OGH 8ObA1/20k

OGH8ObA1/20k27.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. M*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagte Partei Univ.‑Prof. Dr. R*****, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.115,38 EUR brutto sA und Rechnungslegung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2019, GZ 10 Ra 58/19a‑74, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00001.20K.0227.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin war für den Beklagten –  einen als Belegarzt in einer Privatklinik operierenden Unfallchirurgen  – im Zeitraum von Herbst 2013 bis Mitte Oktober 2015 (mit Unterbrechung vom 13. 12. 2013 bis 15. 9. 2014) als OP-Assistentin tätig. Sie begehrte die Zahlung eines (restlichen) Entgelts von 5.115,38 EUR brutto sA sowie – im Wege einer Stufenklage im Sinn des Art XLII EGZPO  – Rechnungslegung durch Offenlegung sämtlicher während der Zeit ihrer Tätigkeit vom Beklagten an Privatpatienten gelegter Honorarnoten samt dazugehöriger Eingänge und Zahlung des sich daraus ergebenden Entgelts; in eventu Zahlung von 89.987,72 EUR brutto sA.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin rügt als aktenwidrig, dass aus der Beilage ./D keine Feststellungen getroffen worden seien, wonach ihr Assistenzhonorar nicht nur mit Fixbeträgen, sondern auch mit Prozentsätzen (vom Arzthonorar) bezahlt worden sei.

Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RIS‑Justiz RS0043347 [T1]). Davon kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung den Inhalt der Beilage ./D als unstrittig zugrundegelegt hat. Schlussfolgerungen aus einem Urkundeninhalt begründen keine Aktenwidrigkeit (RS0043347 [T20]).

2. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erblickt die Klägerin darin, dass, obwohl das Erstgericht dem Beklagten mit Beschluss aufgetragen habe, die Operationshonorare offenzulegen und der Beklagte diesem Beschluss nicht nachgekommen sei, von der Erfüllung dieses Auftrags Abstand genommen und das Rechnungslegungsbegehren abgewiesen worden sei.

Nach ständiger Rechtsprechung kann ein angeblicher Stoffsammlungsmangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der im Rechtsmittel geltend gemacht wurde, vom Gericht zweiter Instanz aber – wie hier – verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht mehr gerügt werden (RS0042963 [T45]). Soweit sich die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen allerdings nicht gegen eine Nichterledigung ihrer Beweisanträge, sondern gegen die rechtliche Beurteilung in der Hauptsache wendet, ist sie auf die Rechtsrüge zu verweisen.

3. Die Frage, ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach bei der gebotenen Gesamtbetrachtung überwiegen und daher ein echter Arbeitsvertrag vorliegt, kann immer nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0021284 [T12, T17]). Hat daher die zweite Instanz ihrer Entscheidung die vom Obersten Gerichtshof entwickelten Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt, verwirklicht die Anwendung dieser Kriterien auf den jeweiligen Einzelfall – von unvertretbaren Fehlbeurteilungen abgesehen – keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO qualifizierte Rechtsfrage.

Die Vorinstanzen haben hier das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses verneint, vor allem weil es im Belieben der Klägerin stand, bei einer Anfrage für eine Assistenztätigkeit jederzeit abzulehnen, sie weder Urlaube noch Krankenstände bekanntgeben musste und auch kein Mindestarbeitspensum zu erfüllen hatte und sich ihre Zeit damit frei einteilen konnte.

Die Klägerin verweist dazu nur darauf, dass sie sich, wenn sie dem Beklagten assistierte, an den Operationsplan und die vorgegebenen Termine halten musste. Sie leitet daraus aber keine konkreten Ansprüche – außer dem angemessenen Entgelt – ab, sodass das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nicht weiter zu prüfen ist.

4.1 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Klägerin nach § 1152 ABGB mangels vertraglicher Vereinbarung ein angemessenes Entgelt für ihre Tätigkeit zusteht.

Angemessen im Sinn des § 1152 ABGB ist jenes Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das ergibt, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird oder wurde (RS0038346; RS0021636). „Angemessen“ verweist daher vor allem auf das ortsübliche Entgelt. Ortsüblich ist das Entgelt, das in dem relevanten einheitlichen Arbeitsmarkt üblich ist. Als Richtschnur kommen kollektivvertragliche Löhne für vergleichbare Arbeiten oder bestehende Tarife in Betracht, sofern diese unter ähnlichen Umständen auch tatsächlich bezahlt werden (8 Ob 61/18f mwN). Zu prüfen sind jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalls, weshalb sich bei der Prüfung der Angemessenheit des Entgelts in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage stellt (vgl 8 ObA 22/18w).

4.2 Nach den Feststellungen lässt die Hälfte der etwa 150 Belegärzte, die in derselben Privatklinik wie der Beklagte operieren, einen Prozentsatz ihres von der Klinik vereinnahmten Arzthonorars an ihre Mitarbeiter auszahlen, und zwar je nach Belegarzt und je nach Umfang der Einbindung des Assistenten zwischen 7 % und 15 %. Die andere Hälfte der Ärzte lässt entweder von der Privatklinik statt eines Prozentsatzes einen (selbst festgelegten) Fixbetrag auszahlen oder bezahlt ihre Mitarbeiter direkt.

Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass sich aus den festgestellten Prozentsätzen insofern der Rahmen für eine angemessene Entgeltfestsetzung ergebe, als sie einen Anspruch auf prozentuelle Beteiligung an den vom Beklagten eingenommenen Honoraren habe. Damit begründet sie auch den gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Rechnungslegungsanspruch.

Die zitierten Feststellungen zeigen jedoch nur, dass die Belegärzte der Privatklinik drei unterschiedliche Abrechnungsmethoden praktizierten, die allesamt als üblich angesehen werden können. Dass die Klägerin gerade Anspruch auf eine Abrechnung mit einem bestimmten Prozentsatz hätte, ergibt sich daraus nicht. Der Auffassung der Vorinstanzen, dass daran die begehrte Rechnungslegung scheitert, setzt die Klägerin nichts Stichhältiges entgegen. Dem (als berechtigt erkannten) Rechnungslegungsbegehren des Klägers zu 9 ObA 69/97f lag – anders als hier  – ein nach dem Gesetz (§ 45 Abs 3 WrKAG aF) gebührender (Mindest-)Anteil an dem von Sonderklassepatienten zu zahlenden Honorar zugrunde.

Den Feststellungen lässt sich auch nicht entnehmen, wie hoch das von Belegärzten der Privatklinik wie dem Beklagten an OP-Assistenten, die Tätigkeiten wie die Klägerin verrichteten, nämlich Halten von Haken und Gliedmaßen, Halten der Kamera und Zuschauen, im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich geleistete Entgelt üblicherweise war. Die Klägerin hat dazu auch kein konkretes Vorbringen erstattet.

4.3 Es ist daher nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit an bestehenden Kollektivverträgen orientiert hat. Wie das Berufungsgericht dargelegt hat, ergibt sich unter Zugrundelegung des Kollektivvertrags für Operationsassistenten unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen ausgehend von einer (auf Basis der festgestellten Operationsdaten nach § 273 ZPO eingeschätzten) Tätigkeit der Klägerin von durchschnittlich 15 Stunden pro Woche ein Anspruch von ca 7.350 EUR für 49 Wochen. Selbst bei Verdoppelung des kollektivvertraglichen Entgelts errechnet sich nur ein Betrag von 14.700 EUR. Unter Zugrundelegung des kollektivvertraglichen Entgelts für Turnusärzte, die das Berufungsgericht allerdings nicht für gerechtfertigt hielt, ergibt sich nach dessen Berechnungen für eine Tätigkeit von durchschnittlich 15 Stunden pro Woche ein Betrag von ca 19.110 EUR für 49 Wochen. Bei Verdoppelung beläuft sich der Betrag auf 38.220 EUR.

Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht zur Auffassung gelangt, dass die Tätigkeit der Klägerin für den Beklagten mit dem ihr bereits unstrittig bezahlten Entgelt von insgesamt 42.826,98 EUR jedenfalls angemessen abgegolten wurde.

Ein nachvollziehbarer Grund, warum hier ein noch höheres Entgelt angemessen wäre, ist nicht ersichtlich, zumal die Klägerin zwar über ein abgeschlossenes Medizinstudium, aber über kein ius practicandi verfügte, die von der Klägerin verrichteten Tätigkeiten nach der Beurteilung durch das Berufungsgericht dem Berufsbild einer Operationsassistentin näher standen, als einer Turnusärztin, und auch von Studenten hätten durchgeführt werden können. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zeigt die Klägerin damit nicht auf.

5. Die Revision war daher zurückzuweisen.

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