OGH 7Ob153/19d

OGH7Ob153/19d22.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende unddie Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* GmbH, *, vertreten durch die MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei A*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die MUSEY rechtsanwalt gmbH in Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. Juli 2019, GZ 2 R 106/19d‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Mai 2019, GZ 49 Cg 92/18x‑15, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127532

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Dem Vertrag zwischen den Parteien über eine „Soll & Haben‑Betriebsversicherung für Gewerbe- und Handelsbetriebe“ zum Neuwert liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 1998) sowie die auch in der Sparte Sturm als „Ergänzungen bzw Erweiterungen zu den Allgemeinen Bedingungen“vereinbartenBesonderen Bedingungen Nr 9539 (BB 9539) zugrunde, welche auszugsweise folgenden Inhalt haben:

AStB 1998:

„[…]

Artikel 8

Entschädigung

1. Für Gebäude, Gebrauchsgegenstände und Betriebseinrichtungen (Artikel 7, Punkte 1.1 und 1.2):

1.1 Ist die Versicherung zum Neuwert gemäß Artikel 7 vereinbart,

[…]

1.1.2 werden bei Beschädigung die notwendigen Reparaturkosten zur Zeit des Eintrittes des Schadensereignisses (Neuwertschaden), höchstens jedoch der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Schadensereignisses, ersetzt.

[…]“

BB 9539:

SOLL & HABEN – Mehrkosten durch Behördenauflagen

[...]

Mehrkosten auf Grund behördlicher Auflagen sind mitversichert und gelten für die in der Versicherungsurkunde angeführten Positionen Gebäude und/oder Inhalt (Betriebseinrichtung). Als Mehrkosten gelten jene Kosten, die auf Grund behördlicher Auflagen nach einem ersatzpflichtigen Schaden die Kosten der Wiederherstellung von Gebäuden und/oder Betriebseinrichtungen in den ursprünglichen Zustand überschreiten.

Mehrkosten auf Grund behördlicher Auflagen, die sich nicht auf vom Schaden betroffene und beschädigte Teile der versicherten Sache beziehen, werden nicht ersetzt.

[…]“

Bei einem Hagelunwetter, einer in der Sturmversicherung versicherten Gefahr, wurde eine im Dachbereich des Betriebsgebäudes der Klägerin aufgeführte, fix montierte und mit dem Gebäude fest verbundene, mitversicherte Lichtkuppel beschädigt; zu diesem Zeitpunkt bestand in diesem Bereich keine Absturzsicherung. Die Lichtkuppel selbst wurde wiederhergestellt und die Kosten hiefür wurden von der Beklagten ersetzt.

Ein weiterer Betrag zur Deckung der Kosten für die Anbringung einer Absturzsicherung wurde von der Beklagten nicht freigegeben, weshalb sie von der Klägerin nicht errichtet wurde. Im Falle einer Freigabe auch dieses Deckungsbetrags durch die Beklagte würde die Absturzsicherung von der Klägerin umgehend angebracht werden.

Der Klägerin wurde die Anbringung einer Absturzsicherung im Bereich der Lichtkuppel von einer (Verwaltungs‑)Behörde bislang nicht vorgeschrieben.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte die Kosten für eine anders als zur Zeit der Ersterrichtung nunmehr zwingend aufgrund der Bauordnung, der ÖNorm B3417 und der Bauarbeiterschutzverordnung für Dacharbeiten vorgeschriebene Absturzsicherung im Bereich der Lichtkuppel zu ersetzen habe. „Behördliche Auflagen“ iSd BB 9539 seien nicht im streng juristischen Sinne zu verstehen, sondern dahin, dass die „Obrigkeit“ den Versicherungsnehmer verpflichte, in Erfüllung gesetzlicher Bestimmungen, etwa von Bauvorschriften, zusätzliche Kosten aufzuwenden. Die Lichtkuppel sei durch Einbau Bestandteil des Gebäudes, die Absturzsicherung betreffe die konkrete Ausführung der einheitlichen Sache, des Gebäudes selbst.

