European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127001
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) und den Nebenintervenienten die mit 917,02 EUR (darin 152,86 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte führte als Forstwirtschaftsmeister im Dezember 2016 im Wald der Nebenintervenienten im Auftrag des ersten Nebenintervenienten Baumschnittarbeiten durch und fällte dabei eine Eiche. Er traf dabei sorgfältige und umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen inklusive der üblichen Absicherung des Gefahrenbereichs. Auch die Wahl der geplanten Fällrichtung war ordnungsgemäß. Er schätzte aber die Schwerpunktlage des Baumes falsch ein. Der Baum fiel daher nicht in die geplante Fallschneise, sondern in die entgegengesetzte Richtung über eine Straße und verursachte außerhalb des Waldes Schäden an der Liegenschaft der Klägerin und auf ihrem darauf befindlichen Haus.
Die Klägerin begehrt den Klagsbetrag aus dem Titel des Schadenersatzes. Der Beklagte habe die Lastverteilung der Baumäste falsch eingeschätzt, zudem seien die Absicherungsmaßnahmen ungeeignet gewesen, um den Schaden zu verhindern.
Der Beklagte wandte ein, er habe fachgerecht gearbeitet und alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um Schäden an der Liegenschaft der Klägerin zu verhindern. Allenfalls liege leichte Fahrlässigkeit vor, für die er nach § 176 Abs 3 ForstG nicht hafte. Der Wert der beschädigten Sachen sei aufgrund ihres Alters nicht zur Gänze zu ersetzen.
Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 3.989,55 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Das Handeln des Beklagten sei in Summe als leicht fahrlässig zu beurteilen; aufgrund der komplexen und schwierigen Gesamtsituation hätten auch einem sorgfältig arbeitenden Fachmann die Fehler des Beklagten passieren können. § 176 Abs 3 ForstG sei nicht auf die Eigentümer von angrenzenden Liegenschaften anzuwenden. Die mildere Haftung des § 176 Abs 3 ForstG soll dann greifen, wenn der Geschädigte für die an den Arbeiten im Wald mitwirkenden Personen zufällig und nicht konkret kalkulierbar in den möglichen Gefahrenbereich gelangt sei. Die Abweisung des Mehrbegehrens stützte das Erstgericht auf einen 50%igen Abzug „neu für alt“.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Hingegen gab es der Berufung des Beklagten Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass es die Klage abwies. Aus dem Sachverhalt ergebe sich keine grobe Fahrlässigkeit. § 176 Abs 3 ForstG sei auch dann anzuwenden, wenn eine benachbarte Liegenschaft beschädigt werde. Auch ein Schadenseintritt außerhalb des Waldes hindere nicht die Privilegierung der Waldbewirtschaftung. Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob § 176 Abs 3 ForstG auch bei einem Eintritt des Schadens außerhalb des Waldes anzuwenden ist.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im stattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Beklagte nur leicht fahrlässig gehandelt habe, tritt die Klägerin in der Revision nicht mehr entgegen. Ihre Ausführungen beschränken sich (abgesehen von der behaupteten nachbarrechtlichen Haftung) auf die Frage, ob der (deliktische) Schadenersatzanspruch an der Bestimmung des § 176 Abs 3 ForstG scheitert.
Der Beklagte und die Nebenintervenienten beantragen, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Das Rechtsmittel ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, es ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. § 176 ForstG lautet wie folgt:
Allgemeine Haftungsbestimmungen
§ 176.
(1) Wer sich im Wald abseits von öffentlichen Straßen und Wegen aufhält, hat selbst auf alle ihm durch den Wald, im besonderen auch durch die Waldbewirtschaftung drohenden Gefahren zu achten.
(2) Den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen (wie Nutznießer, Einforstungs- oder Bringungsberechtigte, Schlägerungs- oder Bringungsunternehmer) und deren Leute trifft, vorbehaltlich des Abs. 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes, keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, daß dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden.
(3) Wird im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung ein an diesen nicht beteiligter Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine ihm gehörige Sache beschädigt, so haftet der Waldeigentümer oder eine sonstige, an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Person für den Ersatz des Schadens, sofern sie oder einer ihrer Leute den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben. Ist der Schaden durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder bei grober Fahrlässigkeit. Entsteht der Schaden in einer gesperrten Fläche, so wird nur für Vorsatz gehaftet. Das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz, BGBl. Nr. 48/1959, bleibt unberührt.
(4) Für die Haftung für den Zustand einer Forststraße oder eines sonstigen Weges im Wald gilt § 1319a ABGB; zu der dort vorgeschriebenen Vermeidung von Gefahren durch den mangelhaften Zustand eines Weges sind der Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen jedoch nur bei Forststraßen verpflichtet sowie bei jenen sonstigen Wegen, die der Waldeigentümer durch eine entsprechende Kennzeichnung der Benützung durch die Allgemeinheit ausdrücklich gewidmet hat. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter.
