OGH 14Os72/20z

OGH14Os72/20z29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Dr. Ondreasova in der Strafsache gegen ***** P***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten ***** Po***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. November 2019, GZ 114 Hv 12/19y-80, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00072.20Z.0929.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt II/1/ des Schuldspruchs, demgemäß auch im ***** Po***** betreffenden Strafausspruch, sowie im Einziehungserkenntnis aufgehoben, im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte Po***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – ***** P***** (zu I/ verfehlt [RIS‑Justiz RS0121981]) mehrerer Verbrechen und ***** Po***** (zu II/1/ iVm § 12 zweiter Fall StGB) eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben in W***** mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf (ersichtlich gemeint [vgl 17 Os 17/14z und 17 Os 16/15d]) Erteilung von Lenkberechtigungen nur an Personen, welche die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen dafür aufweisen,

I/2/ P***** als Vertragsbedienstete der Landespolizeidirektion, als mit der Ausstellung von Führerscheinen betraute Person, mithin als Beamtin im strafrechtlichen Sinn, ihre Befugnis im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass sie im Zentralen Führerscheinregister den Code „111“ im Führerscheinakt des Po***** eingab, wodurch dieser eine Lenkberechtigung der Klasse A1 (vgl § 2 Abs 1 Z 5 lit c FSG) ausgestellt erhielt;

II/1/ Po***** vor dem 22. Juni 2015 P***** zu der oben beschriebenen strafbaren Handlung bestimmt, indem er sie dazu über einen Mittelsmann beauftragte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Po***** ist im Recht.

Nach dem Urteilssachverhalt trat ***** V*****, damals Mitarbeiter des Fußballvereins S*****, an Po***** und weitere Funktionäre des Vereins heran und fragte sie, „ob sie Interesse am Erhalt einer Berechtigung zum Lenken eines Leichtmotorrades hätten, ohne die hiefür erforderlichen Praxisstunden in einer Fahrschule zu absolvieren“. Po***** nahm (als Einziger der Angesprochenen) das Angebot an. Er wusste, dass P***** als Bedienstete des Verkehrsamts Zugriff auf das Zentrale Führerscheinregister gehabt habe, für die gesetzwidrige Eintragung (des Codes „111“) sorgen und dadurch ihre Befugnis wissentlich missbrauchen werde. Dabei handelte er mit entsprechendem (oben wiedergegebenem) Schädigungsvorsatz (US 13 f und 16 f).

Der Beschwerdeführer verantwortete sich durchgehend damit, zwar gewusst zu haben, dass für den Erwerb der Lenkberechtigung für Leichtmotorräder (Klasse A1) die Absolvierung einer bestimmten Anzahl von Praxisstunden (von ihm nicht erfüllte) Voraussetzung sei. V***** habe ihm und anderen während einer Besprechung im Fußballverein S***** angeboten, „eine gefälschte Bestätigung von einer Fahrschule zu beschaffen und diese dem Antrag an das Verkehrsamt anzuschließen“. Dass eine Bedienstete des Verkehrsamts in die Sache involviert gewesen sei, habe er erst nachträglich erfahren. Die Tatrichter erachteten diese Aussage im Wesentlichen deshalb für unglaubhaft, weil der Beschwerdeführer P***** von Spielen des genannten Fußballvereins und Besuchen im VIP‑Bereich kenne und er von ihrem Tätigkeitsbereich im Verkehrsamt gewusst habe (US 19 f iVm ON 32 S 159 ff und ON 71 S 16 f).

Zutreffend macht die Mängelrüge Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) geltend, weil das Erstgericht die Aussagen der Zeugen ***** K***** und ***** Pe*****, die beide an der Besprechung des Fußballvereins S***** teilgenommen und dabei vom Angebot des V***** Kenntnis erlangt haben, in den Entscheidungsgründen mit Stillschweigen übergangen hat. Beide deponierten übereinstimmend in der Hauptverhandlung, V***** habe von einem Kontakt in einer Fahrschule gesprochen, bei der man sich die Absolvierung der vorgeschriebenen Fahrstunden als Voraussetzung einer Lenkberechtigung für ein Leichtmotorrad „ersparen“ könne (ON 79 S 4 und 6).

Diesem Beweisergebnis kann die Eignung, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite, insbesondere zur Wissentlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf vorsätzlichen Befugnisfehlgebrauch einer Beamtin im Zusammenhang mit der (unberechtigten) Ausstellung einer Lenkberechtigung, maßgebend zu beeinflussen, nicht von vornherein abgesprochen werden. Das Erstgericht geht nämlich davon aus, dass gerade das erwähnte „Angebot“ des V***** ausschlaggebend für die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Handlung war und dieser nach dem Urteilsinhalt in der inkriminierten Angelegenheit keinen direkten Kontakt zur unmittelbaren Täterin hatte, weshalb die näheren Umstände der Beauftragung beweiswürdigend zu erörtern sind. Die inhaltliche Beurteilung des Beweisergebnisses ist nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen der Z 5 (vgl RIS‑Justiz RS0118316; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 421).

Der aufgezeigte Mangel erforderte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils im Po***** betreffenden Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e Abs 1 StPO).

Gleichermaßen war mit dem Einziehungserkenntnis zu verfahren, das einen vom Obersten Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde von Amts wegen wahrzunehmenden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Fehler zum Nachteil der Angeklagten aufweist. Der – in den Entscheidungsgründen unbegründet gebliebene – Ausspruch bezieht sich lediglich auf „die unberechtigt ausgestellten Urkunden“ (US 7) und individualisiert die betroffenen Gegenstände nicht, weshalb er schon deshalb mit Nichtigkeit behaftet ist (Z 11 erster Fall; RIS‑Justiz RS0090439).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte Po***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass die Annahme mehrerer Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt bei P***** zwar rechtlich verfehlt (RIS-Justiz RS0121981), jedoch in concreto ohne Nachteil für diese Angeklagte geblieben ist, weshalb dieser Subsumtionsfehler (Z 10) nicht von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen war (RIS‑Justiz RS0099767).

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