OGH 8Ob96/19d

OGH8Ob96/19d25.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Lattenmayer, Luks & Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. K*****, vertreten durch Rechtsanwälte Lang & Schulze-Bauer OG in Fürstenfeld, wegen 10.977,40 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 17. Mai 2019, GZ 13 R 148/18i-21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 29. Juni 2018, GZ 2 C 17/18d-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00096.19D.1025.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Im Frühjahr 2014 verkaufte H***** das Reit- und Springpferd Nurijew I an die V***** GmbH. Zu diesem Zweck erstattete der beklagte Tierarzt ein Ankaufsgutachten (Abschnitt C im Vertrag über die Untersuchung eines Pferdes) mit folgendem Resümee: „Bei der Untersuchung wurden keine wesentlichen Mängel festgestellt. Kauf kann empfohlen werden.“ Der Beklagte bemerkte nicht, dass Nurijew I eine Griffelbeinfraktur hatte, weshalb er in seinem Gutachten darüber auch nicht aufklärte. Hätte er gewissenhaft unter Einhaltung der gebotenen Sorgfalt gearbeitet, wäre dieser Fehler nicht passiert. In dem von H***** als Auftraggeber und dem Beklagten als Auftragnehmer am 2. 4. 2014 unterzeichneten Vertrag über die Untersuchung eines Pferdes fand sich im Abschnitt A unter dem Punkt „Allgemeine Vertragsbedingungen (AVB)“ auch folgende Klausel:

„§ 6 Dritte

Ohne ausdrückliche schriftliche Vereinbarung ist der Auftraggeber nicht berechtigt, das Protokoll an Dritte weiterzugeben oder damit zu werben. Dritte können aus dem Protokoll keinerlei Rechte ableiten; es stellt keine Beschreibung des Pferdes im Sinne des Gewährleistungsrechtes dar. Der Auftraggeber verpflichtet sich, Dritte über den Inhalt dieser Vereinbarung zu informieren und den Tierarzt schad- und klaglos zu halten.“

Für die Ankaufsuntersuchung verrechnete der Beklagte 800 EUR, die H***** bezahlte.

Das Pferd Nurijew I wurde in weiterer Folge von der ersten Käuferin, der V***** GmbH, an Ing. M***** weiterverkauft, welcher wiederum das Pferd mit Vertrag vom 5. 5. 2014 an den Kläger weiterverkaufte. Am 14. 5. 2014 stellte eine vom Kläger hinzugezogene Tierärztin die alte Griffelbeinfraktur fest, infolge derer das Pferd (vorerst) nicht als Reitpferd einsetzbar war.

Der vom Kläger gegen Ing. M***** erhobenen Klage auf Wandlung des Kaufvertrags wurde mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Wels vom 10. 3. 2015 stattgegeben; das auf Schadenersatz gestützte Mehrbegehren wurde hingegen abgewiesen.

Der Kläger begehrte vom Beklagten den Ersatz der Kosten für die Einstellung des Pferdes von Mai 2014 bis Juli 2015, für den Tierarzt und den Hufschmied sowie Telefon- und Fahrtspesen von insgesamt 10.977,40 EUR sA. Der zwischen H***** als Auftraggeber und dem Beklagten als Auftragnehmer abgeschlossene Vertrag hinsichtlich der am 2. 4. 2014 durchgeführten Begutachtung des Pferdes entfalte auch Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers. Überdies hafte der Beklagte auch ex delicto wegen (grob) schuldhafter Verletzung eines Schutzgesetzes, konkret der Bestimmung des § 19 Abs 1 Tierärztegesetz, die der Beklagte bei Erstellung seines Gutachtens nicht eingehalten habe. Schließlich ergebe sich die Haftung des Beklagten auch aus § 1300 Satz 1 ABGB, weil er jedenfalls damit habe rechnen müssen, dass das von ihm ausgefüllte Ankaufsuntersuchungsformular eine mögliche Grundlage für weitere, jedenfalls zeitnahe, das Pferd betreffende Rechtsgeschäfte bilden könnte.

Die Vorinstanzen verneinten die geltend gemachten Anspruchsgrundlagen und wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sowohl zur Frage, ob ein Tierarzt für ein unrichtiges Gutachten auch gegenüber Dritten (Folgekäufern) dann hafte, wenn im Gutachten festgehalten sei, dass eine Weitergabe desselben nur mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung seinerseits erfolgen dürfe, als auch zur Frage, ob es sich bei der Bestimmung des § 19 Abs 1 Tierärztegesetz um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB handle, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von dem Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder fehlt Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, noch ist das Berufungsgericht davon abgewichen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

1.1 Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach den §§ 1299, 1300 ABGB ist grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt (RIS-Justiz RS0026234). Eine deliktische Haftung gegenüber Dritten für reine Vermögensschäden kommt daher in der Regel nur bei (zumindest bedingtem) Vorsatz („wissentlich“) des Beklagten in Betracht (RS0026234 [T7]).

1.2 Der Kläger meint in diesem Zusammenhang, das Berufungsgericht habe anlässlich der Behandlung der Beweisrüge das Vorliegen von Vorsatz bzw Wissentlichkeit konzediert, weil es darauf verwiesen habe, dass die beantragten Ersatzfeststellungen, die unter anderem eine wissentliche Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten beinhaltet hätten, vom Erstgericht im Wesentlichen ohnehin getroffen worden seien. Allerdings zeigt schon die Einschränkung „im Wesentlichen“, dass sich die getroffenen und die gewünschten Feststellungen selbst nach Einschätzung des Berufungsgerichts nicht zur Gänze decken. Ein vorsätzliches Handeln bzw Unterlassen des Beklagten ergibt sich aus den – vom Berufungsgericht übernommenen – erstgerichtlichen Feststellungen nicht. Davon gehen auch die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts aus. Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liegt nicht vor.

2.1 Darüber hinaus haftet der Sachverständige dem Dritten dann, wenn ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter vorliegt oder die objektiv-rechtlichen Schutzpflichten auf den Dritten zu erstrecken sind (RS0026234 [T13]; Karner in KBB5 § 1300 Rz 3 mwN).

Ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter wird angenommen, wenn der Besteller des Gutachtens für den Sachverständigen erkennbar gerade auch die Interessen des Dritten mitverfolgte (RS0026552; RS0017178). Nunmehr überwiegend (vgl 7 Ob 77/11s) wird die Sachverständigenhaftung allerdings auf objektiv-rechtliche Sorgfaltspflichten gestützt, zumal die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in jenen Fällen an ihre Grenzen stößt, in denen der Vertragspartner des Sachverständigen und der Dritte gegenläufige Interessen verfolgen (Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1300 Rz 15; Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, FS Koziol 695, 707 ff). Das ist hier bei H***** als Verkäufer und dem Kläger als Nachfolgekäufer des Pferdes der Fall.

Den Sachverständigen trifft eine objektiv‑rechtliche Sorgfaltspflicht zu Gunsten eines Dritten, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten Dritten zur Kenntnis gelangen und diesen als Grundlage für ihre Dispositionen dienen wird (RS0106433). Geschützt ist demnach ein Dritter, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Wesentlich ist daher vor allem, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde (RS0106433 [T12]; RS0017178 [T10, T13]). Ausschlaggebend ist, wie ein verständiger Informationsempfänger die Expertise auffassen durfte (RS0026645 [T15]).

2.2 Das Berufungsgericht kam im vorliegenden Fall zu dem Schluss, dass der Beklagte angesichts der Bestimmung des § 6 im Ankaufsgutachten keine Vertrauensgrundlage gegenüber dem Kläger geschaffen habe, weil der Beklagte davon habe ausgehen dürfen, dass das Gutachten ohne seine schriftliche Zustimmung nicht weitergegeben werde, und dem Kläger hätte klar sein müssen, dass das Gutachten nicht für ihn bestimmt, also gerade nicht drittgerichtet sei.

2.3 Diese (einzelfallbezogene) Beurteilung steht mit der zitierten Rechtsprechung in Einklang: Der Beklagte hat durch einen ausdrücklichen Hinweis im Gutachten selbst (anders zu einem bloß „internen Diskussionspapier“: 7 Ob 273/00y) seine Expertise nur für die interne Verwendung freigegeben (siehe zum ausdrücklichen Weitergabeverbot auch 4 Ob 249/14t; Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, FS Koziol 695, 718). „Ohne ausdrückliche schriftliche Vereinbarung“ musste der Beklagte nicht mit Dispositionen – hier ja am Anlass der Gutachtenserstattung gar nicht beteiligter – Dritter auf Grundlage des Gutachtens rechnen. Er hat den Vertrauenstatbestand insofern erkennbar und für diese unabsehbaren Erweiterungen auch zulässig eingeschränkt (vgl noch weitergehend Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, FS Koziol 695, 718; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1300 Rz 16), weil erst der geschaffene Vertrauenstatbestand die Haftung gegenüber dem Dritten begründet. Anderes wird für gutachterliche Aussagen zu gelten haben, die sich schon nach Natur und Zweck an Dritte bzw an die Öffentlichkeit richten. Entgegen der Meinung des Revisionswerbers verleitet allein die hier vereinbarte Verpflichtung des Auftraggebers, den Sachverständigen gegenüber allfälligen Ansprüchen Dritter schad- und klaglos zu halten, einen verständigen Dritten nicht zu der Annahme, dass sich die gutachterliche Aussage, obwohl eine schriftliche Zustimmung des Sachverständigen zur Weitergabe der Expertise nicht vorliegt, doch an ihn richten könnte.

3.1 Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RS0027710). Sie bezwecken durch die Umschreibung konkreter Verhaltenspflichten, einem Schadenseintritt vorzubeugen (RS0027367; RS0027710 [T22]). § 1299 ABGB begründet keine besonderen Pflichten, sondern hebt nur – im Vergleich zu § 1297 ABGB – den Verschuldensmaßstab an. Er ist für sich kein Schutzgesetz (RS0107870).

3.2 Gemäß § 19 Abs 1 Tierärztegesetz darf ein Tierarzt Zeugnisse und Gutachten nur nach gewissenhafter Erhebung und Untersuchung und unter genauer Beachtung der Regeln, Erkenntnisse und Erfahrungen der Veterinärmedizin nach seinem besten Wissen und Gewissen abgeben. Diese Bestimmung stellt die Grundsätze auf, nach denen tierärztliche Zeugnisse und Gutachten zu erstellen sind (ErläutRV 1158 BlgNR 13. GP  18). Damit wird der vom Tierarzt bei der Erstellung von Zeugnissen und Gutachten grundsätzlich einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab gesetzlich festgelegt (1 Ob 243/16s). Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Schutzgesetzen auch zu prüfen, welchen Personenkreis sie schützen sollen (RS0027710). Auch wenn der Schutz von Individualinteressen durch § 19 Tierärztegesetz intendiert sein mag, so ist doch nicht ersichtlich, inwieweit der Personenkreis über den dargestellten Schutzbereich hinausgehen und nicht nur den Sorgfaltsmaßstab festlegen sollte.

3.3 Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, § 19 Abs 1 Tierärztegesetz sei – ähnlich wie § 1299 ABGB – kein Schutzgesetz, das den Kläger erfasse, bewegt sich vor diesem Hintergrund in dem von der Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen.

4. Die Revision war daher zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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