OGH 7Ob176/19m

OGH7Ob176/19m27.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* OG, *, vertreten durch Jeannee Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei L* G*, vertreten durch Sunder‑Plaßmann Loibner & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungs‑ und Rekursgericht vom 27. Juni 2019, GZ 19 R 12/19d‑23, mit dem das Urteil und der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 17. Dezember 2018, GZ 15 C 407/18h‑18, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127039

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen über den Zwischenantrag auf Feststellung werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem vom Berufungsgericht herangezogenen Zurückweisungsgrund (fehlende Präjudizialität) aufgetragen.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Am 23./24. 1. 2017 schlossen die Klägerin als Käuferin und die Beklagte als Verkäuferin einen Kaufvertrag über die Liegenschaft EZ 36, GB *. Das Eigentum der Klägerin ist im Grundbuch einverleibt.

Die Klägerin begehrte die Räumung und Übergabe der Liegenschaft. Entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung und trotz mehrmaliger Aufforderung habe sich die Beklagte bisher geweigert, die Liegenschaft an die Klägerin zu übergeben.

Die Beklagte wandte ein, dass der Kaufvertrag über die Liegenschaft nichtig sei. Als sie sich in Liquiditätsschwierigkeiten befunden habe, habe ihr eine „Großmuttergesellschaft“ der Klägerin einen Kredit zu Wucherzinsen von 30 % pA gewährt und ein Pfandrecht ob der Liegenschaft verlangt. Als die Beklagte den Kredit nicht mehr habe bedienen können und nachdem die „Großmuttergesellschaft“ der Klägerin deshalb ein Versteigerungsverfahren eingeleitet habe, habe die Klägerin die Notlage der Beklagten ausgenützt und die Liegenschaft erworben. Der Kaufpreis stehe in einem auffälligen Missverhältnis zum tatsächlichen Wert der Liegenschaft. Der Vertrag sei unter Umständen zustande gekommen, die eine Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit gemäß § 879 Abs 1 ABGB, insbesondere im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB begründeten, und er sei daher ex‑tunc nichtig. Die Klägerin habe daher keinen Anspruch auf Räumung. Dazu stellte die Beklagte auch einen Zwischenantrag auf Feststellung, dass der von den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag nichtig und rechtsunwirksam sei.

Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück und gab dem Räumungsbegehren statt. Es führte rechtlich aus, dass es im Hinblick auf den Einheitswert der Liegenschaft von 17.514,15 EUR zur Entscheidung über den Zwischenantrag auf Feststellung sachlich nicht zuständig sei. Außerdem habe dieser Zwischenantrag inhaltlich eine damit nicht mögliche Rechtsgestaltung zum Gegenstand und sei auch aus diesem Grund nicht zulässig. In der Sache bewirke Wucher nur relative Nichtigkeit und setze voraus, dass der Vertrag vom Gericht für ungültig erklärt werde. Die Beklagte könne daher Wucher nicht gegen das Eigentum der Klägerin einwenden, ohne zuvor selbst ein rechtskräftiges Rechtsgestaltungsurteil (bzw Leistungsurteil auf Rückübertragung) gegen die Klägerin erwirkt zu haben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidungen. Die Klägerin stütze ihren Räumungsanspruch auf ihr einverleibtes Eigentum. Dem könne der beklagte Sachinhaber ein eigenes dingliches oder obligatorisches Recht zur Innehabung entgegenhalten, was die Beklagte aber nicht geltend mache. Der behauptete Wucher begründe nur relative Nichtigkeit, mache das Rechtsgeschäft lediglich anfechtbar und erfordere dafür einen richterlichen Ausspruch aufgrund einer Rechtsgestaltungsklage, den die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hätte erwirken müssen. Ein solches Urteil liege nicht vor, weshalb das Räumungsbegehren berechtigt sei. Da die Beklagte der auf das verbücherte Eigentum gegründeten Klage Mängel des der Eintragung zugrunde liegenden Titels nicht entgegenhalten könne, sei der Zwischenantrag auf Feststellung als nicht präjudiziell zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs sowie die ordentliche Revision zulässig seien. Zur Frage, ob einer auf verbüchertes Eigentum gestützten Räumungsklage die Einrede des Wuchers betreffend das Titelgeschäft entgegengehalten werden könne, liege keine einheitliche Rechtsprechung des Höchstgerichts vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das einen Revisionsrekurs und eine Revision ausführende Rechtsmittel der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass dem Zwischenantrag auf Feststellung stattgegeben und das Räumungsbegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin erstattete eine Revisions‑(rekurs‑)beantwortung mit dem Antrag, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der Klägerin ist aus den folgenden Erwägungen zulässig und in seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

I. Zum Zwischenantrag auf Feststellung:

Die Bestätigung der Zurückweisung eines Zwischenantrags auf Feststellung ist analog zu § 528 Abs 2 Z 2 ZPO wie die Bestätigung der Zurückweisung einer Klage aus formellen Gründen nicht jedenfalls unanfechtbar (RS0119816). Der im Rechtsmittel der Beklagten inhaltlich ausgeführte Revisionsrekurs ist auch berechtigt, weil – wie folgend gezeigt wird – die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Frage der Wirksamkeit des Kaufvertrags für die Entscheidung über die Räumungsklage mangels Vorliegens eines Rechtsgestaltungsurteils nicht präjudiziell sei, nicht trägt. Das Erstgericht wird sich daher neuerlich mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Zwischenantrag auf Feststellung unter Abstandnahme von dem vom Berufungsgericht gebrauchten Zurückweisungsgrund zu befassen haben.

II. Zum Räumungsbegehren:

1.1. Gegenstand des Verfahrens ist eine Räumungsklage der bücherlichen Eigentümerin gegen ihre Verkäuferin. Es handelt sich somit um einen Rechtsstreit inter partes.

1.2. Das Recht, die Herausgabe einer Sache von demjenigen zu begehren, der sie titellos benützt, gründet im Eigentum und steht daher dem Eigentümer zu, der die Innehabung der Sache verloren hat (4 Ob 320/00p). Die Räumungsklage wegen behaupteter titelloser Benützung einer Liegenschaft ist daher als Eigentumsklage nach § 366 ABGB zu qualifizieren. Der Kläger hat sein Eigentum und die Innehabung durch den Beklagten zu beweisen (RS0062419 [T1]; 7 Ob 37/08d).

1.3. Für die Übertragung des Eigentums an unbeweglichen Sachen ist sowohl ein gültiger Titel als auch die Eintragung in das Grundbuch erforderlich (Intabulationsprinzip). Die bücherliche Eintragung macht den nach den §§ 380 und 424 ABGB erforderlichen gültigen Titel daher nicht entbehrlich. Die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Titels hindert demnach den Übergang des Eigentums an der Liegenschaft trotz der bücherlichen Eintragung (1 Ob 518/88; 10 Ob 512/94). In einem solchen Fall ist der Räumungskläger somit nicht Eigentümer der Liegenschaft. Darüber hinaus ist die Einverleibung im Grundbuch mit einem materiellen Fehler behaftet.

1.4. Wird die Nichtigkeit des Titelgeschäfts auf Sittenwidrigkeit gestützt, so ist für die Unwirksamkeit des Titelgeschäfts dessen Gesamtnichtigkeit erforderlich. Der hier geltend gemachte Wuchertatbestand macht den wucherischen Vertrag in diesem Sinn als ganzen nichtig (§ 7 Abs 1 WuchG; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 879 Rz 272).

2.1. Anspruchsgegner der Räumungsklage ist jeder Inhaber, mag er selber Besitzer oder nur Besitzmittler für einen anderen sein (RS0010918). Dabei kann der Beklagte gegen den Herausgabeanspruch des Klägers dessen Eigentumsverlust, eine Zug‑um‑Zug‑Verknüpfung oder ein eigenes, dem Eigentümer gegenüber wirksames Recht zur Innehabung einwenden. Als eigene Rechte zur Innehabung kommen dingliche oder obligatorische Rechte, aber auch familienrechtliche Benützungsrechte in Betracht (7 Ob 37/08d; vgl auch 3 Ob 532/94; 4 Ob 134/18m; 8 Ob 49/19t).

2.2. Dem nachträglichen Eigentumsverlust (ex nunc) ist die von Anfang an fehlende Eigentumsübertragung (ex tunc) gleichzuhalten. Der beklagte Verkäufer kann daher jedenfalls im Streit inter partes die Unwirksamkeit des Titels für die Eigentumsübertragung und daher das fehlende Eigentum des Räumungsklägers trotz erfolgter Einverleibung auch durch Einrede geltend machen (10 Ob 512/94; vgl auch 8 Ob 526/92). Das Intabulationsprinzip steht dem nicht entgegen, weil der grundbücherliche Vertrauensschutz nur einem gutgläubigen Dritten gegenüber, nicht aber zwischen dem wirklich Berechtigten und seinem Nachmann gilt (1 Ob 518/88; 3 Ob 113/19t). Im Verhältnis zwischen unmittelbarem Vor‑ und Nachmann erzeugt die Eintragung somit keine Publizitätswirkung (Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 62 GBG Rz 1).

2.3. Im Sinn dieser Überlegungen wurde in der Entscheidung zu 8 Ob 62/11t, die einen vergleichbaren Fall (kein Eigentumserwerb der Klägerin wegen Geschäftsunfähigkeit des Beklagten) zum Gegenstand hatte, ausgesprochen, dass der zugrunde liegende Schenkungsvertrag von der Nichtigkeitssanktion betroffen sei, ohne dass es einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Entscheidung bedürfe. Die als Vorfrage beurteilte Nichtigkeit des Vertrags habe zur Folge, dass sich die Klägerin mangels eines gültigen Titels nicht auf das Eigentumsrecht an der Liegenschaft berufen könne. Die Frage nach einer angeblichen notwendigen Nichtigerklärung stelle sich nicht.