Die Beklagte wandte ein, aufgrund von Gesetz, Verordnung oder ÖNorm aufzuwendende Kosten seien von der Deckungserweiterung nach den BB 9539 nicht umfasst. Eine solche Deckung für Erweiterungen, Erneuerungen oder Verbesserungen eines versicherten Objekts sei auch nicht zu erwarten, sondern es würden nur ganz bestimmte Risiken – individuelle Behördenauflagen aufgrund des Verhaltens einer Verwaltungsbehörde mitversichert. Einen solchen Bescheid einer Verwaltungsbehörde, der eine Auflage zur Errichtung einer Absturzsicherung vorsehe, gebe es aber nicht; selbst wenn, würde sie auch nicht die Kuppel selbst betreffen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Auch ohne juristisches Fachwissen sei „behördliche Auflage“ iSd – als Deckungserweiterung zu qualifizierenden – BB 9539 dahin zu verstehen, dass dem Adressaten speziell zur Regelung eines Einzelfalls rechtsverbindlich ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben werde. Dies sei mit dem bloßen Bestehen von gesetzlichen Verpflichtungen nicht gleichzusetzen. Zudem fehle es an einem Kausalzusammenhang zwischen Schadenereignis und einer allfälligen Vermögensbeeinträchtigung durch die Kosten einer Absturzsicherung. Bei einer mit der Lichtkuppel nicht verbundenen, noch gar nicht vorhandenen Absturzsicherung handle es sich nicht um einen vom Schaden betroffenen und beschädigten Teil der Lichtkuppel als versicherte Sache.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Im Lichte des Bereicherungsverbots nach § 55 VersVG, auf das sich die Beklagte auch erkennbar berufen habe, seien die Auslegungsergebnisse des Erstgerichts nicht zu beanstanden. Auch wenn ein Gesetz dem Begriff „behördliche Auflage“ zu unterstellen wäre, würde nicht der ursprüngliche, sondern ein verbesserter Zustand geschaffen. Da sich die Mehrkosten auf eine vor dem Schaden nicht vorhandene Absturzsicherung bezögen, liege der Ausschlusstatbestand vor. Es komme nicht darauf an, dass das Gebäude eine Gesamtsache sei, weil die Regelung gerade auf beschädigte Teile der Sache abziele.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand als 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Die Revision der Klägerin beantragt die Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin führt ins Treffen, das Berufungsgericht habe die Mängelrüge in der Berufung, wonach die Klägerin von der Rechtsansicht des Erstgerichts zur fehlenden Kausalität überrascht worden sei, unerledigt gelassen. Das Verständnis der Vorinstanzen von „behördliche Auflagen“ entspreche dem eines durchschnittlich verständigen Juristen und nicht dem eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers, der zwischen individueller Anordnung und allgemeiner gesetzlicher Verpflichtung nicht differenziere. „Sich beziehen“ iSd BB 9539 sei dahin zu verstehen, dass durch die Neuherstellung der beschädigten Lichtkuppel eine Absturzsicherung ausgeführt werden müsse. Schon aufgrund eines Größenschlusses ergebe sich, dass dann, wenn individuelle Auflagen zu ersetzen wären, dies umso mehr für Mehrkosten aufgrund allgemeiner, jedermann treffender Verpflichtungen gelten müsse. Im Bereich der Neuwertversicherung gelte das Bereicherungsverbot des § 55 VersVG, auf das sich die Beklagte gar nicht berufen habe, gerade nicht. Gebäude und Lichtkuppel würden eine einheitliche Sache bilden.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht befasst hat, dass ein im erstinstanzlichen Verfahren angeblich unterlaufener Verfahrensmangel vorliegt (RS0043144, RS0043086). Ein solcher Verfahrensverstoß bildet aber nur dann den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen (RS0043027, RS0043049).

Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunktes kann nur dann einen Verfahrensmangel darstellen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten (RS0037300 [T44, T48]).

Mit der Behauptung, sie hätte bei entsprechender Erörterung vorgebracht, dass zur Zeit der Errichtung die maßgeblichen baurechtlichen Vorschriften eine Absturzsicherung nicht verpflichtend vorgesehen hätten, dies aber nunmehr (nach Beschädigung der Lichtkuppel durch den Hagel) der Fall sei, macht die Revisionswerberin kein Tatsachenvorbringen geltend, sondern rechtliche Erwägungen. Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) ausgehend vom Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers auszulegen (RS0050063; RS0112256). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten iSd § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, also des Versicherers gehen (RS0017960).

Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (RS0008901 [T5, T7, T8, T87]).

2.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068).

2.3. Grundsätzlich hat jede Partei die für sie günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0037797; RS0109832), was auch im Versicherungsvertragsrecht gilt (RS0037797 [T31]). Der Kläger muss die anspruchsbegründenden, der Beklagte die anspruchshemmenden Tatsachen beweisen (RS0106638). Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer (hier: die Klägerin) die Behauptungs- und Beweislast (RS0043438). Es muss also der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls behaupten und beweisen (vgl RS0080003).

