OGH 7Ob9/20d

OGH7Ob9/20d19.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI H***** F*****, vertreten durch Dr. Günter Niebauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N*****-Aktiengesellschaft *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.311,81 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Juni 2018, GZ 2 R 79/18b‑16, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. April 2018, GZ 8 Cg 85/17v‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00009.20D.0219.000

 

Spruch:

1. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger unterfertigte am 14. 5. 2002 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung ab 1. Juni 2002 mit einer Vertragslaufzeit von 30 Jahren.

Dem Kläger wurde ein Antragsformular übergeben. Unmittelbar oberhalb des für die Unterschrift des Versicherungsnehmers vorgesehenen Feldes befand sich folgender Absatz:

 

„Bevor Sie diesen Antrag unterschreiben, lesen Sie bitte auf der Rückseite die Schlusserklärung des Antragstellers und des Versicherten zusammen mit den erläuternden Hinweisen. Sie enthalten … Informationen zum Rücktrittsrecht …; dies sind wichtige Vertragsbestandteile. Sie machen diese mit Ihrer Unterschrift zum Inhalt des Antrages.“

 

In den dem Antragsformular angeschlossenen erläuternden Hinweisen wird über Rücktrittsrechte belehrt, und zwar zu §§ 3, 3a KSchG, § 5b VersVG. Anschließend steht:

„Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit jeweils der Schriftform. Es genügt, wenn die Erklärung innerhalb der genannten Fristen abgesendet wird.

Gemäß § 165a VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen eines Lebensversicherungsvertrages von diesem zurückzutreten ...“

 

Mit 1. November 2009 wurde der Vertrag prämienfreigestellt. Am 11. Oktober 2017 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag wegen unrichtiger Belehrung über sein Rücktrittsrecht.

Rechtliche Beurteilung

I.1.  Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom 21. November 2018, AZ 7 Ob 195/18d, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.

I.2. Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 in den verbundenen Rechtssachen C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, auch über das zuvor bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

I.3. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

II.1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).

Die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zur Frage der Schriftlichkeit des Rücktritts nach § 165a VersVG sind durch die Entscheidungen des Fachsenats 7 Ob 3/12x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h bereits beantwortet und daher nicht (mehr) als erheblich einzustufen. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen, wobei sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

II.2.1 Hier entspricht die Belehrung über das Rücktrittsrecht inhaltlich dem § 165a Abs 1 VersVG idF BGBl I 1997/6. Selbst wenn man das Erfordernis der Schriftlichkeit auf das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG beziehen würde, änderte sich dadurch nichts. Mit Bezug auf die Beantwortung der Vorlagefrage 1 durch den EuGH hat der Senat zu 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h ausgeführt, dass aus einer weiteren Belehrung, es sei für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG die Schriftform erforderlich, keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts folgt. Auf die Einhaltung der Schriftform konnte sich die Beklagte zufolge § 178 VersVG in allen bis zum Zeitpunkt des Rücktritts geltenden Fassungen nicht berufen, sodass ein allfälliger Rücktritt des Klägers in jeder beliebigen Form wirksam gewesen wäre. Die Schriftform steht im gegebenen Kontext nicht mit europarechtlichen Vorgaben im Widerspruch, ist eine im Alltag für eine Vielzahl von (rechtsgeschäftlichen) Erklärungen bei Privaten (Verbrauchern) geradezu typische und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für ihre Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen. Sie dient im vorliegenden Zusammenhang auch dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung des Nachweises eines erhobenen Rücktritts.

Durch die Belehrung, dass alle Rücktrittsrechte in Schriftform erklärt werden müssten, wurde keine relevante Erschwernis dieser Rücktrittsrechte bewirkt, die deren unbefristete Ausübung erlauben würde. Ein Rücktritt vom Versicherungsvertrag nach § 165a VersVG ist daher verfristet.

II.3.  Weitere Fragen nach den Rechtsfolgen eines berechtigt erklärten Rücktritts stellen sich damit nicht.

II.4. Die Revision war zurückzuweisen.

III. Konnte die Revisionsgegnerin bei Erstattung der Rechtsmittelbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht erkennen, weil zu diesem Zeitpunkt jene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs noch nicht ergangen war, welche die auch im Anlassfall entscheidungswesentliche erhebliche Rechtsfrage beantwortete, so stehen ihr in analoger Anwendung des § 50 Abs 2 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung auch dann zu, wenn sie auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hinwies (

RS0123861; RS0112921 [T6]). Der Beklagten sind daher die Kosten für ihre Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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