European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00195.18D.1121.000
Spruch:
Das Verfahren 7 Ob 195/18d wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Der Kläger schloss mit dem beklagten Versicherer am 14. 5. 2002 einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung ab, der am 1. 6. 2002 begann und 30 Jahre laufen sollte. Die Prämien bezahlte der Kläger monatlich. Der Vertrag wurde mit November 2009 prämienfrei gestellt.
Dem vom Kläger unterfertigten Versicherungsantrag sind „Erläuternde Hinweise“ beigefügt, die über das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG, § 3a KSchG sowie § 5b VersVG und § 165a VersVG belehren und unter der Überschrift „Kündigung durch den Versicherungsnehmer“ ua darlegen, dass „grundsätzlich gilt, dass eine Kündigung von Ihnen schriftlich beim Versicherer beantragt werden muss“.
Mit Schreiben vom 11. 10. 2017 erklärte der Kläger seinen Rücktritt unter Verweis auf die unrichtige bzw unvollständige Belehrung über sein Rücktrittsrecht. Er forderte die Rückzahlung der bis dahin bezahlten Prämien zuzüglich 4 % Zinsen ab Zahlung. Die Beklagte wies den Rücktritt zurück.
Der Kläger begehrt mit der nunmehrigen Klage die einbezahlten Prämien samt 4 % Zinsen. Die Belehrung über die ihm zukommmenden Rücktrittsrechte sei nicht ordnungsgemäß und vollständig gewesen, weil § 165a VersVG verkürzt wiedergegeben, im Versicherungsantrag eine falsche Rücktrittsfrist angeführt und überdies ein Schriftformerfordernis statuiert worden sei.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und erwiderte, der Kläger sei gesetzeskonform nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden § 165a VersVG aufgeklärt worden. Eine schriftliche Rücktrittserklärung sei nicht gefordert worden; das Schriftformerfordernis beziehe sich erkennbar nur auf andere Rücktrittsrechte.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Formularbelehrung liege einer Vielzahl von Lebensversicherungsverträgen zugrunde und zur Beurteilung, ob diese den nationalen und europarechtlichen Anforderungen genüge oder aufgrund Fehlerhaftigkeit dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zustehe, liege noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte regt in ihrer Revisionsbeantwortung die Unterbrechung des Verfahrens im Hinblick auf bereits eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren an und beantragte in der Sache, die Revision abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:
In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):
„ 1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?
2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?
3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?
4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?
5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.
Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).
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