OGH 1Ob8/20p

OGH1Ob8/20p21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin P* S*, geboren * 1997, *, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die Antragsgegnerin M* S*, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in Melk, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 26. September 2019, GZ 23 R 340/19a‑37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23. Juni 2019, GZ 2 Fam 134/18h‑31, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127380

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die volljährige Antragstellerin ist die Tochter der Antragsgegnerin und ihres mit ihm in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehemanns. Sie absolviert seit dem Wintersemester 2015 ein Lehramtsstudium. Im Zeitraum Juli 2015 bis April 2018 wohnte sie in einer Wohngemeinschaft. Von Mai 2018 bis Anfang November 2018 lebte sie mit ihrem Freund im Haus ihrer Eltern in einem eigenen Wohnbereich. Sie leistete für die Benützung dieser Wohneinheit – ebenso wie ihr Freund – einen Beitrag zu den Betriebskosten.

Die Mutter (Antragsgegnerin) war im Zeitraum 1. 10. 2015 bis 31. 12. 2018 als Reinigungskraft beschäftigt und erzielte ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 1.273,48 EUR. Der Vater bezog in diesem Zeitraum ein monatliches durchschnittliches Einkommen von 3.704,81 EUR.

Die Tochter erzielte im Jahr 2016 eigene Einkünfte von 1.400,47 EUR, im Jahr 2017 von 2.824,20 EUR und im Jahr 2018 von 1.354,80 EUR.

Mit Teilbeschluss des Erstgerichts vom 17. 1. 2019, dem ein Einverständnis der Tochter und ihrer Eltern zugrunde liegt, wurden beide Eltern ab 1. 1. 2019 zur Zahlung von (unterschiedlichen) monatlichen Beiträgen zum Unterhalt ihrer Tochter verpflichtet. In der Tagsatzung vom 21. 3. 2019 zog die Tochter den Unterhaltsfestsetzungsantrag gegenüber ihrem Vater für den Zeitraum 1. 10. 2015 bis 31. 12. 2018 zurück.

Gegenüber ihrer Mutter beantragte sie für den Zeitraum 1. 10. 2015 bis 31. 12. 2018 die Zahlung eines Unterhaltsrückstands in der Gesamthöhe von 10.346,32 EUR sA. Von ihr habe sie mit Ausnahme des Monats Oktober 2018 keinen Geldunterhalt erhalten.

