European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00067.16K.1125.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Fluggesellschaft „Austrian Airlines“ wurde im Jahr 2008 zur Gänze privatisiert. Der internationale Code der Fluggesellschaft lautet „OS“; damit werden im Folgenden Flugzeuge und Piloten der Austrian Airlines (vor allem auch vor dem Jahr 2015) bezeichnet.
Die T***** GmbH war (bis 2015) eine 100 %‑Tochtergesellschaft der Austrian Airlines; der internationale Code lautete „VO“. Mit 1. Juli 2012 wurde der Flugbetrieb der Beklagten auf die T***** GmbH übertragen; T***** führte den gesamten Flugbetrieb der Austrian Airlines unter der Marke Austrian durch. Mit Wirkung vom 1. April 2015 wurde das Unternehmen T***** mit Austrian Airlines fusioniert. Der Flugbetrieb und die Mitarbeiter sind dabei wieder auf Austrian Airlines übergegangen.
Mit 1. Dezember 2014 trat für das Bordpersonal der Beklagten (sowohl OS als auch VO) der neue Kollektivvertrag „OS‑KV 2015“ in Kraft. Dieser – hier zu beurteilende – Kollektivvertrag enthält folgende für den Anlassfall wesentliche Bestimmungen:
„ 64 Senioritätslisten
64.1 Es werden zwei Senioritätslisten geführt. Für den Verwendungsbereich „Mainline“ die Senioritätsliste „M“, für den Verwendungsbereich „Regional“ die Senioritätsliste „R“.
...
70 Sonderregelungen zur Besetzung der Mainline‑PIC‑Positionen auf der Flugzeugtype Bombardier C‑Series oder Embraer E 195
70.1 Diese Sonderregelungen gelten ausschließlich für die tatsächliche Einflottung von insgesamt bis zu 20 Flugzeugen der Flugzeugtypen Bombardier C‑Series (CS 100, CS 300) und Embraer E 195 und treten am 31. 12. 2019 außer Kraft. ...
70.2 Mainline‑PIC‑Positionen auf Flugzeugen der Flugzeugtypen Bombardier C‑Series oder Embraer E 195 sind sowohl innerhalb der Senioritätsliste „M“ wie auch Senioritätsliste „R“ auszuschreiben. Die Besetzung und Nachbesetzung aller Positionen zwischen OS‑ und VO‑Piloten erfolgt nach einer Quote von 2 zu 1, das heißt von drei auf der ganzen Flotte besetzten FTE (Full Time Equivalent) Positionen haben zwei FTE auf OS‑Piloten und ein FTE auf VO‑Piloten zu entfallen. “
Beim Kläger handelt es sich um einen VO‑Piloten. In der Senioritätsliste „R“ weist er das Senioritätsdatum 12. November 1997 auf. Der Kläger bewarb sich je zweimal erfolglos auf Stellen eines Co‑Piloten eines Langstreckenflugzeugs bzw als Kapitän des einzuflottenden Embraer E 195.
Seit 2016 werden die im Flugbetrieb der VO bisher verwendeten Flugzeuge des Typs Fokker F 70 und F 100 sukzessive durch jene des Typs Embraer E 195 ersetzt; die Embraer-Flugzeuge werden mit 120 Sitzplätzen betrieben. Bei den Embraer‑Flugzeugen handelt es sich um Mainline‑Flugzeuge. Demgegenüber handelt es sich bei den Fokker‑Flugzeugen um Regionalflugzeuge; diese weisen 80 Sitzplätze bis 110 Sitzplätze (bei sogenannten Derivaten) auf.
Der Kläger begehrte zusammengefasst die Feststellung, dass für seine beruflichen Vorrückungen und Bewerbungen auf allen Flugzeugtypen der Beklagten die ab dem tatsächlichen Eintrittsdatum bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern zurückgelegten Vordienstzeiten im gleichen Ausmaß wie bei den OS‑Piloten zu berücksichtigen seien. Zudem erhob er das – für die vorliegende Entscheidung relevante – Eventualbegehren, mit dem festgestellt werden solle, dass er einen Anspruch auf Beschäftigung als Kapitän auf dem Luftfahrzeug Embraer mit sofortiger Wirkung habe.
Der Kläger brachte vor, dass die getrennten Senioritätslisten sowie die Regelung für die Besetzung der einzuflottenden Embraer‑Flugzeuge insbesondere wegen Verletzung des Gleichheitssatzes rechtswidrig seien. Die Senioritätslisten hätten durch Reihung aller Piloten nach dem jeweiligen Eintrittsdatum gebildet werden müssen.