1.1 Durch den zu prüfenden 3. Absatz dieser Norm werden Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung privilegiert. Der Verursacher eines dabei entstanden Schadens haftet nur bei grober Fahrlässigkeit. Der Anwendungsbereich dieser Haftungseinschränkung ist durch die Umschreibung mit der Wendung „im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge der Waldbewirtschaftung“ sehr weit gezogen (6 Ob 689/85; Brawenz/Kind/Wieser, ForstG4 [2015] § 176 Anm 8: „sachlich und örtlich weit gezogen“).
1.2 Entstehungsgeschichtlich wurde das Haftungsprivileg bei Schaffung des ForstG 1975 (zunächst) als „untrennbarer Bestandteil der Regelung über die Waldöffnung“ gesehen. In der Regierungsvorlage zum ForstG wurde neben der Nutzwirkung die Dienstleistungsfunktion des Waldes im Sinn einer Schutz- und Wohlfahrtswirkung als forstrechtlich relevantes neues Ziel hervorgehoben (ErläutRV 1266 BlgNR XIII. GP , 67 f). Letztere sollte durch eine generelle Öffnung des Waldes für Erholungszwecke der Allgemeinheit ermöglicht werden. Zugleich sollte die aus dieser Beschränkung des Waldeigentums resultierende Belastung des Waldeigentümers durch eine Haftungseinschränkung „wenigstens zum Teil beseitigt bzw gemildert werden“ (RV 95). In der Regierungsvorlage war die Waldöffnung (§ 35 Abs 1 ForstG idF RV) auch gemeinsam mit der Haftungsbeschränkung (§ 39 ForstG idF RV) in einem eigenen Unterabschnitt III C („Benützung des Waldes zu Erholungszwecken“) enthalten.
In der vom Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagenen Fassung wurde dieser Konnex aufgehoben und die Haftungsregel systematisch in den allgemeinen Abschnitt XII. („Allgemeine, Straf-, Aufhebungs-, Übergangs- und Schlussbestimmungen“) als neuer § 176 ForstG aufgenommen. Da der Gesetzgeber dieser Bestimmung auch die Marginalrubrik „Allgemeine Haftungsbestimmungen“ gegeben und sie – anders noch als die Regierungsvorlage – in den Abschnitt mit den allgemeinen Bestimmungen eingefügt hat, kann von dieser Umreihung nur auf die Absicht geschlossen werden, dieser Haftungsnorm über den Erholungsgebrauch hinaus allgemeine Geltung zu verschaffen und sie nicht bloß auf die Haftung erholungssuchenden Waldbesuchern gegenüber einzuschränken (6 Ob 689/85; 9 Ob 7/18x; Brawenz/Kind/Wieser, ForstG4 § 176 Anm 10).
1.3 Objektiv-teleologisch wird mit dem Haftungsprivileg auch dem Umstand Rechnung getragen, dass strenge Sorgfaltspflichten angesichts des österreichweiten Waldbestands von rund vier Mio ha an die Grenzen des forstwirtschaftlich Möglichen und Zumutbaren stieße (vgl 9 Ob 7/18x).
2. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des § 176 Abs 3 ForstG ist davon auszugehen, dass dieser Bestimmung alle (RS0058875) Fälle zu unterstellen sind, bei denen ein Angehöriger des dort umschriebenen Personenkreises durch positives Tun „bei der Waldbewirtschaftung“ einen Schaden herbeiführt. Auch der hier zu prüfende Fall ist von dieser Regel umfasst, zumal der Beklagte den Schaden im Zuge der Waldbewirtschaftung verursacht hat.
2.1 In der Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass zu den (körperlichen) Sachen der an den Waldbewirtschaftungsarbeiten nicht beteiligten Menschen jedenfalls auch die benachbarten Grundstücke im Wald zu rechnen sind (6 Ob 689/85).
2.2 Bereits nach dem Wortlaut des § 176 Abs 3 ForstG ist das Haftungsprivileg nicht auf die im Wald eingetretenen Schäden eingeschränkt. Vielmehr stellt die Bestimmung ganz allgemein auf Waldbewirtschaftungsarbeiten ab. Damit soll das Handeln des Schädigers im Bereich des Waldes privilegiert werden. Eine Einschränkung auf den konkreten Ort des Schadenseintritts ergibt sich daraus aber nicht.
2.3 Konsequenterweise wurde die referierte Rechtsprechung bereits in der Entscheidung 9 Ob 7/18x auch dahin verstanden, dass die Regel des § 176 Abs 3 ForstG „auch auf außerhalb des Waldes eintretende Schäden aus Waldarbeiten“ anzuwenden ist. In dieser Entscheidung war zwar die Anwendung dieser Bestimmung nicht streitgegenständlich, vielmehr war zu prüfen, ob das Herausfallen eines Baumes (ohne menschliches Zutun) aus dem Wald und die Beschädigung eines Hauses auf der Nachbarliegenschaft von § 176 Abs 2 ForstG umfasst sei. Das wurde in dieser Entscheidung mit umfassender Begründung bejaht. Diese Wertung ist auch auf § 176 Abs 3 ForstG anzuwenden.
3.1 Schließt man sich hingegen dem Rechtsstandpunkt der Klägerin an, wonach Schäden außerhalb des Waldes von § 176 Abs 3 ForstG nicht umfasst sein sollen, hätte dies gerade bei Arbeiten im Grenzbereich des Waldes eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Das Haftungsprivileg müsste dann zufällig zur Anwendung kommen, je nachdem, ob der Schaden außerhalb oder innerhalb des Waldes eintritt. Eine solche Differenzierung würde die vom Gesetzgeber beabsichtigte allgemeine Privilegierung von Waldbewirtschaftungsarbeiten deutlich abschwächen und von Zufälligkeiten abhängig machen.
3.2 Die von der Klägerin vertretene Ansicht lässt sich auch nicht auf die in § 176 Abs 1 und Abs 2 ForstG aufgenommenen Tatbestandselemente „abseits von öffentlichen Straßen und Wegen“ stützen. § 176 Abs 3 ForstG stellt gerade nicht darauf ab, dass die Schädigung abseits von öffentlichen Straßen und Wegen eintritt. Vielmehr determiniert bzw beschränkt die Regel den Ort des Schadenseintritts nicht näher (vgl Brawenz/Kind/Wieser, ForstG4 § 176 Anm 8).
3.3 Auch die von der Revision herangezogene Entscheidung 6 Ob 193/00a widerspricht nicht dem Ergebnis des Berufungsgerichts.
3.3.1 Die Klägerin leitete aus dieser Entscheidung ab, dass das Haftungsprivileg (stets) an einen für die Schlägerungsarbeiten „nicht kalkulierbaren Gefahrenbereich“ anknüpfen muss.
3.3.2 Dem ist entgegenzuhalten, dass in der genannten Entscheidung (nur) die Frage zu klären war, ob der dort geschädigte Waldaufseher ein an der Waldarbeit nicht Beteiligter war, dem gegenüber das Haftungsprivileg eingewendet werden kann. Vom Obersten Gerichtshof wurde das bejaht, weil der Geschädigte an der zur Schädigung führenden Arbeit nicht beteiligt war und daher für die an den Arbeiten mitwirkenden Personen „zufällig und für diese nicht konkret kalkulierbar“ in den möglichen Gefahrenbereich gelangte. Die Entscheidung stellte für die dort zu beurteilende Konstellation klar, dass das Haftungsprivileg nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Geschädigte an den konkreten, den Schaden verursachenden Arbeiten unmittelbar beteiligt war. Wenn „gerade gegenüber diesen Personen“ die mildere Haftung der in § 176 Abs 3 ForstG Platz greifen sollte, ist im Sinne der zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts daraus aber nicht im Umkehrschluss abzuleiten, dass das Haftungsprivileg bereits immer dann ausgeschlossen sein soll, wenn fremde Personen oder Sachen nicht zufällig in den Gefahrenbereich gelangten.
3.4 Die Klägerin legt § 176 Abs 3 ForstG dahin aus, dass diese Norm nur mehr auf jene Sachverhalte Anwendung finden soll, bei denen eine Erkennbarkeit der Schädigung fremder Interessen „gar nicht oder nur mit erheblichem, unvertretbarem Aufwand“ möglich wäre. Es sei (vom Waldarbeiter) geboten, „alles nur Denkmögliche“ zu unternehmen, dass eine Schädigung von Gütern dritter Personen verlässlich verhindert werde. Beachtet aber ein Waldarbeiter diese Anforderungen, wäre dessen Haftung ohnedies bereits nach allgemeinen Grundsätzen mangels Verschulden zu verneinen, setzt dieses doch gerade ein vermeidbares Verhalten voraus (Karner in KBB5 § 1294 ABGB Rz 7). Bei der von der Klägerin vertretenen Auslegung bliebe daher offen, inwiefern dann Waldbewirtschaftungsarbeiten gegenüber dem allgemeinen Haftungsregime überhaupt noch privilegiert wären. Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf nicht näher beschriebene „weite Teile der Lehre“ für eine Gefährdungshaftung plädiert, liegt darin in Wahrheit eine rechtspolitische Ablehnung der Haftungsbeschränkung, die im vorliegenden Rechtsstreit ungeprüft bleiben muss (vgl bereits 6 Ob 689/85).
4. Ein auf § 364a ABGB gestützter nachbarrechtlicher verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch scheitert schon am Umstand, dass der auf dem Grundstück der Nebenintervenienten als Forstwirtschaftsmeister tätige Beklagte nicht der Nachbar der Klägerin (iS eines Eigentümers von angrenzenden Grundflächen, vgl RS0010489) ist.
5. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Durch die abändernde Entscheidung des Berufungsgerichts musste dieses die erstgerichtlichen Kosten neu bestimmen, weshalb sich eine Behandlung der klägerischen Berufung im Kostenpunkt erübrigte.
6. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der dreifache Einheitssatz steht nur im Berufungsverfahren, nicht aber im Revisionsverfahren zu (§ 23 Abs 9 RATG).
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