European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127043
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in der Abweisung eines Begehrens von 39.190,90 EUR samt Zinsen und im Kostenpunkt aufgehoben, und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Parteien sind zwei von drei Kindern der am * 2012 verstorbenen Erblasserin. Der Beklagte ist Alleinerbe, der reine Nachlass betrug nach dem Inventar 248.997,70 EUR. Der Beklagte hatte in eine Nachlassliegenschaft schon vor dem Tod der Erblasserin 54.200 EUR investiert (Renovierung, Wintergarten), insofern aber keine Ersatzforderung geltend gemacht.
Die Erblasserin hatte dem Ehemann der Klägerin Ende 1966 35.950 öS für den Ankauf einer Liegenschaft und im Jahr darauf weitere 104.000 öS für die Errichtung eines Rohbaus gegeben. Die Klägerin erlangte nie Rechte an der Liegenschaft, der Ehemann verkaufte sie 1980 um 850.000 öS zur Abdeckung von Schulden. Im Zuge der 1981 erfolgten Scheidung behielten sich die Ehegatten in einem Vergleich die Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG vor; ein solcher Antrag wurde nicht gestellt.
Die Klägerin begehrt 41.499,62 EUR samt Zinsen als Pflichtteil nach ihrer verstorbenen Mutter. Der reine Nachlass betrage 248.997,70 EUR, die Pflichtteilsquote ein Sechstel. Sie habe von ihrer Mutter keine anrechnungspflichtigen Zuwendungen erhalten; Leistungen an ihren früheren Ehemann seien nicht ihr zuzurechnen.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Begehrens. Die dem Ehemann der Klägerin übergebenen Beträge seien „für die Tochter gedacht“ gewesen und daher auf den Pflichtteil anzurechnen. Weiters habe die Erblasserin der Klägerin (zumindest) 15.000 EUR geschenkt. Er selbst habe vor dem Tod der Erblasserin in eine Nachlassliegenschaft 54.169,76 EUR investiert, der reine Nachlass verringere sich um diesen Betrag.
Das Erstgericht wies das Begehren im ersten Rechtsgang ab. Es ging offenkundig davon aus, dass die Investitionen des Beklagten die Bemessungsgrundlage minderten. Die Klägerin müsse sich sowohl den ihrem damaligen Ehemann übergebenen Betrag von rund 140.000 öS als auch eine Schenkung von 15.000 EUR auf den Pflichtteil anrechnen lassen.
Das Berufungsgericht hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der Pflichtteil sei vom reinen Nachlass zu berechnen. Es sei nicht hervorgekommen, dass der Beklagte in Bezug auf die Investitionen einen Anspruch gegen die Erblasserin geltend gemacht habe; er habe insofern auch im Verlassenschaftsverfahren keine Forderung angemeldet. Daher seien seine Investitionen „nach der derzeitigen Aktenlage […] nicht in Abzug zu bringen (vgl 8 Ob 518/83)“. Schenkungen seien nach der hier noch maßgebenden Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 nicht auf den Nachlasspflichtteil anzurechnen, wohl aber die als „Ausstattung“ zu qualifizierende Übergabe von Bargeld. Der Zeitpunkt dieser Übergabe sei noch festzustellen, der übergebene Betrag sei dann auf den Erbanfall aufzuwerten, dem reinen Nachlass hinzuzurechnen und vom davon errechneten Pflichtteilsanspruch abzuziehen.
Im fortgesetzten Verfahren erstattete der Beklagte kein weiteres Vorbringen zu seinen Investitionen.
Das Erstgericht wies das Begehren neuerlich ab. Es stellte die Zeitpunkte der Bargeldüberlassung an den Ehemann der Klägerin fest und wertete die Beträge aus nicht nachvollziehbaren Gründen auf den 1. Juni 2015 auf. Auf dieser Grundlage kam es zum Ergebnis, dass der Klägerin kein weiterer Pflichtteilsanspruch zustehe.
Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 2.308,72 EUR samt Zinsen und bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens. Die ordentliche Revision ließ es mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zu.
Nach den Gesamtumständen könne kein Zweifel bestehen, dass die Zuwendungen der Erblasserin an den Ehemann der Klägerin als Heiratsgut für die Tochter gedacht gewesen seien. Dieses sei nach § 788 ABGB aF auf den Nachlasspflichtteil anzurechnen. Dabei schade die Übergabe an den Mann nicht, da nach § 1218 ABGB aF unter Heiratsgut dasjenige Vermögen verstanden worden sei, das von der Ehegattin oder einem Dritten dem Mann zur Erleichterung des ehelichen Aufwands übergeben oder zugesichert wurde. Richtigerweise seien die übergebenen Beträge aber auf den Todestag (* 2012) aufzuwerten, was im Ergebnis zu einem verbleibenden Pflichtteilsanspruch von 2.308,72 EUR führe. Die Investitionen des Beklagten seien nicht zu berücksichtigen, da ihm der Beweis nicht gelungen sei, dass er diese Aufwendungen mit dem Willen getätigt habe, dafür Ersatz zu verlangen.
Der Beklagte ließ den Zuspruch unbekämpft.
In ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin eine zur Gänze stattgebende Entscheidung, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Ein Heiratsgut habe nach altem Recht „bestellt“ werden müssen; dem habe sie nicht zugestimmt. Weiters rügt sie angebliche Mängel des Berufungsverfahrens.
Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Es genüge die Hingabe als Heiratsgut, eine Zustimmung der Klägerin sei nicht erforderlich gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil das Berufungsgericht von der (wenngleich älteren) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum „Heiratsgut“ iSv § 1218 ABGB aF abgewichen ist. Sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass das Begehren der Klägerin aufgrund des Todes der Erblasserin im Jahr 2012 noch nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 zu beurteilen ist (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB). Danach war in den Nachlasspflichtteil einzurechnen, was „der Erblasser bei Lebzeiten seiner Tochter oder Enkelin zum Heiratsgut“ gegeben hatte (§ 788 ABGB aF). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Vorgangsweise bei einer solchen Einrechnung (JB 114 GlU 9872; RS0107685) und die rechnerische Richtigkeit seiner Entscheidung ziehen die Parteien zutreffend nicht in Zweifel.
2. Zu prüfen ist allerdings, ob die Zahlung tatsächlich in den Pflichtteilsanspruch einzurechnen war.
2.1. § 788 ABGB aF erfasste sowohl das dem Schwiegersohn nach § 1218 ABGB idF vor dem FamRÄG 2009 gegebene Heiratsgut ieS als auch die einem Kind gegebene Ausstattung als Heiratsgut iwS (Zl 12789 GlUNF 729; 2 Ob 186/10g [„Heiratsgut ieS“]; Kralik, Erbrecht [1983] 293; Umlauft, Die Anrechnung von Schenkungen und Vorempfängen im Erb- und Pflichtteilsrecht1 [2001] 21 ff mwN); anderes galt beim Heiratsgut ieS nur dann, wenn der Heimfall des Heiratsguts bei Tod des Mannes (§ 1229 ABGB aF) vertraglich ausgeschlossen war (Umlauft, Anrechnung1 24; Kralik, Erbrecht [1983] 293).