Ähnlich wurde in der Entscheidung zu 7 Ob 669/87 ebenfalls in Bezug auf eine Räumungsklage beurteilt, die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts habe zur Folge, dass die Einverleibung des Eigentumsrechts keinen Eigentumsübergang begründete, weil der Mangel eines gültigen Titels die Nichtigkeit der Einverleibung bewirke.

2.4. Soweit das Berufungsgericht mit dem Zitat RS0016879 (T2) auf die Entscheidung zu 6 Ob 633/85 Bezug nimmt, ist zwar richtig, dass dort ausgeführt wurde, dass wucherische Geschäfte gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nur relativ nichtig seien, weil sie der Bewucherte gegen sich gelten lassen könne. Weder der Wucherer noch ein Dritter könne sich auf die Ungültigkeit des Geschäfts berufen. Die Ungültigkeit wirke demnach nicht von selbst, sondern nur aufgrund eines entsprechenden richterlichen Ausspruchs. Das Gesetz billige nur dem Bewucherten ein Anfechtungsrecht zu.

Diese Ausführungen sind aber nicht dahin zu verstehen, dass der Wuchertatbestand nur mittels Rechtsgestaltungsklage (hier Löschungsklage) geltend gemacht werden könne und die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts in einem Rechtsgestaltungsurteil ausgesprochen werden müsse. Relative Nichtigkeit bedeutet nur, dass der Bewucherte das Geschäft gegen sich gelten lassen kann und daher er (nicht auch ein Dritter) die Unwirksamkeit des Geschäfts geltend machen muss. Dass die Geltendmachung zwingend mittels Rechtsgestaltungsklage erfolgen müsste, folgt aus der relativen Nichtigkeit hingegen nicht.

In der Entscheidung zu 3 Ob 2199/96w (RS0016879 [T3]) wurde dies auch ausdrücklich klargestellt. Darin wurde ausgeführt, dass das wucherische Geschäft nicht absolut nichtig, sondern nur auf Klage oder Einrede des Bewucherten anfechtbar sei und wucherische Geschäfte demnach relativ nichtig seien, zumal der Bewucherte das relativ nichtige Geschäft auch gegen sich gelten lassen könne.

3. Freilich steht bei Unwirksamkeit des der Einverleibung zugrunde liegenden Titelgeschäfts dem wahren Eigentümer gegenüber seinem Nachmann auch die Löschungsklage zu (§ 62 GBG). Sie wird dann gewährt, wenn der Kläger aus dem Grund der ursprünglichen Nichtigkeit oder des nachträglichen Wegfalls des Rechtstitels, auf dem die Einverleibung beruht, dieser entgegentritt (3 Ob 113/19t). Die Löschungsklage verfolgt aber ein vollkommen anderes Rechtsschutzziel als die Räumungsklage, weil sie darauf gerichtet ist, die fehlerhafte Grundbuchseintragung wieder rückgängig zu machen und den bücherlichen Vormann als wahren Eigentümer im Grundbuch wieder einzutragen (RS0108585). Die Löschungsklage kann so lange erhoben werden, als sich der wahre Eigentümer seines Löschungsanspruchs nicht verschwiegen hat. Ein solches Verschweigen des Löschungsrechts durch den in seinen bücherlichen Rechten Verletzten liegt vor, wenn er die Löschungsklage gegen denjenigen, dessen Eintragung auf keinem gültigen Titel beruht, oder denjenigen, der sich nicht auf einen gültigen Titel seines Vormanns berufen kann, nicht innerhalb der 30‑jährigen Verjährungsfrist erhebt (2 Ob 522/95).

4. Als Ergebnis folgt, dass der vorliegenden Räumungsklage nicht mit der Begründung stattgegeben werden kann, die Beklagte müsse die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Rechtstitels zwingend mit Rechtsgestaltungsklage (Löschungsklage) geltend machen. Vielmehr ist die Einrede der Beklagten, der zugrunde liegende Kaufvertrag sei zufolge Erfüllung des Wuchertatbestands in seiner Gesamtheit nichtig, im vorliegenden Verfahren als Vorfrage zu prüfen. Zwischen der hier vorliegenden Räumungsklage der im Grundbuch als Eigentümerin eingetragenen Käuferin und der zwischenzeitlich eingebrachten Löschungsklage der hier Beklagten (Verkäuferin) wegen anfänglicher Unwirksamkeit des Titelgeschäfts (Kaufvertrags) besteht – entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht – auch keine Streitanhängigkeit.

Da sich die Vorinstanzen mit der von der Beklagten zulässigen Einrede der Unwirksamkeit des Titelgeschäfts nicht auseinandergesetzt und dazu keine Feststellungen getroffen haben, liegen relevante sekundäre Feststellungsmängel vor. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben (ebenso 4 Ob 188/19d; 9 Ob 75/19y).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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