OGH 8ObA55/20a

OGH8ObA55/20a29.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. März 2020, GZ 10 Ra 127/19y‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00055.20A.0629.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 105 Abs 4 ArbVG kann der Arbeitnehmer, wenn der Betriebsrat keine Stellungnahme zur Kündigung abgegeben hat, diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang selbst beim Gericht anfechten.

Dementsprechend sind auch die Gründe, aus denen eine Anfechtung der Kündigung erfolgen soll, innerhalb der Frist geltend zu machen. Könnte die Klagefrist durch „leere“ Anfechtungen und das Nachtragen von Anfechtungsgründen gewahrt werden, so wäre die Anfechtungsfrist nahezu gegenstandslos. Das Nachschieben von Anfechtungsgründen nach Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 105 Abs 4 ArbVG ist unzulässig und eine Klagsänderung durch Geltendmachung eines neuen Anfechtungsgrundes ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0106300).

2. Die Frist des § 105 Abs 4 ArbVG ist eine prozessuale Frist, für die gemäß § 169 ArbVG die Bestimmungen der §§ 32 und 33 des AVG gelten. Zufolge des systematischen Zusammenhangs müssen auch die Regelungen über die Verbesserung von Formgebrechen (§ 13 Abs 3 AVG) und über die Rechtsbelehrung von Personen, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten werden (§ 13a AVG) gelten, zumal inhaltsgleiche oder sogar noch weiterreichende Bestimmungen für das Verfahren in Arbeitsrechtssachen gemäß den §§ 84 ff ZPO und § 39 Abs 2 Z 1 ASGG gelten. Damit ist über die kurze Anfechtungsfrist hinaus in dem Rahmen, in dem eine erweiterte Anleitung und Belehrung zu erfolgen hat, jedenfalls eine Konkretisierung der fristgebundenen Anfechtungsgründe zulässig, wenn diese von dem allgemeinen Anfechtungsvorbringen umfasst sind und nicht insoweit eine Einschränkung des Klagebegehrens auf bestimmte Gründe erfolgte (8 ObA 2308/96).

3. Unstrittig erfolgte die Eingabe des Klägers, wonach er „Einspruch gegen die Kündigung seines Dienstverhältnisses“ mit der Beklagten erhebt, innerhalb der Anfechtungsfrist. Dieser Eingabe lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass der Kläger beabsichtigt gegen seine Kündigung vorzugehen. Der Revision ist zwar darin recht zu geben, dass die Eingabe in dieser Form nicht zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung als Klage geeignet gewesen wäre, daraus ist aber für die Beklagte nichts zu gewinnen, da, in einem solchen Fall ein Verbesserungsverfahren einzuleiten ist, was das Erstgericht im konkreten Fall auch getan hat. Die Verbesserung erfolgte durch die Protokollarklage vom 21. 1. 2019. Dass es sich dabei um eine „neue“, von der ursprünglichen Eingabe unabhängige Klage handelt, ist nach dem Akteninhalt nicht richtig.

4. Nach § 13 Abs 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

Gemäß § 84 Abs 1 ZPO hat das Gericht die Beseitigung von Formgebrechen, die die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung eines überreichten Schriftsatzes zu hindern geeignet sind, von Amts wegen anzuordnen. Die Verbesserungsmöglichkeit bezieht sich bei fristgebundenen Schriftsätzen auch auf Inhaltsmängel (§ 84 Abs 3 ZPO). Auch hier ist bei Einhaltung der Verbesserungsfrist der Schriftsatz als am ersten Tag seines Einlangens überreicht anzusehen (§ 85 Abs 2 ZPO).

5. Es trifft zwar zu, dass die Verbesserungsvorschriften nicht dazu führen dürfen, dass eine Partei oder ein Parteienvertreter durch das bewusste Verfassen von unvollständigen oder mit Formfehlern behafteten Schriftsätzen im Ergebnis die gesetzlichen Notfristen verlängert oder zumindest das Verfahren verzögert (vgl zum Rechtsmittelverfahren: RS0036478).

Da diese Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Verbesserungsmöglichkeiten allerdings darauf abzielt, prozessuale Vorteile zu verhindern, die durch bewusstes Fehlverhalten bei der Einbringung von Schriftsätzen entstehen könnten, ist grundsätzlich ein Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch eine bewusst unvollständige Einbringung die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags und damit eine Fristverlängerung erreicht werden soll (RS0036478 [T7]).

6. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass ausgehend von der Eingabe des unvertretenen Klägers im konkreten Fall ein Verbesserungsverfahren zur Konkretisierung der Anfechtungsgründe zulässig war und die Verbesserung fristwahrend erfolgte, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

7. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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