2.4. Bei der im Revisionsverfahren noch relevanten Klausel BB 9539 handelt es sich nach ihrem klaren Wortlaut um eine Erweiterung des Deckungsumfangs – über die schon nach Art 8.1.1.2 AStB 1998 zum Neuwert zu ersetzenden Kosten der Wiederherstellung von Gebäuden bzw Betriebseinrichtungen in den ursprünglichen Zustand hinaus – und entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um einen Risikoausschluss.

Es obliegt daher der Klägerin, den Eintritt des Versicherungsfalls zu beweisen, was hier bedeutet, dass sie die Voraussetzungen für die Deckung der begehrten Kosten für die Errichtung der Absturzsicherung unter Beweis zu stellen hat.

Deckung ist nach dem Wortlaut der Klausel dann gegeben, wenn es sich um zusätzliche (die Kosten der Wiederherstellung übersteigende) Kosten auf Grund behördlicher Auflagen nach einem ersatzpflichtigen Schaden handelt.

3.1. Rechtsbegriffe haben in der Rechtssprache eine bestimmte Bedeutung und sind daher in diesem Sinn auszulegen. Dieser Grundsatz kann allerdings nur dann zur Anwendung kommen, wenn den zu beurteilenden Rechtsinstituten nach herrschender Ansicht ein unstrittiger Inhalt beigemessen wird und sie deshalb in der Rechtssprache eine einvernehmliche Bedeutung haben. Dementsprechendes hat auch für die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendeten Rechtsbegriffe zu gelten (vgl RS0123773).

3.2. In Verwaltungsrechtslehre und ‑praxis ist der Begriff „Auflagen“ fest umrissen: Sie werden (wie Bedingungen, Befristungen und Widerrufsvorbehalte) als Nebenbestimmungen betrachtet, die zum Hauptinhalt des Bescheids gehören. Eine Auflage besteht in der Normierung einer Verpflichtung des Adressaten neben der im Hauptinhalt des Bescheids erteilten Genehmigung (Erlaubnis) für den Fall, dass von dieser Gebrauch gemacht wird. Das Wesen von Auflagen besteht darin, dass die Verwaltungsbehörde in einem dem Hauptinhalt nach begünstigenden Bescheid belastende Gebote oder Verbote als Nebenbestimmungen aufnimmt, mit denen der Inhaber des Rechts für den Fall der Gebrauchnahme zu einem bestimmten, im Weg der Vollstreckung erzwingbaren Tun oder Unterlassen verpflichtet wird (VwGH 2009/05/0121; vgl auch Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 [1996] 555; Hengstschläger/Leeb, AVG [2005] § 59 Rz 28).

3.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 5 Ob 685/76 = RS0008804 festgehalten, dass bei der Beurteilung des in einem Bescheid von der Verwaltungsbehörde verwendeten Begriffs „Auflage“ vom dargelegten einhelligen Verständnis auszugehen ist (vgl zB 3 Ob 131/05v [zum Bescheid als Oppositionsgrund], 16 Ok 5/16w = RS0130902 [zu kartellbehördlichen Auflagen]).

4. Daraus folgt für die hier zu beurteilende Klausel BB 9539, dass der Begriff „behördliche Auflage“ im Sinne seines nach herrschender Ansicht unstrittigen Inhalts dahin zu verstehen ist, dass er durch einen individuellen Verwaltungsakt auferlegte Lasten meint. Entgegen der Ansicht der Revision ist es auch für einen durchschnittlichen, nicht juristisch gebildeten Versicherungsnehmer verständlich, dass allgemeine gesetzliche Verpflichtungen und ihm konkret „auferlegte“ Lasten nicht gleichgesetzt werden können, und dass die Beklagte nur Letztere nach einem ersatzpflichtigen Schaden – zusätzlich zu den nach Art 8.1.1.2 AStB 1998 gedeckten Kosten der Wiederherstellung von Gebäuden bzw Betriebseinrichtungen in den ursprünglichen Zustand – in Deckung genommen hat.

5. Da feststeht, dass der Klägerin nach dem Schadenfall nicht behördlich individuell auferlegt wurde, eine Absturzsicherung anzubringen, ist ihr insoweit der Nachweis des Versicherungsfalls nicht gelungen. Auf die Frage der Qualifikation des Gebäudes als einheitliche Sache kommt es damit nicht an.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte