OGH 7Ob159/19m

OGH7Ob159/19m23.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** W*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*****versicherungen auf Gegenseitigkeit, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 17.030,79 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Juli 2019, GZ 2 R 97/19f‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. April 2019, GZ 11 Cg 129/18s‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00159.19M.1023.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 159/19m wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin schloss am 28. 1. 2011 mit der Beklagten einen fondsgebundenen Lebensversicherungs‑ vertrag. Bei Unterfertigung des Antragsformulars am 4. 1. 2011 erhielt sie eine schriftliche Verbraucherinformation, die folgende Belehrung enthält:

Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers

[…]

Darüber hinaus können Sie gemäß § 165a VersVG innerhalb von 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags zurücktreten.

[...]

Sollten Sie aus einem der genannten Gründe vom Vertrag zurücktreten, bedarf dieser Rücktritt der Schriftform.

[...].“

Die dem Annahmeschreiben der Beklagten beigelegte Verbraucherinformation enthielt denselben Passus.

Am 1. 6. 2015 stellte die Beklagte auf Wunsch der Klägerin den Versicherungsvertrag prämienfrei. Am 1. 10. 2018 erklärte die Klägerin der Beklagten schriftlich unter Berufung auf § 165a VersVG den Rücktritt vom Versicherungsvertrag; die Beklagte wies dies zurück.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 17.030,79 EUR sA. Sie sei wirksam vom Vertrag zurückgetreten, weil sie über ihr Rücktrittsrecht insofern falsch belehrt wurde, als der Rücktritt nur schriftlich erfolgen dürfe. Dies führe zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht.

Die Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und wendete ua ein, das Verlangen nach einer schriftlichen Rücktrittserklärung habe zu keinem unbefristeten Rücktrittsrecht der Klägerin geführt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagsstattgebung. Hilfsweise stellt die Klägerin einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583 mwN).

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