OGH 1Ob69/20h

OGH1Ob69/20h25.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Peter Bergt, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei R*, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. November 2019, GZ 2 R 89/19f‑30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Reutte vom 25. März 2019, GZ 1 C 28/16d‑26, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128570

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe ist nach ständiger Rechtsprechung nur anzunehmen und auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beidseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821), das Verschulden eines Gatten also erheblich schwerer wiegt, als das des anderen (RS0057858). Die Verschuldenszumessung erfolgt jeweils im Einzelfall und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0119414 ua).

2. Dass das Berufungsgericht bei der Qualifikation des übermäßigen Alkoholkonsums des Beklagten (der nach den Feststellungen regelmäßig drei mal, zeitweise auch bis zu fünf mal pro Woche – aufgrund des Konsums von bis zu fünf, teilweise auch von bis zu zehn Bieren sowie immer wieder auch von Schnaps in größeren Mengen – stark alkoholisiert war) als schwere Eheverfehlung, aufgrund der es ihm das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anlastete, seinen ihm zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

3. Soweit der Beklagte argumentiert, dass sein Alkoholkonsum keine negativen „wirtschaftlichen“ (weil er weiterhin „extrem fleißig gearbeitet und ein Eigenheim erwirtschaftet habe“) oder „sozialen Auswirkungen“ auf das Eheleben gehabt habe, sodass dieser nicht „derart gravierend und ehestörend gewesen sein könne, wie das Berufungsgericht angenommen habe“, negiert er die Feststellung, dass Hauptgrund der Streitigkeiten sein Alkoholkonsum war, dessen Einschränkung die Klägerin immer wieder verlangte. Zudem ist ihm die – bereits vom Berufungsgericht ins Treffen geführte – Rechtsprechung entgegenzuhalten, wonach ein Alkoholmissbrauch (vgl zu diesem Begriff etwa 6 Ob 1583/95 [mehrmalige Betrunkenheit pro Woche]) grundsätzlich eine Eheverfehlung darstellt (vgl RS0056311). Dass der Revisionswerber einen (krankhaften) Alkoholismus im Sinn einer Alkoholsucht bestreitet, vermag seinem Standpunkt nicht zu nützen, ist ihm sein trotz Vorhaltungen der Klägerin fortgesetzter übermäßiger Alkoholkonsum dann doch umso mehr als schuldhaftes Fehlverhalten vorzuwerfen (1 Ob 122/16x). Dafür, dass der übermäßige Alkoholkonsum seine (Mit‑)Ursache in einem Verhalten der Frau gehabt hätte, bestehen weder Anhaltspunkte, noch wurde dies in erster Instanz behauptet.

4. Dass der Klägerin die Neigung des Beklagten zu übermäßigem Alkoholkonsum bereits seit der Eheschließung bekannt war, schließt eine vorwerfbare Eheverfehlung nicht aus, weil – worauf bereits das Berufungsgericht hinwies – jeder Ehegatte vom Ehepartner erwarten darf, dass dieser Neigungen, die ein gedeihliches Zusammenleben stören, so weit als möglich unterdrückt (RS0056016). Hier steht auch fest, dass die Klägerin den Beklagten bis zuletzt erfolglos von seinem Alkoholmissbrauch abzuhalten versucht hat.

5. Warum sich aus den Entscheidungen 3 Ob 7/15y sowie 2 Ob 107/13v, denen jeweils ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde lag, das gleichteilige Verschulden der Parteien ergeben soll, erschließt sich nicht. Auch dass der Alkoholmissbrauch eines Ehegatten in einzelnen vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen (7 Ob 518/88 sowie 3 Ob 215/09b) beurteilten Fällen mit zusätzlichen negativen Auswirkungen auf das Eheleben (Aggressionen bzw „Sticheleien“) verbunden war, begründet keine Bedenken an der angefochtenen Entscheidung; ebensowenig, dass in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 541/85 ein sich während der Ehe ständig steigernder Alkoholkonsum (was der Revisionswerber als maßgeblichen Unterschied zum vorliegenden Fall erachtet) als überwiegendes Verschulden beurteilt wurde.

6. Soweit der Revisionswerber ein gleichteiliges Verschulden daraus ableiten will, dass sich die Klägerin ihm gegenüber „grob und lieblos“ verhalten, ihn vor seinen Freunden beschimpft, wechselseitig ein „rauer Umgangston“ geherrscht und auch die Klägerin Streitigkeiten begonnen habe, ist ihm – wie schon vom Berufungsgericht – entgegenzuhalten, dass es für die Prüfung der jeweiligen Verschuldensanteile darauf ankommt, wer den entscheidenden Anlass zur unheilbaren Zerrüttung geleistet und mit der schuldhaften Ehezerrüttung begonnen hat (vgl RS0057057; RS0057361 [T2]; RS0057464 [T5]). Dass die wesentliche Ursache für die Zerrüttung hier in der Neigung des Beklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum bestand und das Verhalten der Klägerin primär eine Reaktion darauf darstellte, geht aus den getroffenen Feststellungen klar hervor. Dass das Berufungsgericht dem Verhalten der Klägerin (bei weitem) nicht den selben Stellenwert einräumte, wie der Eheverfehlung des Beklagen, begegnet somit keinen Bedenken. Warum die Verweigerung einer (weiteren) Eheberatung durch die Klägerin angesichts der fortgesetzten Eheverfehlung des im Hinblick auf seinen Alkoholkonsum bis heute uneinsichtigen Beklagten eine relevante Eheverfehlung ihrerseits begründen sollte, ist nicht erkennbar.

7. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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