OGH 4Ob9/20g

OGH4Ob9/20g30.3.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1) A***** GmbH, *****, und 2) V***** AG, *****, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 11.091,23 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. November 2019, GZ 2 R 158/19x‑27, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. August 2019, GZ 36 Cg 14/18h-22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00009.20G.0330.000

 

Spruch:

I. Das Revisionsverfahren zu 4 Ob 9/20g wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs vom 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x unterbrochen.

Das Revisionsverfahren wird nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt.

II. Der Schriftsatz der klagenden Partei vom 25. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 24. Oktober 2012 von der Erstbeklagten einen gebrauchten PKW der Marke Seat Altea TDI, der mit einem 1,6 Liter Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet ist und gemäß der EU-Typengenehmigung der Euro 5-Abgasnorm zu entsprechen hat. Das Fahrzeug war mit einer Abschalteinrichtung (Abgasmanipulationssoftware) ausgestattet. Am 9. Jänner 2017 ließ die Klägerin das vorgesehene Software-Update durchführen. Die Zweitbeklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 11.091,23 EUR sA Zug um Zug gegen die Rückstellung des Fahrzeugs; hilfsweise machte sie eine Preisminderung in Höhe von 6.000 EUR geltend und stellte ein Feststellungsbegehren. Der in ihrem Fahrzeug verbaute Dieselmotor sei vom Abgasmanipulationsskandal betroffen. Sie habe darauf vertraut, ein manipulationsfreies, den gesetzlichen Bestimmungen und dem Stand der Technik entsprechendes Fahrzeug zu kaufen. Das durchgeführte Software-Update sei zur Verbesserung ungeeignet gewesen, weil die Abgasrückführung lediglich innerhalb eines Thermofensters funktioniere. Sie sei daher berechtigt, die Wandlung des Kaufvertrags zu begehren.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Die Frage, ob die im Fahrzeug der Klägerin verbaute Abschalteinrichtung nach den Ausnahmebestimmungen des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG unzulässig gewesen sei, müsse nicht abschließend beurteilt werden, weil die Zweitbeklagte mit dem Software-Update eine Verbesserung vorgenommen habe. Dies folge daraus, dass die EU‑Typengenehmigungsbehörde (KBA) das Software-Update geprüft und bezogen auf die VO 715/2007/EG freigegeben habe. Die Sanierung des Mangels sei somit unter behördlicher Kontrolle des KBA erfolgt. Die Typen- und Betriebsgenehmigung sei nicht entzogen worden. Die Abgaswerte müssten nach den einschlägigen EU-Normen nur unter den darin vorgeschriebenen Prüfbedingungen, nicht aber auch im realen Fahrbetrieb eingehalten sein. In Bezug auf die Irrtumsanfechtung sei die Klägerin durch die erfolgte Verbesserung klaglos gestellt worden. Ihr sei auch nicht gelungen, die Kausalität eines allfälligen Irrtums für den Vertragsabschluss zu beweisen. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Verletzung eines Schutzgesetzes berufen. Art 5 der VO 715/2007/EG diene grundsätzlich dem Schutz der Allgemeinheit. Vermögensrechtliche Dispositionen eines Einzelnen im Vertrauen darauf, dass das Kraftfahrzeug die vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte erfülle, wie etwa der Kauf des Fahrzeugs zu einem bestimmten Preis, seien vom Schutzzweck der Norm jedenfalls nicht erfasst.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragen die Beklagten, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Dazu ist die ausstehende Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) abzuwarten. Das Verfahren ist daher zu unterbrechen.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

1. Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob die im Dieselfahrzeug des Klägers eingebaute Abschalteinrichtung eine verbotene Einrichtung nach Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ist, bejahendenfalls ob diese Qualifikation auch nach Durchführung des Software-Updates (mit Wirkung nur innerhalb eines bestimmten Thermofensters) besteht und das Vorhandensein einer verbotenen Einrichtung eine Vertragswidrigkeit begründet.

Mit diesen Fragen, die den sogenannten „V*****‑Abgasskandal“ betreffen, wurde der EuGH bereits befasst, so etwa in der Rechtssache zu C‑693/18 im Rahmen einer französischen Vorlage oder zu C‑685/19 über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Frankenthal.

2. Auch der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2.  Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?“

3. Das vorliegende Verfahren betrifft einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb sich auch hier die an den EuGH herangetragenen unionsrechtlichen Fragen stellen.

Da der Oberste Gerichtshof von der allgemeinen Wirkung von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen und diese auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall anzuwenden hat, war das hier vorliegende Revisionsverfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

Zu II.:

Der Schriftsatz des Klägers vom 25. Februar 2020 verstößt gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels und war daher zurückzuweisen (vgl RS0041666).

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