OGH 3Ob207/19s

OGH3Ob207/19s19.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Priv.‑Doz. Dr. Rassi und Mag. Painsi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Uwe Niernberger, Dr. Angelika Kleewein, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch Mag. Silvia Fahrenberger, Rechtsanwältin in Scheibbs, wegen Unzulässigkeit einer Exekution (§ 35 EO), über die „außerordentliche“ Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 8. August 2019, GZ 1 R 160/19k‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Weiz vom 15. Mai 2019, GZ 22 C 29/18k‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127063

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Die Ehe der Streitteile wurde gemäß § 55a EheG einvernehmlich geschieden. In der Scheidungsfolgenvereinbarung verpflichtete sich der Kläger zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 811,36 EUR an die Beklagte.

Mit Beschluss vom 20. September 2018 bewilligte das Bezirksgericht Graz‑Ost aufgrund dieses Titels der Beklagten als Betreibenden gegen den Kläger als Verpflichteten die Exekution zur Hereinbringung der aushaftenden Unterhaltsbeiträge für August und September 2018 in Höhe von 1.622,72 EUR sowie des laufenden Unterhalts von 811,36 EUR monatlich ab Oktober 2018.

Der Kläger macht in seiner Oppositionsklage geltend, der betriebene Unterhaltsanspruch ruhe, weil sich die Beklagte in einer aufrechten Lebensgemeinschaft befinde.

Die Beklagte wendete ein, sie lebe nicht in einer Lebensgemeinschaft, sondern habe lediglich einen Freund, der 230 km von ihr entfernt wohne.

Das Erstgericht sprach aus, dass die bewilligte Exekution „für unzulässig erklärt“ werde (richtig: dass der betriebene Unterhaltsanspruch gehemmt sei), weil insgesamt vom Vorliegen einer Lebensgemeinschaft auszugehen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die „außerordentliche“ Revision der Beklagten, die das Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorlegte.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist derzeit zur Behandlung dieses Rechtsmittels nicht zuständig:

1. Nach § 502 Abs 4 ZPO ist in den in § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO – wie hier – für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.

2. Eine familienrechtliche Streitigkeit iSd § 49 Abs 2 Z 2 JN liegt insbesondere dann vor, wenn in einem über eine Oppositionsklage eingeleiteten Verfahren – wie hier – der aus dem Gesetz gebührende Unterhalt strittig ist (RS0046467 [T1, T12]), es sei denn, dem betriebenen Anspruch wird mit einem nicht aus dem Familienrecht stammenden Oppositionsgrund (Aufrechnung oder Zahlung) entgegen getreten (RS0042968 [T4]).

3. Der Streitwert der Oppositionsklage richtet sich nach dem Wert des betriebenen Anspruchs, der unter Anwendung der Bestimmungen der §§ 54 und 56 JN zu ermitteln ist. Das gilt auch, wenn nicht Erlöschen, sondern – wie hier – Hemmung des Anspruchs geltend gemacht wird. Ist von der Oppositionsklage nur ein Teil des betriebenen Anspruchs betroffen, ist der Wert dieses Teils maßgebend. Eine Bewertung der Oppositionsklage durch den Kläger ist daher nicht erforderlich, weil der Streitwert durch die dem Exekutionsverfahren zugrunde liegende Bewertung vorgegeben ist; dieser Wert ist von Amts wegen zu ermitteln (Jakusch in Angst/Oberhammer 3 § 35 EO Rz 84 mwN).

4. Gemäß § 58 Abs 1 JN sind Unterhaltsansprüche zwingend mit der dreifachen Jahresleistung zu bewerten. Es bedarf daher in Unterhaltssachen keiner Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Gericht zweiter Instanz (RS0110920 [T1]). Für den Wert des Entscheidungsgegenstands des Gerichts zweiter Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung in Unterhaltsbemessungsverfahren grundsätzlich – abgesehen von Fällen, in denen nur einzelne (rückständige) Teilleistungen eingeklagt werden (vgl RS0046547 [T1], RS0111964 [T1, T3]) – auf den 36-fachen Betrag jenes monatlichen Unterhaltsbeitrags abzustellen, der zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz zwischen den Parteien noch strittig war, während zusätzlich begehrte, bereits fällige Ansprüche (Unterhaltsrückstände) nicht zusätzlich zur dreifachen Jahresleistung in die Bewertung einzubeziehen sind (RS0122735 [T1, T5], RS0114353 [T1], RS0042366 [T1, T7, T9], RS0103147 [T1, T6, T28], RS0046544 [T3]; ablehnend Gitschthaler in Fasching/Konecny 3 § 58 JN Rz 8/1).

5. Demgegenüber hat der erkennende Fachsenat bisher in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass sich der Wert des Entscheidungsgegenstands dann, wenn sich eine Oppositionsklage auf einen Unterhaltsexekutionstitel bezieht, grundsätzlich nach § 58 JN aus der dreifachen Jahresleistung zuzüglich des betriebenen Unterhaltsrückstands ergibt (RS0001624). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur, wenn in zweiter Instanz nur noch der laufende Unterhalt strittig war (3 Ob 253/07p = RS0001624 [T3]) oder wenn der betriebene Rückstand gar nicht Gegenstand der Oppositionsklage war (3 Ob 148/12d = RS0001624 [T6]).

6. Ua in den Entscheidungen 3 Ob 148/12d und 3 Ob 236/18d konnte ausdrücklich offen bleiben, ob die soeben referierte Rechtsprechung aufrecht zu halten ist, weil der Wert des Entscheidungsgegenstands in diesen Fällen sowohl unter Einbeziehung als auch unter Außerachtlassung des betriebenen Rückstands 30.000 EUR nicht überstieg. Der hier zu entscheidende Fall ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass der dreifache Jahresbetrag des laufenden Unterhalts (knapp) unter 30.000 EUR liegt (36 x 811,36 EUR = 29.208,96 EUR), während der Wert des Entscheidungsgegenstands unter Einbeziehung des betriebenen Unterhaltsrückstands von 1.622,72 EUR 30.000 EUR überstiege.

7. Der Senat hat erwogen:

7.1. Die bisherige Rechtsprechung hat zur Folge, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in einem Oppositionsverfahren, das sich auf exekutiv betriebenen rückständigen und laufenden Unterhalt bezieht und in dem der Verpflichtete geänderte Verhältnisse geltend macht, die eine Neubemessung des Unterhalts (auch hinsichtlich der Perioden, aus denen ein Unterhaltsrückstand betrieben wird) nach sich ziehen, anders zu berechnen ist, als hätte der Unterhaltsschuldner mangels Exekutionsführung mittels Feststellungsklage (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 293) dieselben geänderten Umstände für denselben Zeitraum ins Treffen geführt.

7.2. Ein zwingender Grund für diese Differenzierung ist nicht ersichtlich. Ganz im Gegenteil ist zu berücksichtigen, dass seit Inkrafttreten der EO‑Novelle 2014 (BGBl I Nr 69/2014) Einwendungen iSd § 35 EO, die Unterhaltstitel betreffen, nicht mehr beim Exekutionsgericht einzubringen sind, wo meist (sofern nicht die Geschäftsverteilung anderes vorsah) anstelle des Familienrichters der Exekutionsrichter über eine allfällige Neubemessung des Unterhalts zu entscheiden hatte, obwohl in solchen Verfahren familienrechtliche Aspekte weit mehr im Vordergrund stehen als exekutionsrechtliche Gesichtspunkte (vgl ErläutRV 180 BlgNR 25. GP  3 f), sondern bei dem für diese Sache zuständigen (österreichischen) Gericht in der dafür vorgesehenen Verfahrensart geltend zu machen sind. Jedenfalls aufgrund dieser neuen Gesetzeslage ist die dargestellte Ungleichbehandlung nicht mehr zu begründen.

7.3. Der Senat geht daher von seiner unter Punkt 5. zitierten Rechtsprechung ausdrücklich ab. Maßgeblicher Wert des Entscheidungsgegenstands des Gerichts zweiter Instanz ist folglich auch in einem Oppositionsverfahren, das betriebenen rückständigen und laufenden Unterhalt betrifft, nur der 36‑fache Betrag des (strittigen) laufenden Unterhalts (hier also 811,36 EUR monatlich), sodass er im vorliegenden Fall den Betrag von 30.000 EUR nicht übersteigt.

8. Erhebt in den im § 508 Abs 1 ZPO angeführten Fällen eine Partei ein Rechtsmittel, so ist dieses gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen, und zwar auch dann, wenn es als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wird (vgl § 84 Abs 2 letzter Satz ZPO) und wenn es an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist; dieser darf hierüber nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RS0109623). Ob der dem Berufungsgericht vorzulegende Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T5, T8]).

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