Die Beklagte entgegnete, dass die vom Kläger inkriminierten Regelungen im OS‑KV 2015 sachlich gerechtfertigt seien und im Betriebsübergang zum 1. Juli 2012 ihre Grundlage finden würden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und stellte fest, dass für die Vorrückungen und Bewerbungen des Klägers auf allen Flugzeugtypen der Beklagten sämtliche Vordienstzeiten im gleichen Ausmaß wie bei den OS‑Piloten zu berücksichtigen seien. Die Bildung getrennter Senioritätslisten sowie die Regelung für die Besetzung der Positionen als Kapitän auf den einzuflottenden Embraer‑Flugzeugen seien teilnichtig. Bei gleichheitskonformer Betrachtung seien in die beiden Senioritätslisten „M“ und „R“ alle VO‑ und OS‑Piloten in aufsteigender Reihenfolge ihrer Senioritätsdaten einzureihen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Feststellungsbegehren zur Gänze ab. Da auch die VO‑Piloten in die Senioritätsliste „M“ (wenn auch hinter den OS‑Piloten) eingereiht würden, bestehe gegenüber dem Stand vor dem Betriebsübergang eine Erweiterung der Karrieremöglichkeiten für VO‑Piloten. Außerdem führe das vom Kläger gewünschte Modell zu einer Verbesserung der Karrieresituation der VO‑Piloten im fremden Bereich. Die Führung von zwei Senioritätslisten sei daher als sachlich gerechtfertigt zu beurteilen. Das Gleiche gelte für die Sonderregelung hinsichtlich der Umflottung auf Embraer‑Flugzeuge. Dabei handle es sich um eine Entscheidung, die innerhalb des Gestaltungsspielraums der Kollektivvertragsparteien liege. Im Allgemeinen würden die Interessen der Arbeitnehmer durch ihre kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen ausreichend vertreten. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage der Wirksamkeit kollektivvertraglicher Regelungen in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine gänzliche Stattgebung seines Feststellungsbegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zwischenzeitlich eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist und dieser Umstand mit den Parteien erörtert werden muss. Dementsprechend ist die Revision im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Der geltend gemachte Begründungsmangel liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor. Die Beurteilung der Sachlichkeit von Regelungen in einem Kollektivvertrag ist auch dann der Rechtsfrage zuzuordnen, wenn vom Berufungsgericht in dieser Hinsicht auf einen in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz (hier Vermutung der Sachlichkeit von Kollektivvertragsbestimmungen) zurückgegriffen wird.
2. Der Kläger wirft in der Revision die Frage auf, ob und inwieweit das Gestaltungsrecht der Kollektivvertragsparteien beschränkt ist, wenn kollektivvertragliche Bestimmungen für einen Teil der Belegschaft verschlechternd bzw benachteiligend sind. Der Kläger bringt diese Fragestellung mit dem Betriebsübergang (im Jahr 2012) und mit aus diesem Anlass verschlechternden Kollektivvertragsbestimmungen in Verbindung. Dazu verweist er auf den Artikel von Resch , Kollektivvertragliche Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebsübergangs, ecolex 2015, 992.
3.1 Im Fall eines Kollektivvertragswechsels bei einem Betriebsübergang kommt es zu einer vollständigen Ablösung des Veräußerer-Kollektivvertrags durch den Erwerber-Kollektivvertrag. Die Frage nach allfälligen Regelungsschranken kann sich nur in Bezug auf den Schutz der Altbelegschaft stellen. Der Kläger hält selbst fest, dass am 1. Juli 2012 der Flugbetrieb der Beklagten (OS) auf die T***** GmbH (VO) übergegangen ist. Bei der durch die Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG ) geschützten Altbelegschaft handelt es sich um die OS‑Piloten. Demgegenüber argumentiert der Kläger eine Benachteiligung der VO‑Piloten, also der Belegschaft des Erwerber‑Betriebs. Schon aus diesem Grund ist die Bezugnahme auf den Betriebsübergang nicht tragfähig.
Hinzu kommt, dass der Kläger nicht darlegt, warum der im vorliegenden Verfahren inkriminierte OS‑KV 2015, der am 1. Dezember 2014 in Kraft getreten ist, mit dem Betriebsübergang am 1. Juli 2012 in zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang steht.
3.2 Der Kläger könnte sich auch inhaltlich nicht auf die Betriebsübergangsrichtlinie stützen. Um sich für die Auslegung nationaler Regelungen (hier in einem Kollektivvertrag) auf eine Richtlinie berufen zu können, genügt es nicht, die allgemeine Zielrichtung der Richtlinie (hier Schutz der Altbelegschaft) zu analysieren. Vielmehr müssen sich aus dem normativen Teil der Richtlinie inhaltlich determinierte Rechte der Betroffenen oder zumindest konkrete Verhaltensanordnungen an die Mitgliedstaaten ergeben.
Art 3 der Richtlinie sieht nur einen abgeschwächten Schutz der Altbelegschaft im Sinn einer vorübergehenden Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen laut dem Veräußerer-Kollektivvertrag vor. Dieser Schutz gilt nur bis zur Anwendung eines neuen Kollektivvertrags. Der Veräußerer-Kollektivvertrag wird somit durch den Erwerber-Kollektivvertrag abgelöst.
Nach Art 8 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten für die Arbeitnehmer günstigere Kollektivverträge fördern oder zulassen. Dabei handelt es sich nur um eine Ermächtigungsklausel und nicht einmal um eine Bemühungsverpflichtung für die Mitgliedstaaten. Aus dieser Klausel kann kein allgemeines Verschlechterungsverbot abgeleitet werden. Ein solches Verbot würde überdies dem Ablösemodell des Art 3 der Richtlinie widersprechen.
Art 4 Abs 1 der Richtlinie betrifft ausschließlich den Kündigungsschutz wegen eines Betriebsübergangs. Die von Resch (ecolex 2015, 992 [994]) daraus gezogene Schlussfolgerung, dass verschlechternde Kollektivvertrags‑ bestimmungen für die Altbelegschaft nur aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen sachlich gerechtfertigt seien und der Betriebsübergang als solcher keinen Grund für verschlechternde Regelungen für die Altbelegschaft oder Teile der Altbelegschaft darstelle, lässt sich anhand der anerkannten Interpretationsmethoden nicht bestätigen. Vielmehr ist festzuhalten, dass die Frage, welchen Regelungsschranken die Kollektivvertragsparteien unterliegen, wenn sie Anlass des Betriebsübergangs neues Kollektivvertragsrecht, allenfalls verbunden mit einem Übergangsrecht, schaffen, in der Betriebsübergangsrichtlinie nicht geregelt ist. Der in Rede stehenden Richtlinie kommt für den Anlassfall somit keine Bedeutung zu.
4. Der Kläger beruft sich auch auf die primärrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dazu unterlässt er es allerdings, die Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit darzulegen. Insbesondere ergibt sich nicht, dass im Anlassfall ein Bezug zu einem grenzüberschreitenden Sachverhalt besteht (vgl dazu EuGH C‑268/15, Ullens de Schooten ).
Im Anlassfall ist der Anwendungsbereich des Unionsrechts somit nicht eröffnet. Schon aus diesem Grund ist der Anregung des Klägers auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens nicht näher zu treten.
5.1 Nach österreichischem Recht ist der normative Teil eines Kollektivvertrags wie ein Gesetz an den grundrechtlichen Gleichheitssatz sowie an die anderen Grundrechte gebunden. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (zur Konkretisierung der Generalklausel des § 879 ABGB) kann eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch eine Bestimmung eines Kollektivvertrags vor allem darin liegen, dass eine Arbeitnehmergruppe ohne sachlichen Grund schlechtergestellt wird als eine andere Gruppe. Der Gleichheitssatz verbietet es aber nicht, sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen, sondern nur, Gleiches ungleich sowie auch Ungleiches gleich zu behandeln. Wesentlich ist daher, dass keine Differenzierungen geschaffen werden dürfen, die sachlich nicht begründbar sind. Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (siehe dazu 8 ObA 19/06m mwN).
5.2 Als Ausprägung des grundrechtlichen Gleichheitssatzes ist auch auf den Vertrauensschutz Bedacht zu nehmen. In dieser Hinsicht fällt es grundsätzlich ebenso in den Gestaltungsspielraum der Kollektivvertragsparteien, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu ändern. Die Minderung wohlerworbener Rechte unterliegt jedoch der Einschränkung der sachlichen Begründbarkeit und der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend können vertrauensschutzbegründende Umstände darin liegen, dass rückwirkend an in der Vergangenheit liegende Sachverhalte geänderte (für die Normunterworfenen nachteilige) Rechtsfolgen geknüpft werden, weiters dass in gefestigte künftige Rechtsansprüche, auf die sich die Normunterworfenen nach ihrer Zweckbestimmung rechtens einstellen durften (wie zB auf Pensionsleistungen in bestimmter Höhe), plötzlich und intensiv nachteilig eingegriffen wird, oder dass durch eine spätere Maßnahme Dispositionen der Normunterworfenen im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage frustriert bzw ihrer Wirkung beraubt werden (vgl VfGH G 111/2015, G 183/2016).
Beim Vertrauensschutz handelt es sich seinem Wesen nach vor allem um einen Schutz von Investitionen oder wirtschaftlichen Dispositionen. Dass der Kläger im berechtigten Vertrauen auf eine bestimmte Rechtsposition wirtschaftliche Dispositionen vorgenommen hätte, ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht. Im Anlassfall geht es auch nicht darum, dass Rechtsfolgen rückwirkend geändert wurden oder ein Eingriff in bereits gefestigte künftige Rechtsansprüche stattgefunden hätte. In Bezug auf eine Beförderung bestand auch nicht etwa bereits ein Anwartschaftsrecht.
6.1 Als Ergebnis ist für den Anlassfall somit festzuhalten, dass die Kollektivvertragsparteien in Ausübung ihrer Befugnisse einen abgeschlossenen Kollektivvertrag auch ändern und getroffene Regelungen verschlechtern sowie eine Gruppe auch benachteiligen können, sofern sie die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer beachten. In dieser Hinsicht ist – trotz der im Zweifel vermuteten Sachlichkeit einer Kollektivvertragsregel – eine grundrechtliche Beurteilung vorzunehmen.
6.2 Der Kläger argumentiert zunächst eine Benachteiligung der Gruppe der VO‑Piloten gegenüber jener der OS‑Piloten aufgrund der getrennten Senioritätslisten für die R‑Line und die M‑Line.
Zur R‑Line gehören kleine Flugzeuge, die bisher bei VO eingesetzt wurden. Sie weisen eine begrenzte Passagierkapazität bis 80 Sitzplätze bzw bis 110 Sitzplätze bei Derivaten auf. Bei VO wurden vor dem Betriebsübergang nur R‑Flugzeuge, nämlich Dash‑Flugzeuge (Bombardier) und Fokker‑Flugzeuge eingesetzt.
Bei der Sitzplatzkapazität von Flugzeugen handelt es sich um ein sachliches Kriterium. Aufgrund des geringeren Passagieraufkommens ist es wirtschaftlich vernünftig, im Regionalverkehr kleinere Flugzeuge als auf Hauptverkehrsrouten einzusetzen. Jene Piloten, die schon bisher auf größeren M‑Flugzeugen eingesetzt wurden, verfügen über größere Erfahrung im Betrieb solcher Flugzeugtypen. Für den Einsatz in der M‑Linie besteht daher kein oder ein geringerer Einschulungsbedarf. Demgegenüber ist der Schulungsbedarf bei Piloten, die bisher R‑Flugzeuge geflogen sind, höher. Dies ist mit einem zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden (vgl dazu 8 ObA 153/99d).
Für die gesonderten Senioritätslisten in Bezug auf die R‑Line und die M‑Line kann sich die Beklagte demnach auf objektive und sachliche Gründe berufen. Die Regelung in Pkt 64.1 des OS-KV 2015 ist im Verhältnis zum angestrebten Zweck, nämlich der Berücksichtigung der Erfahrung beim Betrieb von größeren Flugzeugen, angemessen und verstößt nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Mit dieser Regelung haben die Kollektivvertragsparteien den ihnen eingeräumten Ermessens‑ und Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
6.3 Darüber hinaus inkriminiert der Kläger die Sonderregelung (Übergangsregelung), die bis 31. Dezember 2019 oder bis zum Einsatz von 20 Flugzeugen vom Typ Embraer E 195 gilt. Diese Übergangsregelung sieht auch für VO‑Piloten eine Umstiegsmöglichkeit auf den neuen Flugzeugtyp Embraer E 195 (M‑Line) sowie ein bestimmtes Umstiegsverhältnis zwischen VO‑ und OS‑Piloten vor. Die hier zu beurteilende Regelung (Pkt 70.2 des OS‑KV 2015) sieht ein Verhältnis von 2 : 1 zugunsten von OS‑Piloten vor.
Solange die betrieblich festgelegte Anzahl von Fokker‑Flugzeugen eingesetzt wurde, stand den VO‑Piloten zahlenmäßig diese Anzahl an Beförderungschancen zum Kapitän zur Verfügung. Nimmt die Anzahl der Fokker‑Flugzeuge durch einen sukzessiven Flottentausch ab, so werden auch die Beförderungschancen weniger. Werden nun die zahlenmäßig abnehmenden Beförderungschancen in Bezug auf Fokker‑Flugzeuge durch zahlenmäßig gesicherte Beförderungsmöglichkeiten in Bezug auf Embraer‑Flugzeuge abgefangen, so findet für die Gruppe der VO‑Piloten ein entsprechender Ausgleich statt.
Werden im Rahmen der zu beurteilenden Sonderregelung (längstens bis 31. Dezember 2019) alle Fokker‑Flugzeuge durch Embraer‑Flugzeuge ersetzt, so bleiben die Beförderungschancen für die Gruppe der VO‑Piloten zahlenmäßig unverändert. In die Sonderregelung wurden 20 Embraer-Flugzeuge einbezogen. Wenn der beabsichtigte Flottentausch aus wirtschaftlichen Gründen nur in diesem Ausmaß erfolgen soll, kann die Festlegung der Anzahl von 20 Embraer-Flugzeugen nicht als unsachlich qualifiziert werden.
Anderes gilt jedoch für das festgelegte Umstiegsverhältnis von 2 : 1. Dadurch werden die bisherigen Beförderungsmöglichkeiten der VO‑Piloten im Rahmen des Flottentausches durch Einbeziehung der OS‑Piloten zusätzlich geschmälert. Aufgrund der nachteiligen Verhältniszahl ist die Schmälerung der Karrierechancen als intensiv zu bezeichnen. Zur sachlichen Rechtfertigung eines derartigen Einschnitts reicht der von der Beklagten auch in dieser Hinsicht ins Treffen geführte „Erfahrungsstand“ von M‑Line‑Piloten nicht mehr aus. Da die Embraer‑Flugzeuge (jedenfalls im Ausmaß von 20 Stück) als Austausch für die Fokker‑Flugzeuge vorgesehen sind, bekommen die OS‑Piloten Karrierechancen in Bezug auf zusätzliche Flugzeuge. Auf Fokker‑Flugzeuge hätten sich die OS‑Piloten nicht als Piloten der M‑Line bewerben können.
Damit entspricht die inkriminierte Übergangsregelung in Pkt 70.2 des OS‑KV 2015 nicht dem auch von den Kollektivvertragsparteien einzuhaltenden Sachlichkeitsgebot. Diese Regelung ist in Bezug auf das Umstiegsverhältnis von 2 : 1 zugunsten der OS‑Piloten nichtig.
6.4 Diese als nichtig beurteilte Sonderregelung ist vom Klagebegehren erfasst. Konkret wird sie im hier relevanten Eventualbegehren angesprochen. Für einen darin formulierten Anspruch auf Beschäftigung ist allerdings eine konkrete Bewerbung erforderlich, was der Kläger in einem weiteren (hier nicht relevanten) Eventualbegehren selbst zum Ausdruck bringt. Ohne eine offene Bewerbung kann ein Anspruch im Sinn des hier relevanten Eventualbegehrens damit nicht festgestellt werden.
Die Frage der Fassung des Eventualbegehrens wäre erörterungsbedürftig.
6.5 Im Anlassfall kommt hinzu, dass sich nach dem Vorbringen der Beklagten zwischenzeitlich, nämlich ab 1. August 2016, die Rechtslage geändert hat. Aufgrund des Zusatzprotokolls 2 zum Kollektivvertrag betrage das Umstiegsverhältnis nunmehr 1 : 0 zugunsten von VO‑Piloten.
Ausgehend von der hier vorgenommenen Beurteilung könnte der Kläger im vorliegenden Verfahren (nur) erreichen, dass bei einer noch offenen oder bei einer künftigen Bewerbung auf ein Flugzeug des Typs Embraer E 195 die Verhältniszahl in Pkt 70.2 des OS‑KV 2015 außer Betracht bleibt. Ausgehend von den Feststellungen, dass sich der Kläger je zweimal erfolglos auf die Stellen eines Co‑Piloten eines Langstreckenflugzeugs bzw als Kapitän des einzuflottenden Embraer E 195 bewarb, ist davon auszugehen, dass keine Bewerbung des Klägers offen ist. Auf eine neue (künftige) Bewerbung des Klägers wäre aber die neue Rechtslage anwendbar. Damit wäre mit Bezug auf die inkriminierte Regelung in Pkt 70.2 des OS-KV 2015 sein Rechtsschutzbedürfnis weggefallen.
Zur Änderung der Rechtslage durch das Zusatzprotokoll 2 des Kollektivvertrags hat bisher allerdings keine Erörterung mit den Parteien stattgefunden. Aus diesem Grund kommt eine endgültige Erledigung der Rechtssache derzeit nicht in Betracht. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dementsprechend aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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