerwartungsfläche. Den mit Blick auf diese Eckdaten auffallend geringen Kaufpreis (50.000 Euro) hat Albert B***** gegenüber dem Beschuldigten damit begründet, dass DI Hermann S***** die dauernde Nutzung der Liegenschaft zu landwirtschaftlichen Zwecken sicherstellen wollte. Weder dieses Ziel des Verkäufers noch eine entsprechende Verpflichtung des Käufers waren im Vertragsentwurf des Beschuldigten enthalten. Sehr wohl beinhaltete der Entwurf hingegen Klauseln über den einvernehmlichen Ausschluss der Anfechtung des Vertrags wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes und über den Verzicht auf die Anfechtung wegen Irrtums (ES 6 f).

Hievon ausgehend wertete der Disziplinarrat das Vorgehen des Beschuldigten, den Vertragsentwurf dem unvertretenen Verkäufer DI Hermann S***** zur Stellungnahme zu übermitteln, ohne ihn über den für ihn nachteiligen Vertragsinhalt und dessen rechtliche Folgen aufzuklären (§ 9 Abs 1 RAO iVm § 10 RL‑BA 1977 [nunmehr § 6 RL‑BA 2015]), zu Recht als grob sorgfaltswidrig und subsumierte den festgestellten Sachverhalt solcherart zutreffend nach § 1 Abs 1 DSt (in beiden Deliktsvarianten).

Indem die Rechtsrüge zum Schuldspruch 1/b einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung verneint, ohne diese Rechtsansicht aus den Feststellungen des Disziplinarrats zu entwickeln, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0099810).

Nach dem angefochtenen Erkenntnis war der Verkäufer DI Hermann S***** während der Errichtung und des Abschlusses des Kaufvertrags nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten und informierte der Beschuldigte DI Hermann S***** nicht, dass er nur die Interessen seines Auftraggebers, des Käufers Albert B*****, vertrete (ES 6). Hievon ausgehend verstieß der Beschuldigte durch die nachfolgende Vertretung und Beratung des Albert B***** gegen das Verbot der Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO iVm § 13 RL‑BA 1977 [nunmehr § 11 RL‑BA 2015]), womit der Disziplinarrat den festgestellten Sachverhalt zu Recht als Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 DSt (in beiden Deliktsvarianten) subsumierte.

Das von der weiteren Rechtsrüge (Z 9 lit b) angestrebte Vorgehen nach § 3 DSt scheitert schon daran, dass das Verschulden nicht hinter typischen Fällen der Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten (1/a) und der Doppelvertretung (1/b) zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0056585 und RS0089974).

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld hinsichtlich des Schuldspruchs 1/a vermag mit ihren Ausführungen zur Einigung über den Kaufgegenstand und den Preis zwischen Albert B***** und DI Hermann S***** ohne Mitwirkung des Beschuldigten, zum Fehlen einer ablehnenden Stellungnahme der Vertragsparteien zum Vertragsentwurf und zur mangelnden Erkennbarkeit der fehlenden oder eingeschränkten Geschäftsfähigkeit des DI Hermann S***** keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage zu wecken. Der insoweit relevante Vorwurf, der Beschuldigte habe seine rechtsanwaltlichen Pflichten dadurch schuldhaft verletzt, dass er eine aufgrund des Vertragsinhalts gebotene Aufklärung des DI Hermann S***** unterlassen habe, wird nämlich durch die dargestellten Einwendungen nicht tangiert.

Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 1.000 Euro und wertete dabei keinen Umstand erschwerend, den bislang ordentlichen Lebenswandel und eine „enorm schädigende mediale Berichterstattung“ mildernd.

Bei der Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 32 ff StGB) sinngemäß anzuwenden (RIS‑Justiz RS0054839).

Die vom Disziplinarrat herangezogenen Erschwerungs‑ und Milderungsgründe sind dahin zu korrigieren, dass die Begehung mehrerer Disziplinarvergehen erschwerend (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) hinzutritt.

Die für den Beschuldigten schädigende Berichterstattung stellt zwar keinen besonderen Milderungsgrund dar, ist aber im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung mildernd zu werten (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB).

Ausgehend von den dargelegten Erschwerungs‑ und Milderungsgründen erweist sich auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) die ausgesprochene Sanktion einer Reduktion nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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