OGH 8ObA65/19w

OGH8ObA65/19w16.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Robathin & Partner Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. C*****, Rechtsanwalt, *****, als Masseverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der M***** GmbH, (***** HG Wien), vertreten durch Stapf Neuhauser Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 30.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2019, GZ 9 Ra 42/19s‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00065.19W.1216.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Zur außerordentlichen Revision des Beklagten:

1.1 Die Voraussetzungen der condictio indebiti, der Rückforderung wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld im Sinne des § 1431 ABGB, sind das Fehlen der Verbindlichkeit, auf die geleistet wurde, und ein Irrtum des Leistenden über ihren Bestand (RIS‑Justiz RS0033607 [T1]). Bei bloßen Zweifeln über die Existenz der Verbindlichkeit ist die Rückforderung zulässig, wenn sich der Mangel des Grundes herausstellt, es sei denn, dass der Zahlende mit der Leistung zugleich die Schuld anerkennen wollte (RS0033765 [T2]). Die Beschränkung des § 1432 ABGB gilt aber dann nicht, wenn an die Stelle eines Irrtums über den Bestand der Schuld im Sinne des § 1431 ABGB gleichwertige Umstände wie etwa eine Zwangslage des Zahlenden treten (vgl RS0014887), wobei an die Beurteilung, ob Zwangslage des Zahlenden vorlag, nicht die strengen Anforderungen der §§ 870, 875 ABGB zu stellen sind (1 Ob 552/91). Es reicht etwa die Zahlung einer Nichtschuld unter dem Druck einer Vollstreckung (RS0033569).

1.2 In Art 16 Punkt 2. des zwischen den Parteien im Jahr 2011 abgeschlossenen Dienstvertrags ist festgehalten, dass das realisierte Trinkgeld ausschließlich dem Dienstnehmer zusteht. Ungeachtet dieser vertraglichen Vereinbarung führte der Kläger in Befolgung einer Vorgabe seiner Arbeitgeberin – der Schuldnerin – Beträge von 7 EUR an dem von ihm als Spielleiter lukrierten Trinkgeld pro Tisch an einen anwesenden Floorman ab, der wiederum diese Beträge an die Schuldnerin weiterleitete. Angesichts der Feststellung, dass dem Kläger von Arbeitgeberseite im Jahr 2013 auf Rückfrage, warum er diese Beträge überhaupt abführen müsse, angekündigt wurde, sein Dienstverhältnis werde gekündigt, wenn er sich weigere, diese Beträge zu zahlen, hat das Berufungsgericht eine einen Kondiktionsanspruch des Klägers auslösende Drucksituation bejaht. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Ob dem Kläger eine Kondiktion auch in Bezug auf die vor der Kündigungsandrohung geleisteten Beträge zustünde, kann dahingestellt bleiben, weil er nur die Rückzahlung des ab 1. 5. 2014 entgegen der Vereinbarung im Dienstvertrag abgeführten Trinkgeldes begehrt. Gleichwohl zeigt die Rückfrage des Klägers im Jahr 2013, dass er die Vorgabe der Schuldnerin offenbar schon zuvor in Zweifel zog.

1.3 Bereits das Berufungsgericht hat dem Rechtsmittelwerber entgegengehalten, dass eine schlüssige Zustimmung des Klägers zur Abführung des Trinkgeldes, insbesondere durch faktische Handhabung, nicht vorliegt, weil die Schuldnerin ja wusste, dass der Kläger nur unter dem Druck der Drohung der Auflösung des Dienstverhältnisses ihre Vorgabe erfüllte. Zudem läuft die Argumentation des Beklagten schon deshalb ins Leere, weil er von einer (Zustimmung des Klägers zur) Verteilung der abgeführten Trinkgelder an Mitarbeiter ohne Kundenkontakt ausgeht. Damit entfernt er sich aber vom festgestellten Sachverhalt, wonach die Schuldnerin die Trinkgelder „für eigene betriebliche Zwecke“ vereinnahmte. Dass es sich dabei nach Ansicht des Beklagten um „echtes“ Trinkgeld handelte, ist in diesem Kontext nicht von Relevanz.

Die (wiederholte) Behauptung des Beklagten, es habe eine „Belegschaftsübung“ über die Aufteilung des Trinkgeldes gegeben, steht überdies in Widerspruch zu den Feststellungen, dass zwischen den Mitarbeitern der Schuldnerin keine Vereinbarung bestand, wonach die einzelnen Mitarbeiter Teile jener Trinkgeldbeträge, die sie von Kunden erhalten, abliefern und sammeln, um damit auch andere Mitarbeiter, die mit den Kunden nicht in Kontakt kommen, am anfallenden Trinkgeldvolumen teilhaben zu lassen. Auch ist der Kläger – wie feststeht – keine solche Vereinbarung eingegangen und keiner solchen Vereinbarung beigetreten.

Gerade durch das Fehlen einer Vereinbarung über die Abfuhr eines Teils des vom Kläger realisierten Trinkgeldes unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von den den Entscheidungen 8 ObA 283/99x und 9 ObA 37/10x zugrundeliegenden Feststellungen, in denen der Oberste Gerichtshof – ausgehend von der dort „vereinbarten Entgeltlage“ – ein der „Cagnotte“ nachgebildetes Trinkgeldsystem für zulässig erachtet hat (s auch 8 ObA 13/19y).

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft, nachvollziehbare Überlegungen darüber anstellt und diese in seinem Urteil festhält (RS0043150). Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft. Eine knapp gehaltene Begründung, die noch erkennen lässt, dass eine Überprüfung stattgefunden hat, genügt (RS0043371 [T4]). Das ist hier der Fall. Das Berufungsgericht ist im Rahmen der Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung nicht genötigt, sich mit jedem einzelnen Beweisergebnis und mit jedem Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RS0043150 [T2]). Irrelevant ist, dass das Berufungsgericht hilfsweise einer vom Beklagten begehrten Ersatzfeststellung das Neuerungsverbot entgegengehalten hat, hat es doch die in diesem Zusammenhang bekämpfte Feststellung inhaltlich bestätigt. Gleiches gilt für eine weitere bekämpfte Feststellung, die das Berufungsgericht zwar für unerheblich erachtet, aber trotzdem inhaltlich behandelt hat.

3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

II. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der beklagten Partei kann zwar gegen diese während des Insolvenzverfahrens ein Leistungsurteil nicht erwirkt werden. Durch die Aufnahme des zunächst unterbrochenen Verfahrens wird der bisherige Leistungsprozess gemäß § 113 IO zu einem Prüfungsprozess nach § 110 IO. Die deshalb notwendige Klagsänderung ist ohne Bedachtnahme auf die sonstigen Voraussetzungen einer derartigen Prozesshandlung zulässig. Sie ist auf Antrag oder auch von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens, also selbst noch im Revisionsstadium, vorzunehmen (8 ObA 104/01d ua). Entscheidet daher der Oberste Gerichtshof in einem solchen Fall in der Sache selbst – sei es bestätigend oder abändernd, sei es klagsstattgebend oder klagsabweisend –, ist der Urteilsspruch auf (Nicht‑)Feststellung einer Insolvenzforderung umzustellen beziehungsweise ist die angefochtene Entscheidung mit einer solchen Maßgabe zu bestätigen (9 ObA 33/19x; 6 Ob 35/14m mwN). Keine Umstellung bzw Maßgabebestätigung hat jedoch zu erfolgen, wenn der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision zurückweist (9 ObA 33/19x; 6 Ob 35/14m ua).

III. Für die Revisionsbeantwortung stehen dem Kläger keine Kosten zu, da eine vor Zustellung der Mitteilung nach § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO erstattete Beantwortung nicht zu honorieren ist (RS0043690).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte