OGH 11Os32/20w

OGH11Os32/20w23.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Kontr. Fleischhacker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Walter M***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Grazals Schöffengericht vom 19. September 2019, GZ 222 Hv 15/18w‑88, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00032.20W.0623.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene, gegen den Angeklagten Mag. M***** ergangene Urteil aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil (dessen Ausfertigung gemeinsam mit jenem gegen den belangten Verband § 22 Abs 1, Abs 2 VbVG iVm § 270 StPO widerspricht [RIS-Justiz RS0130765; Danek, WK-StPO § 270 Rz 1]) wurde Mag. Walter M***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im Zeitraum vom 18. Juli 2003 bis zum 6. August 2004 in G***** als Geschäftsführer der P***** GmbH, die Komplementärin der S***** GmbH & Co KEG war, seine durch den Gesellschaftsvertrag vom 20. Dezember 2002 über die Gründung der angeführten KEG eingeräumte Befugnis, über deren Vermögen zu verfügen oder diese zu verpflichten, wissentlich missbraucht, indem er entgegen den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ohne Information und Zustimmung der Kommanditisten im Ausmaß von 85 % der Gesellschaftereinlage in 14 Angriffen (US 5) den Betrag von insgesamt 340.000 Euro vom Konto der KEG behob und der P***** GmbH als Darlehen gewährte, wodurch die Kommanditisten der KEG (bzw diese [vgl US 5]) mangels Rückzahlung in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen den Strafausspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von dem Angeklagten (der das ihn kondemnierende Urteil unbekämpft ließ) zum Nachteil gereichender Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Die Strafbarkeit von Taten erlischt nach § 57 Abs 2 StGB – außer in den in Abs 1 leg cit genannten Fällen – durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört.

Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten – abgesehen vom Fall des § 58 Abs 2 StGB – grundsätzlich jeweils für sich, woran auch deren Zusammenfassung zu einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB nichts ändert (Marek in WK² StGB § 57 Rz 12; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 7; RIS‑Justiz RS0090586 [T9, T10]). Eine Zusammenfassung je für sich selbstständiger, zeitlich getrennter Taten zu (hier) schadensqualifizierter Untreue nach Maßgabe einer tatbestandlichen Handlungseinheit – unabhängig von allfälliger einheitlicher Tatsituation und des konstatierten Vorsatzes des Angeklagten auf die Herbeiführung eines insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Schadens – findet schon angesichts des angesprochenen Zusammenrechnungsgrundsatzes nicht statt (RIS-Justiz RS0122007; 14 Os 79/12t). Es ist daher jede einzelne Tat (historisches Geschehen) anhand im Urteil getroffener Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) zu unterstellen und auf dieser Basis der Eintritt der Verjährung zu beurteilen (Marek in WK² StGB § 57 Rz 12; RIS-Justiz RS0128998).

Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht nur dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten war, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos wurde (Marek in WK² StGB § 57 Rz 23; RIS-Justiz RS0072368, RS0116876).

Allerdings ist nach Art 12 § 2 des StRÄG 2015 (BGBl I 2015/112) für Taten, derentwegen am 31. Dezember 2015 ein Ermittlungsverfahren anhängig war, die Verjährungsfrist (§§ 57 Abs 3, 58 StGB) nach der an diesem Tag geltenden Strafdrohung zu berechnen. Korrespondierend dazu bleibt nach § 58 Abs 3a StGB eine nach Abs 1 bis Abs 3 des § 58 StGB eingetretene Hemmung der Verjährung wirksam, auch wenn durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Hemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre (vgl Marek in WK2 StGB § 58 Rz 35 f).

Nach den Urteilsannahmen hat der Angeklagte im Zeitraum vom 18. Juli 2003 bis 6. August 2004 unter Missbrauch der ihm von der S***** GmbH & Co KEG eingeräumten Befugnis von deren Konto insgesamt 14 Bargeldbehebungen in der Höhe zwischen 10.000 Euro und 100.000 Euro, insgesamt von 340.000 Euro, vorgenommen und diese Beträge jeweils als Darlehen der (zu einer zeitnahen Rückzahlung nicht fähigen) P***** GmbH zur Verfügung gestellt (US 4 bis 6).

Für die erste Behebung von 100.000 Euro am 18. Juli 2003 (vgl zum Zeitpunkt des Schadenseintritts [§ 58 Abs 1 StGB] Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153 Rz 41/1, 41/3) bedeutet dies, dass bei Anwendbarkeit von Art 12 § 2 des StRÄG 2015 die Strafdrohung am 31. Dezember 2015 von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 153 Abs 2 zweiter Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112) maßgeblich wäre, womit die zehnjährige Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 zweiter Fall StGB) mit Ablauf des 18. Juli 2013 endet.

Den Ablauf dieser Verjährungsfrist würden die nachfolgenden, jeweils über 2.000 (und 3.000), nicht aber über 40.000 Euro gelegenen Behebungen bis 6. August 2004 angesichts der seit dem Tatzeitraum (§ 153 StGB idF BGBl I 2001/130) unveränderten dreijährigen Strafdrohung und einer damit einhergehenden fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB) nicht beeinflussen (§ 58 Abs 2 StGB – vgl Marek in WK2 StGB § 58 Rz 6).

Für diese Taten wäre Verjährung zufolge Ablaufhemmung im Fall von auf gleicher schädlicher Neigung beruhender Tatbegehung (§ 58 Abs 2 StGB) vielmehr mit Ablauf des 6. August 2009 gemeinsam eingetreten, was bei Nichtanwendbarkeit des Art 12 § 2 des StRÄG 2015 dann auch für die Tat vom 18. Juli 2003 gelten würde.

Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass keine Umstände eine (weitere) Hemmung der Verjährung bewirkt hätten, die nach § 58 Abs 3a StGB wirksam bleibt.

Feststellungen, ab wann ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich der urteilsgegenständlichen Taten anhängig war (§ 1 Abs 2 StPO), und zu verjährungshemmenden Umständen können dem Urteil nicht entnommen werden. Zu Letzteren finden sich insbesondere keine Konstatierungen zu den Tatzeitpunkten der dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht zu AZ 9 Hv 29/18p (US 3) zugrundeliegenden Finanzvergehen (vgl Marek in WK² StGB § 58 Rz 9) sowie zu dem nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB maßgeblichen Zeitraum (vgl Marek in WK² StGB § 58 Rz 21/8).

Machen aber fehlende Feststellungen die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Verjährung) unschlüssig, liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) vor (RIS-Justiz RS0122332 [T1 und T6, insbesondere zuletzt T11]).

Dies erfordert die Kassation des Mag. M***** betreffenden Schuldspruchs und demgemäß auch des Strafausspruchs, sodass sich ein Eingehen auf die dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erübrigt (vgl dazu US 8f).

Demgemäß war aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bereits nach nichtöffentlicher Beratung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen (§ 285e StPO).

Hinzugefügt sei, dass die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten (gemäß §§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG) gemeinsam mit jener gegen die P***** GmbH als belangtem Verband (§ 13 Abs 1 VbVG) geführt wurde. Das (ebenfalls am 19. September 2019 ergangene) Urteil betreffend den Verband wurde gemäß §§ 22 Abs 1, Abs 2 VbVG gesondert von jenem über die natürliche Person verkündet (ON 87 S 6, wenngleich verfehlt [RIS‑Justiz RS0130765] gemeinsam mit diesem ausgefertigt – ON 88). Eine amtswegige Prüfung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) des (wie hier) von den Parteien unbekämpft gebliebenen (und solcherart in Rechtskraft erwachsenen) Urteils über die Verbandsverantwortlichkeit aus Anlass der gegen das – davon verschiedene (§ 22 Abs 1, Abs 2 VbVG) – Urteil über die natürliche Person ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt nicht in Betracht (vgl Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 12). Vielmehr kann jenem anhaftende materielle Nichtigkeit in einem solchen Fall nur noch über Anfechtung durch die Generalprokuratur gemäß § 23 StPO (vorliegend 11 Os 55/20b) aufgegriffen werden (vgl Oberressl , Besonderheiten des Haupt‑ und Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020 [im Druck]).

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