2.2. Unter Heiratsgut ieS verstand § 1218 ABGB aF
„dasjenige Vermögen, welches von der Ehegattin, oder für sie von einem Dritten dem Manne zur Erleichterung des mit der ehelichen Gesellschaft verbundenen Aufwandes übergeben oder zugesichert wird.“
Ein solches Heiratsgut musste vertraglich bestellt werden. Grundsätzlich bestand dafür Notariatsaktpflicht (§ 1 lit a NotAktsG). Allerdings war die tatsächliche Übergabe eines Heiratsguts auch ohne Notariatsakt gültig (2 Ob 309/28 SZ 10/125; Weiß in Klang 2 V 723). Dies erforderte jedoch nach der Rechtsprechung Kenntnisnahme und Zustimmung der Ehegattin und eine entsprechende Widmungsabsicht des Bestellers; alle Beteiligten mussten die Bestellung eines Heiratsguts beabsichtigen und sich „der Konsequenzen bewusst“ sein (1 Ob 305/71 SZ 44/173; 1 Ob 519/80 RZ 1981/47; 5 Ob 669/81 SZ 55/45). Die stillschweigende Bestellung eines Heiratsguts (gemeint offenkundig: bloß durch Hingabe eines Vermögenswerts) war jedenfalls ausgeschlossen (1 Ob 305/71; 1 Ob 519/80).
2.3. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten: Wurde das Heiratsgut iwS (also die Ausstattung iSv § 1220 ABGB) dem Kind selbst gegeben, war der Empfänger darüber allein verfügungsberechtigt; die Verwendung, allenfalls auch der Verlust, war (und ist: § 781 Abs 1 Z 1 ABGB idgF) daher allein sein Risiko. Bei als Heiratsgut ieS gegebenem Geld erlangte hingegen der Schwiegersohn Eigentum (§ 1227 S 2 ABGB aF); die Tochter hatte daher keinen (rechtlichen) Einfluss auf die Verwendung. Damit bedurfte sie im Hinblick auf die dennoch vorzunehmende Einrechnung in den Pflichtteil (§ 788 ABGB aF) eines besonderen Schutzes, der im Regelfall durch die Errichtung eines Notariatsakts (§ 1 lit a NotAktsG) und die damit verbundene Rechtsbelehrung (§ 52 NO) gewährleistet war. Ohne solchen Notariatsakt kann die Hingabe von Geld an den Ehemann zur Gewährleistung eines gleichwertigen Schutzes nur dann als Bestellung eines Heiratsguts ieS qualifiziert werden, wenn im Sinn der dargestellten Rechtsprechung feststeht, dass tatsächlich alle Beteiligten die Bestellung eines Heiratsguts beabsichtigten und dass ihnen auch die Rechtsfolgen, insbesondere in Bezug auf den Pflichtteil, bewusst waren.
3. Diese den Parteien offenkundig nicht bekannte Rechtslage wurde bisher nicht erörtert, weswegen dazu Vorbringen und Feststellungen fehlen. Da der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, die sie bisher nicht (ausreichend) beachtet haben (RS0037300 [T9]), führt dies zur Aufhebung in die erste Instanz. Dem Beklagten ist Gelegenheit zu einem entsprechenden Vorbringen zu geben; gegebenenfalls ist darüber ein Beweisverfahren zu führen. Sollte sich erweisen, dass alle Beteiligten im Bewusstsein der Rechtsfolgen die Bestellung eines Heiratsguts ieS gewollt hatten, wäre das noch offene Begehren neuerlich abzuweisen; sonst (also auch im Fall einer Negativfeststellung) wäre der Pflichtteil ohne Berücksichtigung der Zahlungen an den Ehemann der Klägerin zu bemessen. Auf die in der Verfahrensrüge der Revision angesprochenen Fragen in Bezug auf eine Anrechnungsanordnung der Erblasserin und auf das Schicksal des Erlöses des Hausverkaufs kommt es dabei nicht an, weil Grundlage einer Einrechnung nur die Qualifikation der seinerzeitigen Zahlung als Heiratsgut ieS sein könnte. Ein schlüssiges Vorbringen zu weiteren Passiva des Nachlasses hat der insofern behauptungspflichtige (5 Ob 647/81 SZ 54/107) Beklagte trotz des schon im ersten Rechtsgang erfolgten Hinweises durch das Berufungsgericht nicht erstattet; der bloße Umstand, dass er vor dem Tod der Erblasserin Investitionen auf eine ihr gehörende Liegenschaft getätigt hat, kann für sich allein noch keinen Anspruch begründen. Dieser Einwand ist abschließend erledigt.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
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