OGH 8ObA52/19h

OGH8ObA52/19h25.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Dr. W*****, vertreten durch Ing. Dr. Christian Macho, Rechtsanwalt in Baden, als Verfahrenshelfer, wegen 37.682,85 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2019, GZ 9 Ra 103/18k‑31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00052.19H.1025.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

1. Der Beklagte zieht nicht in Zweifel, dass die bei ihm seit 9. 12. 1996 beschäftigte Klägerin auch noch zum Zeitpunkt ihrer Austrittserklärung nach § 26 Z 1 AngG am 18. 1. 2017 nicht in der Lage war, ihre Arbeitstätigkeit als Sekretärin in seiner Rechtsanwaltskanzlei ohne Schaden für ihre Gesundheit wieder aufzunehmen. Gegen die von ihr geltend gemachten beendigungsabhängigen Ansprüche wendet er im Revisionsverfahren ein, sie habe ihren Austritt nicht rechtzeitig erklärt, weil sie bereits seit November 2016 vom Austrittsgrund Kenntnis gehabt habe, jedenfalls aber weil ihr Austritt unverzüglich nach dem 9. 1. 2017 hätte erfolgen müssen, nachdem die Verhandlungen zwischen den Parteien über eine einvernehmliche Auflösung gescheitert waren.

Rechtliche Beurteilung

Damit zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Gefährdung der Gesundheit des Angestellten bei Fortsetzung einer bestimmten Tätigkeit ein Dauerzustand, auf den er sich jederzeit zur Rechtfertigung einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berufen kann (RIS-Justiz RS0028723).

In der vom Beklagten herangezogenen Entscheidung 9 ObA 209/90 verwies der Oberste Gerichtshof zwar allgemein auf die Ansicht von Kuderna (Entlassungsrecht 19), auch bei Dauertatbeständen müsse der Dienstgeber die Entlassung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Entlassungsgrund aussprechen, falls das Unterbleiben einer Entlassung zur zwingenden Annahme des Untergangs des Entlassungsrechts (durch Verzicht, Verwirkung) oder zum Wegfall des Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung führen müsste, verneinte dies aber konkret für den zu prüfenden Austrittsgrund der Gesundheitsgefährdung. Dabei ging er von der Erwägung Kudernas aus, dass zB bei einer Erkrankung des Dienstnehmers mit der fortschreitenden Dauer der Krankheit auch das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zunehme, sodass die zwingende Annahme des Untergangs des Entlassungsrechts bzw des Fehlens des Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht zutreffe. In weiterer Folge prüfte und verneinte der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben durch den dortigen Kläger, der erst nach Ablauf des (vertraglich vereinbarten) Entgeltfortzahlungszeitraums von seinem Austrittsrecht Gebrauch gemacht hatte, ebenso wie einen Verzicht und einen Wegfall der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung (vgl dazu, dass bei der Annahme eines Verzichts beim Austrittstatbestand der Dienstunfähigkeit oder Gesundheitsgefährdung allgemein Vorsicht geboten ist Friedrich in AngG‑Kommentar § 25 Rz 44).

2.2 Die Ansicht des Berufungsgerichts, der vorzeitige Austritt der Klägerin sei hier berechtigt erfolgt, hält sich im Rahmen dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Aus den Feststellungen, dass die Klägerin, unmittelbar nachdem ihr im November 2016 die Dauerhaftigkeit ihres Zustands klar geworden war, Verhandlungen mit dem Beklagten über eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses aufnahm, schloss das Berufungsgericht, dass dem Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt hätte bekannt sein müssen, dass die Klägerin nicht mehr in seine Kanzlei zurückkehren werde. Nicht zuletzt gestand der Beklagte selbst zu, im November 2016 über die genaue Erkrankung der Klägerin informiert worden zu sein. Vor diesem Hintergrund sah das Berufungsgericht keine Anhaltspunkte für einen Treuepflichtverstoß durch die Klägerin. Insoweit ist auch nicht weiter auf die von Glowacka (Vorzeitiger Austritt aus gesundheitlichen Gründen, DRdA 2017/5, 44) für den Fall, dass ein Arbeitnehmer sich trotz Kenntnis von der Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses im Krankenstand „verstecke“, wodurch dem Arbeitgeber das Recht auf Entlassung des Arbeitnehmers wegen Arbeitsunfähigkeit nach § 27 Z 2 AngG genommen werde, angestellten Überlegungen einzugehen. Im Übrigen kam das Berufungsgericht zu dem Schluss, dass die Klägerin auch kein Verhalten gesetzt habe, das dem Beklagten die Annahme erlaubt hätte, die Klägerin sei von ihrem Austrittsrecht „zurückgetreten“. Vielmehr habe der Beklagte mit diesem Schritt der Klägerin jederzeit rechnen müssen und damit auch tatsächlich gerechnet, wofür das eigene Schreiben des Beklagten vom 4. 1. 2017 Beleg sei, mit dem er gegenüber der Klägerin erklärt habe, dem von ihr „angekündigten“ Austritt nach § 26 Z 1 AngG mit Gelassenheit entgegenzusehen.

3. Gegen diese Beurteilungen weckt der Revisionswerber aber keine Bedenken (vgl RS0106298), zumal er auf die Argumente der zweiten Instanz nicht weiter eingeht.

4. Die Revision war daher zurückzuweisen.

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