Die Mutter wendete (gemeinsam mit ihrem Ehemann) zunächst ein, dass sie tatsächlich keinen regelmäßigen Geldunterhalt geleistet habe, was bis Sommer 2018 auch einer Vereinbarung der Parteien entsprochen habe. Sie habe aber ihrer Tochter Ende 2015 ein Sparbuch mit einem Einlagestand von 4.300 EUR übergeben, das jedenfalls unterhaltswirksam anzurechnen sei. Zwischen ihr und ihrer Tochter habe eine Vereinbarung bestanden, dass diese regelmäßige Zuwendungen sowohl in Bargeld als auch in Naturalien erhalte. So seien regelmäßig Einkäufe für den Haushalt, für Kleidung und die sukzessive Ausstattung zur Haushaltsgründung in einer durchschnittlichen Höhe von 300 EUR monatlich von ihr finanziert worden. Im Zusammenhang mit dem Auszug ihrer Tochter aus dem Elternhaus im Oktober 2018 habe ihr Vater ihr einen Geldbetrag von 1.000 EUR übergeben, der ebenfalls auf die Unterhaltsleistungen anzurechnen sei. In einer weiteren Äußerung brachte die Mutter vor, dass sämtliche Unterhaltszahlungen an ihre Tochter ohne Widmung vom gemeinsamen Konto der Eltern geleistet worden seien und daher die gesamten Unterhaltszahlungen „anzurechnen“ seien. Durch die von ihrem Vater nachgewiesenen Unterhaltsleistungen liege eine Überzahlung bei alleiniger Betrachtung seiner Geldunterhaltsverpflichtung vor. Dieser Überhang sei bei gemeinsamen Unterhaltszahlungen der Eltern (von einem gemeinsamen Konto) auf ihre Geldunterhaltsverpflichtung anzurechnen. Sie habe monatlich Barbeträge von jeweils 300 EUR – insgesamt 8.800 EUR im antragsgegenständlichen Zeitraum – an ihre Tochter geleistet.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands von 5.386,54 EUR sA für den Zeitraum 1. 10. 2015 bis 31. 12. 2018 und wies das Mehrbegehren von 4.959,78 EUR ab. Es ermittelte Geldunterhaltsverpflichtungen des Vaters für die Jahre 2015 bis 2018 von monatlich zwischen 755 EUR und 940 EUR und solche der Mutter von monatlich zwischen 130 EUR und 165 EUR, wobei es beim Vater zu einer Überschreitung des Prozentwertanspruchs von 20,5 % (660 EUR) gelangte. Bei der Mutter ergebe sich hingegen keine Überschreitung des nach der Prozentwertmethode mit 22 % (280 EUR) geschuldeten Unterhaltsbeitrags. Der im Zeitraum 1. 10. 2015 bis 31. 12. 2018 in Höhe von 43.998 EUR ermittelte, von beiden Elternteilen nach ihrer Leistungsfähigkeit abzudeckende Gesamtunterhaltsbedarf sei um die von der Tochter in diesem Zeitraum erzielten Eigeneinkünfte von 5.579,47 EUR zu mindern. Ihr Anspruch betrage 38.418,53 EUR und sei mit rund 26.000 EUR vom Vater abgedeckt, sodass ein ungedeckter Restunterhaltsbedarf von rund 12.420 EUR verbleibe. Da bei einem Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter von 10.920 EUR dieser Restunterhaltsbedarf nicht gedeckt werden könne, stelle sich die Frage der Anrechnung einer allfälligen Überzahlung des Vaters auf den Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter nicht. Auf den Unterhaltsanspruch der Tochter im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 5.955 EUR seien nur Zahlungen der Mutter von 568,46 EUR anzurechnen, sodass sich ein Unterhaltsrückstand von 5.386,54 EUR ergebe.

Das Rekursgericht gab den Rekursen beider Parteien Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Rechtlich führte es – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz – aus, dass zur Unterhaltsverpflichtung der Mutter und der Höhe eines allfälligen Rückstands entscheidungswesentliche Feststellungen fehlten. So fehlten Feststellungen zu den von den Eltern behaupteten Naturalleistungen. Sämtliche Zahlungen an die Tochter seien vom gemeinsamen Konto beider Eltern durchgeführt worden. Eine Betrachtung dieser Zahlungen dahin, ob es sich dabei um Unterhaltsleistungen (nur) des Vaters respektive solche der Mutter handle, sei nicht zulässig. Die vom Vater geleisteten Unterhaltszahlungen seien zu niedrig festgestellt worden; zur behaupteten Übergabe eines Betrags von 1.000 EUR anlässlich des Auszugs der Tochter im Oktober 2018 aus dem Elternhaus fehlten Feststellungen. Bei den Zahlungen vom gemeinsamen Konto der Eltern handle es sich auch um Unterhaltsleistungen beider Elternteile; eine nur dem Vater oder nur der Mutter zuordenbare Unterhaltsleistung sei nicht sachgerecht. Bei der von den Eltern gewählten Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse sei davon auszugehen, dass sie alle sie treffenden Verbindlichkeiten – damit auch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der gemeinsamenTochter – auch gemeinsam aus den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bestreiten wollten. Allfällige Überzahlungen eines Elternteils in der Vergangenheit seien bei Ausmittlung des Unterhaltsrückstands gegenüber dem anderen Elternteil zu berücksichtigen. Daher seien zu den behaupteten Geld‑ und Naturalunterhaltsleistungen entsprechende Feststellungen zu treffen. Zur Thematik des an die Tochter übergebenen Sparbuchs fehlten ebenso wie zur behaupteten regelmäßigen Übergabe von Bargeldbeträgen Feststellungen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil seine Rechtsansicht, die Unterhaltsleistungen beider unterhaltspflichtiger Eltern seien von ihnen gemeinsam erbracht, weshalb sich die Tochter auch eine Überzahlung durch ihren Vater auf den Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter anrechnen lassen müsse, eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Tochter erhobene Revisionsrekurs, der von der Mutter beantwortet wurde, ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die volljährige Tochter wurde im Zeitraum Oktober 2015 bis Ende 2018 von keinem Elternteil betreut und lebte außerhalb des elterlichen Wohnbereichs (sogenannte „Eigenpflege“). In diesem Fall sind die Eltern verpflichtet, den Gesamtunterhaltsbedarf der Tochter im Verhältnis ihrer Einkommen zu decken (6 Ob 89/17g mwN). Bei der „Eigenpflege“ des Kindes entspricht dessen Gesamtunterhaltsbedarf bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen in etwa dem doppelten Regelbedarfssatz, der bei über‑ oder unterdurchschnittlichen (finanziellen) Lebensverhältnissen durch entsprechende Zu‑ oder Abschläge zu korrigieren ist (6 Ob 89/17g; Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 231 Rz 100; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 124 f; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 59, jeweils mwN).

Dieser (rechnerische) Gesamtunterhaltsbedarf des unterhaltspflichtigen Kindes ist um sein Eigeneinkommen zu verringern. Zur Ermittlung des (anteiligen) Geldunterhaltsanspruchs gegenüber dem jeweiligen Elternteil ist – von den Bemessungsgrundlagen (Nettoeinkommen) beider unterhaltspflichtigen Elternteile nach der sogenannten Vorabzugsmethode zuerst jeweils das Unterhaltsexistenzminimum abzuziehen (6 Ob 89/17g mwN). Nach dem Verhältnis der so reduzierten Bemessungsgrundlagen ist der Gesamtunterhaltsanspruch des Kindes zu befriedigen (s nur 10 Ob 2/08d mit Literaturnachweisen). In keinem Fall darf der Unterhalt höher festgesetzt werden als es der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach der Prozentwertmethode entspricht; allfälliges Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes ist bei dieser Kontrollrechnung nicht abzuziehen (10 Ob 2/08d mwN).

2. Nach der Rechtsprechung können regelmäßige – auf Freiwilligkeit beruhende – Sach‑ oder Geldleistungen eines Dritten unter Umständen zum Erlöschen der Unterhaltspflicht führen. Dies setzt voraus, dass der Dritte mit seiner Leistung die Absicht verfolgt, ganz oder auch nur teilweise die Unterhaltspflicht des Schuldners zu erfüllen, sei es um von ihm Ersatz zu erlangen oder in dessen Erwartung (RS0020019), sei es als Schenkung gegenüber dem Unterhaltspflichtigen. Mangels nachgewiesener – oder nach den Umständen anzunehmender – Absicht, den Unterhaltsschuldner zu entlasten, haben Leistungen Dritter keinen Einfluss auf die Unterhaltsverpflichtung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils (vgl nur 3 Ob 227/18f mwN). Wenn nun von den in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden unterhaltspflichtigen Eltern nur einer (regelmäßig) erkennbar über seiner eigenen Unterhaltsschuld liegende Beträge überweist, muss das der Unterhaltsberechtigte in der Regel so verstehen, dass damit auch die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils erfüllt werden soll. Dieses Verhalten entspricht dem eines maßgerechten Elternteils in einer intakten Familie, ohne dass es darauf ankommt, ob die Zahlungen von einem gemeinsamen Konto der Eltern oder dessen eigenem Konto erfolgen. In diesem Sinn sind Unterhaltsleistungen eines Elternteils, der mit dem anderen in aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft lebt, grundsätzlich auch dem anderen unterhaltspflichtigen Elternteil zuzurechnen. Die Zuwendung eines über die eigene Unterhaltsverpflichtung hinausgehenden Betrags an den Unterhaltsberechtigten im eigenen Namen erfolgt in diesem Fall regelmäßig (erkennbar) nicht in Erfüllung einer eigenen zusätzlichen (sittlichen) Verpflichtung, sondern in der Absicht, den anderen unterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten bzw dessen Unterhaltsschuld zu erfüllen.

3. Damit ist dem Revisionsrekurs im Ergebnis nicht Folge zu geben. Die Feststellungsgrundlage wird in dem schon vom Rekursgericht aufgezeigten Sinn zu verbreitern sein.

Da mit der vorliegenden Entscheidung die Rechtssache noch nicht im Sinn des § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG erledigt wird, ist ein Kostenvorbehalt auszusprechen (vgl RS0123011 [T6]).

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