OGH 8ObA79/20f

OGH8ObA79/20f25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2020, GZ 10 Ra 27/20v ‑ 14, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 17. September 2019, GZ 15 Cga 51/19g‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00079.20F.0825.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stand ab 1. 8. 2008 als Facharbeiter/Hausarbeiter in einem Dienstverhältnis zur Beklagten, auf welches die Dienstordnung C für die Arbeiter bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs 2005 (DO.C) Anwendung findet. Im Jahr nach seinem Dienstantritt erhielt er eine Dienstbeschreibung mit der Gesamtbewertung „gut“. Die Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung des Klägers für den Zeitraum von September 2016 bis Juni 2017 lautete auf „befriedigend“. Am 9. 4. 2018 erhielt er eine Dienstbeschreibung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 mit der Gesamtbeurteilung „wenig entsprechend“. Mit Schreiben vom 24. 1. 2019 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis gemäß § 29 DO.C zum 28. 2. 2019 auf.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis zur Beklagten aufrecht sei, weil bei ihm ein erhöhter Kündigungsschutz nach § 20 DO.C bestehe.

Die Beklagte wandte ein, dass die Dienstbeschreibung des Klägers noch vor Zurücklegung von zehn Dienstjahren auf „wenig entsprechend“ geändert worden sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der Kläger habe keinen erhöhten Kündigungsschutz nach § 20 Abs 1 DO.C erlangt, weil zum Zeitpunkt der erreichten zehn Dienstjahre mit 1. 8. 2018 eine auf „wenig entsprechend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung vorgelegen habe. Dass frühere Dienstbeurteilungen einbezogen werden sollten, könne der Regelung nicht entnommen werden.

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung (hier § 20 Abs 1 DO.C) regelmäßig eine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers, mit der er beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben. Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (RIS‑Justiz RS0042819; RS0109942); sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. § 20 DO.C bestimmt ua:

(1) Für Arbeiter, die in einem unbefristeten Dienstverhältnis stehen, besteht ein erhöhter Kündigungsschutz, wenn der Arbeiter

1. die österreichische Staatsbürgerschaft oder die Unionsbürgerschaft besitzt,

2. seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung hat,

3. das 28. Lebensjahr vollendet hat [entfällt seit avsv Nr. 148/2019/89. Änderung], und

4. zehn Dienstjahre gemäß § 15 zurückgelegt hat.

(Geltende Fassung ab 1. 1. 2014/73. Änderung)

2.1 Die DO.C ist ein Kollektivvertrag (RS0054394 [T7]). Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (RS0008807; RS0010088). In erster Linie ist daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089 [T37]). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0031382; RS0010089 [T38]). Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen ist zudem davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RS0008828; RS0008897).

2.2.1 Sowohl die Parteien als auch die Vorinstanzen sind richtig davon ausgegangen, dass sämtliche in § 20 Abs 1 DO.C aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Arbeitnehmer der Beklagten in den Genuss des erhöhten Kündigungsschutzes kommt (arg „und“). Ab dem Zeitpunkt, an dem alle Voraussetzungen (kumulativ) eingetreten sind, besteht der erhöhte Kündigungsschutz. Das Fehlen auch nur einer Voraussetzung hindert (vorerst) dessen Entstehen. Da der erhöhte Kündigungsschutz erfordert, dass der Arbeiter zehn Dienstjahre zurückgelegt hat (Z 4), konnte ihn der Kläger frühestens ab 1. 8. 2018 (Vollendung des 10. Dienstjahres) erlangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber nicht seit zwei Jahren eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibung, sondern lautete die (letztgültige) Gesamtbeurteilung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 auf „wenig entsprechend“. Die Voraussetzung des § 20 Abs 1 Z 2 DO.C war damit übrigens auch zum Zeitpunkt der Kündigung per 28. 2. 2019 nicht gegeben.

2.2.2 Die Auffassung des Klägers, er brauche nur irgendwann innerhalb der ersten zehn, von ihm als „Beobachtungszeitraum“ bezeichneten, Dienstjahre zwei Jahre lang eine auf mindestens „befriedigend“ lautende Gesamtbeurteilung, um mit Vollendung des 10. Dienstjahres den erhöhten Kündigungsschutz zu erlangen, lässt sich mit dem Wortsinn nicht in Einklang bringen. Die Präposition „seit“ gibt den Zeitpunkt an, zu dem ein bestimmter Zustand, Vorgang eingetreten ist (www.duden.de ). Ein Zustand, dessen zeitlicher Beginn mit „seit“ bezeichnet wird, muss daher zum Beurteilungszeitpunkt (hier 1. 8. 2018) noch andauern.

2.2.3 Für dieses schon vom Wortsinn eindeutig vorgegebene Auslegungsergebnis spricht zudem, dass der Benefit des erhöhten Kündigungsschutzes (nur) Arbeitern zugute kommen soll, die sich zur Zufriedenheit des Dienstgebers (Gesamtbeurteilung zumindest „befriedigend“) verhalten. Für den Dienstgeber ist nun in erster Linie die Qualität der laufend vom Dienstnehmer erbrachten Leistung und nicht eine weiter zurückliegende, überholte Bewertung von Bedeutung. All dies zeigt sich nicht zuletzt deutlich an den Bestimmungen des § 20 Abs 2 und Abs 3 DO.C, die die Möglichkeit der Aberkennung des erhöhten Kündigungsschutzes bzw dessen Wiederaufleben abhängig von der Gesamtbeurteilung der Dienstbeschreibungen über einen gewissen Zeitraum regeln. Das Interesse des Dienstgebers an der gegenwärtigen Arbeitsleistung rechtfertigt auch das Abstellen auf das Wohlverhalten des Arbeiters in den zuletzt vergangenen zwei Jahren.

Der Ansicht des Klägers, diese Auslegung ermögliche es dem Dienstgeber, willkürlich den Eintritt des erhöhten Kündigungsschutzes zu vereiteln, ist zu erwidern, dass eine Dienstbeschreibung den Anforderungen des § 22 DO.C entsprechen muss und vom Arbeiter beeinsprucht werden kann (§ 22 Abs 5 und 6 DO.C). Der Kläger hat nach den Feststellungen keinen Einspruch gegen die Dienstbeschreibung für den Zeitraum Jänner bis März 2018 erhoben.

3. Der unbegründeten Revision des Klägers ist daher nicht Folge zu geben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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